Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 204



123 III 204

35. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Juni 1997 i.S. A. X.
gegen Privatklinik Y. AG (Berufung) Regeste

    Vertragsverletzung; Genugtuung; Verjährung (Art. 49 OR, Art.  60 Abs. 1
OR und Art. 127 OR).

    Selbständige Genugtuungsansprüche von Angehörigen verjähren
grundsätzlich nach Art. 60 Abs. 1 OR, auch wenn die Ansprüche des
Direktgeschädigten gegenüber dem Haftpflichtigen der vertragsrechtlichen
Verjährung gemäss Art. 127 OR unterliegen (E. 2).

Sachverhalt

    B. X. befand sich seit dem 23. Oktober 1986 bei ihrem Hausarzt
in Behandlung. Ab Mai 1987 litt sie mit zeitweiliger Besserung an
Depressionen. Am 27. Dezember 1988 suchte sie zusammen mit ihrem Ehemann
unangemeldet ihren Hausarzt auf und äusserte dabei Selbstmordgedanken. Der
Arzt wies sie daraufhin wegen akuter Suizidgefahr notfallmässig in die
Privatklinik Y. AG (nachstehend Beklagte) in Q. ein. Dort wurde sie in
der offenen Abteilung in einem Einzelzimmer im 2. Stock des "C.hauses"
untergebracht. Am Morgen des 29. Dezember 1988 stürzte sie sich aus
dem Fenster ihres Zimmers. Sie erlitt dabei einen Halswirbelbruch mit
Durchtrennung des Rückenmarks u-nd ist seither als Tetraplegikerin zu
100% invalid.

    Am 16. August 1994 klagten B. X. und ihr Ehemann A. X. beim
Appellationshof des Kantons Bern gegen die Beklagte auf Zahlung von
Schadenersatz und Genugtuung in einem Fr. 15'000.-- übersteigenden
Betrag nebst Zins an die Verletzte sowie Zahlung einer Genugtuungssumme
von Fr. 40'000.-- nebst Zins an den Zweitkläger. Mit Urteil vom
10. Mai 1996 bejahte der Appellationshof im Sinne eines selbständigen
Zwischenentscheides die grundsätzliche Haftung der Beklagten gegenüber
der Erstklägerin für die Folgen des Vorfalles vom 29. Dezember 1988 und
wies gleichzeitig die Klage des Zweitklägers infolge Verjährung ab.

    Das Bundesgericht weist die Berufung des Zweitklägers ab und bestätigt
das angefochtene Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz hat die Haftung der Beklagten gegenüber der
Erstklägerin aus Vertragsverletzung bejaht. So sei die Beklagte ihren
Sorgfaltspflichten insoweit nicht nachgekommen, als sie die Patientin in
einem Einzelzimmer im 2. Stock des "C.hauses" einquartiert habe, obwohl
die Unterbringung in einem Gebäude, welches über Zimmer mit geschlossenen
Fenstern verfügt, möglich gewesen wäre. Zumindest hätte die Erstklägerin
in einem Doppelzimmer oder einem im Hochparterre des "C.hauses" gelegenen
Zimmer untergebracht werden können. Des weiteren habe das Pflegepersonal,
welches über die Suizidalität der Patientin teilweise nicht informiert
gewesen sei, ungenügend reagiert, als diese am Unfallmorgen am offenen
Fenster auf dem erhöhten Sims sitzend vorgefunden worden sei.

    Bezüglich der Genugtuungsforderung des Zweitklägers stellte die
Vorinstanz fest, dass die einjährige Verjährungsfrist gemäss Art. 60
Abs. 1 OR spätestens mit der Zustellung der IV-Rentenverfügung
vom 22. Juni 1990 zu laufen begonnen habe, mithin die klageweise
erhobenen Ansprüche offensichtlich verjährt seien. Die längere
strafrechtliche Verjährungsfrist gemäss Art. 60 Abs. 2 OR erachtete
die Vorinstanz als nicht anwendbar, da eine strafrechtlich relevante
Sorgfaltspflichtverletzung durch den damaligen Chefarzt gutachterlich
ausgeschlossen und die gegen ihn durchgeführte Voruntersuchung eingestellt
worden sei.

