Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 V 212



122 V 212

31. Auszug aus dem Urteil vom 10. Juni 1996 i.S. IV-Stelle des Kantons
Zürich gegen S. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Art. 21 Abs. 1 IVG, Art. 2 Abs. 2 HVI, Art. 7 und 8 HVI, Ziff. 10
Ingress und 10.04* HVI Anhang.

    - Erwerbstätigkeit und Tätigkeit im Aufgabenbereich im Sinne von
Art. 27 Abs. 2 IVV sind hinsichtlich der Abgabe von Motorfahrzeugen
und Invalidenfahrzeugen gemäss Ziff. 10.01*-10.04* HVI Anhang,
allenfalls in Form von Amortisations- und Reparaturkostenbeiträgen,
einander gleichgestellt (vgl. BGE 116 V 322; ferner BGE 117 V 273
Erw. 2b/bb). Die Tätigkeit im Aufgabenbereich muss unter dem Gesichtspunkt
der Eingliederungswirksamkeit von existentieller Bedeutung sein.

    - In casu Voraussetzungen für die Gewährung von Amortisations- und
Reparaturkostenbeiträgen an den selbst angeschafften Personenwagen bei
einer haushaltführenden verheirateten Versicherten mit einem Kleinkind
verneint.

Sachverhalt

    A.- Die 1961 geborene S., verheiratet und seit 6. September 1992
Mutter eines Sohnes, ist seit ihrer Jugendzeit gehbehindert (Status
nach Meningitis mit Beinparese rechts). Sie bezog deswegen von der
Invalidenversicherung Leistungen, unter anderem seit 17. Dezember 1982
Amortisations- und Reparaturkostenbeiträge an ihren Personenwagen.

    Im Rahmen der periodischen Anspruchsüberprüfung gab S. auf Anfrage
vom 7. Juli 1993 an, sie habe ihre Stelle bei der Schweizerischen
Bankgesellschaft zufolge strukturell bedingter Entlassung auf Ende Mai
1993 verloren und sei seither nicht mehr erwerbstätig (Schreiben vom
19. Juli 1993). In der Folge lehnte die Ausgleichskasse des Kantons
Zürich die Übernahme von Amortisations- und Reparaturkostenbeiträgen
über den 31. Mai 1993 hinaus ab, weil solche Beiträge nur bei Ausübung
einer dauernden existenzsichernden Erwerbstätigkeit ausgerichtet werden
könnten, was seit dem genannten Datum nicht mehr der Fall sei (Verfügung
vom 30. September 1993).

    B. -  Die hiegegen erhobene Beschwerde der S. hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich in dem Sinne gut, dass es die
angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an die (nunmehr zuständige)
kantonale IV-Stelle zurückwies, damit diese nach erfolgter Abklärung
im Sinne der Erwägungen über den Anspruch auf Kostenbeiträge für das
Motorfahrzeug neu verfüge (Entscheid vom 4. September 1995).

    C. - Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.

    Während S. sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf
eine Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 21 IVG hat der Versicherte im Rahmen einer vom
Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren
er für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit in seinem
Aufgabenbereich, für die Schulung, die Ausbildung oder zum Zwecke der
funktionellen Angewöhnung bedarf (Abs. 1). Der Versicherte, der infolge
seiner Invalidität für die Fortbewegung, die Herstellung des Kontaktes mit
der Umwelt oder die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedarf, hat ebenfalls
im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste ohne Rücksicht auf
die Erwerbsfähigkeit Anspruch auf solche Hilfsmittel (Abs. 2).

    b) Laut Art. 2 der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch
die Invalidenversicherung (HVI), erlassen durch das Eidg. Departement des
Innern (EDI) gestützt auf Art. 21 Abs. 4 IVG und Art. 14 IVV, besteht
im Rahmen der im Anhang aufgeführten Liste Anspruch auf Hilfsmittel,
soweit diese für die Fortbewegung, die Herstellung des Kontaktes mit der
Umwelt oder für die Selbstsorge notwendig sind (Abs. 1); Anspruch auf die
in dieser Liste mit * bezeichneten Hilfsmittel besteht, soweit diese für
die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die Tätigkeit im Aufgabenbereich,
für die Schulung, die Ausbildung, die funktionelle Angewöhnung oder für
die bei einzelnen Hilfsmitteln ausdrücklich genannte Tätigkeit notwendig
sind (Abs. 2).

