Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 I 322



122 I 322

41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. November
1996 i.S. R. S. und C. S. gegen Regierungsrat des Kantons Luzern
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Unentgeltliche Rechtspflege bzw. Verbeiständung im Verfahren der
Verwaltungsbeschwerde.

    Art. 4 BV verlangt, dass der Anwalt einer unentgeltlich verbeiständeten
Partei vom Staat entschädigt wird, wenn bei Obsiegen die kostenpflichtige
Gegenpartei nicht mit Erfolg belangt werden kann. Entsprechend darf ein
Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung nicht schon deshalb abgewiesen
werden, weil eine Parteientschädigung zu Lasten des Prozessgegners
zugesprochen wird (E. 2 und 3).

Sachverhalt

    A.- Am 4. Mai 1995 stellte F. für die Kinder R. S. und C. S., die im
Scheidungsverfahren unter ihre elterliche Gewalt gestellt worden waren,
beim Justizdepartement des Kantons Luzern den Antrag, es sei den Kindern
die Führung des Namens "F." zu gestatten. Dem wurde mit Entscheid vom
5. Januar 1996 entsprochen.

    B.- Dagegen führte O. S., Vater der Kinder, am 31. Januar 1996
Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Luzern und beantragte die
unentgeltliche Rechtspflege für dieses Verfahren. In ihrer Vernehmlassung
vom 17. April 1996 ersuchten R. S. und C. S. um Abweisung der Beschwerde
und reichten ihrerseits ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ein.

    Am 9. Juli 1996 wies der Regierungsrat des Kantons Luzern die
Beschwerde ab und bestätigte die vom Justizdepartement bewilligte
Namensänderung. Überdies gewährte der Rat O. S. die unentgeltliche
Rechtspflege und bestellte ihm einen Rechtsbeistand, welchem er zu
Lasten des Staates eine Vergütung ausrichtete. R. S. und C. S. sprach
er eine Parteientschädigung zu Lasten von O. S. zu und wies ihr Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung sinngemäss ab.

    C.- R. S. und C. S. haben am 11. September 1996 staatsrechtliche
Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Sie beantragen, den Entscheid
des Regierungsrates des Kantons Luzern vom 9. Juli 1996 aufzuheben,
soweit ihnen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert worden ist,
und ihnen diese zu erteilen. Auch für das Verfahren vor Bundesgericht
ersuchen sie um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt;
den angefochtenen Entscheid hebt es insofern auf, als damit das Gesuch
um unentgeltliche Verbeiständung sinngemäss abgewiesen worden ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Der Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheid das Gesuch
der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
sinngemäss abgewiesen, weil die Beschwerdeführer obsiegten, ihnen deshalb
keine Verfahrenskosten auferlegt wurden und sie zu Lasten der Gegenpartei
eine Entschädigung zugesprochen erhielten. Die Beschwerdeführer beanstanden
den Entscheid, soweit ihnen kein unentgeltlicher Rechtsbeistand zugestanden
worden ist, und zwar deshalb, weil die zugesprochene Parteientschädigung
zu Lasten der Gegenpartei nicht einbringlich sei. In diesem Zusammenhang
rügen sie Rechtsverweigerung und damit eine Verletzung von Art. 4 BV.

    b) Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ergibt sich, soweit das
kantonale Recht keine weitergehenden Ansprüche gewährt, als Minimalgarantie
direkt aus Art. 4 BV (BGE 121 I 60 E. 2a mit Hinweisen). Dies gilt
insbesondere auch für das Verfahren der Verwaltungsbeschwerde (BGE 112 Ia
14 E. 3c). Art. 4 BV verschafft einer bedürftigen Partei in einem für sie
nicht aussichtslosen Verfahren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege
und auf Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sofern sie eines
solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen bedarf (BGE 119 Ia 251 E. 3;
119 Ia 264 E. 3a mit Hinweisen; 120 Ia 14 E. 3a; 120 Ia 179 E. 3a).

    c) Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wie er sich
unmittelbar aus Art. 4 BV ergibt, garantiert dem Bedürftigen indessen keine
definitive Übernahme der Kosten durch den Staat. Gelangt die bedürftige
Partei im Laufe des Verfahrens oder aufgrund des Prozessausgangs
in den Besitz ausreichender Mittel, kann ihr die unentgeltliche
Rechtspflege verweigert oder wieder entzogen werden. Auf Grund der
Rechtswohltat ausbezahlte Beträge können ferner selbst nach Erledigung
des Prozesses zurückverlangt werden, wenn sich die wirtschaftliche
Situation des Begünstigten ausreichend verbessert hat (BGE 122 I 5
E. 4a mit Hinweisen). Art. 4 BV schliesst sodann nicht aus, dass die
Partei, welcher die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden ist,
im Falle des Unterliegens zur Bezahlung einer Parteientschädigung an
die obsiegende Partei verpflichtet wird (BGE 112 Ia 14 E. 3c S. 18). Die
obsiegende Partei ihrerseits trägt das Risiko der Uneinbringlichkeit. Sie
hat verfassungsrechtlich keinen Anspruch darauf, dass der Staat anstelle
der bedürftigen Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt
worden ist, für die Parteientschädigung aufkommt (BGE 117 Ia 513 E. 2);
denn die unentgeltliche Rechtspflege will nach ihrem Grundgedanken der
bedürftigen Partei den Zugang zum Recht gewährleisten und nicht die
vermögende Gegenpartei vor Risiken bewahren.

