Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 473



123 III 473

74. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Juli 1997 i.S.
Stratton Industrie Holding AG in Liquidation gegen Departement des
Innern des Kantons Aargau und Handelsregisteramt des Kantons Aargau
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde). Regeste

    Art. 739 Abs. 2 OR; Widerruf des Auflösungsbeschlusses einer
Aktiengesellschaft.

    Der Widerruf des Auflösungsbeschlusses durch die Generalversammlung
ist so lange zulässig, als noch nicht mit der Verteilung des
Gesellschaftsvermögens begonnen worden ist (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Die Stratton Industrie Holding AG mit Sitz in Waltenschwil wurde
am 20. März 1987 gegründet und am 9. April 1987 in das Handelsregister
des Kantons Aargau eingetragen. Nachdem es zwischen den zwei die
Gesellschaft beherrschenden Aktionären zu Auseinandersetzungen gekommen
war, beschloss die Generalversammlung am 21. Oktober 1992 die Auflösung
und anschliessende Liquidation der Gesellschaft und ernannte zwei
Liquidatoren. Am 18. November 1992 erfolgte die Eintragung der Auflösung im
Handelsregister. Am 1. Dezember 1992 wurde der Eintrag im Schweizerischen
Handelsamtsblatt publiziert.

    In der Folge schied der eine der Aktionäre aus der Gesellschaft aus,
indem er seine Aktien dem andern übertrug, der damit zum Alleinaktionär
wurde. Darauf beschloss die Generalversammlung am 6. Juli 1994
einstimmig, den Auflösungsbeschluss zu widerrufen und die statutarische
Geschäftstätigkeit ohne den Firmazusatz "in Liq." weiterzuführen. Zudem
wurde vom Rücktritt der Liquidatoren Kenntnis genommen. Der Beschluss
wurde öffentlich beurkundet.

    B.- Am 8. Juli 1994 meldete die Gesellschaft den Widerruf des
Auflösungsbeschlusses vom 21. Oktober 1992 und die Löschung der beiden
Liquidatoren beim Handelsregisteramt des Kantons Aargau zur Eintragung
in das Register an. Der Anmeldung wurden Unterlagen beigelegt, aus denen
hervorging, dass sich auf den Schuldenruf eine einzige Gläubigerin,
die Involvo AG, gemeldet und diese ihre Zustimmung zum Widerruf des
Auflösungsbeschlusses gegeben hatte. Beigelegt wurde zudem eine mit
der Prüfungsbestätigung der Revisionsstelle versehene Erklärung der
Liquidatoren, dass ausser dem Schuldenruf keine Liquidationshandlungen
durchgeführt worden seien.

    Am 2. August 1994 verfügte das Handelsregisteramt des Kantons Aargau,
die Anmeldung zur Eintragung des Widerrufsbeschlusses im Handelsregister
sowie die Löschung der beiden Liquidatoren werde abgewiesen. Die von der
Gesellschaft dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Departement des Innern
des Kantons Aargau mit Verfügung vom 27. April 1995 abgewiesen.

    C.- Die Stratton Industrie Holding AG in Liquidation hat
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Sie beantragt dem Bundesgericht,
die Verfügung des Handelsregisteramtes des Kantons Aargau vom 2. August
1994 und die Verfügung des Departementes des Innern des Kantons Aargau vom
27. April 1995 seien vollumfänglich aufzuheben; das Handelsregisteramt sei
anzuweisen, den Generalversammlungsbeschluss vom 6. Juli 1994 betreffend
den Widerruf des Auflösungsbeschlusses vom 21. Oktober 1992 und betreffend
Weiterführung der Firma ohne den Zusatz "in Liquidation" sowie die Löschung
der beiden Liquidatoren im Handelsregister einzutragen.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt die Verfügung des
Departements des Innern auf und weist die Streitsache zu neuer Entscheidung
an dieses zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann lediglich die Verfügung
des Departements des Innern des Kantons Aargau angefochten werden (Art. 5
HRegV [SR 221.411], Art. 98 lit. g OG). Unbeachtlich ist deshalb der Antrag
der Beschwerdeführerin, es sei auch die Verfügung des Handelsregisteramtes
des Kantons Aargau aufzuheben.

Erwägung 2

    2.- In der Verfügung des Departements des Innern wurde die Befugnis
der Generalversammlung, den Auflösungsbeschluss zu widerrufen, mit der
Begründung verneint, das Obligationenrecht schliesse die Möglichkeit eines
Widerrufs aus. Das Departement stützte sich dabei auf einen im Jahre 1965
ergangenen Bundesgerichtsentscheid (BGE 91 I 438 ff.).

