Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 31



123 III 31

5. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Januar 1997
i.S. P. AG (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 727c und Art. 727d Abs. 3 OR. Unabhängigkeit der Revisionsstelle
einer Aktiengesellschaft.

    Anforderungen an die Unabhängigkeit (E. 1a). Durchsetzung der
Unabhängigkeit (E. 1b).

    Mit dem Unabhängigkeitserfordernis unvereinbar ist es, dass zwei
Gesellschaften bzw. ihre Organe sich gegenseitig prüfen (E. 2).

    Die in Art. 727c Abs. 2 OR vorgesehene Abschwächung des
Unabhängigkeitserfordernisses bleibt auf Konzernverhältnisse beschränkt
(E. 3c).

Sachverhalt

    L. amtiert sowohl in der L. AG als auch in der P. AG als einziger
Verwaltungsrat. Die L. AG ist Revisionsstelle der H. AG.

    Mit Schreiben vom 18. April 1996 ersuchte die P. AG das
Handelsregisteramt des Kantons Zürich, die H. AG als ihre Revisionsstelle
im Handelsregister einzutragen. Das Handelsregisteramt verweigerte mit
Verfügung vom 25. April 1996 die Eintragung mit der Begründung, dass die
in Art. 727c OR verlangte Unabhängigkeit der Revisionsstelle offensichtlich
nicht gegeben sei.

    Die Beschwerde, welche die P. AG gegen diese Verfügung ergriff,
wies die Direktion der Justiz des Kantons Zürich am 11. Juli 1996 ab.

    Die P. AG hat gegen den Entscheid der Justizdirektion
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht, die das Bundesgericht abweist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Art. 727c Abs. 1 OR müssen die Revisoren vom Verwaltungsrat
und von einem Mehrheitsaktionär unabhängig sein und dürfen insbesondere
weder Arbeitnehmer der zu prüfenden Aktiengesellschaft sein noch Arbeiten
für diese ausführen, die mit dem Prüfungsauftrag unvereinbar sind.
Wird eine Handelsgesellschaft als Revisionsstelle bestellt, so gilt das
Erfordernis der Unabhängigkeit sowohl für diese als auch für alle Personen,
welche die Prüfung durchführen (Art. 727d Abs. 3 OR).

    Diese Bestimmungen wurden anlässlich der Aktienrechtsnovelle von
1991 mit dem Ziel eingeführt, die Anforderungen an die Unabhängigkeit der
Revisionsstelle zu verschärfen. Das bisherige Recht schrieb hinsichtlich
der äusseren Stellung der Revisoren nur vor, dass diese nicht Mitglieder
des Verwaltungsrats oder Angestellte der Gesellschaft sein durften; im
übrigen galt die Unabhängigkeit einzig als Frage der inneren Einstellung
und der Charakterstärke der Revisoren, d.h. ihrer tatsächlichen Fähigkeit,
ohne Rücksicht auf eigene Interessen zum Rechten zu sehen und das
Richtige zu tun (vgl. BGE 99 Ib 104 E. 5 S. 111; GUHL/KUMMER/DRUEY,
Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Aufl., Nachdruck 1995,
S. 701). Das neue Recht geht weiter: Es greift nicht erst bei tatsächlicher
Voreingenommenheit, sondern richtet sich bereits gegen äussere Beziehungen,
die den Anschein der Voreingenommenheit entstehen lassen können (Botschaft
über die Revision des Aktienrechts vom 23. Februar 1983, BBl 183 II,
S. 845; PEDROJA/WATTER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht,
Basel, N. 1 zu Art. 727c OR). Die Unabhängigkeit bezieht sich demnach
nicht mehr nur auf die innere Haltung des Abschlussprüfers; dieser muss
vielmehr auch gegen aussen hin als unabhängig erscheinen (PEDROJA/WATTER,
aaO, N. 5 zu Art. 727c OR; vgl. auch CARL HELBLING, Revisions- und
Bilanzierungspraxis, 3. Aufl. 1992, S. 100 und 104). Dabei geht es
darum, nicht nur jede offensichtliche Weisungsgebundenheit, sondern auch
weniger leicht erkennbare beteiligungsmässige, hierarchische oder wegen
anderer Zusammenhänge gegebene Abhängigkeiten des Revisors zu vermeiden
(BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl. 1996, S. 943 Rz. 1788a). Mit
der Unabhängigkeit unvereinbar sind daher neben formellen vertraglichen
Bindungen auch Geschäftsbeziehungen, die zwar keine rechtliche, wohl
aber eine wirtschaftliche Verflechtung mit der zu prüfenden Gesellschaft
erzeugen, so dass bei der Revisionsstelle die Prüfungsaufgabe in Konflikt
mit eigenen Interessen geraten kann (vgl. HANDSCHIN, Zur Unabhängigkeit
der Revisionsstelle, SJZ 90/1994, S. 345).

