Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 V 394



122 V 394

60. Urteil vom 19. November 1996 i.S. Sozialversicherungsanstalt des
Kantons St. Gallen gegen M. und G., Erben des L. und Versicherungsgericht
des Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 lit. b und f, Art. 5 ELG, Art.  17 Abs. 1
und 4 ELV, Art. 745 ff. ZGB. Wie ist die Nutzniessung EL-rechtlich zu
erfassen, die sich der EL-Bezüger oder -Ansprecher bei der Abtretung
seiner Liegenschaft hat einräumen lassen?

    - Eine Gegenleistung ist dann noch als angemessen zu betrachten, wenn
sich die Differenz von Leistung und Gegenleistung in einer Bandbreite
von rund 10% der Leistung bewegt.

    - Es ist nicht zulässig, den kapitalisierten Wert der Nutzniessung
als Vermögen anzurechnen.

    - Für die Anrechnung eines geldwerten Ausgleichs für den nach
Einräumung der Nutzniessung nicht mehr möglichen Vermögensverzehr in die
EL-Berechnung fehlt die rechtliche Grundlage.

Sachverhalt

    A.- L., geb. 1909, gestorben am 7. Juni 1996, bezog seit 1.  Januar
1990 Ergänzungsleistungen (damals Fr. 82.-- monatlich). Sein Haus war
zunächst zum Bundessteuerwert von Fr. 118'800.-- und ab 1. Januar 1992 zum
nunmehr massgebenden kantonalen Steuerwert von Fr. 99'000.-- eingesetzt
worden, was ab 1. Januar 1992 eine Ergänzungsleistung (EL) von Fr. 218.--
im Monat ergab. Weil die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen nach Erlass
der diesbezüglichen Verfügung (vom 6. Januar 1992) Kenntnis davon erhielt,
dass L. seine Liegenschaft (welche am 3. Oktober 1991 mit einem amtlichen
Verkehrswert [= kantonaler Steuerwert] von Fr. 145'000.-- neu eingeschätzt
worden war) per 1. November 1991 seinem Sohn G. verschenkt hatte (dies
gegen Einräumung einer lebenslänglichen und unentgeltlichen Nutzniessung
für sich und seine Ehefrau M.; Schenkungsvertrag vom 25. Oktober 1991),
nahm sie auf der Grundlage dieses neuen Wertes eine Neuberechnung
vor, welche ab 1. Februar 1992 eine EL von Fr. 5.-- im Monat ergab
(unangefochtene Verfügung vom 4. Februar 1992).

    Anlässlich der Revision 1993 setzte die Ausgleichskasse die
Liegenschaft wiederum zum Wert von Fr. 145'000.-- ein; im Hinblick auf
Veränderungen bei andern Positionen resultierte ab 1. Januar 1993 eine
monatliche EL von Fr. 39.-- (Verfügung vom 21. Januar 1993).

    B.- L. erhob gegen die Verfügung vom 21. Januar 1993 Beschwerde. Er
stellte das Begehren um Ausrichtung einer höheren EL und rügte als
unverständlich, dass die vor über einem Jahr dem Sohn übereignete
Liegenschaft immer noch ihm als Vermögen angerechnet werde.

    Mit Entscheid vom 21. Oktober/18. November 1993 hiess das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Beschwerde unter
Aufhebung der Kassenverfügung teilweise gut mit der Feststellung, dass
L. ab 1. Januar 1993 eine EL von Fr. 287.-- im Monat zusteht. Das Gericht
verneinte einen Vermögensverzicht, indem es den nach den Barwerttafeln
von Stauffer/Schaetzle ermittelten kapitalisierten Nutzniessungswert (Fr.
105'924.--), welcher 73% des amtlichen Schatzungswerts der Liegenschaft
ausmacht, als angemessene Gegenleistung betrachtete. Indessen müsse die
erhaltene Gegenleistung L. in der Form des kapitalisierten Wertes dieser
Nutzniessung als Vermögen angerechnet werden; massgebend sei dabei
der kapitalisierte steuerliche Mietwert. Ferner müsse der Mietwert
als Einkommen angerechnet und im Gegenzug dieser Mietwert auf der
Ausgabenseite als Abzug zugelassen werden. Werde in diesem Sinne anstelle
des Liegenschaftswertes von Fr. 145'000.-- nur die Gegenleistung von
Fr. 105'924.-- berücksichtigt, so vermindere sich auf der Einnahmenseite
der Vermögensverzehr von Fr. 10'500.-- auf Fr. 6593.--. Nach Auffassung
der Vorinstanz erhöht sich somit der ungedeckte Bedarf um Fr. 3907.--
auf Fr. 44'023.--, was eine EL von Fr. 287.-- monatlich ergibt.