    Dieser Entscheid, der eine Genossenschaft betraf, wurde wie
folgt begründet: Das Bundesgericht wies zunächst auf eine vor dem
Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1936 über die Revision
der Titel 24-33 des OR (1. Juli 1937) vom Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement sowie dem Bundesrat vertretene Auffassung hin, wonach
der Auflösungsbeschluss der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft
diese als Erwerbsgesellschaft auflöse und sie nur zum Zwecke der
Liquidation bestehen bleibe; demgemäss habe die Generalversammlung nur
noch beschränkte Befugnisse; sie könne keine Beschlüsse mehr fassen,
die nicht die Durchführung der Liquidation beträfen, insbesondere nicht
deren Aufhebung beschliessen (E. 3 S. 441). Das Bundesgericht befasste
sich sodann mit der Entstehungsgeschichte von Art. 739 OR und hielt
fest, aus den Materialien ergebe sich keine eindeutige Stellungnahme
des Gesetzgebers zur Frage der Zulässigkeit des Widerrufs (E. 3 S. 442
und E. 5c). Es wies im weitern auf einen in der amtlichen Sammlung nicht
veröffentlichten Bundesgerichtsentscheid vom 14. September 1938 hin, in
dem ausgeführt worden war, angesichts des klaren Wortlauts des Gesetzes,
der den Niederschlag schon früher anerkannter Grundsätze bilde, könne
kein Zweifel darüber bestehen, dass ein Beschluss auf Widerruf der
Liquidation und Fortsetzung der Gesellschaft nicht zulässig sei (E. 3
S. 442). Das Bundesgericht zitierte anschliessend die einschlägige
schweizerische Lehre und hielt fest, die Meinungen der Autoren seien
geteilt (E. 3 S. 443). Zudem ergebe auch der Vergleich mit den Regelungen
bzw. der Literatur und Praxis der Nachbarländer Deutschland, Österreich,
Frankreich und Italien kein einheitliches Bild (E. 3 S. 443 f. und E. 5d
S. 447). Es verwarf sodann die in der Lehre vertretene Meinung (W. VON
STEIGER, Zürcher Kommentar, N. 29 zu Art. 820 OR), wonach sich Art. 739
Abs. 2 OR nur mit den Befugnissen der Gesellschaftsorgane im Hinblick
auf die Liquidation befasse und keine genügende Grundlage zur Lösung des
Problems der Rückgründung bilde, und hielt an der im unveröffentlichten
Bundesgerichtsentscheid vom 14. September 1938 geäusserten Meinung
fest, dass die Gesellschaftsorgane nach dem klaren Wortlaut von Art.
738/739 OR nicht befugt seien, den einmal gefassten Auflösungsbeschluss
zu widerrufen (E. 5b). Das Bundesgericht räumte schliesslich ein, dass es
Fälle geben möge, wo der Widerruf des Auflösungsbeschlusses die Interessen
der Öffentlichkeit nicht gefährde, was aber nicht genüge, um eine vom
eindeutigen Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung zu rechtfertigen
(E. 5d S. 448).

