Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 385



123 III 385

59. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Oktober 1997
i.S. Y. gegen Z. AG (Berufung) Regeste

    Art. 28 ZGB und 28a Abs. 1 Ziffer 3 ZGB; Feststellungsanspruch bei
widerrechtlicher Verletzung der Persönlichkeit durch Presseäusserungen.

    Presseäusserungen beispielsweise des Inhalts, ein leitender
Bankangestellter habe dubiose Geschäfte betrieben, wegen persönlicher
Vorteile Dritten Kredite zu Vorzugskonditionen verschafft oder sich
massiv und häufig mit Geschäften an der Grenze der Legalität bereichert,
stellen schwere Eingriffe in dessen Persönlichkeit dar und begründen den
gesetzlichen Feststellungsanspruch des Betroffenen (E. 4).

Sachverhalt

    Im Prozess wegen widerrechtlicher Persönlichkeitsverletzung des
Klägers Y. gegen die Beklagte Z. AG erkannte das Bezirksgericht, was folgt:

    "1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte mit ihren Artikeln

    - in der Zeitung X. vom 19. Oktober 1990 unter dem Titel:
"Aktien-Skandal
   in Bank A.", und

    - in der Zeitung X. vom 22. Februar 1991 unter dem Titel: "Neue
Beute für

    Insider-Jäger",
   den Kläger widerrechtlich in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt
   hat, indem sie den Ein druck erweckte bzw. dem Kläger im einzelnen
   unterstellte:

    - er habe dubiose Geschäfte betrieben,

    - er habe auf Veranlassung der eidgenössischen Bankenkommission seine

    Anstellung als stellvertretender Direktor bei der Bank B. verlassen
müssen,
   weil er keine Gewähr für eine einwandfreie Geschäftsführung geboten
   habe,

    - die Vorfälle innerhalb der Bank seien so gravierend gewesen, dass die

    Behörde den Ausschluss des Klägers ultimativ verlangt habe,

    - er habe wegen der Bevorzugung beim Kauf der C. Aktien dem Verkäufer
Q.
   zusätzliche Kredite zu Vorzugskonditionen verschafft,

    - er habe sich massiv und häufig mit Geschäften an der Grenze der

    Legalität bereichert,

    - für eine strafrechtliche Untersuchung seien zwei Tatbestände denkbar,
   einerseits das Insidervergehen und andererseits ungetreue
   Geschäftsführung,

    - gegen den Kläger laufe eine Strafuntersuchung wegen eventueller

    Betrügereien mit Titeln der Firma C."

    Das Bezirksgericht umschrieb ferner die Modalitäten der
Veröffentlichung dieser Feststellung.

    Auf Berufung der Z. AG hin wies das Obergericht die Klage von
Y. ab. Gleich dem Bezirksgericht bejahte es zwar, dass die beanstandeten
Presseäusserungen den Kläger widerrechtlich in seiner Persönlichkeit
(namentlich in der Geschäftsehre) verletzten, teilte aber die Auffassung
nicht, die Widerrechtlichkeit der Verletzungen wirke sich weiterhin
störend aus (Urteil vom 25. Februar 1997).

    Dem Bundesgericht beantragt Y., das obergerichtliche Urteil aufzuheben
und die Klage gutzuheissen, eventuell die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Während das Obergericht auf Gegenbemerkungen
verzichtet hat, schliesst die Z. AG auf Abweisung der Berufung.

    Das Bundesgericht heisst Berufung und Klage teilweise gut

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Art. 28a Abs. 1 Ziffer 3 ZGB macht die Klage auf Feststellung
der Widerrechtlichkeit einer Persönlichkeitsverletzung davon abhängig,
dass "sich diese weiterhin störend auswirkt". Der Kläger vertritt, es
reiche aus, wenn diese Störwirkung noch im Zeitpunkt der Klageeinleitung
nachweisbar gewesen sei. Sodann beurteile sich jene nicht nach Massgabe
des Durchschnittslesers, sondern nach dem Kreis von Lesern, bei denen
das vom Kläger gezeichnete Bild haften bleibe, weil sie ihn privat oder
beruflich kennen würden. Die Beklagte widerspricht dem; sie stützt sich
auf die jüngste Entwicklung der bundesgerichtlichen Praxis.

