Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 V 338



122 V 338

51. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 1996 i.S. B. gegen SOLIDA,
Unfallversicherung Schweizerischer Krankenkassen und Versicherungsgericht
des Kantons Zürich Regeste

    Art. 20 Abs. 2 UVG, Art. 31, 32 Abs. 5 und 33 Abs. 1 UVV. Bei
der Neufestsetzung der Komplementärrente wegen Änderung der für
Familienangehörige bestimmten Teile der AHV- oder IV-Renten sind
hinzutretende Zusatz- oder Kinderrenten der AHV/IV mit jenem Betrag
vom versicherten Verdienst in Abzug zu bringen, wie er zur Ausrichtung
gelangt wäre, wenn bereits beim erstmaligen Zusammentreffen der Leistungen
(d.h. bei Beginn des Anspruchs auf die Komplementärrente) Anspruch auf
die Zusatz- oder Kinderrente bestanden hätte.

Sachverhalt

    A.- B. leidet zufolge eines am 26. Juli 1986 erlittenen Unfalls an
bleibender Paraspastizität mit erheblicher Gehbehinderung an beiden
Beinen. Mit Verfügung vom 2. Oktober 1989 sprach ihr die Solida,
Unfallversicherung Schweizerischer Krankenkassen, ab 1. Oktober 1989
eine Komplementärrente gemäss Art. 20 Abs. 2 UVG zu, welche sie unter
Berücksichtigung eines versicherten Verdienstes von Fr. 24'989.-- und einer
Rente der Invalidenversicherung von monatlich Fr. 1'000.-- auf Fr. 874.--
im Monat festsetzte. Nachdem die Ausgleichskasse des Kantons Zürich der
Versicherten mit Wirkung ab 1. Februar 1992 zusätzlich zur Rente der
Invalidenversicherung eine einfache Kinderrente zugesprochen hatte, nahm
die Solida eine Neuberechnung der Komplementärrente vor und setzte diese
mit Verfügung vom 9. Oktober 1992 auf Fr. 74.-- ab 1. Oktober 1992 fest.

    Mit Einspracheentscheid vom 6. Januar 1993 bestätigte sie diese
Verfügung (...).

    B.- B. liess hiegegen Beschwerde einreichen mit den Anträgen, die
angefochtene Verfügung und der Einspracheentscheid seien aufzuheben und
"es sei die Komplementärrente und die Teuerungszulage nach gesetzlicher
Vorschrift zu berechnen" (...).

    Nach Erhalt des Urteils des Eidg. Versicherungsgerichts in Sachen
C. vom 25. August 1993 (BGE 119 V 484) hob das Versicherungsgericht
des Kantons Zürich die angeordnete Verfahrenssistierung auf und wies die
Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten wurde (Entscheid vom 15. März
1994).

    C.- B. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid
der Solida vom 6. Januar 1993 seien aufzuheben und es seien der
Beschwerdeführerin die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen.

    Während die Solida auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, enthält sich das Bundesamt für Sozialversicherung eines
Antrages.
   (...).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Hat der nach UVG rentenberechtigte Versicherte Anspruch
auf eine Rente der Invalidenversicherung (IV) oder der Alters- und
Hinterlassenenversicherung (AHV), so wird ihm eine Komplementärrente
gewährt; diese entspricht der Differenz zwischen 90% des versicherten
Verdienstes und der Rente der IV oder der AHV, höchstens aber dem für
Voll- oder Teilinvalidität vorgesehenen Betrag. Die Komplementärrente
wird beim erstmaligen Zusammentreffen der erwähnten Renten festgesetzt
und lediglich späteren Änderungen der für Familienangehörige bestimmten
Teile der Rente der IV oder der AHV angepasst (Art. 20 Abs. 2 UVG).