Erwägung 3

    3.- Die auf die damalige schweizerische Lehre bezügliche Feststellung
in BGE 91 I 438 ff., dass die Meinungen geteilt seien, das heisst keine
überwiegende Lehrmeinung bestehe, trifft für die nach 1965 erschienenen
Publikationen nicht mehr zu. Der damals von W. VON STEIGER vertretenen
Auffassung (von diesem bestätigt in ZBJV 103/1967, S. 122 f.), dass ein
Widerruf des Auflösungsbeschlusses grundsätzlich zulässig sein müsse,
hat sich nach 1965 die Mehrheit der Autoren angeschlossen. Zu erwähnen
sind von GREYERZ (Schweizerisches Privatrecht, Bd. VIII/2, S. 279),
BÜRGI (Zürcher Kommentar, N. 20 zu Art. 736), ROBERT HEBERLEIN (Die
Kompetenzausscheidung bei der Aktiengesellschaft in Liquidation unter
Mitberücksichtigung der Kollektivgesellschaft nach schweizerischem
Recht, Diss. Zürich 1969, S. 12 ff.), LUTZ MELLINGER (Die Fusion
von Aktiengesellschaften im schweizerischen und deutschen Recht,
Diss. Zürich 1971, S. 24 ff.), PETER STAEHELIN (Die Rückgründung
aufgelöster Gesellschaften oder Genossenschaften, BJM 1973, S. 217
ff.), BÖCKLI (Schweizer Aktienrecht, 2. Auflage, S. 1027 Rz. 1955d),
FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL (Schweizerisches Aktienrecht, § 55 N. 189
ff.; anders FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ, Einführung in das schweizerische
Aktienrecht, 3. Auflage 1983, § 41 N. 9) und WALTER STOFFEL (SJK,
Ersatzkarte 403, Die Aktiengesellschaft, XV, Auflösung, Liquidation
und Überschuldung, S. 3 Fn. 6). Soweit sie sich zur Frage äussern,
sind aber alle zitierten Autoren der Auffassung, dass der Widerruf im
fortgeschrittenen Liquidationsstadium nicht mehr zuzulassen sei, wobei
die Mehrheit von ihnen die Grenze übereinstimmend mit den Regelungen des
deutschen und österreichischen Rechts im Zeitpunkt setzt, wo noch nicht
mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens begonnen worden ist. In
diesem Zusammenhang ist im übrigen anzumerken, dass sich neben den vom
Bundesgericht in BGE 91 I 438 ff. zitierten noch andere Autoren vor
1965 für die grundsätzliche Zulässigkeit des Widerrufs ausgesprochen
haben (nämlich R. GOLDSCHMIDT, Grundfragen des neuen schweizerischen
Aktienrechts, St. Gallen 1937, S. 60 ff.; FRITZ FUNK (Kommentar des
Obligationenrechts, 2. Band, "Das Recht der Gesellschaften", 1951,
N. 1 zu Art. 736 OR; WALTER R. SCHLUEP, Die wohlerworbenen Rechte des
Aktionärs und ihr Schutz nach schweizerischem Recht, Diss. St. Gallen
1955, S. 74; CHARLES METZLER, Die Auflösungsgründe im Bereich der
Aktiengesellschaft, Diss. Bern 1952, S. 5 f.). Der Kritik an BGE 91 I
438 ff. nicht angeschlossen haben sich ROBERT PATRY (Précis de droit
suisse des sociétés, vol. II, La société anonyme, les sociétés mixtes,
1977, S. 267), GUHL/KUMMER/DRUEY (Das Schweizerische Obligationenrecht,
8. Auflage, S. 696) und STÄUBLI (in: Kommentar zum Schweizerischen
Privatrecht, Obligationenrecht II, N. 6 zu Art. 736 OR).

    Der Umstand, dass BGE 91 I 438 ff. in der Lehre überwiegend kritisiert
wird, deutet auf eine gegenüber der damals getroffenen Lösung gewandelte
Rechtsauffassung, auf eine andere Wertung der auf dem Spiel stehenden
Interessen hin, was Anlass für eine Praxisänderung bilden kann (BGE
107 V 79 E. 5a mit Hinweisen; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 512
f. zu Art. 1 ZGB). Das wird durch die Stellungnahme des Eidgenössischen
Amtes für das Handelsregister bestätigt, welches dem Bundesgericht eine
Überprüfung seiner Praxis nahelegt und darauf hinweist, dass einer anderen
Lösung keine öffentlichen oder rechtlich geschützten Interessen Dritter
zwingend entgegenstünden. Es ist deshalb zu prüfen, ob an der mit BGE
91 I 438 ff. vorgenommenen Auslegung von Art. 739 Abs. 2 OR festgehalten
werden kann.

Erwägung 4

    4.- Art. 739 Abs. 2 OR, der im Rahmen der Aktienrechtsrevision von
1992 unverändert blieb (vgl. Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991: AS 1992
733 ff., 777), bestimmt:

    "Die Befugnisse der Organe der Gesellschaft werden mit dem Eintritt der

    Liquidation auf die Handlungen beschränkt, die für die Durchführung der

    Liquidation erforderlich sind, ihrer Natur nach jedoch nicht von den

    Liquidatoren vorgenommen werden können."