    c) Das Hilfsmittel muss im Einzelfall dazu bestimmt und geeignet sein,
dem gesundheitlich beeinträchtigten Versicherten in wesentlichem Umfange
zur Erreichung eines der gesetzlich anerkannten Ziele zu verhelfen (BGE
98 V 100 Erw. 1). Der Versicherte hat in der Regel nur Anspruch auf die
dem jeweiligen Eingliederungszweck angemessenen, notwendigen Massnahmen,
nicht aber auf die nach den gegebenen Umständen bestmöglichen Vorkehren
(BGE 110 V 102 Erw. 2). Denn das Gesetz will die Eingliederung lediglich so
weit sicherstellen, als diese im Einzelfall notwendig, aber auch genügend
ist; ferner muss der voraussichtliche Erfolg einer Eingliederungsmassnahme
in einem vernünftigen Verhältnis zu ihren Kosten stehen (BGE 115 V 198
Erw. 4e/cc, 206 oben Erw. 4 i.f.; ZAK 1992 S. 210 Erw. 3a).

Erwägung 3

    3.- a) Gemäss Ziff. 10 Ingress HVI Anhang werden Motorfahrzeuge
und Invalidenfahrzeuge, unter anderem Automobile (Ziff. 10.04*), an
Versicherte abgegeben, die voraussichtlich dauernd eine existenzsichernde
Erwerbstätigkeit ausüben und zur Überwindung des Arbeitsweges auf ein
persönliches Motorfahrzeug angewiesen sind. Schafft ein Versicherter
dieses Hilfsmittel selber an, hat er im Rahmen von Art. 21bis Abs. 1
IVG und Art. 8 HVI Anspruch auf Kostenvergütung in Form jährlicher
Amortisationsbeiträge sowie auf Ersatz der Reparaturkosten gemäss Art. 7
Abs. 2 HVI.

    b) Nach dem Wortlaut von Ziff. 10 Ingress HVI Anhang ist die
gesetzliche Zielrichtung der mit * bezeichneten Hilfsmittelkategorien
(Ziff. 10.01*-10.04*) auf die Ausübung der Erwerbstätigkeit im Sinne von
Art. 21 Abs. 1 IVG eingeschränkt. Die gemäss dieser Gesetzesbestimmung
auf gleicher Stufe rangierende Tätigkeit im Aufgabenbereich (z.B. als
Hausfrau; vgl. BGE 98 V 99 Erw. 1) wird nicht erwähnt. Daraus kann entgegen
der Auffassung der beschwerdeführenden IV-Stelle nicht gefolgert werden,
im nichterwerblichen Bereich tätige Versicherte seien in jedem Fall von
der Anspruchsberechtigung ausgeschlossen.

    Wie das kantonale Gericht unter Hinweis auf BGE 116 V 322 zutreffend
ausgeführt hat, hält mit Bezug auf die im HVI Anhang mit * bezeichneten
Hilfsmittel eine Schlechterstellung von Versicherten, die im gesetzlich
anerkannten Aufgabenbereich tätig sind, gegenüber Erwerbstätigen weder
vor Art. 4 Abs. 2 BV noch vor Art. 21 Abs. 1 IVG stand. In dem von der
Vorinstanz erwähnten Entscheid stellte das Eidg. Versicherungsgericht
im Zusammenhang mit der Abgabe von Hörapparaten zur Erleichterung der
Schulung, Ausbildung oder Berufsausübung gemäss Ziff. 6.02* HVI Anhang
(in Kraft gestanden bis 31. Dezember 1992) fest, dass der Begriff
der Berufsausübung nicht nur die Erwerbstätigkeit, sondern auch die
Arbeitsverrichtung im Aufgabenbereich nach Art. 27 Abs. 2 IVV umfasst
(BGE 116 V 323 Erw. 2a; vgl. auch BGE 117 V 273 Erw. 2b/bb). An
der Gleichbehandlung dieser beiden Eingliederungsbereiche ist auch
im Rahmen von Ziff. 10 HVI Anhang festzuhalten. Insoweit nach dieser
Verordnungsvorschrift die mit * bezeichneten Hilfsmittel nur bei Ausübung
einer Erwerbstätigkeit (in Abgrenzung zu den bisherigen Aufgabenbereichen;
Art. 5 Abs. 1 IVG) abgegeben werden können (vgl. Rz. 1009 und 10.01.1*
der Wegleitung des BSV über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die
Invalidenversicherung [WHMI]), ist dies verfassungs- und gesetzeswidrig.

