Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 165



123 III 165

28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. November 1996
i.S. C. gegen M. (Berufung) Regeste

    Freiwillige öffentliche Versteigerung; Wegbedingung der
Sachgewährleistung (Art. 234 Abs. 3 OR).

    Auslegung von Auktionsbedingungen, insbesondere der
Freizeichnungsklausel, und die Bedeutung von Beschreibungen im
Auktionskatalog (E. 3 und 4).

Sachverhalt

    Am 25./26. Oktober 1991 veranstaltete C. zusammen mit weiteren Personen
die "1. Internationale Swatch-Auktion" in Luzern. An diesem Anlass sollte
auch ein Exemplar der in geringer Stückzahl hergestellten Swatch "OIGOL
ORO" des Künstlers Mimmo Paladino versteigert werden. Diese Uhr wurde im
Auktionskatalog wie folgt beschrieben:

    Nr.       NAME                ZUSTAND   KAT. S.     RICHTPREIS

    347

    -------------------------------------------------------------------------

    GX 113    MIMMO PALADINO      *****     171         44'000.
               Mit Widmung auf Garantie, Signatur auf Garantie und
               Schachtel

    Unter dem Titel "Qualitätsbezeichnung" wird vorne im Auktionskatalog
auf die Auktionsbedingungen auf S. 62 hingewiesen und die im Katalog mit
Sternen bezeichnete Rubrik "Zustand" wie folgt erläutert:

    *****     Fabrikneue Uhr (Watch in mint condition; nuova di fabbrica;
               montre sortant d'usine)

    ****      Fabrikneue Uhr, Specials ohne Originalverpackung (Mint
               condition, special models without original packaging; Nuovo
               di fabbrica, modello speciale senza custodia originale;
               montre sortant d'usine, exécution spéciale sans emballage
               d'origine)

    ***       Getragen, guter Zustand (Second-hand, good condition;
Usato, in
               buono stato; portée, en bon état)

    **        Getragen mit sichtbarer Abnützung (Second-hand, some  wear;
               Usato, usura visibile; porteé, usure visible)

    *         Dummy (Dummy; Senza alcun valore di collezione (Dummy);
Dummy)

    Nach den auf der letzten Katalogseite abgedruckten
"Auktionsbedingungen" anerkennt der Auktionsteilnehmer unter anderem
was folgt:

    "9. Die Beschreibungen im Katalog entsprechen bestem Wissen und
Gewissen
   und dem Stand im Zeitraum der Abfassung der Katalogtexte. Durch die

    Ausstellung in der Schalterhalle der Schweizerischen Kreditanstalt
Luzern
   ist die Gelegenheit geboten, sich über den Zustand der Uhren
   Rechenschaft zu geben. Reklamationen der Käufer nach erfolgtem Zuschlag
   können keine

    Berücksichtigung finden.

    10. Der Auktionator übernimmt die Garantie für die Echtheit der Uhren.

    Der Nachweis einer Fälschung ist vom Käufer innert 4 Wochen zu
erbringen.

    Sollte sich herausstellen, dass eine Fälschung vorliegt, so wird der

    Auktionator den Zuschlag aufheben und den Kaufpreis zurückerstatten.

    Voraussetzung dafür ist, dass die Uhr sich in demjenigen Zustand
befindet,
   in dem (recte: sie) sich zur Zeit des Zuschlages befunden hat. ..."

    Am zweiten Tag der Auktion ersteigerte M. die Swatch "OIGOL ORO"
zum Preis von Fr. 38'000.-- zuzüglich einer Auktionskommission von
Fr. 3'800.--. Etwa ein halbes Jahr danach soll eine Prüfung gezeigt haben,
dass die Swatch "OIGOL ORO" nicht fabrikneu war und ihr Wert nur einem
Bruchteil desjenigen einer fabrikneuen Uhr entsprach.

    In der Folge erhob M. Klage gegen C. und beantragte, ihm Zug um
Zug gegen Rückgabe der von ihm anlässlich der "1. Internationalen
Swatch-Auktion" vom 25./26. Oktober 1991 in Luzern ersteigerten Swatch
"OIGOL ORO" den Betrag von Fr. 41'800.-- nebst Zins zu 5% seit dem
26. Oktober 1991 zurückzubezahlen. Das Amtsgericht Luzern-Stadt wies
die Klage mit Urteil vom 30. März 1995 ab. Im vom Kläger angehobenen
Appellationsverfahren sprach das Obergericht des Kantons Luzern am
6. Februar 1996 die Klagebegehren zu.

