Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 V 267



122 V 267

39. Auszug aus dem Urteil vom 2. Juli 1996 i.S. G. gegen Kantonale
Arbeitslosenkasse Schwyz und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz Regeste

    Art. 30 Abs. 1 lit. c AVIG, Art. 320 und 328b OR. Zur Tragweite des
Persönlichkeitsschutzes eines Stellenbewerbers. In casu Verneinung eines
arbeitslosenversicherungsrechtlichen Einstellungstatbestandes bei einer
Bewerberin, die sich weigerte, einen ihre geschützte Persönlichkeitssphäre
teilweise missachtenden Fragebogen auszufüllen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin hat es abgelehnt, vorgängig an ein
Bewerbungsgespräch einen Fragebogen auszufüllen, worin sie aufgefordert
wurde, die ihres Erachtens die geschützte Privatsphäre tangierenden
Auskünfte zu geben. Anschliessend kam das Bewerbungsgespräch nicht zustande
und die Stelle wurde anderweitig vergeben. Streitig und zu prüfen ist,
ob in diesem Verhalten eine im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. c AVIG
arbeitslosenversicherungsrechtlich zu sanktionierende Pflichtwidrigkeit
zu sehen ist.

Erwägung 3

    3.- a) Dem Zustandekommen eines Arbeitsvertrages geht in der Regel ein
Vorstellungsgespräch voraus, welches in erster Linie dazu dienen soll,
den potentiellen Vertragsparteien Aufschluss über die die verschiedenen
Aspekte des zukünftigen Arbeitsverhältnisses betreffenden tatsächlichen
Gegebenheiten zu vermitteln. Der Arbeitgeber möchte in die Lage versetzt
werden, zu entscheiden, ob er einen Bewerber für die vorgesehene
Arbeit anstellen will; umgekehrt soll dieser entscheiden können, ob er
die angebotene Arbeitsstelle annehmen will. Beiden Parteien erwachsen
mithin bestimmte Informationsbedürfnisse (PELLEGRINI, Die Anfechtung des
Arbeitsvertrages wegen Willensmängeln, Diss. Zürich 1983, S. 102 f.). Auf
Seiten des Arbeitgebers wird diesem Informationsbedürfnis dadurch Rechnung
getragen, dass er grundsätzlich berechtigt ist, Auskünfte Dritter über
den Bewerber einzuholen, und dass diesen die Pflicht trifft, die für
die Bewerberauswahl erforderlichen und geforderten persönlichen Angaben
wahrheitsgetreu zu machen. Dabei hat der Bewerber die vom Arbeitgeber
gestellten Fragen zu beantworten (Auskunftspflicht) und ihm von sich aus
gewisse Angaben zu machen (Mitteilungspflicht [REHBINDER, Berner Kommentar,
1985, N. 4 und 10 zu Art. 320 OR]).

    b) Das Fragerecht des Arbeitgebers ist jedoch begrenzt. Nach
STREIFF/VON KAENEL hat der Bewerber über alles Auskunft zu geben,
was sich auf die Anstellung und seine spezielle Eignung dafür bezieht
(Arbeitsvertrag, 5. Aufl. Zürich 1992, N. 10 zu Art. 320 OR). Gemäss
REHBINDER braucht ein Bewerber Fragen, die nicht mit dem Arbeitsplatz
oder der zu leistenden Arbeit zusammenhängen, nicht zu beantworten;
sie dürften, da sie Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre darstellten,
unrichtig beantwortet werden (Schweizerisches Arbeitsrecht, 12. Aufl. Bern
1995, S. 39). Auch für JANUTIN stellen Fragen, die nicht in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz und der zu leistenden Arbeit stehen,
einen unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre dar (Gesundheit
im Arbeitsrecht, Diss. Zürich 1991, S. 139). Indessen geniesst der
Persönlichkeitsbereich des Bewerbers nach einheitlicher Lehre keinen
umfassenden Schutz. Der Arbeitgeber kann durchaus ein berechtigtes
Interesse an Informationen aus diesem Bereich haben, wobei auch hier
ein direkter Bezug zwischen der Frage und der beruflichen Eignung und
Verfügbarkeit vorausgesetzt werden muss (STREIFF/VON KAENEL, aaO). Dies
ergibt sich auch aus dem seit 1. Juli 1993 in Kraft getretenen Art. 328b
OR, welcher dem Arbeitgeber die Bearbeitung von Daten über den Arbeitnehmer
nur soweit erlaubt, als sie dessen Eignung für das Arbeitsverhältnis
betreffen oder für die Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich
sind, und welcher im übrigen die Bestimmungen des Bundesgesetzes
vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz für anwendbar erklärt (vgl.
BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Commentaire du contrat de travail, 2e éd. mise à
jour, Lausanne 1996, N. 6-8 zu Art. 320 OR in Verbindung mit N. 3 und 4
zu Art. 328b OR; vgl. BGE 120 II 118 ff.). Es ist deshalb im konkreten
Einzelfall unter Würdigung der besonderen Umstände zu entscheiden, ob der
Persönlichkeitsschutz des Bewerbers dem Interesse des Arbeitgebers vorgehen
soll oder nicht (PELLEGRINI, aaO, S. 109 f.; REHBINDER, Rechtsfragen der
Bewerbung, Wirtschaft und Recht 1983 S. 60; REHBINDER, Schweizerisches
Arbeitsrecht, aaO, S. 39; REHBINDER, Berner Kommentar, aaO, N. 35 zu
Art. 320 OR).