    C.- Die Ausgleichskasse (ab 1. Januar 1995: Sozialversicherungsanstalt)
des Kantons St. Gallen führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag
auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sowie auf Rückweisung
der Sache an die Verwaltung zu ergänzender Sachverhaltsabklärung und
neuer Verfügung. Zur Begründung führt sie zunächst aus, dass bei einer
Gegenleistung von bloss 73% ein Verzicht vorliege. Sodann müsse bei der
Bewertung von Leistung und Gegenleistung gestützt auf Art. 17 Abs. 4 ELV
vom Marktwert ausgegangen werden. Mangels gesetzlicher Grundlage sei
eine Kapitalisierung der Nutzniessung und deren Anrechnung als Vermögen
nicht zulässig. Anderseits dürfe aus der vorinstanzlichen Verneinung
eines Verzichts auch nicht gefolgert werden, dass gar kein anrechenbares
Vermögen mehr vorhanden sei. Denn mit dem Verzicht auf das Eigentum an
der Liegenschaft habe L. "auch darauf verzichtet, sich den Lebensunterhalt
zusätzlich durch einen Vermögensverzehr zu finanzieren". Das anzurechnende
Verzichtsvermögen bestehe daher nicht nur aus der Differenz zwischen
dem Marktwert der Liegenschaft und dem (tieferen) kapitalisierten Wert
der Nutzniessung, sondern "zusätzlich auch noch im Kapitalwert der
(weggefallenen) Verzehrmöglichkeit". Zur Ermittlung dieses Kapitalwertes
müsse "der aktuelle Vermögensverzehr (1/10 des Handelswertes der
Liegenschaft) auf der Grundlage der durchschnittlichen Lebenserwartung
der Ehefrau des Beschwerdegegners kapitalisiert werden". Der Marktwert
der Liegenschaft (Fr. 217'500.--; = 150% des amtlichen Steuerwertes)
müsse um den kapitalisierten Vermögensverzehr von Fr. 172'175.-- erhöht
werden, was einen Gesamtwert der Leistung von L. von Fr. 389'675.--
ausmache. Hievon sei die noch näher zu ermittelnde Gegenleistung
(kapitalisierter Marktmietwert) abzuziehen.

    L. liess sich nicht vernehmen. Das Bundesamt für Sozialversicherung
(BSV) nahm zu den von der Ausgleichskasse aufgeworfenen Fragen der
Anrechnung des kapitalisierten Wertes der bei der Liegenschaftsabtretung
eingeräumten Nutzniessung als Vermögen und der Anrechnung des
kapitalisierten Wertes des Vermögensverzehrs als Verzichtsvermögen
einlässlich Stellung.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Als Anfechtungs- und Streitgegenstand ist, entsprechend der
Verfügung vom 21. Januar 1993, der Anspruch auf EL ab 1. Januar 1993 zu
betrachten. Nicht zur Diskussion steht, ob die Sozialversicherungsanstalt
die EL ab Februar 1992 richtig berechnet hat, indem sie - in Kenntnis
der Schenkung - die Liegenschaft als Vermögen so behandelt hatte, als
wenn L. damals noch Eigentümer gewesen wäre.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 2 Abs. 1 und 5 ELG haben in der Schweiz wohnhafte
Schweizer Bürger, denen eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der
Alters- und Hinterlassenenversicherung oder mindestens eine halbe Rente
der Invalidenversicherung zusteht, Anspruch auf Ergänzungsleistungen,
soweit ihr anrechenbares Jahreseinkommen einen bestimmten Grenzbetrag
nicht erreicht. Dabei entspricht die jährliche Ergänzungsleistung
dem Unterschied zwischen der massgebenden Einkommensgrenze und dem
anrechenbaren Jahreseinkommen (Art. 5 Abs. 1 ELG).

