Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 V 43



122 V 43

7. Auszug aus dem Urteil vom 26. Januar 1996 i.S. Amt für Wirtschaft und
Tourismus Graubünden, Arbeitslosenkasse gegen M. und Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden Regeste

    Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG, Art. 44 lit. b und c AVIV, Art.  30 Abs. 3
AVIG (in der bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Fassung) und Art.
45 Abs. 1 lit. a AVIV. Hat ein Versicherter zwecks Weiterbildung ein
Arbeitsverhältnis aufgelöst, ohne dass ihm eine neue Stelle zugesichert
war, und ist er nach der (allenfalls vorzeitigen) Beendigung des Lehrganges
arbeitslos, ist die Frage der Einstellung in der Anspruchsberechtigung
wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit im Lichte von Art. 44 lit. c
AVIV zu prüfen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Es steht fest, dass der Beschwerdegegner seine langjährige
Stelle als Elektrozeichner bei der Firma K. Elektrofachgeschäft AG auf Ende
Juni 1994 aufgab, um am Technikum eine Weiterausbildung (Vorbereitungskurs,
Aufnahmeprüfung, Studium) zu absolvieren. Dabei hatte er nach den
unwidersprochen gebliebenen Feststellungen der Beschwerdeführerin in
der vorinstanzlichen Vernehmlassung im Zeitpunkt der Kündigung weder die
Zusicherung für eine andere Stelle (für die Zeit nach Abschluss dieses
Lehrganges) noch wäre ihm ein Verbleiben am bisherigen Arbeitsplatz
unzumutbar gewesen. Wegen Nichtbestehens der Aufnahmeprüfung im Oktober
1994 musste er die geplante Ausbildung zum Ingenieur vorzeitig aufgeben. In
der Folge bemühte er sich erfolglos um eine neue Arbeit.

    b) Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Arbeitslosigkeit
selbstverschuldet im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG und
Art. 44 lit. b AVIV. Zur Begründung führt die Verwaltung an, nach
dieser klaren gesetzlichen Regelung werde eine Selbstkündigung
ohne Zusicherung einer neuen Stelle ex lege als Selbstverschulden
taxiert. Ein Schuldausschlussgrund liege nur vor, wenn das Verbleiben
am Arbeitsplatz unzumutbar wäre. Eine geplante Ausbildung vermöge
jedoch als eine ausserhalb des Arbeitsplatzes liegende Tatsache auf
keinen Fall die Unzumutbarkeit des Verbleibens an der Arbeitsstelle
zu begründen. Unerheblich sei im übrigen, dass der Beschwerdegegner
wegen Nichtbestehens der Aufnahmeprüfung den Lehrgang vorzeitig habe
beenden müssen. Art. 44 lit. b AVIV sei auch auf einen erfolgreichen
Studienabgänger anwendbar. In der Realität spiele dieser Artikel
bei erfolgreichen Abschlüssen jedoch eine sehr geringe Rolle, da
eine Ausbildung in der Regel länger dauere als die Einstellungsfrist
(Art. 30 Abs. 3 AVIG und Art. 45 Abs. 1 lit. a AVIV), eine Einstellung
somit entfalle.