    Der Beklagte gelangt mit eidgenössischer Berufung an das
Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils
und die Abweisung der Klage, eventuell die Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz zur Neubeurteilung.

    Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Hinsichtlich der Swatch "OIGOL ORO" hat die Vorinstanz für
erwiesen erachtet, dass deren Qualitätsangabe im Katalog als "Fabrikneue
Uhr/Watch in mint condition" objektiv falsch war. Sie hat in der Folge
geprüft, ob in dieser Zusicherung, die gemäss Auktionsbedingungen "nach
bestem Wissen und Gewissen und dem Stand im Zeitraum der Abfassung der
Katalogtexte" erfolgte, eine absichtliche Täuschung gelegen habe, für
welche der Beklagte gemäss Art. 234 Abs. 3 OR haften würde. Dazu hat
sie ausgeführt, der Beklagte, der die Qualitätsbezeichnung "Fabrikneue
Uhr" ohne eigene Sachkenntnis in den Auktionskatalog aufgenommen und
die eingelieferte Swatch "OIGOL ORO" vorgängig nicht auf allfällige
Abnützungserscheinungen oder Gebrauchsspuren hin kontrolliert habe,
habe sich nachlässig verhalten. Absichtliches Verhalten im Sinne von
Art. 28 OR liege jedoch nur vor, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit
des Sachverhalts kenne (SCHWENZER, in: Kommentar zum schweizerischen
Privatrecht, Obligationenrecht I, 2. Aufl., 1996, N. 11 zu Art.
28 OR). Zudem habe sich der Beklagte, als er diese Swatch der höchsten
Qualitätsstufe zuordnete, auf entsprechende Angaben des Einlieferers
verlassen und die falsche Qualitätsangabe nicht aufs Geratewohl gemacht,
so dass insoweit kein Eventualvorsatz gegeben sei. Allerdings ist nach
Ansicht der Vorinstanz die Zusicherung "fabrikneu" mit Rücksicht auf
Ziffer 9 der Auktionsbedingungen in einem anderen Lichte zu sehen. Bestem
Wissen und Gewissen entsprächen nur solche Angaben, die aufgrund eigener
Fachkenntnis oder Überprüfung gemacht werden. Wer aber ohne eigene
Fachkenntnis oder Überprüfung Angaben Dritter einfach übernehme und im
Auktionskatalog als "bestem Wissen und Gewissen" entsprechende Angaben
ausgebe, nehme zumindest in Kauf, dass sie falsch sein und Dritte zum
Ersteigern eines Gegenstandes verleiten könnten. Sie hat dem Beklagten
deshalb eventualvorsätzliches Handeln vorgeworfen und das Vorliegen
einer absichtlichen Täuschung bejaht. An diesem Ergebnis vermöge nichts
zu ändern, dass durch die Ausstellung der Uhren in der Schalterhalle
der Schweizerischen Kreditanstalt Luzern Interessierten die Gelegenheit
geboten worden sei, sich über deren Zustand Rechenschaft zu geben, und
dass daher gemäss Ziffer 9 der Auktionsbedingungen Reklamationen der
Käufer nach erfolgtem Zuschlag keine Berücksichtigung mehr finden könnten.

Erwägung 3

    3.- Der Beklagte wirft der Vorinstanz vor, aus der Formulierung der
Freizeichnungsklausel zu Unrecht auf einen Eventualvorsatz geschlossen,
Inhalt und Umfang der Wegbedingungsklausel falsch interpretiert zu
haben. Er habe mit aller nur wünschbaren Deutlichkeit klar gemacht, dass
lediglich für die Echtheit der Uhren Gewähr übernommen werden könne und
die Interessenten deswegen gebeten seien, sich selbst über den Zustand
der Objekte zu vergewissern. Wenn der Verkäufer erst nach Abschluss des
Vertrages von der Unrichtigkeit seiner Angaben erfahre, liege kein dolus
in contrahendo vor (SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 41 zu Art. 28 OR).

