Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 I 44



122 I 44

8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 7. März 1996 i.S. Rudolf Kreis u. Mitb. gegen Volkswirtschafts-
und Polizeidirektion sowie Regierungsrat des Kantons Appenzell
A.Rh. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 84 Abs. 1 und Art. 88 OG; Anfechtbarkeit fremdenpolizeilicher
Richtlinien.

    Eine Verwaltungsverordnung ist mit staatsrechtlicher Beschwerde
anfechtbar, wenn sie Aussenwirkungen entfaltet und keine förmliche
Verfügung ergeht, die der Betroffene wirksam und zumutbar anfechten könnte
(E. 2).

    Weder aus Art. 8 BVO noch aus Art. 4 BV (Willkür, Vertrauensschutz)
oder Art. 31 BV ergibt sich ein rechtlich geschütztes Interesse, um eine
verwaltungsinterne Regelung anzufechten, die Aufenthaltsbewilligungen
für Tänzer und Tänzerinnen in Nachtclubs oder ähnlichen Lokalen, deren
Darbietungen der erotischen Unterhaltung dienen, nur noch für Angehörige
von EU- oder EFTA-Staaten vorsieht (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Volkswirtschafts- und die Polizeidirektion des Kantons
Appenzell A.Rh. erliessen am 19. Juni 1995 gemeinsame Richtlinien
"betreffend die Bewilligungspraxis für ausländische Künstler,
Musiker, Artisten, Tänzer, Tänzerinnen und Discjockeys" (im folgenden:
Richtlinien). Danach wird auf Tänzer und Tänzerinnen in Nachtclubs
oder ähnlichen Lokalen, deren Darbietungen der erotischen Unterhaltung
dienen, Art. 8 der Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der
Zahl der Ausländer (Begrenzungsverordnung, BVO; SR 823.21) angewendet;
Bewilligungen werden deshalb grundsätzlich nur noch an EU/EFTA-Angehörige
erteilt (Ziffer 2.4).

    Auf die von Rudolf Kreis, Inhaber des Cabaret Rebluus in Tobel, sowie
fünf weiteren Betreibern von Nachtclubs im Kanton Appenzell A.Rh. hiergegen
eingereichte staatsrechtliche Beschwerde tritt das Bundesgericht nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die von den Beschwerdeführern beanstandeten Richtlinien
wenden sich an die zuständigen Fremdenpolizeibehörden und sollen eine
einheitliche Verwaltungspraxis sicherstellen; es handelt sich somit um
eine Verwaltungsverordnung. Solche verwaltungsinternen, nicht von den
zuständigen Rechtsetzungsorganen ausgehenden Weisungen vermögen an sich
keine Rechte und Pflichten der Bürger zu begründen (vgl. Art. 84 Abs. 1
OG; vgl. BGE 119 Ia 214 E. 2a S. 217). Sie sind mit staatsrechtlicher
Beschwerde nur anfechtbar, sofern sie indirekt geschützte Rechte des
Bürgers berühren und damit Aussenwirkungen entfalten, ohne dass gegen
den betroffenen Einzelnen eine förmliche Verfügung ergeht, die er wegen
Verletzung seiner verfassungsmässigen Rechte wirksam und für ihn zumutbar
anfechten könnte (BGE 105 Ia 349 E. 2a S. 351 ff.; vgl. auch BGE 114 Ia
452 E. 1a S. 455; Urteil vom 20. Juli 1994 i.S. Hauseigentümer-Verband
Zürich u. Mitb., E. 1a, in ZBl 96/1995 S. 44 ff., WALTER KÄLIN, Das
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S.
142 ff., KURT STAMPFLI, Rechtliche Probleme allgemeiner Dienstanweisungen,
Diss. Freiburg 1982, S. 275 ff.).