    Nach dem Wortlaut, auf den bei der Auslegung in erster Linie
abzustellen ist (BGE 116 II 525 E. 2a; 114 II 404 E. 3), werden die
Befugnisse der Gesellschaftsorgane mit dem Eintritt der Liquidation in
zweifacher Hinsicht beschränkt. Einerseits dürfen sie nur noch Handlungen
vornehmen, die für die Durchführung der Liquidation erforderlich sind;
andererseits sind sie dazu nur insoweit befugt, als die Handlungen nicht
ihrer Natur nach von den Liquidatoren vorgenommen werden können. Diese
doppelte Beschränkung der Befugnisse der Gesellschaftsorgane wurde
in BGE 91 I 438 ff. in den Vordergrund gestellt. Dem Wortlaut kann
indes mit dem Hinweis auf die "Natur" der Handlungen und damit auf die
Gesetzessystematik auch eine positive Aussage über das Zusammenwirken von
Organen und Liquidatoren sowie deren gegenseitige Kompetenzen entnommen
werden. Und zwar im Sinne der Aussage, dass die Liquidatoren nicht
über alle zur Durchführung der Liquidation erforderlichen Kompetenzen
verfügen, sondern der Mitwirkung der Gesellschaftsorgane bedürfen,
deren Fortbestand vorausgesetzt wird. Die Organe bleiben zuständig für
Handlungen, die "nicht ihrer Natur nach von den Liquidatoren vorgenommen
werden können" (frz. Wortlaut: "... et qui, de par leur nature, ne
sont point du ressort des liquidateurs"; ital.: "... e che per la loro
natura non possono essere eseguiti dei liquidatori"). Damit wird Bezug
genommen auf die organisatorische Struktur der Gesellschaft und auf jene
Aktivitäten der Gesellschaftsorgane, welche der Aufrechterhaltung der
gesellschaftsrechtlichen Organisation dienen. Insoweit sieht das Gesetz
keine besondere Kompetenzordnung für das Liquidationsstadium vor.

    a) Die Generalversammlung bleibt auch im Liquidationsstadium oberstes
Organ der Gesellschaft, das nach wie vor den Willen der Aktionäre zum
Ausdruck bringt (BÜRGI/NORDMANN, Zürcher Kommentar, N. 9 zu Art. 739 OR;
STÄUBLI, aaO, N. 5 zu Art. 739 OR). Der Generalversammlung obliegen
weiterhin Wahl und Abberufung von Verwaltung und Revisionsstelle
(Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2, Art. 705 OR). Sie ist zur Abnahme der jährlichen
Zwischenbilanz (Art. 743 Abs. 5 OR) und der Schlussbilanz verpflichtet,
welche Grundlage für die Verteilung des Gesellschaftsvermögens bildet. Die
Generalversammlung ist sodann zuständig zur Erteilung der Décharge an
Verwaltung und Liquidatoren (BÜRGI/NORDMANN, aaO, N. 23 zu Art. 739
OR). Die Stellung der Generalversammlung als oberstes Gesellschaftsorgan
manifestiert sich schliesslich in ihrer Kompetenz, den Liquidatoren die
freihändige Verwertung zu verbieten (Art. 743 Abs. 4 OR) und selbst im
Liquidationsstadium Statutenänderungen zu beschliessen, sofern sie mit
der Liquidationstätigkeit vereinbar sind (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL,
aaO, § 56 N. 66).

    Auch die Revisionsstelle behält während der Liquidation ihre
Aufgaben (BÜRGI/NORDMANN, aaO, N. 34 zu Art. 739 OR). Ihre Pflichten
bleiben weitgehend die gleichen wie vor dem Auflösungsbeschluss. So
hat sie die Bilanzen - Liquidationseröffnungsbilanz (Art. 742 Abs. 1
OR), Zwischenbilanz und Schlussbilanz - zu prüfen und darüber Bericht
zu erstatten (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO, § 56 N. 76). Nach
Art. 729b Abs. 2 OR hat sie sodann bei offensichtlicher Überschuldung der
Gesellschaft den Richter zu benachrichtigen, wenn der Verwaltungsrat die
Anzeige unterlässt. Dieser Pflicht dürfte sie auch bei der aufgelösten
Gesellschaft unterstellt sein, und zwar nicht nur, falls die Liquidation
in den Händen des Verwaltungsrates liegt, sondern auch dann, wenn
die Liquidation durch besondere Liquidatoren besorgt wird und diese
die Überschuldung nicht anzeigen. Die subsidiäre Anzeigepflicht der
Revisionsstelle ist bei der - nicht selten aus wirtschaftlichen Gründen
- aufgelösten Gesellschaft nicht weniger von Bedeutung als bei der
unaufgelösten, werbenden Gesellschaft (Revisionshandbuch der Schweiz
1992/TREUHAND KAMMER, bearb. von Pius Bachmann, Roger Bron et al., Bd. I,
S. 493 f.; a.M.: STÄUBLI, aaO, N. 14 zu Art. 743 OR).