    a) Die Auslegung von Willenserklärungen nach dem Vertrauensprinzip
überprüft das Bundesgericht im Berufungsverfahren frei (BGE 121 III
118 E. 4b/aa mit Hinweisen; 119 II 449 E. 3a). Massgebend ist, wie sie
der Empfänger in guten Treuen verstehen durfte und musste. Dabei ist
stets der Gesamtzusammenhang im Auge zu behalten, d.h. die einzelnen
Bestimmungen eines Vertrages oder die Äusserungen einer Vertragspartei
dürfen nicht von ihrem Kontext losgelöst werden, sondern sind aus ihrem
konkreten Sinngefüge heraus zu beurteilen (vgl. KRAMER, Berner Kommentar,
N. 106 zu Art. 1 OR mit weiteren Hinweisen). An die Feststellungen der
Vorinstanz hinsichtlich äusserer Umstände und des inneren Willens der
Parteien ist das Bundesgericht gebunden (BGE 115 II 264 E. 5a).

    b) Im vorliegenden Fall lässt schon Ziffer 9 der Auktionsbedingungen
für sich allein betrachtet keine Zweifel an Bedeutung und Umfang der
Freizeichnungsklausel offen: Die Beurteilung des Zustandes der zur
Versteigerung gelangenden Gegenstände wird voll und ganz dem Käufer
überlassen. Hierfür beansprucht der Auktionator volle Freizeichnung. Mit
der Formulierung, "die Beschreibungen im Katalog entsprechen bestem
Wissen und Gewissen zur Zeit der Abfassung der Katalogtexte", bringt er
gerade nicht zum Ausdruck, der Käufer könne sich auf dessen Richtigkeit
verlassen, sondern er betont im Gegenteil die Unsicherheit der Angaben,
indem er sie zum einen zeitlich relativiert, zum andern den Bieter zu
eigener Kontrolle einlädt und deutlich macht, dass der Käufer in dieser
Hinsicht sein Angebot auf eigene Verantwortung unterbreitet.

    Noch deutlichere Konturen erhält die Freizeichnung gemäss Ziffer
9 der Auktionsbedingungen im Zusammenhang mit der anschliessend in
Ziffer 10 abgegebenen Garantie für die Echtheit der Uhren. Dort erklärt
der Auktionator zunächst deren bedingungslose Übernahme, gibt aber
anschliessend die Obliegenheiten des Käufers für die Geltendmachung der
Wandelung bekannt. Im Vergleich dazu erscheint die Berufung auf bestes
Wissen und Gewissen als Hinweis auf eine Distanzierung vom Kataloginhalt,
womit angetönt wird, dass der Verfasser darin von dritter Seite Erfahrenes
wiedergibt. Sie drückt gerade nicht aus, dass sich der Auktionator ein
eigenes Bild vom Zustand des Einlieferungsgegenstandes gemacht hat und
bereit ist, sich dabei behaften zu lassen. Darüber hinaus lassen sich
die unterschiedlichen Zusicherungen bezüglich Design(er) oder Zustand
der Uhr den betreffenden Rubriken im Katalog eindeutig zuordnen, so dass
auch unter diesem Gesichtspunkt jeglicher Zweifel über den Umfang der
Gewährleistung ausgeschlossen ist.

    Ist davon auszugehen, dass die Berufung auf bestes Wissen und Gewissen
und die Ablehnung der Haftung für die Zustandsbeschreibung im Katalog
als Hinweis auf deren Unzuverlässigkeit verstanden werden mussten,
kann daraus von vornherein kein Inkaufnehmen eines auf falschen Angaben
beruhenden Kaufsentschlusses erblickt werden, wie die Vorinstanz dem
Beklagten zu unterstellen scheint und damit auf eine Täuschungsabsicht
mit Eventualvorsatz geschlossen hat. Wusste der Beklagte nicht, dass
die Angabe im Katalog, die "OIGOL ORO" sei fabrikneu, unrichtig war, -
wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat
(Art. 63 Abs. 2 OG) - bleibt für den Vorwurf absichtlicher Täuschung im
Sinne von Art. 28 OR, der bewussten Erweckung einer falschen Vorstellung
im Verhandlungspartner mit dem Zweck, ihn zum Vertragsschluss zu bewegen
(vgl. SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 16 zu Art. 28 OR), kein Raum
(vgl. auch BGE 120 III 136 E. 2 am Anfang).