    b) Für die Einhaltung der Vorschriften über die Unabhängigkeit der
Revisionsstelle hat zunächst die Gesellschaft selbst zu sorgen (Art. 727d
Abs. 2 OR). Sodann kann jeder Aktionär und jeder Gläubiger durch Klage
gegen die Gesellschaft die Abberufung eines Revisors verlangen, der
die Voraussetzungen für das Amt nicht erfüllt (Art. 727e Abs. 3 Satz 2
OR). Schliesslich fällt dem Handelsregisterführer eine wichtige Rolle
bei der Durchsetzung der Unabhängigkeitsvorschriften zu: Er hat die
Eintragung des Revisors abzulehnen, wenn dieser die Unabhängigkeit im
Sinne von Art. 727c OR offensichtlich nicht aufweist (Art. 86a Abs. 1
HRegV; SR 221.411).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall steht fest, dass L. einziger Verwaltungsrat
sowohl der Beschwerdeführerin als auch der L. AG ist. Weiter ist
unbestritten, dass letztere Gesellschaft die H. AG revidiert. Der
Justizdirektion ist darin beizupflichten, dass angesichts dieses
bereits bestehenden Revisionsmandats mit der Bestellung der H. AG
zur Revisionsstelle der Beschwerdeführerin eine wirtschaftliche
Verflechtung entstünde, die sich mit der Unabhängigkeit, wie sie das
Gesetz für Revisoren voraussetzt, nicht vereinbaren lässt. Würde die
H. AG als Revisionsstelle der Beschwerdeführerin eingetragen, hätte
sie eine Gesellschaft zu revidieren, deren Verwaltung mit jener ihrer
eigenen Revisionsstelle identisch ist. Wie das Handelsregisteramt in
seiner Vernehmlassung zutreffend festhält, würde dies faktisch auf
eine gegenseitige Prüfung hinauslaufen. Der Beschwerdeführerin ist
zwar zuzugestehen, dass sich nicht unmittelbar zwei Gesellschaften
gegenüberstehen, die ihre Abschlussprüfung je von der andern besorgen
lassen. Der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt ist jedoch mit
dem Fall, dass zwei Gesellschaften sich gegenseitig revidieren,
zumindest vergleichbar. Solche Konstellationen aber führen leicht zu
Interessenkonflikten und sind insbesondere geeignet, Beeinflussungen
der Revisionstätigkeit durch unsachliche gegenseitige Rücksichtnahmen
zu veranlassen. Es besteht daher jedenfalls vom äusseren Anschein
her offensichtlich die Gefahr, dass die H. AG die Aufgaben der
Revisionsstelle nicht mit der nötigen Unvoreingenommenheit wahrnehmen
könnte. Das Handelsregisteramt hat deshalb die Eintragung der H. AG als
Revisionsstelle der Beschwerdeführerin zu Recht gestützt auf Art. 86a
Abs. 1 HRegV verweigert.

Erwägung 3

    3.- c) Unbehelflich ist der Hinweis der Beschwerdeführerin auf
die Bestimmung von Art. 727c Abs. 2 OR, nach der es zulässig ist,
als Revisionsstelle einer Konzerngesellschaft eine dem gleichen
Konzern angehörende Gesellschaft einzusetzen, solange kein Aktionär
oder Gläubiger eine konzernunabhängige Revisionsstelle verlangt. Mit
dieser Sondervorschrift wollte der Gesetzgeber lediglich einem
praktischen Bedürfnis von Konzernen entgegenkommen (vgl. Botschaft,
aaO, S. 929; BÖCKLI, aaO, S. 945 Rz. 1790). Die im Sinne einer Ausnahme
vorgesehene Abschwächung des Unabhängigkeitserfordernisses hat deshalb
auf Konzernverhältnisse beschränkt zu bleiben. Art. 727c Abs. 2 OR
bietet somit keine Grundlage für Analogieschlüsse, mit denen sich die
allgemeinen Anforderungen, die Art. 727c Abs. 1 OR an die Unabhängigkeit
der Revisionsstelle stellt, untergraben liessen.