Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 V 415



122 V 415

63. Auszug aus dem Urteil vom 18. November 1996 i.S. Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt gegen K. und Verwaltungsgericht des Kantons
Bern Regeste

    Art. 6 und 18 UVG: Unfall mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule
ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle.

    - Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs: Bestätigung der
Rechtsprechung gemäss BGE 117 V 366 Erw. 6. Entgegen der Auffassung des
kantonalen Gerichts besteht kein Anlass, bei medizinisch zwar angenommenem,
jedoch nicht (hinreichend) organisch nachweisbarem natürlichem
Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall mit Schleudertrauma der HWS
und andauernden Beschwerden, welche die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
einschränken, von einer Prüfung der Adäquanz abzusehen.

    - Zur Bedeutung der Adäquanzbeurteilung, die grundsätzlich in jedem
Fall vorzunehmen ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Leistungspflicht des Unfallversicherers setzt voraus, dass
zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden ein adäquater
Kausalzusammenhang besteht. Nach der Rechtsprechung hat ein Ereignis
dann als adäquate Ursache eines Erfolges zu gelten, wenn es nach dem
gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung
an sich geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen
herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Ereignis
allgemein als begünstigt erscheint (BGE 121 V 49 Erw. 3a mit Hinweisen).

    b) Die Vorinstanz führte aus, wenn der natürliche Kausalzusammenhang
zwischen dem Unfallereignis und den anhaltenden Beschwerden mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgewiesen sei, könne entgegen
der Rechtsprechung (BGE 117 V 366 Erw. 6) ohne weiteres auch auf das
Vorliegen eines adäquaten Kausalzusammenhangs geschlossen werden, sei
doch eine Schleuderverletzung der HWS selbst beim Fehlen nachweisbarer
pathologischer Befunde generell geeignet, echte und langdauernde
Beschwerden zu verursachen. Damit werde dem Umstand Rechnung getragen,
dass klar fassbare physische Befunde nach einem Unfall praxisgemäss ohne
weiteres diesem zugeordnet würden, auch wenn es sich um eine singuläre
bzw. aussergewöhnliche Unfallfolge handle. Bei organisch nachweisbar
behandlungsbedürftigem Befund decke sich somit bei der Beurteilung
gesundheitlicher Störungen die adäquate, d.h. rechtserhebliche Kausalität
weitgehend mit der natürlichen Kausalität (BGE 117 V 365 Erw. 5d/bb).
Angesichts der offenbar bestehenden Unzulänglichkeiten beim sicheren
Nachweis objektivierbarer Befunde nach einem Schleudertrauma der HWS
solle es deshalb nicht die Versicherte entgelten, dass in ihrem Fall
die als Erklärung für die Beschwerden wahrscheinlichen Mikroverletzungen
noch nicht bewiesen werden könnten. Wenn aufgrund anderer Umstände mit
der erforderlichen Sicherheit auf das Vorliegen solcher Verletzungen
geschlossen werden könne, so sei sie deshalb gleich zu behandeln, wie
wenn ein klarer computertomographischer oder neurologischer Befund vorläge.

    c) Dieser These der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Mit der
Theorie des adäquaten Kausalzusammenhanges, die im Sozialversicherungsrecht
mit EVGE 1960 S. 158 Einzug gehalten hat (MEYER-BLASER, Kausalitätsfragen
auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts, in: SZS 1994 S. 82), wird
dem rechtlich bestehenden Bedürfnis nach Eingrenzung und Auswahl von
Tatsachen aus der natürlichen Kausalkette Rechnung getragen (MEYER-BLASER,
aaO; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 460; LAURI,
Kausalzusammenhang und Adäquanz im schweizerischen Haftpflicht- und
Versicherungsrecht, Diss. Bern 1976, S. 12; SCARTAZZINI, Les rapports de
causalité dans le droit suisse de la sécurité sociale, Diss. Genf 1991,
S. 18 f.). Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts besteht kein
Anlass, bei medizinisch zwar angenommenem, jedoch nicht (hinreichend)
organisch nachweisbarem natürlichem Kausalzusammenhang zwischen einem
Unfall mit Schleudertrauma der HWS und andauernden Beschwerden, welche die
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit einschränken, von einer Prüfung der Adäquanz
abzusehen, welche grundsätzlich bei sämtlichen Gesundheitsschädigungen, die
aus ärztlicher Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als natürliche
Unfallfolgen gelten können, Platz zu greifen hat (BGE 121 V 49 Erw. 3a
mit Hinweisen; MAURER, aaO, S. 460; MEYER-BLASER, aaO, S. 82). Von einer
Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs entbindet auch nicht die
Tatsache, dass sich bei organisch nachweisbar behandlungsbedürftigem
Befund die adäquate, d.h. rechtserhebliche Kausalität weitgehend
mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 118 V 291 f. Erw. 3a, 117
V 365 Erw. 5d/bb mit Hinweisen). Auch bei Verletzungen der HWS geht
es, wie bei allen anderen Verletzungen, darum, im Einzelfall unter
Wertung von Indizien, die für oder gegen die - rechtliche - Zuordnung
bestimmter Funktionsausfälle zum Unfall sprechen, im Rahmen einer
Gesamtwürdigung zu einer versicherungsmässig vernünftigen und gerechten
Abgrenzung haftungsbegründender und haftungsausschliessender Unfälle
zu gelangen, wobei der jeweilige Stand der medizinischen Wissenschaft
eine untergeordnete Rolle spielt (BGE 117 V 366 oben). Der Voraussetzung
des adäquaten Kausalzusammenhangs kommt mit andern Worten die Funktion
einer Haftungsbegrenzung zu (BGE 117 V 382 Erw. 4a, 115 V 142 Erw. 7 in
fine). Der Verzicht auf die Adäquanz als Wertungselement (vgl. MAURER,
aaO, S. 463; MEYER-BLASER, aaO, S. 103) führte zu einer ungerechtfertigten
Bevorzugung der Versicherten, die an den Folgen eines Schleudertraumas
der HWS leiden, gegenüber Versicherten mit anderen Verletzungsfolgen, wie
die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) zutreffend bemerkt.