    Das anrechenbare Einkommen wird nach den Bestimmungen der Art. 3
ff. ELG berechnet. Als Einkommen anzurechnen sind danach u.a. Einkünfte und
Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG in
der hier anwendbaren, ab 1987 gültigen Fassung). Mit dieser neuen Regelung,
welche die Verhinderung von Missbräuchen bezweckt, soll eine einheitliche
und gerechte Lösung ermöglicht werden, indem sich die schwierige Prüfung
der Frage fortan erübrigt, ob beim Verzicht auf Einkommen und Vermögen
der Gedanke an eine Ergänzungsleistung tatsächlich eine Rolle gespielt
hat oder nicht (BGE 120 V 12 Erw. 1, 117 V 155 Erw. 2a mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.- Gemäss novellierter Fassung von Art. 17 ELV sind seit 1992 für
die Bewertung des Vermögens primär die Grundsätze der direkten kantonalen
Steuer anwendbar (Art. 17 Abs. 1 ELV). Für Grundstücke ist demnach in
der Regel der kantonale Steuerwert massgebend. Davon abweichend sieht
Abs. 4 von Art. 17 ELV die Massgeblichkeit des (regelmässig erheblich
höheren) Verkehrswertes vor, wenn das Grundstück dem Bezüger oder einer
Person, die in der EL-Berechnung eingeschlossen ist, "nicht zu eigenen
Wohnzwecken" dient.

    a) Die Vorinstanz äussert sich nicht zur Anwendbarkeit von Art. 17
Abs. 1 oder 4 ELV. Sie beschränkt sich auf den Hinweis, dass die
Bewertung sowohl der Liegenschaft (= Leistung) als auch der Nutzniessung
(= Gegenleistung) auf gleicher Grundlage zu erfolgen habe. Dem pflichtet
die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt mit Recht bei; ohne
nähere Begründung vertritt sie aber in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
die Auffassung, dass in casu vom "Marktwert", d.h. vom Verkehrswert
im Sinne von Art. 17 Abs. 4 ELV ausgegangen werden müsse. In der
vorinstanzlichen Vernehmlassung hat sie diesbezüglich ausgeführt, dass
Art. 17 Abs. 4 ELV bezwecke, das selbstbewohnte Liegenschaftsvermögen
gegenüber andern Vermögensarten zu bevorzugen. Dieser Zweck könne indessen
nicht mehr erreicht werden, wenn ein Grundeigentümer seine Liegenschaft
verschenke. Diesfalls benötige er die Bevorteilung durch Art. 17 Abs. 4 ELV
nicht mehr; L. sei daher gleich zu behandeln, wie wenn er die Liegenschaft
zum Marktpreis verkauft hätte.

    b) Die Sozialversicherungsanstalt übersieht, dass die Verordnung über
die EL bei der Vermögensbewertung nicht danach unterscheidet, ob Vermögen
tatsächlich noch vorhanden ist oder ob es an Dritte abgetreten worden ist
(beispielsweise durch normalen Verkauf oder durch Schenkung). Vielmehr
ist Art. 17 ELV praxisgemäss in beiden Fällen anwendbar (vgl. BGE 120
V 184 Erw. 4b, 113 V 192 Erw. 4c/aa). Demzufolge beantwortet sich die
Frage der Anwendbarkeit von Abs. 1 oder 4 danach, ob die Liegenschaft
im Zeitpunkt der Handänderung dem Bezüger zu eigenen Wohnzwecken diente
oder nicht. Der Begriff "eigen" in Art. 17 Abs. 4 ELV kann daher nicht im
Sinne von "Eigentum" am Grundstück verstanden werden. Vielmehr bezieht
er sich - als attributives Adjektiv - auf das Nomen "Wohnzweck" und kann
nur bedeuten, dass der Bezüger (oder eine andere in die EL-Berechnung
eingeschlossene Person) die Liegenschaft selber bewohnt (nichts anderes
folgt aus der französischen und der italienischen Fassung der fraglichen
Bestimmung). Demzufolge gelangt Art. 17 Abs. 4 ELV nur zur Anwendung, wenn
die dem Bezüger gehörende Liegenschaft nicht von ihm selber (oder einer
im Rahmen der EL-Berechnung mitzuberücksichtigenden Person) bewohnt wird
(BGE 120 V 185 Erw. 4c). Es ist daher an der seitherigen Rechtsprechung
festzuhalten, dies jedenfalls so lange, als der Verordnungsgeber keine
besondere Regel über die Bewertung des der Verminderung nach Art. 17a
ELV unterliegenden Verzichtsvermögens, insbesondere von Liegenschaften,
erlässt.

