Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 V 157



122 V 157

22. Auszug aus dem Urteil vom 3. Mai 1996 i.S. B. gegen Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Zürich
Regeste

    Art. 4 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

    - Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK umfassen keinen formellen
Anspruch auf Beizug versicherungsexterner medizinischer Gutachten, wenn
Leistungsansprüche streitig sind.

    - Im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist es grundsätzlich zulässig,
dass Verwaltung und Sozialversicherungsrichter den Entscheid allein
auf versicherungsinterne Entscheidungsgrundlagen stützen. An die
Unparteilichkeit und Zuverlässigkeit solcher Grundlagen sind jedoch
strenge Anforderungen zu stellen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

    Der Beschwerdeführer macht geltend, Einspracheentscheid und Entscheid
des kantonalen Versicherungsgerichts verletzten Art. 4 BV und Art. 6
Ziff. 1 EMRK, indem sich die Beurteilung der streitigen Leistungsansprüche
ausschliesslich auf medizinische Stellungnahmen anstaltsinterner Ärzte
stützten und den Beweisanträgen auf Einholung einer "neutralen Expertise"
nicht entsprochen worden sei.

Erwägung 1

    1.- Zu prüfen ist zunächst, welche verfahrensrechtlichen Anforderungen
sich im vorliegenden Fall aus dem innerstaatlichen Recht ergeben.

    a) Das sozialversicherungsrechtliche Verwaltungs- und
Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren ist vom Untersuchungsgrundsatz
beherrscht. Danach haben Versicherungsträger und Sozialversicherungsrichter
von sich aus und ohne Bindung an die Parteibegehren für die richtige
und vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu
sorgen. Dieser Grundsatz gilt indessen nicht uneingeschränkt, sondern wird
ergänzt durch die Mitwirkungspflichten der Parteien sowie durch die im
Anspruch auf rechtliches Gehör mitenthaltenen Parteirechte auf Teilnahme am
Verfahren und auf Einflussnahme auf den Prozess der Entscheidfindung (BGE
120 V 360 Erw. 1a, 119 V 211 Erw. 3b, 117 V 283 Erw. 4a und 263 Erw. 3b).

    Der aus Art. 4 BV fliessende Anspruch auf rechtliches Gehör
dient einerseits der Sachaufklärung, anderseits stellt er ein
persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides
dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört
insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine
Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche
Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen
Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise
entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern,
wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 119 Ia
139 Erw. 2d und 261 Erw. 6a, 119 V 168 Erw. 4a und 211 Erw. 3b, je mit
Hinweisen).

    b) Den meisten, durch das Sozialversicherungsrecht versicherten
anspruchsbegründenden Risiken (wie Krankheit, Unfall, Arbeitsunfähigkeit,
Invalidität, Beeinträchtigung der körperlichen oder psychischen
Integrität) liegen medizinische Sachverhalte zugrunde. Zur Beurteilung
der sich stellenden Rechtsfragen sind Sozialversicherungsträger
und Sozialversicherungsrichter auf Unterlagen angewiesen, die ihnen
vorab von Ärzten zur Verfügung zu stellen sind. Im Hinblick auf die
elementare Bedeutung der medizinischen Entscheidungsgrundlagen im
Sozialversicherungsrecht (vgl. hiezu MEYER-BLASER, Die Zusammenarbeit von
Richter und Arzt in der Sozialversicherung, in: Schweiz. Ärztezeitung
1990 S. 1090; MEYER-BLASER, Sozialversicherungsrecht und Medizin,
in: FREDENHAGEN, Das ärztliche Gutachten, 3. Aufl., S. 21 ff.) hat
die Rechtsprechung die Aufgaben näher umschrieben, welche dem zu
befragenden Arzt insbesondere bei der Invaliditätsbemessung (BGE 115 V
134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158 Erw. 1 in fine), der Bemessung
des Integritätsschadens (BGE 115 V 147 Erw. 1, 113 V 221 Erw. 4b mit
Hinweisen) und bei der Prüfung des natürlichen Kausalzusammenhanges
zwischen Unfallereignis und eingetretenem Schaden (BGE 119 V 338 oben
in Verbindung mit 340 Erw. 2b/bb, 117 V 360 Erw. 4a und 376 Erw. 3a,
112 V 32 Erw. 1a mit Hinweisen) zukommen.