Erwägung 2

    2.- Mit seiner Berufung rügt der Zweitkläger die Anwendung
der einjährigen Verjährungsfrist gemäss Art. 60 Abs. 1 OR als
bundesrechtswidrig. Da die Beklagte gegenüber der direktgeschädigten
Erstklägerin aus Vertrag hafte, gelte auch für seine Genugtuungsforderung
die zehnjährige Verjährungsfrist gemäss Art. 127 OR.

    a) In seiner neueren Rechtsprechung hat das Bundesgericht einen
selbständigen Genugtuungsanspruch von Ehegatten und Nachkommen bejaht,
deren Partner bzw. Elternteil durch eine unerlaubte Handlung oder eine
Vertragsverletzung schwer invalid geworden ist, soweit diese nächsten
Angehörigen dadurch in ihren persönlichen Verhältnissen gleich oder
schwerer betroffen werden als im Falle der Tötung (BGE 112 II 220
E. 2 und 226 E. 3; 116 II 519 E. 2; 117 II E. 3; 122 III 5 E. 2). Wird
der Haftpflichtige aus unerlaubter Handlung belangt, so ist auch auf
die selbständigen Genugtuungsansprüche der Angehörigen die längere
strafrechtliche Verjährungsfrist von Art. 60 Abs. 2 OR anwendbar (BGE
122 III 5 E. 2d S. 9).

    Die Vorinstanz hat die Anwendbarkeit von Art. 60 Abs. 2 OR unter
Hinweis auf die Einstellung des Strafverfahrens gegen den seinerzeitigen
Chefarzt der Beklagten verneint. Zu Recht wird dies in der Berufung
nicht beanstandet (vgl. BGE 106 II 213 E. 3 S. 216). Da seitens des
Zweitklägers bezüglich des Genugtuungsanspruchs bis zur Klageeinleitung
keine verjährungsunterbrechenden Handlungen erfolgten, kann er seinen
in Streit gesetzten Anspruch nur durchsetzen, wenn dieser nach Art. 127
OR verjährt.

    b) Die Verjährungsfrist von zehn Jahren gemäss Art. 127 OR gilt
für alle Forderungen, für welche das Bundeszivilrecht nicht etwas
anderes bestimmt. Genugtuungsforderungen bei Tötung oder schwerer
Körperverletzung eines Angehörigen stützen sich auf Art. 47 bzw. Art. 49
OR. Diese Bestimmungen stehen im Abschnitt über die Entstehung von
Forderungen aus unerlaubter Handlung, für welche Art. 60 Abs. 1 OR eine
von Art. 127 OR abweichende Regelung trifft. Der Anspruch auf Genugtuung
wird in dieser Verjährungsbestimmung auch ausdrücklich genannt.

    Auch Vertragsverletzungen können einen Genugtuungsanspruch
begründen. Die besonderen Voraussetzungen von Art. 49 OR (Schwere der
Verletzung und Fehlen eines anderweitigen Ausgleichs) müssen auch in
diesem Fall erfüllt sein (BGE 87 II 143 E. 5b und 290 E. 4; 102 II 211
E. 9 S. 224; MERZ, in: SPR VI/1, S. 241 ff.; VON TUHR/PETER, Allgemeiner
Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, 3. Aufl., Bd. I, S. 127;
GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil,
6. Aufl., Rz. 2634 und 2798; REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht,
Rz. 476). Für den Genugtuungsanspruch des Vertragspartners gilt die
Verjährungsfrist gemäss Art. 127 OR (BGE 87 II 155 E. 3a S. 159; 80 II 256
ff.; GAUCH/SCHLUEP, aaO, Rz. 3431; a.M. KELLER/GABI, Das Schweizerische
Schuldrecht, Bd. II, Haftpflichtrecht, 2. Aufl., S. 122).