    b) Wesentliche Auswirkungen hat die Gesetzesvorschrift von Art. 739
Abs. 2 OR, die sich an die "Organe der Gesellschaft" schlechthin
richtet und ihnen nach dem Wortlaut gleiche Befugnisbeschränkungen
auferlegt, auf die Stellung des Verwaltungsrats. Hier zeigt sich
indes deutlich, dass die Bestimmung zu wenig differenziert gefasst und
deshalb mehrdeutig ist. Wird die Liquidation durch den Verwaltungsrat
besorgt, ist die Befugnisbeschränkung zugunsten der Liquidatoren zwar
gegenstandslos. Wird die Liquidation dagegen eigens hiefür bestimmten
oder gewählten Liquidatoren übertragen, ist der Verwaltungsrat von den
Befugnisbeschränkungen ungleich mehr betroffen als die Generalversammlung
und die Revisionsstelle (vgl. dazu FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO,
§ 56 N. 72 ff.; BÜRGI/NORDMANN, aaO, N. 33 zu Art. 739 OR; F. VON
STEIGER, Rechtsfragen betr. die Aktiengesellschaft in Liq., in: Die
Schweizerische Aktiengesellschaft, 1949/50 Bd. 22, S. 40 ff.). Obliegt
dem Verwaltungsrat in der unaufgelösten Gesellschaft die Führung der
Geschäfte bzw. die Beaufsichtigung der Geschäftsführung (Art. 716, 716a
und 716b OR), liegt nach der Auflösung die in der Liquidationstätigkeit
bestehende Hauptaktivität der Gesellschaft in den Händen der Liquidatoren
(Art. 742-745 OR). Diese und nicht der Verwaltungsrat haben im Falle der
Überschuldung den Richter zu benachrichtigen (Art. 743 Abs. 2 OR). Kann
der Verwaltungsrat für die unsorgfältige Führung der Geschäfte der
unaufgelösten Gesellschaft zur Verantwortung gezogen werden, sind es
nach der Auflösung der Gesellschaft die Liquidatoren (Art. 754 Abs. 1
OR). Die Bestimmung von Art. 739 Abs. 2 OR ist in ihrer Funktion als
Kompetenzabgrenzung zwischen Verwaltungsrat und Liquidatoren, hinter
der auch eine Verantwortungsabgrenzung steht, zweifellos zwingender
Natur. Die im Vergleich zu Generalversammlung und Revisionsstelle ungleich
stärkeren Auswirkungen der Liquidation auf die Kompetenzen des nicht
liquidierenden Verwaltungsrates ändern aber nichts am Prinzip, dass der
Auflösungsbeschluss und der anschliessende Eintritt der Gesellschaft in
das Liquidationsstadium ihre Grundstruktur nicht verändert. Sie behält ihre
juristische Persönlichkeit (Art. 739 Abs. 1 OR), ist mit der unaufgelösten
Gesellschaft identisch (BGE 91 I 438 E. 4) und behält ihre gesetzlichen
Organe. Die Befugnisse der Organe bleiben - abgesehen vom Sonderfall des
nicht liquidierenden Verwaltungsrates - grundsätzlich erhalten und werden
lediglich an die neue Aufgabe angepasst. Das gilt angesichts der oben
dargelegten fortbestehenden Kompetenzen für die Generalversammlung und die
Revisionsstelle generell. Damit wird für diese Organe bestätigt, worauf
bereits der Wortlaut von Art. 739 Abs. 2 OR hindeutet, dass mit ihren
"Handlungen", die "ihrer Natur nach nicht von den Liquidatoren vorgenommen
werden können", wesensmässig andere Handlungen gemeint sind als solche,
die zur eigentlichen "Durchführung der Liquidation" gehören und von den
Liquidatoren besorgt werden. Die Kernfrage, ob die Generalversammlung
auf den Auflösungsbeschluss zurückkommen und die Liquidationstätigkeit
ausser Kraft setzen kann, lässt sich somit aufgrund des Wortlautes und
der Gesetzessystematik nicht eindeutig beantworten. Die Bedeutung der
Vorschrift ist deshalb unter Heranziehung weiterer Auslegungselemente zu
finden; ihre Tragweite muss mittels Auslegung nach dem Zweck, nach den dem
Gesetz zugrundeliegenden Wertungen bestimmt werden (BGE 114 V 220 E. 3a;
110 Ib 1 E. 2c/cc S. 8; 121 III E. 1d/aa S. 225).