    In der obligatorischen Unfallversicherung kann die Feststellung
des rechtserheblichen medizinischen Sachverhaltes erfolgen durch
die vom Unfallversicherer eingeholten Berichte der behandelnden
Ärzte, einschliesslich der Spezial- und Spitalärzte (Art. 53 Abs. 3
lit. a-c UVV), die Berichte der von der SUVA angestellten Kreisärzte
der Agenturen (Art. 65 UVG) und Ärzte der Medizinischen Abteilung am
Hauptsitz der SUVA, die von einem andern Unfallversicherer eingeholten
Arztberichte (gegebenenfalls auch angestellter Ärzte), durch das
vom Versicherten beigezogene Parteigutachten (des behandelnden oder
eines konsiliarisch beigezogenen Arztes), das vom Unfallversicherer in
Auftrag gegebene Sachverständigengutachten (Art. 57 UVV und Art. 96
UVG in Verbindung mit Art. 12 lit. e VwVG; BGE 120 V 357 ff.) sowie
das vom erst- oder letztinstanzlichen Richter angeordnete medizinische
Gutachten. Gerichtsgutachten haben besondern Anforderungen zu genügen,
die sich für das letztinstanzliche Verfahren nach den Bestimmungen des
Bundeszivilprozesses richten (Art. 135 OG in Verbindung mit Art. 40 OG
und Art. 57-61 BZP). Die gleichen Regeln gelten für die Einholung von
Sachverständigengutachten durch die SUVA und die an der Durchführung der
obligatorischen Unfallversicherung beteiligten Privatversicherer (Art. 96
UVG in Verbindung mit Art. 19 VwVG und Art. 57-61 BZP; BGE 120 V 357 ff.).

    Eine klare Abgrenzung zwischen medizinischen Gutachten (insbesondere
Administrativgutachten) und einfachen bzw. qualifizierten ärztlichen
Stellungnahmen, für welche schon aus Gründen der Verfahrensökonomie
geringere Anforderungen an den Gehörsanspruch zu stellen sind
(vgl. ZIMMERLI, Zum rechtlichen Gehör im sozialversicherungsrechtlichen
Verfahren, in: Festschrift 75 Jahre EVG, S. 321 ff.), besteht nicht. Auch
liegt es im (pflichtgemässen) Ermessen des Rechtsanwenders, darüber zu
befinden, mit welchen Mitteln der Sachverhalt abzuklären ist und ob im
Einzelfall ein einfacher Arztbericht genügt, eine ergänzende Untersuchung
anzuordnen oder ein förmliches Gutachten einzuholen ist.

    c) Das Bundesrecht schreibt nicht vor, wie die einzelnen
Beweismittel zu würdigen sind. Für das gesamte Verwaltungs- und
Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der freien
Beweiswürdigung (Art. 40 BZP in Verbindung mit Art. 19 VwVG; Art. 95 Abs. 2
OG in Verbindung mit Art. 113 und 132 OG). Danach haben Versicherungsträger
und Sozialversicherungsrichter die Beweise frei, d.h. ohne Bindung an
förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen
(GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 278). Für das
Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass der Sozialversicherungsrichter alle
Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und
danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige
Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf
er bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht
erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe
anzugeben, warum er auf die eine und nicht auf die andere medizinische
These abstellt. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist
entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist,
auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist,
in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung
der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen
des Experten begründet sind (RKUV 1991 Nr. U 133 S. 312; vgl. auch
MEYER-BLASER, Die Rechtspflege in der Sozialversicherung, in: BJM, 1989
S. 30 f.).

    Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die
Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder
in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutachten, sondern
dessen Inhalt (OMLIN, Die Invaliditätsbemessung in der obligatorischen
Unfallversicherung, S. 297 f.; MORGER, Unfallmedizinische Begutachtung in
der SUVA, in: SZS 32/1988 S. 332 f.). Dennoch hat es die Rechtsprechung mit
dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung als vereinbar erachtet, in bezug
auf bestimmte Formen medizinischer Berichte und Gutachten Richtlinien für
die Beweiswürdigung aufzustellen (vgl. HIEZU MEYER-BLASER, aaO, S. 31,
sowie OMLIN, aaO, S. 296 ff., je mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Hinsichtlich der Gerichtsgutachten hat das Eidg. Versicherungsgericht -
in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 101 IV 130
Erw. 3a) - ausgeführt, der Richter weiche "nicht ohne zwingende Gründe"
von der Einschätzung des medizinischen Experten ab, dessen Aufgabe
es gerade sei, seine Kenntnisse in den Dienst der Gerichtsbarkeit zu
stellen (BGE 118 V 290 Erw. 1b, 112 V 32 Erw. 1a, 107 V 175 Erw. 3). Zum
Verwaltungsverfahren hat das Eidg. Versicherungsgericht in ständiger
Rechtsprechung festgestellt, dass die SUVA (bzw. der UVG-Privatversicherer)
nötigenfalls nicht davon absehen darf, auch Gutachten externer Ärzte
einzuholen. Werden solche Expertisen durch anerkannte Spezialärzte aufgrund
eingehender Beobachtungen und Untersuchungen sowie nach Einsicht in die
Akten erstattet und gelangen diese Ärzte bei der Erörterung der Befunde
zu schlüssigen Ergebnissen, so darf der Richter in seiner Beweiswürdigung
solchen Gutachten volle Beweiskraft zuerkennen, solange nicht konkrete
Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (BGE 104 V
212 Erw. c; RKUV 1993 Nr. U 167 S. 96 Erw. 5a mit weiteren Hinweisen;
zur Krankenversicherung vgl. RKUV 1985 Nr. K 646 S. 237 Erw. 2b). Was
schliesslich Parteigutachten anbelangt, rechtfertigt der Umstand allein,
dass eine ärztliche Stellungnahme von einer Partei eingeholt und in das
Verfahren eingebracht wird, nicht Zweifel an ihrem Beweiswert (ZAK 1986
S. 189 Erw. 2a in fine).