    Streitgegenstand der Berufung bildet indes nicht der
Genugtuungsanspruch der Vertragspartnerin der Beklagten, sondern von
deren Ehemann. In BGE 64 II 200 ff. hat das Bundesgericht bezüglich des
Anspruchs auf Versorgerschaden und Genugtuung festgehalten, dass die
Hinterbliebenen des Getöteten aus dem Vertragsverhältnis zwischen diesem
und dem Verantwortlichen für sich keine Ansprüche ableiten können, sondern
sich diese einzig auf Art. 45 und Art. 47 OR stützen (E. 1). Auch in BGE 72
II 311 ff. hat das Bundesgericht die genannten Ansprüche der Angehörigen
ausschliesslich aus unerlaubter Handlung abgeleitet (E. 3). Nachdem die
Frage der Verjährung in beiden Fällen nicht zu beurteilen war, hat das
Bundesgericht dann in BGE 81 II 547 ff. für den Versorgerschaden und die
Genugtuung der Angehörigen auch im Fall, dass zwischen dem Getöteten und
dem Verantwortlichen ein Vertragsverhältnis bestand, ausschliesslich die
Verjährungsbestimmung gemäss Art. 60 OR als anwendbar erklärt (E. 3). Der
angefochtene Entscheid folgt dieser Rechtsprechung.

    c) Nach Auffassung des Klägers hat das Bundesgericht mit BGE
122 III 5 ff. eine verjährungsrechtliche Akzessorietät zwischen dem
Genugtuungsanspruch von Angehörigen eines Schwerstverletzten und dem
Hauptanspruch des Direktgeschädigten bejaht. Hafte diesem jemand aus
Vertrag, so unterstehe auch die Verjährung der Genugtuungsansprüche seiner
Angehörigen der vertragsrechtlichen Regelung. Dieser Argumentation kann
indes nicht gefolgt werden. Im zitierten Entscheid bildete einzig die
Anwendbarkeit der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist gemäss Art. 60
Abs. 2 OR auf den Anspruch der Angehörigen Verfahrensgegenstand. Auch
diese Bestimmung bildet wie Art. 60 Abs. 1 OR Teil der Verjährungsregeln
für Deliktsansprüche. Eine verjährungsrechtliche Akzessorietät zum
Anspruch des Direktgeschädigten kann aus diesem Entscheid allerdings
nicht abgeleitet werden. Gegenteils wird - gerade auch im Hinblick
auf die Frage der massgeblichen Verjährungsfrist - der eigenständige
Charakter des Anspruchs von Angehörigen und seine Geltendmachung aus
eigenem Recht ausdrücklich hervorgehoben (BGE 122 III 5 E. 2a S. 7). Die
Anwendbarkeit von Art. 60 Abs. 2 OR wurde im wesentlichen damit begründet,
dass die Ansprüche der Angehörigen auf die gleiche strafbare Handlung
zurückzuführen seien wie jene des Direktgeschädigten. Damit gelte auch
für diese, dass der Zivilanspruch nicht vor dem Strafanspruch verjähren
soll, auch wenn sich der Strafanspruch gegen den Verantwortlichen auf
die dem Direktgeschädigten zugefügte Körperverletzung oder dessen Tötung
und nicht auf die Beeinträchtigung der Angehörigen in ihren persönlichen
Verhältnissen beziehe. Eine verjährungsrechtliche Abhängigkeit des einen
Zivilanspruchs vom andern lässt sich daraus nicht ableiten.