    b) Eine weitere Schranke ergibt sich aus Art. 88 OG. Danach ist zur
staatsrechtlichen Beschwerde nur legitimiert, wer durch den angefochtenen
Hoheitsakt in rechtlich geschützten eigenen Interessen betroffen wird;
zur Verfolgung bloss tatsächlicher Interessen steht dieses Rechtsmittel
nicht offen. Die eigenen rechtlichen Interessen, auf die sich der
Beschwerdeführer berufen muss, können entweder durch kantonales oder
eidgenössisches Gesetzesrecht oder aber unmittelbar durch ein angerufenes
spezielles Grundrecht geschützt sein, sofern sie auf dem Gebiet liegen,
welches dieses beschlägt (BGE 121 I 267 E. 2 S. 269). Das Erfordernis
eines Eingriffs in rechtlich geschützte Interessen gilt auch für die
Legitimation zur Anfechtung von rechtsetzenden Erlassen. Zwar genügt
hier eine virtuelle Betroffenheit, doch muss es immer um einen drohenden
Eingriff in rechtlich geschützte Interessen gehen (BGE 118 Ia 427 E. 2a
S. 430 f., 119 Ia 197 E. 1c S. 200 f., 321 E. 2b S. 324). Dies gilt auch
bei Verwaltungsverordnungen (BGE 98 Ia 508 E. 1 S. 511, bereits zitiertes
Urteil vom 20. Juli 1994, E. 1a): Eine staatsrechtliche Beschwerde
ist gegen solche Weisungen nur zulässig, sofern die beanstandete
Regelung gesetzlich oder verfassungsrechtlich geschützte Interessen des
Beschwerdeführers berührt.

Erwägung 3

    3.- a) Die Beschwerdeführer gehen davon aus, dass gegen die
beanstandeten Richtlinien kein wirksamer Rechtsschutz bestehe, weil sie
die ihnen bis Ende 1995 zustehenden Kontingente für das Engagement von
Tänzerinnen bereits zugeteilt erhalten hätten. Sie könnten daher zurzeit
keine Verfügungen über weitere Bewilligungen mehr erwirken; es sei ihnen
nicht zuzumuten, mehr als ein halbes Jahr zu warten, um dann die auf den
neuen Richtlinien beruhenden Verfügungen auf dem Rechtsweg anzufechten.

    Ob auf ihre Beschwerde deshalb einzutreten ist, erscheint zweifelhaft,
kann aber dahingestellt bleiben, da die Beschwerdeführer weder durch
einzelne Verfügungen noch durch die beanstandeten Richtlinien in
gesetzlich oder verfassungsrechtlich geschützten Interessen betroffen
werden (Art. 88 OG).

    b) aa) Die zuständigen Behörden entscheiden über
Aufenthaltsbewilligungen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der
Verträge mit dem Ausland nach freiem Ermessen (Art. 4 des Bundesgesetzes
vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer,
ANAG; SR 142.20). Die von den Beschwerdeführern angerufene Verordnung
vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer legt
ihrerseits lediglich die formellen und materiellen Schranken fest,
welche die Kantone bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen zu
beachten haben. Sie verpflichtet sie aber nicht, solche zu erteilen,
und begründet damit keine Rechtsansprüche (vgl. Art. 100 lit. b Ziff. 3
OG: BGE 115 Ib 1 E. 1b S. 3). Dies gilt auch für Art. 8 BVO, der die
prioritären Rekrutierungsgebiete bzw. geographische Schranken für die
Zulassung von ausländischen Arbeitskräften festlegt. Die Kantone sind
nicht verpflichtet, den durch diese Bestimmung eröffneten Spielraum
bei ihrer Bewilligungspraxis voll auszunützen. Da sich die Anträge auf
Aufenthaltsbewilligungen für Tänzerinnen aus Ländern ausserhalb der
EU und der EFTA regelmässig nicht auf eine spezielle (gesetzliche oder
völkerrechtliche) Grundlage stützen können, besteht auch insofern kein
Rechtsanspruch (weshalb gegenüber abschlägigen kantonalen Entscheiden die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht ausgeschlossen ist; vgl.
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG).

    bb) Das in Art. 4 BV enthaltene allgemeine Willkürverbot verschafft
für sich allein noch keine geschützte Rechtsstellung im Sinne von
Art. 88 OG; die Legitimation zur Willkürbeschwerde ist nur gegeben,
wenn das Gesetzesrecht, dessen willkürliche Anwendung gerügt wird, dem
Beschwerdeführer einen Rechtsanspruch einräumt oder den Schutz seiner
Interessen bezweckt (BGE 121 I 267 E. 2 S. 268 f., mit Hinweisen). Dass
auf die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen der hier in Frage stehenden
Art kein gesetzlicher Anspruch besteht, wurde bereits dargelegt. Damit
entfällt die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde, soweit es
um die Geltendmachung des allgemeinen Willkürverbots geht. Die Rüge,
die beanstandete Praxisänderung beruhe auf keinen haltbaren sachlichen
Gründen und sei deshalb willkürlich, ist somit nicht zu hören.