    Weil die SUVA in beweisrechtlicher Hinsicht ein zur Objektivität
verpflichtetes gesetzesvollziehendes Organ ist (BGE 104 V 211 Erw. c;
RKUV 1991 Nr. U 133 S. 313 Erw. 1b), kann auch den Berichten und
Gutachten versicherungsinterner Ärzte Beweiswert beigemessen werden,
sofern sie als schlüssig erscheinen, nachvollziehbar begründet sowie in
sich widerspruchsfrei sind und keine Indizien gegen ihre Zuverlässigkeit
bestehen (nicht veröffentlichte Urteile S. vom 6. Juli 1993, M. vom
5. April 1984 und M. vom 2. November 1983). Die Tatsache allein, dass
der befragte Arzt in einem Anstellungsverhältnis zum Versicherungsträger
steht, lässt nicht schon auf mangelnde Objektivität und auf Befangenheit
schliessen. Es bedarf vielmehr besonderer Umstände, welche das Misstrauen
in die Unparteilichkeit der Beurteilung objektiv als begründet erscheinen
lassen (vgl. BGE 120 V 365 Erw. 3a in fine). Im Hinblick auf die erhebliche
Bedeutung, welche den Arztberichten im Sozialversicherungsrecht zukommt,
ist an die Unparteilichkeit des Gutachters allerdings ein strenger Massstab
anzulegen (BGE 120 V 367 Erw. 3b).

    d) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst auch das Recht,
Beweisanträge zu stellen, und - als Korrelat - die Pflicht der Behörde zur
Beweisabnahme. Beweise sind im Rahmen dieses verfassungsmässigen Anspruchs
indessen nur über jene Tatsachen abzunehmen, die für die Entscheidung der
Streitsache erheblich sind. Auf weitere Beweisvorkehren kann auch dann
verzichtet werden, wenn der Sachverhalt, den eine Partei beweisen will,
nicht rechtserheblich ist, wenn bereits Feststehendes bewiesen werden
soll, wenn von vornherein gewiss ist, dass der angebotene Beweis keine
Abklärungen herbeizuführen vermag, oder wenn die Behörde den Sachverhalt
gestützt auf ihre eigene Sachkenntnis bzw. jene ihrer fachkundigen
Beamten zu würdigen vermag (BGE 104 V 211 Erw. a mit Hinweisen). Gelangt
die Verwaltung oder der Richter bei pflichtgemässer Beweiswürdigung zur
Überzeugung, der Sachverhalt, den eine Partei beweisen will, sei nicht
rechtserheblich oder der angebotene Beweis vermöge keine Abklärungen
herbeizuführen, kann auf ein beantragtes Beweismittel verzichtet werden. In
der damit verbundenen antizipierten Beweiswürdigung kann kein Verstoss
gegen das rechtliche Gehör nach Art. 4 BV erblickt werden (BGE 119 V 344
Erw. 3c in fine mit Hinweisen).