    c) L. bewohnte die fragliche Liegenschaft mit seiner Frau
seit Jahrzehnten, ab 1. November 1991 aufgrund der eingeräumten
Nutzniessung. Demzufolge besteht kein Anlass dazu, die Liegenschaft nicht
gemäss allgemeiner Regel von Art. 17 Abs. 1 ELV aufgrund des kantonalen
Steuerwertes zu bewerten. Dafür spricht auch folgende Überlegung: Hätte
L. die Liegenschaft nicht verschenkt und wäre er demzufolge nach wie
vor Eigentümer gewesen, so wäre klar, dass Art. 17 Abs. 1 ELV anwendbar
wäre. Der Umstand, dass er nach der Abtretung nicht mehr Eigentümer war,
ändert daran nichts; denn wie erwähnt gibt Art. 17 ELV keine Grundlage
dafür her, (evtl. durch Schenkung) abgetretenes Vermögen anders zu
behandeln als noch vorhandenes Vermögen.

    Unbestrittenermassen belief sich der kantonale Steuerwert der
Liegenschaft im Zeitpunkt der Handänderung auf Fr. 145'000.--. Dies ist
der Wert der Leistung von L.

Erwägung 4

    4.- Somit fragt sich, wie hoch die Gegenleistung des Sohnes
einzustufen ist. Da die Liegenschaft pfandfrei ist, stellt die Einräumung
der lebenslänglichen und unentgeltlichen Nutzniessung die einzige
Gegenleistung dar.

    a) Praxisgemäss ist für die wertmässige Ermittlung der Gegenleistung
vom Mietwert der Liegenschaft im Zeitpunkt der Handänderung resp. der
Einräumung der Nutzniessung auszugehen; dieser Mietwert ist alsdann
zu kapitalisieren (BGE 120 V 186 Erw. 4e). Ist - wie gesagt - für die
Bewertung der Leistung der kantonale Steuerwert massgebend, so ist
folgerichtig auch beim Mietwert der kantonalsteuerrechtliche Ansatz
heranzuziehen (wie dies auch aus Art. 12 Abs. 1 ELV hervorgeht). Dieser
machte gemäss amtlicher Schätzung vom 3. Oktober 1991 im Zeitpunkt der
Handänderung Fr. 10'920.-- aus.

    b) Anders als noch in ZAK 1988 S. 195 Erw. 4c/bb dargelegt - und
auch im Gegensatz zu dem von der Vorinstanz als zutreffend bezeichneten
Vorgehen der Sozialversicherungsanstalt -, ist dieser Mietwert aber
nicht nach STAUFFER/SCHAETZLE zu kapitalisieren, sondern gemäss neuerer
und seither konstanter Rechtsprechung (BGE 120 V 186 Erw. 4e; ferner
RUMO-JUNGO, Kommentar zum ELG, S. 44) nach den Kapitalisierungstabellen
der Eidg. Steuerverwaltung. Steht die Nutzniessung beiden Ehegatten zu,
so ist der höhere der beiden Werte massgebend, die sich bei Anwendung des
für den Mann und des für die Frau massgebenden Umrechnungsfaktors ergeben
(unveröffentlichtes Urteil F. vom 28. Juli 1993).

    Im Zeitpunkt der Handänderung war L. 82, seine Ehefrau 76 Jahre
alt. Gemäss der seit 1991 gültigen und hier anwendbaren Tabelle (AHI 1994
S. 17) ergibt sich für L. ein Kapitalisierungsfaktor von 7,97 (1000/125.42)
und für die Ehefrau von 11,92 (1000/83.84). Der kapitalisierte Wert der
Nutzniessung beträgt für L. somit Fr. 87'033.-- (Fr. 10'920.-- x 7,97)
und für seine Frau Fr. 130'167.-- (Fr. 10'920.-- x 11,92). Der massgebende
Wert der Gegenleistung beläuft sich damit auf Fr. 130'167.--.