    Gestützt auf Art. 20 Abs. 3 UVG hat der Bundesrat nähere Vorschriften
zur Berechnung der Komplementärrenten erlassen. Nach Art. 31 UVV werden
bei der Berechnung der Komplementärrenten für Invalide auch die Zusatz-
und Kinderrenten der AHV/IV voll berücksichtigt. Art. 33 Abs. 1 UVV sieht
vor, dass die Komplementärrenten u.a. dann den veränderten Verhältnissen
angepasst werden, wenn für Familienangehörige bestimmte Teile der
AHV/IV-Renten dahinfallen oder neu hinzukommen, wobei die Umwandlung
einer einfachen Rente in eine Ehepaarrente oder einer Ehepaarrente in
eine einfache Rente ausser Betracht fällt (lit. a).

Erwägung 2

    2.- a) Die Beschwerdeführerin bezog ab 1. Oktober 1989 eine
Komplementärrente von Fr. 874.-- im Monat (Verfügung vom 2. Oktober
1989). Der Rentenberechnung lag ein versicherter Verdienst von
Fr. 24'989.-- zugrunde, welcher mit 90% (Fr. 22'490.--) in die Berechnung
einzubeziehen war. Davon kam die IV-Rente von monatlich Fr. 1'000.-- (somit
Fr. 12'000.--) in Abzug, was eine Komplementärrente von Fr. 10'490.--
im Jahr bzw. Fr. 874.-- im Monat ergab. Nach Entstehung des Anspruchs
auf eine einfache Kinderrente der IV in Höhe von Fr. 480.-- monatlich
hat die Solida die Komplementärrente ab 1. Oktober 1992 auf Fr. 474.--
im Monat festgesetzt, indem sie vom anrechenbaren versicherten Verdienst
von Fr. 22'490.-- IV-Renten von Fr. 17'760.-- (12 x Fr. 1'000.-- +
12 x Fr. 480.--) in Abzug brachte, was eine Jahresrente nach UVG von
Fr. 4'730.-- bzw. eine Monatsrente von Fr. 394.-- ergab, wozu eine
Teuerungszulage von 20,2% kam. Damit bezog die Beschwerdeführerin ab
1. Oktober 1992 Leistungen von insgesamt Fr. 2'154.-- (IV-Renten von
Fr. 1'680.-- und Komplementärrente von Fr. 474.--), wogegen sie unmittelbar
vor diesem Zeitpunkt Leistungen von Fr. 2'251.-- (IV-Rente von Fr. 1'200.--
und Komplementärrente von Fr. 1'051.--) bezogen hatte.

