Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 V 278



122 V 278

41. Auszug aus dem Urteil vom 12. Juli 1996 i.S. I., vertreten durch
den Schweizerischen Invaliden-Verband, gegen Ausgleichskasse des Kantons
Solothurn und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Regeste

    Art. 135, Art. 159 Abs. 1 und 2 OG, Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG,
Art. 69 IVG. Obsiegt ein durch den Schweizerischen Invaliden-Verband
vertretener Beschwerdeführer, hat er Anspruch auf Parteientschädigung
(Änderung der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Nach Art. 159 Abs. 2 OG wird die unterliegende Partei in
der Regel verpflichtet, der obsiegenden alle durch den Rechtsstreit
verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.

    b) Dem durch den Schweizerischen Invaliden-Verband (SIV) vertretenen
Beschwerdeführer steht nach bisheriger Praxis kein Anspruch auf eine
Parteientschädigung zu (BGE 108 V 271 Erw. 2; ZAK 1991 S. 419). Das Eidg.
Versicherungsgericht begründete dies im wesentlichen damit, die Anwälte
des SIV seien beim Verband angestellt, würden von diesem entschädigt
und verträten ihre Klienten im Sozialversicherungsprozess kostenlos. Der
Aufwand des SIV werde durch die Beiträge seiner Mitglieder bestritten, die
unabhängig von einer allfälligen Inanspruchnahme der Anwälte zu entrichten
seien. Dem einzelnen Mitglied erwüchsen infolge der Rechtsvertretung
somit keine Auslagen, weshalb es sich nicht rechtfertige, ihm im Falle
eines Obsiegens eine Parteientschädigung zuzusprechen.

    c) Diese Praxis ist nicht unwidersprochen geblieben. Namentlich SCHAER
(Die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts in den Jahren 1990 und
1991, in ZBJV 1992 S. 725) wandte sich hiegegen und wies darauf hin, der
SIV müsse in Zukunft bloss noch Mandatsverhältnisse mit seinen Anwälten
eingehen. Diesfalls werde sich Unentgeltlichkeit kaum mehr behaupten
lassen. Auch bei einer Rechtsschutzversicherung würden unabhängig von
einer Inanspruchnahme Beiträge entrichtet, aber nur bei Eintritt des
befürchteten Ereignisses Leistungen erbracht. Auch hier seien es häufig
Anwälte, die in einem besonderen obligationenrechtlichen Verhältnis zum
Rechtsschutzversicherer ständen, welche die Fälle erledigten. WEBER wies in
SVZ 1993 S. 2 ff. u. 17 ferner darauf hin, soweit die Rechtsschutzgarantie
durch Mitgliederbeiträge erworben werde, könne von Unentgeltlichkeit
ohnehin keine Rede sein. Analog zur "Vorteilsanrechnungslehre" des
Haftpflichtrechts, wonach unentgeltliche Zuwendungen Dritter nicht
anzurechnen seien, wenn der Geschädigte und nicht der Haftpflichtige
begünstigt werden solle, müsse einer obsiegenden Partei auch bei Bestehen
einer Rechtsschutzversicherung eine Prozessentschädigung zugesprochen
werden.

    d) In BGE 117 Ia 296 Erw. 3 hielt das Bundesgericht fest, es verstehe
sich von selbst, dass jeder Versicherte nur sein eigenes Kostenrisiko und
nicht auch dasjenige der Gegenpartei durch die Rechtsschutzversicherung
abdecken lasse. Es verhalte sich damit nicht anders, als wenn einer Partei
das Kostenrisiko durch eine Haftpflichtversicherung, eine Gewerkschaft,
eine andere Vereinigung oder eine Drittperson abgenommen werde. Einem
Prinzip des Zivilprozesses entsprechend habe grundsätzlich jede Partei
die andere nach Massgabe ihres Unterliegens zu entschädigen. Dass
der obsiegenden Partei ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt
worden sei, befreie die Gegenpartei nicht von der Leistung einer
Prozessentschädigung. Entsprechendes habe für den Fall zu gelten, da
die obsiegende Partei eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen und
Prämien bezahlt habe. Es bestehe keine Grundlage für die Verweigerung
einer Prozessentschädigung an eine Partei allein deswegen, weil sie für
Rechtsschutz versichert sei, was willkürlich sei.

    e) Die geltende Praxis des Eidg. Versicherungsgerichts bedarf der
Überprüfung.

    aa) Nach der bisherigen Rechtsprechung wurde der obsiegenden, vom SIV
vertretenen Partei keine Parteientschädigung zugesprochen. Dies führte im
Ergebnis dazu, dass die unterliegende Gegenpartei, zu deren Lasten die
Entschädigung ausgesprochen worden wäre, davon profitieren konnte, dass
ihr Prozessgegner zufälligerweise vom nicht als entschädigungsberechtigt
geltenden SIV vertreten war. Dass der SIV für seine Mitglieder - von deren
Beiträgen abgesehen - kostenlos Rechtsvertretungen übernahm, kam damit auch
den unterliegenden Prozessgegnern zugute. Hätte die obsiegende Partei statt
des SIV einen freiberuflich tätigen Anwalt gewählt, wäre die Gegenpartei
nicht in den zufälligen Genuss der Parteikostenfreiheit gelangt. Ein
solches Resultat vermag nicht zu befriedigen. Wer einen Prozess verliert,
hat deshalb grundsätzlich nach Massgabe seines Unterliegens die Gegenpartei
zu entschädigen, und zwar unabhängig davon, ob dieser aufgrund externer
Vereinbarungen mit Dritten an sich keine eigenen Kosten erwachsen
wären. Insofern ist die Situation vergleichbar mit derjenigen, da die
obsiegende Partei eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat oder
unter Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung prozessiert. In beiden
Fällen bleibt die unterliegende Partei entschädigungspflichtig, da sich
die Rechtsschutzversicherung bzw. die unentgeltliche Prozessführung auf
die eigenen Kosten beschränkt. Gleiches hat zu gelten, wenn eine Partei vom
SIV vertreten wird. Die geltende Praxis ist deshalb dahingehend zu ändern,
dass auch dem durch den SIV vertretenen, obsiegenden Beschwerdeführer
eine Parteientschädigung zuzusprechen ist. Aus diesen Gründen kann an
ZAK 1991 S. 419 nicht festgehalten werden.

    bb) Ob diese Praxisänderung bezüglich des SIV in gleicher Weise auf
die Vertretung durch andere Organisationen anzuwenden ist, die ebenfalls
eine qualifizierte Rechtsvertretung anbieten, kann in diesem Verfahren
offen gelassen werden.