    Daraus folgt, dass der Versicherte von Bundesrechts wegen
keinen formellen Anspruch auf Beizug eines versicherungsexternen
Gutachtens hat, wenn Leistungsansprüche streitig sind. Erachtet
der Sozialversicherungsrichter die rechtserheblichen tatsächlichen
Entscheidungsgrundlagen bei pflichtgemässer Beweiswürdigung als schlüssig,
darf er den Prozess ohne Weiterungen, insbesondere ohne Beizug eines
Gerichtsgutachtens, abschliessen. Er kann dabei abschliessend gestützt
auf Beweisgrundlagen urteilen, die im wesentlichen oder ausschliesslich
aus dem Verfahren vor dem Sozialversicherungsträger stammen. In solchen
Fällen sind an die Beweiswürdigung jedoch strenge Anforderungen zu
stellen. Bestehen auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und
Schlüssigkeit der ärztlichen Feststellungen, sind ergänzende Abklärungen
vorzunehmen. Dabei hat der Sozialversicherungsrichter grundsätzlich die
Wahl, ob er die Sache zu weiteren Beweiserhebungen an die verfügende
Instanz zurückweisen oder die erforderlichen Instruktionen insbesondere
durch Anordnung eines Gerichtsgutachtens selber vornehmen will (EVGE 1968
S. 81 Erw. 1; RKUV 1989 Nr. K 809 S. 207 Erw. 4 mit Hinweisen). Anders
verhält es sich, wenn die Rückweisung einer Verweigerung des rechtlichen
Gehörs gleichkäme (so wenn aufgrund besonderer Gegebenheiten nur ein
Gerichtsgutachten oder andere gerichtliche Beweismassnahmen geeignet sind,
zur Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes beizutragen) oder wenn
die Rückweisung nach den Umständen als unverhältnismässig bezeichnet werden
müsste (RKUV 1993 Nr. U 170 S. 136 Erw. 4a, 1989 Nr. K 809 S. 206 Erw. 4).

Erwägung 2

    2.- Fraglich ist des weitern, ob sich aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK
weitergehende Anforderungen ergeben.

    a) Art. 6 Ziff. 1 EMRK lautet, soweit hier von Bedeutung, in der
deutschen Fassung wie folgt:

    "Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise
   öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und
   zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden
   Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen
   (...) zu entscheiden hat."

    Aus dieser, auf das sozialversicherungsgerichtliche Beschwerdeverfahren
unmittelbar anwendbaren Bestimmung (BGE 121 V 110 Erw. 3a, 120 V 6 Erw. 3a,
119 V 379 Erw. 4a/aa) ergeben sich nach herrschender Rechtsauffassung
im wesentlichen vier Verfahrensgarantien, nämlich der Anspruch auf
Zugang zu einem gesetzlich vorgesehenen, unabhängigen und unparteilich
zusammengesetzten Gericht, das Recht auf Fairness im Verfahren, das Recht
auf Öffentlichkeit der Verhandlungen und der Urteilsverkündung sowie der
Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer (VILLIGER, Handbuch der
Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], Zürich 1993, S. 240 ff.;
FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, S. 104 ff.; SCHWEIZER, Europäische
Menschenrechtskonvention und schweizerisches Sozialversicherungsrecht,
in: Festschrift 75 Jahre EVG, S. 24 ff. mit weiteren Hinweisen auf die
Literatur).

    b) Das Gebot der Fairness des Verfahrens beinhaltet insbesondere
den Anspruch auf persönliche Teilnahme am Verfahren, das Recht auf
Waffengleichheit (wozu namentlich das Recht auf gleichen Aktenzugang
und auf Teilnahme am Beweisverfahren gehört) und den Anspruch auf
rechtliches Gehör (VILLIGER, aaO, S. 275 ff.; SCHWEIZER, aaO, S. 42
ff.). Die EMRK statuiert jedoch kein umfassendes Recht auf Beweis
(WALTER, Das Recht auf Beweis im Lichte der EMRK und der BV, ZbJV 127/1991
S. 317) und spricht sich insbesondere zur Frage der Zulässigkeit und des
Beweiswertes von Beweismitteln nicht aus. Nach der Praxis der EMRK-Organe
bleibt es Sache der Vertragsstaaten, die Frage der Beweismittel und die
Grundsätze der Beweiswürdigung zu regeln (VILLIGER, aaO, S. 283; HERZOG,
Art. 6 EMRK und kantonale Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995,
S. 326). Die Überprüfung durch die EMRK-Organe beschränkt sich auf die
Fairness des Verfahrens als Ganzes und ändert insbesondere an der aus
Art. 4 BV abgeleiteten Zulässigkeit der antizipierten Beweiswürdigung
durch den Richter nichts (VILLIGER, aaO, S. 283; HERZOG, aaO, S. 326
f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR). Bundesgericht und
Eidg. Versicherungsgericht haben denn auch wiederholt festgestellt, dass
Art. 6 EMRK in bezug auf die Zulässigkeit antizipierter Beweiswürdigung
unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs keine weitergehenden Rechte
verschafft, als sie die Rechtsprechung aus Art. 4 BV hergeleitet hat
(BGE 116 Ia 18 Erw. 3 in fine und 74 Erw. 1b, 114 Ia 181 Erw. 4a, 111
Ia 274 Erw. 2a, 109 Ia 178 Erw. 3 und 232 Erw. 5a; nicht veröffentlichte
Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts in Sachen S. vom 6. Juli 1993
und O. vom 11. November 1991). Das gleiche gilt hinsichtlich der von der
Konvention garantierten Unparteilichkeit des Gerichts (BGE 121 V 111 Erw.
3a in fine, 119 V 377 Erw. 4a, 119 Ia 83 Erw. 3, 117 Ia 191 Erw. 6b).