Erwägung 5

    5.- a) Die Vorinstanz qualifiziert eine Gegenleistung von 73%
des Wertes der Leistung "ermessensweise noch als adäquat". Dem hält
die Sozialversicherungsanstalt entgegen, ein Ermessensspielraum sei
nur dort gegeben, wo sich der Wert von Leistung und Gegenleistung
nicht auf den Franken genau feststellen lasse. Bei einer Liegenschaft
resp. bei einer Nutzniessung sei das Gegenteil der Fall. Demnach ist
die Sozialversicherungsanstalt der Auffassung, dass bei jeder Differenz
zwischen Leistung und (niedriger) Gegenleistung ein Verzicht vorliege. Das
BSV seinerseits spricht sich für einen gewissen Spielraum aus, wenn es
ausführt, die Gegenleistung müsse mindestens 90% der Leistung ausmachen,
um als angemessen beurteilt werden zu können.

    b) Nach den vorstehenden Berechnungen macht die Gegenleistung
des Erwerbers mit Fr. 130'167.-- 89,7% (oder aufgerundet 90%) der
Leistung des Veräusserers von Fr. 145'000.-- aus. Sie kann mit dem BSV
als angemessen bezeichnet werden. Wenn die Praxis ein "angemessenes"
Verhältnis verlangt, damit der EL-Bezüger oder -Ansprecher dem Vorwurf des
Verzichts entgeht, so ist damit kein frankenmässig genaues Aufrechnen
von Leistung und Gegenleistung gemeint. Im übrigen verkennt die
Sozialversicherungsanstalt, dass auch die Schätzung einer Liegenschaft
und die Nutzniessungskapitalisierung (welche von dem vom Schätzungswert
abhängigen Mietwert auszugehen hat) mit gewissen Ungenauigkeiten verbunden
ist. Zwar lassen sich Ergebnisse "auf den Franken genau" ermitteln.
Bezüglich Angemessenheit oder Unangemessenheit des Verhältnisses zwischen
Leistung und Gegenleistung lässt sich aus solchen (schein)genauen Zahlen
aber nichts ableiten. Aus diesem Grunde ist eine Gegenleistung noch als
angemessen zu betrachten, wenn sie sich in einer Bandbreite von rund 10%
zur Leistung bewegt.

    Ist nach dem Gesagten in casu ein Verzicht zu verneinen, so
entfällt praxisgemäss die Anrechnung eines Verzichtsvermögens, ebenso
die Berücksichtigung eines darauf entfallenden hypothetischen Ertrages
und eines hypothetischen Verzehrs.

Erwägung 6

    6.- Es verbleibt aber noch zu prüfen, wie bei der Berechnung der
laufenden EL die Nutzniessung zu berücksichtigen ist, die sich L. mit
der Abtretung der Liegenschaft hatte einräumen lassen.

    a) Nutzniessung ist das inhaltlich umfassende (dingliche) Nutzungs-
und Gebrauchsrecht an einem fremden Vermögensobjekt. Der Nutzniesser hat
dabei den vollen Genuss an der fremden Sache. Er wird aber nicht deren
Eigentümer, weil er sie zwar gebrauchen und geniessen, nicht aber rechtlich
oder tatsächlich darüber verfügen darf (Art. 745 ff. ZGB; ZAK 1989 S. 473
ff.; TUOR/SCHNYDER/SCHMID, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 11. Aufl.,
Zürich 1995, S. 787 ff.). Daher kann grundsätzlich ein Vermögenswert, an
dem Nutzniessung besteht, dem Nutzniesser nicht als Vermögen angerechnet
werden (vgl. ZAK 1989 S. 474 unter Hinweis auf Rz. 2108 der Wegleitung
über die EL zur AHV und IV [WEL] sowie auf BGE 110 V 21 Erw. 3 und
ZAK 1988 S. 255 Erw. 2b). Ebensowenig kann ein solcher Vermögenswert
beim Eigentümer als Vermögen berücksichtigt werden (Rz. 2108 WEL), weil
andernfalls auf dem Umweg über den Vermögensverzehr Einkommen angerechnet
würde, das dem Eigentümer angesichts der dem Nutzniesser zustehenden Rechte
gar nicht zufliessen kann. Indessen beinhaltet die Nutzniessung für den
Nutzniesser einen wirtschaftlichen Wert, indem er eine Leistung erhält,
die er sich ohne Nutzniessung mit andern Mitteln erkaufen müsste. Aus
diesem Grunde ist der Ertrag der Nutzniessung bei der EL-Berechnung als
Einkommen anzurechnen. Bei Nutzniessung an einer Liegenschaft ist deren
Mietwert (nach den Grundsätzen der direkten kantonalen Steuer; Art.
12 ELV) als Einkommen zu erfassen.