Erwägung 4

    4.- a) Kann der streitige Anspruch auf Amortisations- und
Reparaturkostenbeiträge an den Personenwagen nicht grundsätzlich,
insbesondere nicht aufgrund des Wortlautes von Ziff. 10 Ingress HVI Anhang
verneint werden, stellt sich weiter die Frage der Eingliederungswirksamkeit
dieser Massnahme. Zu diesem Punkt hat das kantonale Gericht ausgeführt,
aufgrund der Art der Behinderung (Lähmung des Fusses) sei nicht
auszuschliessen, dass die Beschwerdegegnerin ohne das Auto nicht in der
Lage wäre, die Einkäufe selbständig zu tätigen. Insoweit es sich dabei um
eine den weiteren Tätigkeiten im Haushalt vorgelagerte und unerlässliche
Verrichtung handle, sei der Einkauf für ihre Leistungsfähigkeit im Haushalt
von entscheidender Bedeutung. Im Rahmen der Schadenminderungspflicht sei
allerdings zu berücksichtigen, inwiefern sie - was die Verwaltung noch
abzuklären habe - in der Haushaltführung durch den Ehemann unterstützt
werden könne.

    Die Verwaltung bringt vor, die Beschwerdegegnerin sei nach ihren
Angaben im vorinstanzlichen Verfahren deshalb nach wie vor auf ein Auto
angewiesen, weil sie Kinder zu versorgen habe und das Fahrzeug für Einkäufe
und Arztbesuche benötige. Diese Tätigkeiten, welche bezogen auf das gesamte
Arbeitsvolumen einer Hausfrau lediglich etwa 10% ausmachten, könnten nun
aber nicht mit einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit gleichgesetzt
werden. Dem hält die Beschwerdegegnerin entgegen, sie habe das Auto schon
früher nur einen Zehntel des Tages benötigt, habe sie dieses doch lediglich
dazu gebraucht, um zur Arbeit und zurück nach Hause zu fahren.

    b) aa) Der Verordnungsgeber hat den für das gesamte Eingliederungsrecht
geltenden Grundsatz des Eingliederungserfolges (vgl. Erw. 2c hievor)
im Bereich von Ziff. 10 HVI Anhang in dem Sinne verschärft, dass die
Abgabe der hier aufgezählten, mit * bezeichneten Hilfsmittel an die
Anspruchsvoraussetzung der voraussichtlich dauernden Ausübung einer
existenzsichernden Erwerbstätigkeit anknüpft. Es genügt somit prognostisch
nicht jede Verbesserung oder Erhaltung der Erwerbsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1
IVG). Vielmehr muss der Versicherte in der Lage sein, während längerer
Zeit ein Einkommen in der Höhe des Mittelbetrages zwischen Minimum und
Maximum der ordentlichen einfachen Altersrente monatlich zu erzielen
(BGE 118 V 203 Erw. 2c mit Hinweisen; ZAK 1989 S. 565 Erw. 3; vgl. auch
BGE 119 V 231 Erw. 5b).