    c) Der Anspruch auf Waffengleichheit bedeutet u.a., dass sich das
Recht auf Zulassung zum Beweis (mit Beweismitteln sowie Beweisanträgen)
und die Pflicht zur Beweisabnahme durch das entscheidende Gericht nach
dem Grundsatz der Gleichstellung der Parteien zu richten hat (HERZOG, aaO,
S. 323; KOFMEL, Das Recht auf Beweis im Zivilverfahren, Diss. Bern 1992,
S. 43 f.). Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergibt sich jedoch kein unbeschränktes
Recht auf Zulassung zum Beweis (KOFMEL, aaO S. 258). Ebensowenig lässt sich
der Konventionsbestimmung eine Regel entnehmen, wonach der Richter die
Beurteilung nicht allein auf verwaltungsinterne Entscheidungsgrundlagen
stützen darf und einem Antrag auf Beizug eines externen Gutachtens stets
zu entsprechen hat. Im Urteil H. gegen Frankreich vom 23. Oktober 1989
hat der EGMR die Verweigerung eines Gutachtens als mit der EMRK vereinbar
erklärt mit der Feststellung, dass sich die entscheidende Behörde unter
den gegebenen Umständen zu Recht als hinreichend instruiert erachtet habe,
um aufgrund der vorgenommenen Abklärungen und der Akten über die Sache
zu befinden (Publ. Série A, Vol. 162, Rz. 70). In einem weiteren Fall,
wo es u.a. um die Frage ging, ob der Angeschuldigte in einem Verfahren
wegen Weinverfälschung, in welchem ein bei der Verwaltung angestellter
Sachverständiger ein Gutachten erstattet hatte, Anspruch auf eine
verwaltungsexterne Expertise hat, gelangte der Gerichtshof zum Schluss, die
Weigerung des staatlichen Gerichts, einen externen Gutachter zu ernennen,
verletze den Anspruch auf Waffengleichheit nicht; der Umstand allein,
dass der Experte bei der Verwaltung angestellt gewesen sei, lasse nicht
auf mangelnde Neutralität schliessen (Urteil Brandstetter gegen Österreich
vom 28. August 1991, Publ. Série A, Vol. 211, Rz. 41 ff.). In gleichem Sinn
hat der Gerichtshof im Urteil Zumtobel gegen Österreich vom 21. September
1993 entschieden und dabei die Meinung der Kommission bestätigt, wonach
der Umstand allein, dass ein Sachverständiger Angestellter der zum
Sachentscheid zuständigen Behörde ist, nicht schon bedeutet, dass es
ihm an der erforderlichen Neutralität fehlt (Publ. Série A, Vol. 268,
Rz. 35 u. 86).

    Aus dieser Rechtsprechung ist zu schliessen, dass auch im Lichte
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK kein förmlicher Anspruch auf verwaltungsexterne
Gutachten besteht und es im Rahmen der freien Beweiswürdigung grundsätzlich
zulässig ist, den Entscheid ausschlaggebend oder gar ausschliesslich auf
verwaltungsinterne Abklärungen zu stützen. Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK und
der zugehörigen Rechtsprechung ergeben sich hinsichtlich der vorliegenden
Verfahrensfrage somit keine weitergehenden Anforderungen, als sie das
Bundesrecht kennt.

Erwägung 3

    3.- Zusammengefasst ergibt sich, dass weder aus Art. 4 BV noch
aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK eine Regel folgt, wonach bei streitigen
Leistungsansprüchen stets auch versicherungsexterne medizinische
Entscheidungsgrundlagen einzuholen sind. Im Rahmen der freien
Beweiswürdigung ist es grundsätzlich somit zulässig, dass Verwaltung und
Sozialversicherungsrichter den Entscheid allein auf versicherungsinterne
Entscheidungsgrundlagen stützen. An die Unparteilichkeit und
Zuverlässigkeit solcher Grundlagen sind jedoch strenge Anforderungen
zu stellen.