    d) Ob die Verjährungsbestimmungen der ausservertraglichen oder der
vertraglichen Haftung auf die eigenständigen Ansprüche der Angehörigen
anzuwenden sind, wenn der Verantwortliche gegenüber dem Direktgeschädigten
aus Vertrag haftet, ist in der neueren Lehre allerdings umstritten. BREHM
(Berner Kommentar, N. 13 zu Art. 60 OR) und OFTINGER/STARK (Schweizerisches
Haftpflichtrecht, Bd. II/1, 4. Aufl., S. 106) befürworten bezüglich
des Versorgerschadens auch in diesem Fall die Anwendung von Art. 60
OR. Im gleichen Sinne, jedoch ohne ausdrückliche Stellungnahme zur
Verjährung, leiten auch von TUHR/ESCHER (aaO, Bd. II, S. 102 und S. 109
Anm. 101) selbst bei Vorliegen eines Vertragsverhältnisses zwischen dem
Direktgeschädigten und dem Haftpflichtigen die Ansprüche der Angehörigen
und Hinterbliebenen ausschliesslich aus unerlaubter Handlung ab. Ebenfalls
mit der deliktischen Verjährungsregelung argumentieren jene Autoren, welche
die Anwendung von Art. 127 OR - im Gegensatz zur bundesgerichtlichen
Rechtsprechung - ohnehin auf Schadenersatzansprüche wegen Nicht- oder
verspäteter Erfüllung beschränken, die Ansprüche aus Schlechterfüllung
bzw. positiver Vertragsverletzung hingegen generell und somit auch
die Genugtuungsansprüche des Direktgeschädigten Art. 60 OR unterstellen
(JÄGGI, Zum Begriff der vertraglichen Schadenersatzforderung, in: Festgabe
für WILHELM SCHÖNENBERGEr, Fribourg 1968, S. 195; WERNER SCHWANDER, Die
Verjährung ausservertraglicher und vertraglicher Schadenersatzforderungen,
Diss. Fribourg 1963, S. 137 ff.). In die gleiche Richtung weisen auch
die Ausführungen von SPIRO (Die Begrenzung privater Rechte durch die
Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bern 1975, Bd. I § 295,
S. 691 ff. und § 297, S. 699 ff.) und PATRICK BEAUVERD (L'action
des proches en réparation de la perte de soutien et du tort moral,
Diss. Fribourg 1987, S. 172). Nach GAUCH/SCHLUEP (aaO, Rz. 3432) sollen
Ansprüche aus Versorgerschaden und Genugtuungsforderungen der Angehörigen,
die sich von einer Vertragsverletzung herleiten, nach Art. 127 OR
verjähren. HANS-ULRICH BRUNNER (Die Anwendung deliktsrechtlicher
Regeln auf die Vertragshaftung, Diss. Fribourg 1991, Nr. 290 ff. und
502 ff.) unterwirft den Versorgerschaden und den Genugtuungsanspruch
der Angehörigen bei Bestehen eines Vertragsverhältnisses den Regeln der
Vertragshaftung; auf den Genugtuungsanspruch aus einer Vertragsverletzung
wendet auch er ausdrücklich die vertragsrechtlichen Verjährungsregeln an
(HANS-ULRICH BRUNNER, aaO, Nr. 515), wobei er sich aber ausschliesslich auf
Entscheide über den eigenen Anspruch des Verletzten beruft. HÜTTE/DUKSCH
(Die Genugtuung, 3. Aufl., Zürich 1996, S. I/92) wollen - unter
irrtümlicher Berufung auf BGE 122 III 5 ff. - bei den Genugtuungsansprüchen
der Angehörigen von Schwerstverletzten für die Verjährung auf den
Hauptanspruch (gemeint ist wohl der Anspruch des Direktgeschädigten)
abstellen. ALFRED KELLER (Haftpflicht im Privatrecht, Bd. I, 5. Aufl.,
Bern 1993 S. 386 ff. und Bd. II, Bern 1987, S. 224 ff.) tritt einerseits
beim Versorgerschaden in Kritik der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
für eine vertragsrechtliche Verjährung ein. Für den eigenständigen
Genugtuungsanspruch der Angehörigen von Schwerstverletzten bejaht er
indes die Verjährung nach Art. 60 OR (ALFRED KELLER, a.a.O, Band II,
S. 142 ff.). TERCIER (Le nouveau droit de la personnalité, Zürich 1984,
N. 1945 ff. und N. 2062) berücksichtigt für den Schadenersatz- und den
Genugtuungsanspruch bei Persönlichkeitsverletzungen ausschliesslich
die deliktsrechtlichen Verjährungsregeln, ohne einen Vorbehalt für den
Fall des Bestehens eines Vertragsverhältnisses zwischen Schädiger und
Geschädigtem anzubringen. RICHARD FRANK (Persönlichkeitsschutz heute,
Zürich 1983, S. 189 ff.) unterwirft demgegenüber die Ansprüche aus
Persönlichkeitsverletzung der vertragsrechtlichen Verjährung, wenn die
Persönlichkeitsverletzung eine nicht gehörige Vertragserfüllung darstellt.