Erwägung 4

    4.- b) Bei der Neufestsetzung der Komplementärrente gemäss Art. 33
Abs. 1 lit. a UVV ist die Solida zu Recht vom versicherten Verdienst von
Fr. 24'989.-- (100%) ausgegangen, wie er der ursprünglichen Verfügung
vom 2. Oktober 1989 zugrunde lag. Sie hat hievon die IV-Rente in
der anlässlich der erstmaligen Festsetzung der Komplementärrente
ausgerichteten Höhe von Fr. 1'000.-- und die neu zur Ausrichtung
gelangende Kinderrente der IV von Fr. 480.-- im Monat in Abzug
gebracht. Dass sie die Invalidenrente nicht mit dem im Zeitpunkt der
Neufestsetzung der Komplementärrente gültigen (der Teuerung angepassten)
Betrag von Fr. 1'200.--, sondern im ursprünglichen Betrag von Fr.
1'000.-- eingesetzt hat, ist als zutreffend zu erachten. Für diese
Berechnungsweise spricht zunächst der Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 UVG,
wonach die Komplementärrente beim erstmaligen Zusammentreffen mit einer
Rente der AHV oder IV festgesetzt und lediglich späteren Änderungen der
für Familienangehörige bestimmten Rententeile "angepasst" wird. Daraus
ist zu schliessen, dass die Komplementärrente beim Hinzutritt oder
Wegfall von Zusatz- bzw. Kinderrenten der AHV/IV zwar neu festzusetzen
ist, jedoch auf den Berechnungsgrundlagen, wie sie beim erstmaligen
Zusammentreffen der UVG-Rente mit Renten der AHV oder IV bestanden haben,
von welcher Auffassung offenbar auch der Gesetzgeber ausgegangen ist (vgl.
Botschaft zum UVG vom 18. August 1976, Separatausgabe, S. 31 f. und die
dort aufgeführten Beispiele). Für diese Auffassung spricht des weitern der
Umstand, dass der versicherte Verdienst keiner Anpassung zugänglich ist
und damit in der beim erstmaligen Zusammentreffen der Renten massgebend
gewesenen Höhe in die Berechnung einzubeziehen ist, weshalb folgerichtig
auch die hievon in Abzug zu bringenden Renten der AHV oder IV auf dieser
zeitlichen Grundlage einzusetzen sind. Schliesslich kann auf Art. 32 Abs. 5
UVV hingewiesen werden, wonach Teuerungszulagen bei der Bemessung der
Komplementärrente nicht zu berücksichtigen sind. Auch wenn die rechtliche
Bedeutung dieser Bestimmung nicht ohne weiteres klar ist (vgl. BGE 119
V 491 Erw. 3c; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern
1985, S. 379 lit. ee; GHELEW/RAMELET/RITTER, Commentaire da la loi sur
l'assurance-accidents, Lausanne 1992, S. 110), geht daraus doch der Wille
des Verordnungsgebers hervor, der Festsetzung der Komplementärrente die
beim erstmaligen Zusammentreffen mit Renten der AHV oder IV massgebend
gewesenen Rentenbeträge zugrunde zu legen.

    Die für die Anwendbarkeit der ursprünglichen Berechnungsgrundlagen
massgebenden Überlegungen gelten in gleicher Weise für die neben
der Hauptrente der AHV oder IV zur Ausrichtung gelangenden Zusatz-
und Kinderrenten, unabhängig davon, ob der Anspruch hierauf schon bei
Entstehung des Anspruchs auf die Komplementärrente bestanden hat oder
erst nachträglich entstanden ist. Würde anders entschieden, so käme es zu
stossenden und mit der Rechtsgleichheit kaum zu vereinbarenden Ergebnissen,
indem Versicherten, welchen nachträglich eine Zusatz- bzw. Kinderrente
zugesprochen wird, eine niedrigere Komplementärrente ausgerichtet würde,
als Versicherten, welche - unter sonst gleichen Verhältnissen - bereits
beim erstmaligen Zusammentreffen der Leistungen neben der Hauptrente
eine Zusatz- oder Kinderrente beziehen. Bei nachträglichem Entstehen des
Anspruchs ist die Zusatz- oder Kinderrente der AHV/IV daher mit jenem
Betrag in die Berechnung der Komplementärrente einzusetzen, wie er zur
Ausrichtung gelangt wäre, wenn bereits beim erstmaligen Zusammentreffen
der Leistungen (d.h. bei Beginn des Anspruchs auf die Komplementärrente)
Anspruch auf eine solche Rente bestanden hätte. Dem steht nicht entgegen,
dass nach Art. 31 UVV Zusatz- und Kinderrenten der AHV/IV bei der
Berechnung der Komplementärrente voll zu berücksichtigen sind. Wie sich
aus Satz 2 der Bestimmung ergibt, wird damit lediglich gesagt, dass nicht
eine bloss anteilsmässige Anrechnung zu erfolgen hat (vgl. in diesem
Sinn auch BGE 121 V 142 Erw. 3a, 115 V 270 Erw. 2a, 281 Erw. 3a und 288
Erw. 3a). Um eine solche geht es jedoch nicht, wenn die Zusatz- oder
Kinderrente zwar nicht im effektiv zur Ausrichtung gelangenden, jedoch
im vollen Betrag angerechnet wird, wie er zur Ausrichtung gelangt wäre,
wenn bereits anlässlich der Entstehung des Anspruchs auf die Hauptrente
Anspruch auf eine Zusatz- oder Kinderrente bestanden hätte.