Erwägung 5

    5.- Die bisherige Auslegung hat zum Zwischenergebnis geführt, dass
eine lockerere Zweckbindung der Handlungen der Gesellschaftsorgane an das
Liquidationserfordernis besteht, als es der Wortlaut von Art. 739 Abs. 2
OR vermuten lässt. Das gilt namentlich für die Generalversammlung. Ob
indes die Bestimmung von Art. 739 Abs. 2 OR bloss der Kompetenzabgrenzung
zwischen den Liquidatoren und der Generalversammlung dient, diese an
den Liquidationszweck grundsätzlich nicht gebunden ist und jederzeit,
also auch noch im fortgeschrittenen Liquidationsstadium den Widerruf
der Auflösung beschliessen kann, muss die Auslegung nach teleologischen
Gesichtspunkten beantworten.

    a) Die Aktionäre, die aus wirtschaftlichen Gründen oder als Folge von
gesellschaftsinternen Spannungen die Auflösung beschlossen haben, sind in
erster Linie an einem optimalen Liquidationserlös interessiert. Sie können
zur Förderung dieses Zieles auf die Gestaltung des Liquidationsverfahrens
einwirken, indem sie Liquidatoren wählen, aber auch die gewählten
Liquidatoren nötigenfalls abberufen (Art. 741 Abs. 1 OR), und sie
entscheiden nach Art. 743 Abs. 4 OR darüber, ob die Liquidatoren Aktiven
freihändig verkaufen dürfen. Es kann aber auch in ihrem Interesse liegen
und sinnvoll sein, dass der Betrieb im Liquidationsstadium so lange
weitergeführt wird, bis sich für das Unternehmen ein Käufer findet und
dadurch ein optimaler Erlös erzielt wird (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL,
aaO, § 56 N. 106 und § 57 N. 30 zu Art. 739 OR). Bei veränderten
Verhältnissen, zum Beispiel nach dem Wegfall der wirtschaftlichen
oder gesellschaftsinternen Gründe, welche die Generalversammlung zum
Auflösungsbeschluss veranlasst haben, können die Aktionäre aber auch
daran interessiert sein, auf den Auflösungsbeschluss zurückzukommen und
den Zustand vor der Auflösung der Gesellschaft wiederherzustellen. In
der Lehre wird zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich dabei um einen
mit der Änderung des Gesellschaftszwecks vergleichbaren Vorgang handelt,
weil die Gesellschaft von ihrem beschränkten Liquidationszweck zum
Zweck der aktiven Tätigkeit zurückkehrt (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL,
aaO, § 55 N. 194). Ein solcher Beschluss fällt aber in die alleinige
Kompetenz der Generalversammlung. Ihr steht das unübertragbare Recht zu,
die Änderung des Gesellschaftszwecks zu beschliessen (Art. 698 Abs. 2
Ziff. 1, Art. 704 Abs. 1 Ziff. 1 OR). Dieses Recht gründet in der
Stellung der Generalversammlung als oberstes Organ der Aktiengesellschaft
(Art. 698 Abs. 1 OR) und ist letztlich Ausfluss des Prinzips der
Körperschaftsautonomie, eines Fundamentes des Gesellschaftsrechts (W. VON
STEIGER, ZBJV 103/1967 S. 123).

    Die Interessenlage der Beteiligten an dieser Zustandsveränderung
ist vergleichbar mit jener beim Widerruf des über eine Gesellschaft
eröffneten Konkurses. In der Lehre wird denn auch darauf hingewiesen, dass
in Analogie zur Möglichkeit des Konkurswiderrufs nach Art. 195 SchKG und
Art. 939 Abs. 2 OR auf die grundsätzliche Befugnis der Generalversammlung
geschlossen werden müsse, den Auflösungs- bzw. Liquidationsbeschluss
zu widerrufen (BÖCKLI, aaO, S. 1027 Rz. 1955d; BÜRGI, aaO, N. 20 zu
Art. 736 OR). Die Analogie lässt sich allerdings nur dem Grundsatz nach
rechtfertigen und fällt insoweit ausser Betracht, als nach Art. 195
Abs. 2 SchKG der Widerruf des Konkurses bis zum Schluss des Verfahrens
möglich ist. Aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage je nach dem
Liquidationsstadium kann diese Regelung nicht auf die Liquidation einer
Aktiengesellschaft übertragen werden (vgl. dazu unten E. 5b und c). Im
übrigen besteht dafür auch kein praktisches Bedürfnis, da ein Widerruf nur
solange angestrebt werden dürfte, als der Fortbestand der Gesellschaft
für die Beteiligten noch von Interesse ist, was in der Regel nicht mehr
zutrifft, wenn sich die Liquidation in einem fortgeschrittenen Stadium
befindet.