    e) Die Rechtsnatur des Genugtuungsanspruchs ist vom Gesetzgeber
nicht eindeutig festgelegt worden. Nach ihrer Funktion schafft die
Genugtuung einen Ausgleich für die erlittene immaterielle Unbill. Vor
diesem Hintergrund erscheint Art. 49 OR nicht als eine selbständige
Haftungsnorm, sondern nur als Rechtsregel für die Bemessung der aus
anderen Gesetzesbestimmungen abgeleiteten Haftpflicht (BREHM, aaO,
N. 15 zu Art. 47 OR; REY, aaO, Nr. 479; THOMAS SUTTER, Voraussetzungen
der Haftung bei Verletzung der Persönlichkeit nach Art. 49 des
revidierten Obligationenrechts, in: BJM 1991 S. 10; gegen den blossen
Charakter der Genugtuung als "zusätzlicher Wagen am Schadenersatzzug"
OFTINGER/STARK, aaO, Bd. I, S. 436 Anm. 82). In diesem Sinne ist auch
für den Genugtuungsanspruch ein Verschulden erforderlich, wenn sich ein
allfälliger Schadenersatzanspruch aus einer culpa-Haftung ableitet, während
bei einer Kausalhaftung für die Genugtuung kein Verschulden vorausgesetzt
ist (BGE 115 II 156 E. 2 S. 158 mit Hinweisen). Der Anspruch auf Genugtuung
bei Vertragsverletzung gründet ebenfalls auf dieser Überlegung (vgl. E. 2b
hievor). Anderseits sieht Art. 49 OR ausdrücklich den Anspruch auf
Genugtuung bei widerrechtlicher Persönlichkeitsverletzung vor, sofern
die Schwere der Verletzung dies rechtfertigt und sie keine anderweitige
Wiedergutmachung erfährt. Mit der Ableitung aus der Verletzung der
Persönlichkeit als einem absoluten Recht und den genannten weiteren
Erfordernissen erhält der Anspruch einen über die blosse Funktion einer
Bemessungsnorm hinausgehenden eigenständigen Charakter (vgl. THOMAS
SUTTER, aaO, S. 10 mit Hinweisen). Art. 47 OR, der die Genugtuung bei
Tötung und Körperverletzung regelt, ist unter diesem Gesichtspunkt nur ein
Anwendungsfall der allgemeinen Regel von Art. 49 OR (BGE 116 II 733 E. 4f
S. 735) im Sinne einer Spezialnorm, welche für die dort nicht erfassten
Sachverhalte, insbesondere die Beeinträchtigung der Lebensführung der
Angehörigen eines Schwerinvaliden, den unmittelbaren Rückgriff auf Art. 49
OR nicht ausschliesst (vgl. OFTINGER/STARK, aaO, Bd. I, S. 449, Anm. 122).

    Der Genugtuungsanspruch der Angehörigen von Schwerstverletzten
hat einen eigenständigen Charakter und gründet in der Verletzung der
eigenen Persönlichkeit der Angehörigen (BGE 112 II 220 ff.; gl.M. für
den Fall der Tötung: PATRICK BEAUVERD, aaO, S. 81 mit Hinweisen). Den
Angehörigen stehen hingegen bei Körperverletzung keine selbständigen
Schadenersatzansprüche zu; die von ihnen geleisteten Aufwendungen und
erlittenen finanziellen Nachteile sind über den Schadenersatzanspruch des
Direktgeschädigten auszugleichen (JEAN-FRANÇOIS EGLI, De la réparation
accordée à la famille du défunt et de l'invalide en responsabilité civile,
in: Problèmes de droit de la famille, Neuchâtel 1987, S. 57 ff.). Damit
hat ihr eigenständiger Genugtuungsanspruch den Charakter eines Anspruchs
aus unerlaubter Handlung, was verjährungsrechtlich zur Anwendung von
Art. 60 OR führt. Die Eigenständigkeit des Anspruchs zeigt sich auch
darin, dass die diesbezügliche Verfügungsberechtigung ausschliesslich
den Angehörigen zukommt und ein vom Direktgeschädigten erklärter Verzicht
oder abgeschlossener Vergleich ihnen nicht entgegengehalten werden kann
(BGE 84 II 292 E. 6 S. 300 für den Genugtuungsanspruch der Angehörigen
bei Tötung). Dasselbe gilt bezüglich der Möglichkeit zur Verrechnung; ein
gegenüber dem Direktgeschädigten ergangenes Zivilurteil entfaltet gegenüber
den eigenen Ansprüchen der Angehörigen auch keinerlei Rechtskraft.