    c) Die der Beschwerdeführerin ab 1. Oktober 1992 zustehende
Komplementärrente ist somit in der Weise zu berechnen, dass vom
anrechenbaren versicherten Verdienst von Fr. 22'490.-- die IV-Rente von
Fr. 12'000.-- und die Kinderrente von Fr. 4'800.-- (40% der IV-Rente
gemäss Art. 38 Abs. 1 IVG) in Abzug zu bringen sind, was Fr. 5'690.-- und
unter Berücksichtigung der Teuerung von 20,2% eine Komplementärrente von
Fr. 6'839.-- im Jahr bzw. Fr. 570.-- im Monat ergibt. Mit der laufenden
IV-Rente von Fr. 14'400.--, der Kinderrente von Fr. 5'760.-- und der
Komplementärrente von Fr. 6'839.-- bezieht die Beschwerdeführerin ab
1. Oktober 1992 insgesamt somit praktisch gleichviel wie vor diesem
Zeitpunkt (vgl. oben Erw. 2a). Die Differenz von Fr. 10.-- jährlich ist
darauf zurückzuführen, dass der Teuerungsausgleich auf der Kinderrente
der IV um 0,2% niedriger ist als auf der Komplementärrente.

    Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die von der
Beschwerdeführerin geltend gemachte Besitzstandsgarantie näher
einzugehen. Immerhin sei festgestellt, dass sich eine solche Garantie
weder aus der Verfassung (insbesondere Art. 34quater Abs. 2 und Art. 34
quinquies BV) noch aus der EMRK (insbesondere Art. 8 und 12 EMRK) ableiten
lässt. Es bleibt auch kein Raum für eine EMRK-konforme Auslegung von
Art. 20 Abs. 2 UVG in dem von der Beschwerdeführerin beantragten Sinn, da
nicht gesagt werden kann, dass die Grundrechte auf Ehe und Familiengründung
durch die streitige gesetzliche Regelung ihres Gehalts enthoben werden
(vgl. BGE 120 V 4 Erw. 2a, 113 V 32 Erw. 4d; SVR 1994 AHV Nr. 12 S. 27).

Erwägung 5

    5.- Wie das Eidg. Versicherungsgericht bereits wiederholt festgestellt
hat, vermag die geltende Regelung zur Festsetzung und Anpassung der
Komplementärrenten nicht in allen Teilen zu befriedigen (BGE 119 V 493
Erw. 4b i.f. mit Hinweis). So verhält es sich auch in bezug auf die hier
streitige Neufestsetzung von Komplementärrenten bei Änderungen der für
Familienangehörige bestimmten Teile der AHV- oder IV-Renten. Entgegen
der angefochtenen Verfügung schliesst die gesetzliche Regelung zwar
aus, dass bei Hinzutritt einer Zusatz- oder Kinderrente der AHV/IV die
Gesamtleistung der AHV/IV und der obligatorischen Unfallversicherung
geringer ausfällt als vor der Entstehung des Anspruchs auf die Zusatz-
oder Kinderrente. Sie führt jedoch dazu, dass grundsätzlich unabhängig
davon, ob im Rahmen der AHV oder IV anspruchsberechtigte Kinder hinzukommen
oder wegfallen, praktisch stets die gleiche Gesamtleistung zur Ausrichtung
gelangt, solange die Leistungen der AHV oder IV den nach UVG versicherten
Verdienst nicht übersteigen, was im Hinblick auf die Zweckbestimmung der
Zusatz- und Kinderrenten als unbefriedigend erscheint. Angesichts des
dem Bundesrat zustehenden weiten Ermessensspielraums (vgl. BGE 121 V 146
f. Erw. 5b) ist es indessen nicht Sache des Eidg. Versicherungsgerichts,
sondern allenfalls des Gesetz- oder Verordnungsgebers, hier eine andere
Regelung zu treffen.