    a) Das Bundesgericht hat erkannt, dass ein blosser Störungszustand -
namentlich die mit dem Fortbestand eines Presseerzeugnisses verbundene
Gefahr erneuter Wahrnehmung - zur Begründung der Feststellungsklage
nicht genügt (BGE 120 II 371 E. 3 S. 373; im Ergebnis gl.M. TERCIER,
Le droit de la personnalité - Chronique de jurisprudence 1996, medialex
1997 S. 110 ff., S. 112). Wie beim Rechtsschutzinteresse allgemein muss
auch dieses gesetzlich umschriebene Feststellungsinteresse vom Kläger
dargetan werden, und es ist eine vom kantonalen Richter grundsätzlich
endgültig zu beurteilende Tatfrage, welche Umstände in der konkreten
Streitsache nach den Prozessvorbringen der Parteien und gegebenenfalls
dem Ergebnis des Beweisverfahrens erstellt und der rechtlichen Subsumption
unter den Begriff des Interesses zugrunde zu legen sind; frei zu prüfende
Rechtsfrage ist dagegen, welche Umstände rechtserheblich sind und ob
sie im Einzelfall ausreichen, die Klagebefugnis zu begründen (allgemein:
BGE 116 II 351 E. 3b S. 355 mit Hinweis; für den Persönlichkeitsschutz:
BGE 120 II 371 E. 3 S. 373/374; ebenso z.B. BGE 116 II 196 E. 2b
S. 200, die Patentnichtigkeitsklage betreffend). Diesen Nachweis der
Störungswirkung hat das Bundesgericht dem Kläger bei schweren Eingriffen
in die Persönlichkeit abgenommen, weil von diesen nach allgemeiner
Lebenserfahrung auf eine anhaltend störende Auswirkung der Verletzung
geschlossen werden darf; ob ein solch schwerer Eingriff vorliegt,
beurteilt sich aus der Sicht des Durchschnittslesers (BGE 122 III 449
E. 2b S. 453). Im Berufungsverfahren vor Bundesgericht stellen sich bei
behaupteten schweren Eingriffen insoweit nurmehr Rechtsfragen.

    Die Beklagte zeichnet diese Entwicklung zutreffend nach; zu präzisieren
ist lediglich, dass gemäss dem letztpublizierten Urteil der Rechtsschutz
nicht sogar dann eingreift, "wenn man keine Störungswirkung behauptet",
sondern eben dann, wenn man keine Tatsachen beweist oder Indizien zeigt
(Tatfrage), die eine anhaltende Störungswirkung zu folgern erlauben
(Rechtsfrage). Bei schweren Eingriffen in die Persönlichkeit geht es somit
um die Ersetzung des Nachweises durch eine Vermutung, mithin um eine Frage
der Beweislastumkehr und nicht um die Befreiung von der Antragsbegründung
(z.B. BGE 108 II 503 E. 3 S. 506; 109 II 363 E. 2 S. 364, betreffend
Widerspruchsrecht gegen die Scheidungsklage; BGE 109 II 188 E. 2 S. 190
ff.; 118 II 235 E. 3 S. 237 mit Hinweis, zum Verlust des Rentenanspruchs
des in einem Konkubinat lebenden Berechtigten; BGE 116 II 1 für den
Anspruch auf Gegendarstellung). Entgegen der Behauptung des Klägers
verknüpfen daher weder das Obergericht noch das Bundesgericht den von ihm
zu leistenden Nachweis, dass sich die Persönlichkeitsverletzung weiterhin
("effektiv noch oder erneut") störend auswirkt, mit dem Durchschnittsleser.
Dieser Nachweis ist vielmehr mit den allgemein zulässigen Mitteln zu
erbringen (vgl. BGE 120 II 371 E. 3 S. 373; Urteil vom 22. März 1996,
in: medialex 1996 S. 156 E. 5, mit Angaben, was dazu nicht genügt;
BGE 91 II 401 E. 4c S. 411, zum Zeugenbeweis). Der Durchschnittsleser
spielt hingegen dort eine Rolle, wo es um die Vermutung andauernder
Störungswirkung geht. Die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit,
die hiefür vorausgesetzt wird, muss nach einem objektivierten Massstab
bewertet werden, aus der Sicht des Durchschnittslesers also (BGE 122 III
449 E. 2b S. 454).

    Das vom Bundesrecht abschliessend geregelte Rechtsschutzinteresse
muss auch im Zeitpunkt des Urteils noch vorhanden sein. Das gilt
allgemein (BGE 116 II 351 E. 3c S. 355/356 mit Hinweis), aber auch für die
Feststellungsklage nach Art. 28a Abs. 1 Ziffer 3 ZGB (BGE 122 III 449 E. 2b
S. 453, Abs. 2, a.E.). Eine Verletzung von Bundesrecht liegt somit nicht
darin, dass das Obergericht verlangt hat, die Persönlichkeitsverletzung
müsse sich "heute noch" störend auswirken. Der Einwand des Klägers, durch
Zeitablauf könne diese Sachurteilsvoraussetzung entfallen, trifft zwar
zu, ist aber nichts Besonderes und gehört zum Prozessrisiko (z.B. BGE
109 II 165 E. 2 S. 167, die Patentnichtigkeitsklage betreffend, wenn die
Schutzdauer während des Prozesses abgelaufen und kein weiterbestehendes
Feststellungsinteresse dargetan ist). Die Befürchtung des Klägers,
es liege damit in der Hand der Gegenpartei, den Prozess zu trölen und
derart das Andauern der Störungswirkung zu vereiteln, ist insofern
unberechtigt, als die entsprechende Einrede gestützt auf das Verbot
offenbaren Rechtsmissbrauchs nicht gehört werden dürfte (z.B. BGE 116
III 107 Nr. 22). Im übrigen trägt die Praxis dem Moment der Prozessdauer
Rechnung, wenn es bei schweren Eingriffen in die Persönlichkeit das
Feststellungsinteresse ohne Weiterungen präsumiert. Dieses Moment
unterstreicht die Beklagte mit gutem Grund.