    b) Die gesetzliche Ausgestaltung des Liquidationsverfahrens
ist weitgehend vom Gesichtspunkt geprägt, die Interessen der
Gesellschaftsgläubiger zu sichern. Vornehmlich oder ausschliesslich
dem Gläubigerschutz dienen die Vorschriften über die Verpflichtungen
zur Bilanzerrichtung (Art. 742 Abs. 1 OR) und zum Schuldenruf
(Art. 742 Abs. 2 OR), über die Verwertung der Aktiven und Erfüllung
der Gesellschaftsverbindlichkeiten (Art. 743 Abs. 1 OR), über die
gerichtliche Sicherstellung (Art. 744 OR) und insbesondere über die
Verteilung des Gesellschaftsvermögens unter die Aktionäre (Art. 745
OR). Das Gesellschaftsvermögen darf erst dann an die Aktionäre verteilt
werden, wenn alle Gläubiger befriedigt oder sichergestellt sind. Darin
liegt der Ersatz für den durch die Liquidation bzw. die Vermögensverteilung
bewirkten Wegfall der Garantien für die Erhaltung des Haftungssubstrates
der unaufgelösten Gesellschaft. Dieses kann den Gläubigern durch
die werbende Gesellschaft insofern nicht entzogen werden, als ihr
Rückzahlungen des Grundkapitals an die Aktionäre nach Art. 680 Abs. 2 OR
verboten sind. Tritt die Gesellschaft in Liquidation, fällt dieses Verbot
dahin. An seine Stelle tritt die Verpflichtung zur Ersatzsicherheit
für die Gläubiger. Diese Sicherheit kann die Gesellschaft nur solange
stellen, als sich noch über das unverteilte Vermögen verfügt. Nach dessen
Verteilung an die Aktionäre darf sie nicht mehr unternehmerisch tätig sein
(PETER STAEHELIN, aaO, S. 221).

    Aus dieser Regelung ergibt sich eine unterschiedliche Interessenlage
der Gesellschaftsgläubiger, je nachdem ihre Forderungen bereits im
Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses bestanden oder erst nach dem
Widerruf begründet wurden. Im ersten Fall ist der Gläubigerschutz
im Liquidationsverfahren gewährleistet. Ein nach Beginn der
Vermögensverteilung erfolgender Widerruf berührt die Interessen
dieser Gläubiger nicht, da sie in diesem Stadium von der Gesellschaft
befriedigt oder ihre Forderungen sichergestellt worden sein müssen. Eine
Gefährdung ihrer Interessen ist deshalb bei gesetzmässigem Verlauf des
Liquidationsverfahrens ausgeschlossen (ROBERT HEBERLEIN, aaO, S. 16).
Anders verhält es sich dagegen im zweiten Fall (vgl. dazu PETER STAEHELIN,
aaO, S. 223, und GOLDSCHMIDT, aaO, S. 61 f.). Wer nach dem Widerruf
des Auflösungsbeschlusses Gläubiger der Gesellschaft wird, kann sich
nur an noch vorhandenes Haftungssubstrat halten. Er wird daher ein
vitales Interesse daran haben, dass das Gesellschaftsvermögen in der dem
Widerruf vorangegangenen Liquidationsphase nicht verteilt wurde. Mit einer
Verteilung in dieser Zwischenphase entstände eine Lücke im Gläubigerschutz,
der entweder auf dem Haftungssubstrat der unaufgelösten Gesellschaft oder
auf der Verpflichtung zur Ersatzsicherheit in der aufgelösten Gesellschaft
beruht. Weil der Gesetzgeber einen lückenlosen Gläubigerschutz vorgesehen
hat und dieser nur gewährleistet ist, wenn die Liquidation nach der
Vermögensverteilung abgeschlossen wird, würde ein nach begonnener
Vermögensverteilung gefasster Widerrufsbeschluss auf eine Umgehung der
Bestimmungen über den Gläubigerschutz hinauslaufen. Zudem könnte auf diese
Weise das Verbot der Kapitalrückzahlung an die Aktionäre umgangen werden
(vgl. für das deutsche Recht HÜFFER, in: GESSLER/HEFERMEHL/ECKARDT/KROPFF,
Aktiengesetz, Band V, N. 21 zu § 274). Die einem solchen Beschluss
zugrunde liegenden Interessen der Aktionäre brechen sich in diesem
Liquidationsstadium an den gesetzlich geschützten Gläubigerinteressen. Wenn
die Liquidation so weit fortgeschritten ist, kann das Liquidationsverfahren
nicht mehr durch Generalversammlungsbeschluss widerrufen, sondern muss
es abgeschlossen werden.