    bb) Die Rechtsprechung hat das qualifizierte Anspruchserfordernis
der voraussichtlich dauernden Ausübung einer existenzsichernden
Erwerbstätigkeit seit jeher (vgl. BGE 105 V 63) ohne weiteres
hingenommen. Es besteht kein Anlass, dies in Frage zu stellen. Folglich
erscheint es im Rahmen der durch Art. 4 Abs. 2 BV und Art. 21 Abs. 1
IVG geforderten Gleichstellung der Erwerbstätigkeit und der Tätigkeit
im Aufgabenbereich als richtig, entsprechende Anforderungen an die
Hilfsmittelabgabe an im nichterwerblichen Bereich tätige Versicherte
zu stellen. Unter dem Gesichtspunkt der Eingliederungswirksamkeit ist
daher zu verlangen, dass der betreffenden Tätigkeit (z.B. Hausarbeit)
existentielle Bedeutung zukommt.

    c) aa) Mit Bezug auf den Haushaltbereich im besonderen hat
das Eidg. Versicherungsgericht im Zusammenhang mit der Abgabe eines
Levo-Rollstuhls gestützt auf Ziff. 13.02* HVI Anhang festgehalten,
dass der Hilfsmittelanspruch nicht voraussetzt, dass die (oder der)
Versicherte den Haushalt überwiegend selbständig besorgt. Es genügt,
dass damit eine beachtliche Tätigkeit in diesem Aufgabenbereich
ermöglicht wird. Was noch als beachtlich zu gelten hat, bestimmt sich
dabei aufgrund des konkret in Betracht fallenden (Teil-)Bereichs unter
Berücksichtigung der durch das Hilfsmittel möglichen Verbesserung des
Leistungsvermögens (BGE 117 V 271). In diesem Sinne ist in dem in ZAK
1992 S. 437 auszugsweise veröffentlichten Urteil F. vom 24. Juni 1992
der Anspruch auf Amortisations- und Reparaturkostenbeiträge mangels
hinreichender Eingliederungswirksamkeit bei einer ausschliesslich im
Haushalt tätigen Versicherten verneint worden. Das Gericht gelangte zum
Schluss, dass in diesem Fall das Automobil nur gerade in der 10% des
gesamten Aufgabenbereichs ausmachenden Teilfunktion des Einkaufens eine
Steigerung der auf 25% reduzierten Arbeitsfähigkeit bewirken könnte, das
Hilfsmittel somit nicht wesentlich zur Ermöglichung oder Erhaltung einer
beachtlichen, mit einer existenzsichernden Tätigkeit zu vergleichenden
Haushaltführung beitragen würde.

    bb) Nicht anders verhält es sich im vorliegenden Fall, indem
lediglich die Steigerung der Arbeitsfähigkeit in dem in der Regel mit
10% des gesamten Haushaltbereichs gewichteten Teilbereich "Einkaufen
und weitere Besorgungen" (vgl. Rz. 2122 der Wegleitung des BSV über
Invalidität und Hilflosigkeit [WIH]) in Frage steht. Andere im Rahmen der
Haushaltführung relevante Teilfunktionen fallen hier für die streitige
Hilfsmittelabgabe ausser Betracht. So ist hinsichtlich der gemäss
Verwaltungspraxis mit 20% zu veranschlagenden "Betreuung von Kindern
oder anderen Familienangehörigen" nicht ersichtlich, inwiefern aufgrund
der Verhältnisse, wie sie sich bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung
am 30. September 1993 entwickelt haben, die Beschwerdegegnerin auf ihr
Auto angewiesen gewesen sein sollte, um den damals gut einjährigen Sohn
zu betreuen. Für den Transport dieses Kleinkindes, jedenfalls über längere
Distanzen, müsste auch eine nicht gehbehinderte Mutter das Auto verwenden
(vgl. BGE 97 V 240 Erw. 3b).

    cc) Soweit die Beschwerdegegnerin das Auto auch für die Arztbesuche
benötigt, handelt es sich dabei um einen unter Art. 21 Abs. 2 IVG
fallenden Eingliederungszweck, wofür die Invalidenversicherung im Rahmen
von Ziff. 10 HVI Anhang (mit Ausnahme der hier nicht zur Diskussion
stehenden invaliditätsbedingten Abänderungen von Motorfahrzeugen gemäss
Ziff. 10.05) keine Leistungen zu erbringen hat.