Erwägung 4

    4.- In rechtlicher Hinsicht ist unter den Parteien nicht streitig, dass
die Swatch-Auktion eine öffentlich angekündigte freiwillige Versteigerung
im Sinne von Art. 229 Abs. 2 OR war, auf welche nebst den Vorschriften
von Art. 229 ff. OR jene des Kaufvertrages Anwendung finden. In den
Auktionsbedingungen kann jede Gewährleistung mit Ausnahme der Haftung
für absichtliche Täuschung ausgeschlossen werden (Art. 234 Abs. 3 OR),
was in der Sache der Regelung von Art. 199 OR entspricht. Von dieser
Freizeichnungsmöglichkeit machen die Veranstalter von Auktionen in der
Regel Gebrauch, indem sie in den Auktionsbedingungen die Sachmängelhaftung
wegbedingen, um klarzustellen, dass in der katalogmässigen Beschreibung der
Auktionsgegenstände keine Zusicherung bestimmter Eigenschaften liegt (vgl.
HONSELL, Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Aufl.,
1995, S. 170; HANS-PETER KATZ, Sachmängel beim Kauf von Kunstgegenständen
und Antiquitäten, Diss. Zürich 1973, S. 55). In einem unveröffentlichten
Urteil vom 27. Oktober 1987 hat das Bundesgericht mit Blick auf BGE
109 II 24 f. zur Frage, wie sich die Beschreibungen in Katalogen von
Kunstauktionen zu Freizeichnungsklauseln verhalten, ausgeführt, angesichts
der Vielfalt des angebotenen Auktionsguts dürfe das bietende Publikum
nicht ohne weiteres davon ausgehen, der Auktionator habe die einzelnen
Gegenstände näher überprüfen können und übernehme mit ihrer Beschreibung
zugleich die Garantie der Echtheit. Die Beschreibung im Auktionskatalog
solle in erster Linie die zur Versteigerung gelangenden Gegenstände
darstellen und den Interessenten den Entscheid darüber erleichtern, ob
und bis zu welcher Höhe sie mitbieten wollen. Ferner komme dem Kaufpreis
im Rahmen der Versteigerung nicht der gleiche Stellenwert wie bei einem
gewöhnlichen Kauf zu. Er werde durch das Gebot des Bieters und weniger
durch den Ausruf des Auktionators bestimmt. Selbst ein Kataloghinweis auf
ein Expertengutachten vermochte im beurteilten Fall angesichts der Klarheit
der Freizeichnungsklausel nach Treu und Glauben keine Echtheitszusicherung
zu begründen.

    Diese Grundsätze lassen sich ohne weiteres auf den vorliegenden Fall
übertragen; umso mehr, als nicht der Ausschluss der Echtheitsgarantie,
sondern lediglich jener der Garantie für den im Katalog beschriebenen
Zustand der zugeschlagenen Objekte in Frage steht, über den sich der Käufer
anlässlich der Vorbesichtigung selbst informieren kann. Wie sich aus den
Ausführungen zur absichtlichen Täuschung (Erwägung 3b hiervor) ergibt, ist
offensichtlich, welcher Sinn Ziffer 9 der Auktionsbedingungen beizumessen
ist. Die Bezeichnung des Qualitätszustandes der angebotenen Uhren im
Katalog erfolgte ohne Gewähr, lediglich entsprechend dem Wissensstand
der Anbieter bei Drucklegung, während die "Echtheit" gemäss der Rubrik
"Namen" zugesichert wurde. Dass die Versteigerungsbedingungen nicht in
gehöriger Weise öffentlich kundgetan worden wären, wie es Art. 234 Abs. 3
OR erfordert, hat die Vorinstanz nicht festgestellt. Wenn sie unter den
gegebenen Umständen einzig "angesichts der professionellen Aufmachung
des Katalogs" dem Kläger zubilligt, er habe auf eine Garantie für die
Richtigkeit aller Angaben im Katalog schliessen dürfen, verkennt sie die
Bedeutung des Vertrauensprinzips und verletzt damit Bundesrecht.

Erwägung 5

    5.- Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Beklagte, dem
keine absichtliche Täuschung vorzuwerfen ist, die Haftung für den vom
Kläger geltend gemachten Qualitätsmangel gültig wegbedungen hat. Die
Berufung ist deshalb gutzuheissen und die Klage abzuweisen, ohne dass
die weiteren Rügen des Beklagten zu behandeln sind.