    c) Demnach führt die Auslegung von Art. 739 Abs. 2 OR nach Wortlaut,
Systematik und teleologischen Gesichtspunkten zum Ergebnis, dass der
Widerruf des Auflösungsbeschlusses durch die Generalversammlung so lange
zulässig ist, als noch nicht mit der Verteilung des Gesellschaftsvermögens
begonnen worden ist. Diese Lösung stimmt überein mit der heute überwiegend
von der Lehre vertretenen Meinung, lässt sich mit der Entstehungsgeschichte
von Art. 739 Abs. 2 OR vereinbaren (vgl. oben E. 2; BGE 91 I 438 E. 3
S. 442) und lehnt sich an die gesetzlichen Regelungen Deutschlands (§
274 Abs. 1 des Aktiengesetzes von 1965) und Österreichs (§ 215 Abs. 1
des Aktiengesetzes von 1965) an. Keine Bedenken bestehen schliesslich
unter dem im bereits zitierten Bundesgerichtsentscheid vom 14. September
1938 (abgedruckt in: Die Schweizerische Aktiengesellschaft 1938/39,
S. 69) hervorgehobenen fiskalischen Aspekt, dass durch die Zulassung
des Widerrufs Steuerumgehungen mittels Verwertung von sogenannten
Aktienmänteln ermöglicht würden. Zum einen wird das Problem heute vom
Steuerrecht selbst gelöst (vgl. Art. 5 Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes
über die Stempelabgaben; SR 641.10; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO, § 55
N. 192). Zum andern steht die hier befürwortete Lösung nicht im Widerspruch
zur Widerrechtlichkeit des Mantelkaufs. Unter einem Aktienmantel wird eine
wirtschaftlich vollständig liquidierte und von den Beteiligten aufgegebene,
juristisch aber noch nicht aufgelöste Gesellschaft verstanden (BGE 55 I 134
ff.; 64 II 361 E. 1; Bundesgerichtsentscheid vom 4. September 1989 E. 1b,
abgedruckt in: SJ 1990 S. 108). In diesem Stadium ist indes ein Widerruf
des Auflösungsbeschlusses nicht mehr zulässig. Vorausgesetzt wird vielmehr,
dass die Gesellschaft über ihr unverteiltes Gesellschaftsvermögen verfügt
und ein Interesse an der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit besteht,
es sich somit nicht um einen blossen Aktienmantel handeln kann.

Erwägung 6

    6.- Im vorliegenden Fall hat die Generalversammlung den Widerruf in
einem Zeitpunkt beschlossen, als abgesehen vom Schuldenruf noch keine
Liquidationshandlungen durchgeführt worden waren. Der Beschluss ist
insoweit nach der mit diesem Entscheid geänderten Praxis des Bundesgerichts
rechtmässig erfolgt.

    Der öffentlich beurkundete und zum Eintrag in das Handelsregister
angemeldete Beschluss (dazu FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO,
§ 55 N. 198) wurde sodann einstimmig gefasst, weshalb die Frage
nach dem allenfalls erforderlichen Quorum nicht beantwortet werden
muss. Einer - im vorliegenden Fall tatsächlich erfolgten - Zustimmung
der Gesellschaftsgläubiger bedurfte der Beschluss im übrigen nicht, weil
er deren Interesse an der Sicherung ihrer Forderungen nicht berührt. Die
sinngemässe Anwendung von Art. 195 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG rechtfertigt sich
wegen der Verschiedenheit der Verhältnisse beim Widerruf des Konkurses
nicht. Unerlässlich ist dagegen, dass die Gesellschaft den Nachweis
erbringt, dass im Zeitpunkt des Widerrufsbeschlusses noch nicht mit der
Verteilung des Gesellschaftsvermögens begonnen wurde. Von welchem Organ
und auf welche Art der Nachweis gegenüber dem Handelsregisterführer zu
leisten ist, muss mangels einer Gesetzesvorschrift durch richterliche
Rechtsschöpfung geregelt werden (Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB). Da die
Liquidationstätigkeit und insbesondere auch die Vermögensverteilung
in den Verantwortungsbereich der Liquidatoren fällt (Art. 742-745 OR),
erscheint es sachgerecht, dass sie oder der nach Art. 740 Abs. 1 OR mit
der Liquidation betraute Verwaltungsrat eine entsprechende schriftliche
Bestätigung abgeben. Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt, wurde doch
dem Handelsregisterführer eine schriftliche Erklärung der Liquidatoren
eingereicht, wonach ausser dem Schuldenruf keine Liquidationshandlungen
durchgeführt worden seien.