    b) Die Vorinstanz ist nun allerdings der Auffassung, dass nebst dem
Mietwert der genutzten Liegenschaft auch der kapitalisierte Wert der
Nutzniessung als Vermögen anzurechnen sei, "obwohl Nutzniessungsvermögen
sonst grundsätzlich in der EL-Bemessung nicht als Vermögen anrechenbar
ist". Dabei verweist sie auf Rz. 2108 WEL. Danach werden Vermögenswerte, an
denen eine Nutzniessung besteht, weder dem Eigentümer noch dem Nutzniesser
angerechnet; "vorbehalten bleiben Verzichte". Die beschwerdeführende
Sozialversicherungsanstalt erblickt in der Argumentation der Vorinstanz
zunächst einen Widerspruch: Denn wenn diese einen Verzicht verneine, gehe
es nicht an, unter Berufung auf Rz. 2108 WEL Vermögen anzurechnen. Sodann
wendet die Sozialversicherungsanstalt ein, dass es gar keine gesetzliche
Grundlage dafür gebe, den kapitalisierten Wert der Nutzniessung als
Vermögen anzurechnen.

    Die Auffassung der Sozialversicherungsanstalt ist zutreffend. Der
Nutzniesser darf - wie erwähnt - über das Nutzniessungsvermögen
weder rechtlich noch tatsächlich verfügen. Und weil es nur "eine Art
theoretisches Vermögen" darstellt, kann auch über den kapitalisierten Wert
der Nutzniessung nicht verfügt werden. Das BSV hält daher zutreffend fest,
dass der Kapitalwert einer Nutzniessung gar nicht dem EL-rechtlichen
Vermögensbegriff entspricht. Daher entfällt eine Anrechnung als
Vermögen sowohl nach lit. b als auch nach lit. f von Art. 3 Abs. 1
ELG. Denn auch als Verzichtsvermögen kann nur berücksichtigt werden,
was dem Vermögensbegriff entspricht. Die Anrechnung des Kapitalwerts
der Nutzniessung kommt daher unabhängig davon nicht in Frage, ob der
EL-Bezüger nun beispielsweise auf dem Wege des alten Erbrechts (vor
1988) zur Nutzniessung gekommen ist oder ob er sich die Nutzniessung
im Rahmen einer Abtretung der Liegenschaft als adäquate oder als blosse
Teil-Gegenleistung hat einräumen lassen. Daher könnte im vorliegenden Fall
der Kapitalwert der Nutzniessung selbst dann nicht angerechnet werden,
wenn ein (Teil-)Verzicht auf Vermögen anzunehmen wäre.

    Festzuhalten ist somit, dass es entgegen der Vorinstanz nicht zulässig
ist, den kapitalisierten Wert der Nutzniessung als Vermögen anzurechnen.
Folgerichtig ist damit - auf der Basis der bisherigen Praxis - bloss
der jährliche Wert der Nutzniessung als Einkommen in die EL-Rechnung
aufzunehmen, und zwar der auf dem jeweils aktuellen Liegenschaftswert
berechnete Mietwert nach Art. 12 ELV (unveröffentlichtes Urteil W. vom
23. März 1992).