    c) aa) Der Argumentation der Beschwerdeführerin kann nicht
beigepflichtet werden. Mit der Einstellungsregelung soll eine
missbräuchliche Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung verhindert
werden (ARV 1993 Nr. 3 S. 22 Erw. 3d; GERHARDS, Kommentar zum AVIG, Bd. I,
N. 2 zu Art. 30). Ein solcher Missbrauch kann nun aber nicht schon darin
erblickt werden, dass ein Versicherter unter Aufgabe einer zumutbaren und
ohne Zusicherung einer neuen Arbeitsstelle eine Weiterbildung in Angriff
nimmt und diese aus Gründen, die ihm arbeitslosenversicherungsrechtlich
nicht zum Vorwurf gemacht werden können, vorzeitig beenden muss und er
in der Folge keine Arbeit findet. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn
die Ausbildung auf ein konkretes berufliches Ziel ausgerichtet ist und
im Sinne von Art. 14 Abs. 1 lit. a AVIG systematisch, auf der Grundlage
eines ordnungsgemässen, rechtlich oder zumindest faktisch anerkannten
(üblichen) Lehrganges erfolgt (SVR 1995 AlV Nr. 46 S. 135 Erw. 2a mit
Hinweis). Überdies muss, wie die Vorinstanz zutreffend festhält, der Kurs
den Versicherten zeitlich in einem solchen Masse beanspruchen, dass ihm
die Fortführung seiner Arbeitstätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann,
ohne dass das Risiko bestünde, den Erfolg der beruflichen Weiterbildung
zu gefährden. Diese Voraussetzungen sind beim Beschwerdegegner fraglos
erfüllt (vgl. Erw. 3a hievor).

    bb) Soweit die Beschwerdeführerin auf den klaren Wortlaut von
Art. 44 lit. b AVIV hinweist, übersieht sie, dass sich die Frage,
ob die Arbeitslosigkeit selbstverschuldet ist, primär nach Art. 30
Abs. 1 lit. a AVIG beurteilt (zum Begriff des Selbstverschuldens
siehe ARV 1982 Nr. 4 S. 39 Erw. 1a; GERHARDS, aaO, N. 8 zu Art. 30)
und dass den in Art. 44 AVIV genannten Einstellungsgründen lediglich
exemplifikatorischer Charakter zukommt (unveröffentlichtes Urteil
G. vom 7. Dezember 1987). Aus gesetzessystematischer Sicht ist
sodann zu beachten, dass nach Ablauf der Einstellungsfrist (Art. 30
Abs. 3 Satz 4 AVIG und Art. 45 Abs. 1 lit. a AVIV) der fristauslösende
Einstellungsgrund - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen
- nicht mehr mit Verfügung geltend gemacht werden kann (BGE 114 V 352
Erw. 2b). Dies ist Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, ein an
sich einstellungswürdiges Verhalten nach Ablauf von sechs Monaten nicht
mehr als kausal für die Arbeitslosigkeit zu betrachten (GERHARDS, aaO,
N. 9 und 49 zu Art. 30; vgl. ARV 1990 Nr. 20 S. 134 Erw. 2b). Kann
nun aber, wie auch die Arbeitslosenkasse sinngemäss einräumt, dem
Beschwerdegegner das Nichtbestehen der Aufnahmeprüfung ans Technikum nach
dem dreimonatigen Vorbereitungskurs nicht zum Vorwurf gemacht werden,
muss er konsequenterweise so behandelt werden, wie wenn er die Prüfung
bestanden und die Zusatzausbildung programmgemäss fortgesetzt hätte mit der
Folge, dass eine (nachträgliche) Einstellung in der Anspruchsberechtigung
gestützt auf Art. 44 lit. b AVIV entfällt.

    cc) Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass Art. 44 lit. b AVIV
nicht auf Sachverhalte wie den vorliegenden zugeschnitten ist. Dem Zweck
der Einstellungsregelung besser entspricht, einen Versicherten das mit
der Kündigung der Arbeitsstelle zu Weiterbildungszwecken verbundene
erhöhte Risiko der Arbeitslosigkeit nach Massgabe des Art. 44 lit. c
AVIV tragen zu lassen, wobei für die Festlegung der kurzen Frist von
der sechsmonatigen Einstellungsfrist des Art. 30 Abs. 3 Satz 4 AVIG in
Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 lit. a AVIV auszugehen ist. Dies führt im zu
beurteilenden Fall zur Feststellung, dass dem Beschwerdegegner die Aufgabe
der bisherigen Arbeitsstelle, ohne dass ihm eine neue Stelle zugesichert
war, nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Die Vorinstanz hat daher zu
Recht die mit dieser Begründung versehene Einstellungsverfügung aufgehoben.