    b) Zum Nachweis der andauernden Störungswirkung führt der Kläger
an, die unmittelbarste Folge der Presseäusserungen sei seine Verhaftung
durch jenen Bezirksanwalt gewesen, der im Artikel der Beklagten bereits
namentlich hochgejubelt und damit aufgeputscht worden sei. Verbunden
mit dieser Inhaftierung sieht er als Störungswirkung die Angst seiner
Kinder. Tatsächliche Feststellungen zu diesen beiden Punkten fehlen
indessen. Vor allem die klägerische Behauptung, erst aufgrund der
Presseartikel habe die Bezirksanwaltschaft Untersuchungen angestellt, ist
im kantonalen Verfahren bestritten geblieben. Fehlt ein Beweisergebnis
dazu, müssen die Sachvorbringen des Klägers vor Bundesgericht als neu
und unzulässig gelten (BGE 116 II 196 E. 3a S. 200 mit Hinweis). Die
Beklagte verweist darauf zu Recht. Auf einer zweiten Linie rückt der Kläger
berufliche Beeinträchtigungen in den Vordergrund: Die wahrheitswidrige
Behauptung der Beklagten, die Eidgenössische Bankenkommission habe
ultimativ seine Ablösung gefordert, habe in Bankenkreisen Aufsehen
erregt, was als Erfahrungstatsache nicht eigens bewiesen werden müsse.
Aufgrund der Zeugeneinvernahmen stehe auch fest, dass er durch diese
Publikationen "abserviert" worden sei. Blosses Aufsehen kann allerdings
eine vorübergehende Erscheinung sein, und zu der hier angeblich in
beruflichen Folgen liegenden Störungswirkung ist zu bemerken, dass der
Kläger nach eigenen Angaben seit 1993 wieder bei einer namhaften Bank als
Direktor angestellt sein soll, weshalb in Bank- und Wirtschaftskreisen
anhaltende Auswirkungen der Persönlichkeitsverletzung verneint werden
können. Diese dem angefochtenen Urteil entnommene Auslegung der
klägerischen Prozesserklärungen ist nicht zu beanstanden.

    c) Die Vermutung der andauernden Störungswirkung kann hingegen nicht
verneint werden. Der berichtete Skandal wird namentlich mit der Person des
Klägers identifiziert. Die eingeklagten Presseäusserungen unterstellen
ihm eine unlautere, ja strafrechtlich relevante Geschäftstätigkeit
und lassen jegliche Ausgewogenheit vermissen. Dass der Kläger heute
wieder in der angestammten Branche tätig ist, ändert nichts am negativen
Eindruck als solchem, der beim Durchschnittsleser entstanden ist. Auf die
zutreffenden Ausführungen der kantonalen Instanzen zu den Verletzungen
des Klägers in seiner Persönlichkeit kann insgesamt verwiesen werden. Der
daherige Eingriff in die Geschäftsehre eines leitenden Bankangestellten
wiegt fraglos schwer (z.B. Urteil des Bundesgerichts vom 16. Februar
1937, in: SJ 60/1938 177 E. 5 S. 184, den Vorwurf der Veruntreuung
gegen einen Bankdirektor betreffend; zuletzt z.B. BGE 120 II 97 E.
2a S. 98, hinsichtlich der Würdigung eines Flugzeugverkaufs als
Kriegsmaterialhandel). Die vom Obergericht erwähnte Klageänderung
kann dabei wohl für das Publikationsbegehren (Art. 28a Abs. 2 ZGB)
Schlüsse erlauben, aber nicht für das Feststellungsbegehren (Art. 28a
Abs. 1 Ziffer 3 ZGB); die Voraussetzungen der jeweiligen Ansprüche
sind auseinanderzuhalten (statt vieler: TERCIER, Le nouveau droit de
la personnalité, Zürich 1984, N. 993 und N. 1003 ff. S. 135 ff.). Der
Feststellungsanspruch muss unter diesen Umständen bejaht und die Klage
gutgeheissen werden, nachdem die Widerrechtlichkeit der festzustellenden
Persönlichkeitsverletzung unbestritten geblieben ist.