    f) Vor diesem Hintergrund vermag das Bestehen eines
Vertragsverhältnisses zwischen dem Haftpflichtigen und dem
Direktgeschädigten die Unterstellung der Genugtuungsansprüche der
Angehörigen unter die vertragliche Verjährung nicht zu rechtfertigen. Dies
würde auch gegen den Grundsatz der Relativität von Verträgen
verstossen, nach welchem sich nur die Vertragspartner auf den Bestand
eines Vertragsverhältnisses berufen und bei Missachtung vertraglicher
Pflichten Schadenersatz aus Vertragsverletzung verlangen können. Auch
bei der Drittschadensliquidation (vgl. GAUCH/SCHLUEP, aaO, Rz. 2685
ff. mit Hinweisen), auf welche die Befürworter der vertragsrechtlichen
Verjährungsfrist verweisen (HANS-ULRICH BRUNNER, aaO, Nr. 294;
GAUCH/SCHLUEP, aaO, Rz. 2697), wird der Schaden vom Vertragspartner
selbst geltend gemacht; eine Ausnahme ergibt sich dabei nur bezüglich
des Grundsatzes, dass nur der im Vermögen des Gläubigers entstandene
Schaden zu ersetzen ist. Die Genugtuung beanspruchenden Angehörigen
eines Schwerstverletzten machen demgegenüber ihre eigene erlittene
seelische Unbill geltend. Um ihnen dafür Ausgleich zu verschaffen, bietet
Art. 49 OR eine genügende Rechtsgrundlage und ist die Berücksichtigung
eines allfälligen Vertragsverhältnisses zwischen dem Verantwortlichen
und dem Direktverletzten nicht erforderlich. Damit besteht auch kein
zwingender Grund, für die Modalitäten dieses Genugtuungsanspruchs auf
das Vertragsverhältnis abzustellen, bei welchem der Anspruchsberechtigte
nicht Partei ist. Stehen der Haftpflichtige und der Direktgeschädigte
in einem Vertragsverhältnis, so ist die als Vertragsverletzung zu
qualifizierende Körperverletzung nur die Ursache der gegenüber den
Angehörigen bewirkten Persönlichkeitsverletzung (BREHM, aaO, N. 75 zu
Art. 49 OR). Die Besonderheiten der Ursachen einer Verletzung eines
absoluten Rechts vermögen indessen die Modalitäten des aus dieser
Verletzung begründeten Rechts nicht zu beeinflussen. Im übrigen könnte
die Anwendung der vertragsrechtlichen Haftungsbestimmungen wohl auch nicht
auf die Frage der Verjährung beschränkt werden, sondern müsste auch jene
der Haftung für Hilfspersonen (Art. 101 OR) erfassen.