    cc) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ergibt sich das
erforderliche rechtlich geschützte Interesse auch nicht aus dem
mitangerufenen Grundrecht der Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31
BV). Wohl garantiert dieses dem Arbeitgeber grundsätzlich die freie
Wahl seiner Mitarbeiter. Diese Freiheit bezieht sich indessen nicht
auf den Einsatz von Arbeitskräften, die im Arbeitsmarkt noch nicht
zugelassen sind. So wenig wie der Ausländer selber aus Art. 4 oder
Art. 31 BV einen Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung ableiten kann, so
wenig verschafft die Handels- und Gewerbefreiheit dem interessierten
schweizerischen Arbeitgeber einen verfassungsrechtlich geschützten
Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (BGE 114 Ia 307 E. 3b
S. 312). Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 BV und der in
Art. 31 BV enthaltene - weitergehende - Grundsatz der Gleichbehandlung
der Gewerbegenossen schützen nicht davor, dass ausserhalb des Kantons
Appenzell A.Rh. gelegene Konkurrenzbetriebe möglicherweise in den Genuss
einer günstigeren fremdenpolizeilichen Bewilligungspraxis kommen; dies ist
eine hinzunehmende Folge des föderalistischen Aufbaus des schweizerischen
Staatswesens (vgl. BGE 121 I 49 E. 4c S. 53, 104 Ia 156 E. 2b S. 158).

    dd) Wieweit ein legitimationsbegründender Rechtsanspruch auf
Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung allenfalls aus dem Gebot des
Vertrauensschutzes (zu dessen Umschreibung vgl. BGE 118 Ia 245 E. 4b
S. 254, mit Hinweis) abgeleitet werden könnte, braucht hier nicht weiter
untersucht zu werden. Die Beschwerdeführer vermögen sich auf keine
konkreten behördlichen Zusicherungen zu berufen, die der beschlossenen
Praxisänderung entgegenstehen würden; sie konnten sich aufgrund der
bisherigen Bewilligungspraxis allein nicht darauf verlassen, dass diese in
Zukunft nicht verschärft würde, zumal die Ergreifung von Abwehrmassnahmen
gegen Missstände auf diesem Gebiet schon seit einiger Zeit zur Diskussion
stand. Von einem Verstoss gegen die Schranken des Vertrauensschutzes kann
somit nicht die Rede sein.

    ee) Schliesslich verschafft auch der angerufene Grundsatz
der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV)
keine Beschwerdelegitimation nach Art. 88 OG. Die Vorschriften der
Begrenzungsverordnung begründen keine Rechtsansprüche, gegen welche
die Anwendung der neuen Richtlinien verstossen könnte. Zudem liegt
die behauptete Normenkollision offensichtlich gar nicht vor, da sich
die beanstandete Ziffer 2.4 der Richtlinien innerhalb des durch die
Begrenzungsverordnung gegebenen Rahmens hält. Art. 8 BVO kann durch die
beanstandete restriktive kantonale Bewilligungspraxis deshalb gar nicht
verletzt sein.

    c) Wenn vorliegend gegenüber den "Aussenwirkungen" der
beanstandeten Verwaltungsverordnung, d.h. gegenüber den im
betreffenden Regelungsbereich ergehenden Verfügungen, wie dargelegt,
auf Bundesebene kein Rechtsschutz besteht, weil es den Betroffenen an
einem Rechtsanspruch im Sinne von Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG bzw. an
einem rechtlich geschützten Interesse im Sinne von Art. 88 OG fehlt,
ist auch gegen die entsprechende Verwaltungsverordnung als solche die
staatsrechtliche Beschwerde unzulässig. Zwar ist nicht ausgeschlossen,
dass eine staatsrechtliche Beschwerde gegen Richtlinien, die bestimmte
Bewerberkategorien diskriminieren, ausnahmsweise auch dort möglich wäre,
wo gegen die jeweilige Einzelverfügung (in der Sache) grundsätzlich keine
Legitimation nach Art. 88 OG besteht, z.B. im Bereich von Submissionen
oder bei der Zulassung zum öffentlichen Dienst. Vorliegend geht es
jedoch nicht um die Diskriminierung einzelner Gruppen von Gesuchstellern,
sondern um eine generelle Anordnung, die den gesamten Interessentenkreis
(bzw. alle Nachtclub-Betreiber im Kanton) in gleicher Weise trifft, ohne
in gesetzlich oder verfassungsrechtlich geschützte Rechte einzugreifen. Auf
die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nicht einzutreten.