Erwägung 4

    4.- a) Die Beschwerdeführerin hat sich für eine Telefonistinnenstelle
bei der Telefonmarketingfirma Y beworben. Bei einer solchen Firma handelt
es sich nicht um einen sogenannten Tendenzbetrieb (wie Unternehmen, die
sich besonderen geistig-ideellen Zielen verschrieben haben [REHBINDER,
Schweizerisches Arbeitsrecht, aaO, S. 40]); sodann bekleidet eine
Telefonistin darin keine besondere Vertrauensstellung. Demnach kann der
Arbeitgeber kein überdurchschnittliches Interesse an Auskünften, die den
Privatbereich der Beschwerdeführerin betreffen, geltend machen. Unter
diesem Gesichtspunkt ist der Fragebogen, den die Beschwerdeführerin vor
Antritt des Vorstellungsgesprächs vollständig hätte ausfüllen sollen,
soweit er beanstandet wird, zu würdigen.

    b) Der erste Teil, überschrieben mit "Personalblatt für Bewerber",
enthält nebst eindeutig zulässigen Fragen zur Person, solche, die im
Schrifttum kontrovers bewertet werden, wie etwa diejenigen nach der
Konfession (PELLEGRINI, aaO, S. 115 f.; REHBINDER, Berner Kommentar, aaO,
N. 36 zu Art. 320 OR) oder nach hängigen Strafverfahren (STREIFF/VON
KAENEL, aaO; REHBINDER, Berner Kommentar, aaO, N. 36 zu Art. 320
OR). Wie es sich damit verhält, kann indessen offenbleiben, da die
Beschwerdeführerin diese Fragen nicht beanstandet hat. Dass die Frage nach
dem Bestehen einer Schwangerschaft zulässig ist, wird nach den zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz nicht mehr bestritten, weshalb es auch hiezu
keiner weiteren Äusserung bedarf (vgl. aber die differenziertere Auffassung
von BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, aaO, N. 8 zu Art. 320 OR). Anders verhält
es sich mit Erkundigungen im zweiten Teil, welcher mit "Biographischer
Fragebogen" betitelt ist. Er enthält nicht bloss Fragen zu arbeits-
oder arbeitsplatzspezifischen Sachverhalten, sondern es geht hier ganz
eindeutig um persönlichkeitskennzeichnende Merkmale wie Freizeitverhalten
und sonstiges Privatleben, die im Hinblick auf die fragliche Stelle
ohne Belang sind. Solche Fragen, insbesondere etwa diejenige nach dem
Umgang mit inneren Problemen, welche die Beschwerdeführerin ausdrücklich
rügt, verletzen nach dem Gesagten klarerweise die im vorliegenden Fall
schützenswerte Privatsphäre und sind daher unzulässig.

    c) Es ist deshalb durchaus verständlich, dass die Beschwerdeführerin
das Ausfüllen des Fragebogens ablehnte. Jedenfalls kann darin kein
arbeitslosenversicherungsrechtlich relevantes Fehlverhalten im Sinne
von Art. 30 Abs. 1 lit. c AVIG erblickt werden; ebensowenig im übrigen
wie darin, dass sie sich nicht mit dem sogenannten Notwehrrecht der Lüge
(REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, aaO, S. 39) beholfen hat. Aus
diesen Gründen ist eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung nicht
gerechtfertigt.