    Für die Anwendung der vertragsrechtlichen Verjährungsregeln auf den
Genugtuungsanspruch der Angehörigen wird angeführt, dass andernfalls
für die Ansprüche der Angehörigen und des Direktgeschädigten ein
unterschiedliches Verjährungsregime gelten würde (HANS-ULRICH BRUNNER,
aaO, Nr. 296). Dieser Unterschied liegt indes darin begründet, dass ein
Vertragsverhältnis nur zum Direktgeschädigten besteht. Zudem vermag jeder
Anspruchsberechtigte seinen Genugtuungsanspruch selbständig geltend zu
machen. Wenn auch in praxi ein gemeinsames Vorgehen häufig vorkommen oder
sogar die Regel bilden mag, so reicht dieser Umstand nicht aus, um den
eigenständigen Anspruch der Angehörigen einer anderen Verjährungsregelung
als derjenigen zu unterstellen, welche sich aufgrund der Rechtsnatur
des Anspruchs ergibt. Wenn sodann geltend gemacht wird, aus derselben
(unerlaubten) Handlung entstünden diesfalls Ansprüche mit unterschiedlicher
Verjährungsdauer (vgl. ALFRED KELLER, aaO, Bd. I, S. 386), so tritt diese
Situation auch in Fällen der Anspruchskonkurrenz (dazu BGE 113 II 246 E. 3;
GAUCH/SCHLUEP, aaO, Rz. 2909 ff., 2914) ein, ohne dass deswegen generell
die Modalitäten der einzelnen Ansprüche einander angeglichen würden.

    Entgegen der Auffassung verschiedener Autoren (ALFRED KELLER, aaO,
Bd. I, S. 386; HANS-ULRICH BRUNNER, aaO, N. 296) kann auch nicht von
einer Privilegierung der Tötung gegenüber der Körperverletzung gesprochen
werden. Untersteht der Genugtuungsanspruch der Angehörigen auch bei
Bestand eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Haftpflichtigen und dem
Direktgeschädigten der Verjährung gemäss Art. 60 OR, so gilt dies sowohl
im Falle der Tötung (BGE 81 II 547 E. 3 S. 553) wie auch bei schwerer
Körperverletzung. Der genannte Einwand bezieht sich demgegenüber auf einen
Vergleich zwischen dem Anspruch des Direktgeschädigten aus Körperschaden
und dem Anspruch der Angehörigen aus Versorgerschaden bei Tötung im
Falle, dass zwischen dem Haftpflichtigen und dem Direktgeschädigten ein
Vertragsverhältnis bestand. Diese Ansprüche unterscheiden sich indes
schon in ihrer Rechtsnatur und ihrem Inhalt grundlegend.

    Die Übertragung der im Verhältnis zum Direktgeschädigten allenfalls
anwendbaren vertragsrechtlichen Verjährung auf den Genugtuungsanspruch der
Angehörigen lässt sich auch nicht damit begründen, dass diese sich auch das
Mitverschulden des Direktgeschädigten entgegenhalten lassen müssen. Wie
das Bundesgericht in BGE 117 II 50 ff. klargestellt hat, wird dieses
Mitverschulden nicht den Angehörigen als Selbstverschulden angerechnet,
sondern nur als Drittverschulden im Rahmen von Art. 44 OR berücksichtigt
(E. 4a/bb), da nicht einzusehen ist, weshalb den Haftpflichtigen für
die von den Angehörigen erlittene seelische Unbill eine weitergehende
Belastung treffen sollte als für jene des Direktgeschädigten.

    g) Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass keine stichhaltigen
Gründe bestehen, bei Bestand eines Vertragsverhältnisses zwischen
dem Haftpflichtigen und dem Direktgeschädigten die eigenständigen
Genugtuungsansprüche der Angehörigen ebenfalls der vertragsrechtlichen
Verjährung zu unterstellen. Entsprechend ihrem Charakter als Anspruch aus
unerlaubter Handlung unterstehen sie auch in diesem Fall der Verjährung
gemäss Art. 60 OR. Dies gilt sowohl bei schwerer Körperverletzung wie
auch bei Tötung des Direktgeschädigten. Auf den Genugtuungsanspruch eines
Angehörigen findet die vertragsrechtliche Verjährungsfrist nur Anwendung,
wenn er ausnahmsweise selbst - wie allenfalls bei der ärztlichen Behandlung
eines Kindes (BGE 116 II 519 ff.) - Vertragspartner ist und ein Vertrag
zugunsten Dritter vorliegt (OFTINGER/STARK, aaO, Bd. I, S. 686/687). Die
Anwendung der einjährigen Verjährungsfrist gemäss Art. 60 Abs. 1 OR auf
den Genugtuungsanspruch des Zweitklägers durch die Vorinstanz ist somit
bundesrechtlich nicht zu beanstanden.