Erwägung 7

    7.- a) Nach Auffassung der Sozialversicherungsanstalt und des BSV hatte
L. mit der Abtretung der Liegenschaft nicht bloss auf das Eigentum daran,
"sondern auch darauf verzichtet, sich den Lebensunterhalt zusätzlich durch
einen Vermögensverzehr zu finanzieren". Beide vertreten die Meinung, dass
der Einkommensbestandteil des Vermögensverzehrs EL-rechtlich zu erfassen
sei, wenn zufolge Einräumung einer Nutzniessung oder eines Wohnrechts
als Gegenleistung Vermögen aus der EL-Rechnung wegfalle. Während die
Sozialversicherungsanstalt die Lösung darin erblickt, dass der aktuelle
Vermögensverzehr (1/10 [vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. b ELG] des Handelswertes)
kapitalisiert und zum Wert der Liegenschaft hinzugerechnet werde,
schlägt das BSV vor, die Einräumung der Nutzniessung als Gegenleistung
ohne Vermögenswert zu betrachten und somit den Wert der Liegenschaft in
vollem Umfange (allenfalls um die vom Erwerber übernommenen Hypotheken
vermindert) als Verzichtsvermögen anzurechnen.

    b) Die Rechtsprechung ist bisher bei der Ermittlung der Leistung immer
bloss vom nach Art. 17 ELV massgeblichen Steuerwert einer Liegenschaft
ausgegangen und hat auf der Gegenseite die Übernahme von Hypotheken und
die Einräumung von Wohnrechten oder Nutzniessungen als Gegenleistung
berücksichtigt (BGE 113 V 190; ZAK 1977 S. 235 Erw. 3b, 1967 S. 560;
unveröffentlichte Urteile F. vom 28. Juli 1993, S. vom 15. Juli 1993,
W. vom 23. März 1992, und G. vom 17. August 1989). Hingegen hat sie noch
nie darin eine Verzichtshandlung gesehen, wenn mit der Einräumung einer
Nutzniessung oder eines Wohnrechts der dieser Gegenleistung entsprechende
Vermögensverzehr aus der EL-Rechnung wegfällt.

    Es besteht keine Veranlassung, die bisherige Rechtsprechung zu
ändern und künftig auch in den umschriebenen Fällen einen Verzicht
im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG anzunehmen. Abgesehen davon,
dass sie auf eine Kapitalisierung von Verzichtseinkommen und dessen
Anrechnung als Verzichtsvermögen hinausliefe (die Frage eines solchen
Vorgehens ist im Falle des Verzichts auf Unterhaltsbeiträge offengelassen
worden; unveröffentlichtes Urteil B. vom 20. März 1995), kommt die
Lösung der Sozialversicherungsanstalt deshalb nicht in Betracht,
weil die Bewertung der Leistung klarerweise in Abweichung vom nach
Art. 17 ELV massgeblichen Steuerwert zu erfolgen hätte und zu einem
schlechthin unrealistischen Liegenschaftswert führen würde, indem bei
einem kantonalen Steuerwert von Fr. 145'000.-- von einem Gesamtwert
der Liegenschaft von Fr. 389'675.-- auszugehen wäre, d.h. von einem
weit höheren Wert, als wenn die Liegenschaft überhaupt nicht abgetreten
worden wäre. Gegen den Vorschlag des BSV spricht anderseits, dass der
Liegenschaftswert nach Art. 17 ELV durch Einräumung einer Nutzniessung
oder eines Wohnrechts nach Massgabe des Alters der berechtigten Personen
eben doch mehr oder weniger erheblich vermindert wird und dass insofern
eine wirtschaftlich relevante Gegenleistung des Erwerbers vorliegt,
die im Rahmen der Beurteilung eines Verzichts (Vergleich der Leistung
mit der Gegenleistung) nicht ausser acht gelassen werden kann. Für die
Berücksichtigung eines geldwerten Ausgleichs für den nach Einräumung der
Nutzniessung nicht mehr anrechenbaren Vermögensverzehr in die EL-Berechnung
fehlt somit angesichts des geltenden Art. 17 ELV die rechtliche Grundlage.

Erwägung 8

    8.- Zusammenfassend ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass ein
adäquates Verhältnis zwischen der Leistung von L. und der Gegenleistung
in Form der Nutzniessung zu bejahen und demzufolge ein Vermögensverzicht
zu verneinen ist, dass der dem aktuellen Liegenschaftswert entsprechende
Mietwert der Liegenschaft als Einkommen anzurechnen ist, und dass -
was unbestritten ist - auf der Ausgabenseite nebst dem Mietzinsabzug ein
Abzug für die von L. zu tragenden Gebäudeunterhaltskosten (Art. 16 ELV)
zu gewähren ist.

    Die Sozialversicherungsanstalt wird daher im Sinne der Erwägungen
eine Neuberechnung der EL vorzunehmen haben.