Erwägung 3

    3.- a) Die Beschwerdeführer haben im Verfahren vor dem Regierungsrat,
in welchem sie um unentgeltliche Rechtspflege ersucht hatten, obsiegt. Der
unterliegenden Gegenpartei, welche ihrerseits bedürftig ist, gewährte
der Regierungsrat zwar die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
(unter Entschädigung des Anwalts durch den Staat), verpflichtete sie aber
gleichzeitig zur Bezahlung einer Parteientschädigung an die obsiegenden
Beschwerdeführer. Dagegen ist verfassungsrechtlich insoweit nichts
einzuwenden, als der Zugang zum Recht der bedürftigen Gegenpartei der
Beschwerdeführer in Frage steht, welche nach dem Gesagten trotz Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege zur Bezahlung einer Parteientschädigung
verpflichtet werden durfte. Die obsiegenden Beschwerdeführer ihrerseits
können aus dem Umstand, dass der unterliegenden Partei die unentgeltliche
Rechtspflege gewährt worden ist, nicht ableiten, dass der Staat für die
ihnen zugesprochene Parteientschädigung aufkomme.

    Darauf kommt es jedoch vorliegend nicht an. Hier stellt sich vielmehr
die Frage, ob aufgrund des verfassungsrechtlichen Minimalanspruchs von
Art. 4 BV die Anwaltskosten derjenigen Partei, bei der die Voraussetzungen
der unentgeltlichen Rechtspflege erfüllt sind, vom Staat übernommen
werden müssen, sofern und soweit die zugesprochene Parteientschädigung
sich nicht als einbringlich erweist. Dies ist zu bejahen.

    b) Wird der bedürftigen Partei ein unentgeltlicher Rechtsbeistand
bestellt, übernimmt dieser eine staatliche Aufgabe und tritt zum Staat
in ein Rechtsverhältnis, aufgrund dessen er einen öffentlichrechtlichen
Anspruch auf Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen
Vorschriften hat (BGE 122 I 1 E. 3a; 117 Ia 22 E. 4a mit Hinweisen). Der
amtlich bestellte Rechtsbeistand darf sich von der verbeiständeten Partei
nicht entschädigen lassen und ist insbesondere auch nicht befugt, sich
eine zusätzliche Entschädigung zu derjenigen auszahlen zu lassen, welche
er vom Staat erhält; eine Bezahlung durch die verbeiständete Partei ist
selbst dann ausgeschlossen, wenn die öffentlichrechtliche Entschädigung
nicht einem vollen Honorar entspricht (BGE 108 Ia 11 E. 1). Verstösst
der unentgeltliche Rechtsbeistand gegen diesen Grundsatz, macht er sich
disziplinarrechtlich verantwortlich (BGE 108 Ia 11 E. 3).

    Sofern die Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung gegeben sind, hat der Staat ab Einreichung des Gesuchs
die Kosten der Verbeiständung zu übernehmen (BGE 122 I 203 E. 2). Er
darf den Anspruch nicht erst auf den Zeitpunkt beziehen, in welchem dem
Anwalt das öffentlichrechtliche Mandat verliehen wird (BGE 120 Ia 14
E. 3d). Die unentgeltliche Verbeiständung entfaltet dabei bereits Wirkung
auf die Bemühungen des Anwalts für die gleichzeitig mit dem Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege eingereichte Rechtsschrift (BGE 120 Ia 14
E. 3f). Daher kann die unentgeltliche Verbeiständung in einem solchen
Fall selbst dann, wenn keine weiteren Prozesshandlungen mehr erforderlich
sind, nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es bedürfe der Bestellung
eines unentgeltlichen Vertreters nicht mehr, weil die Arbeit des Anwalts
bereits geleistet sei.

    c) Nach dem unter E. 3b Gesagten kann das Gesuch um unentgeltliche
Verbeiständung bei Obsiegen folgerichtig nur dann abgewiesen werden,
wenn eine Parteientschädigung zugesprochen wird, die sich ihrerseits als
einbringlich erweist. Nur wenn der Prozessgegner seiner Verpflichtung
tatsächlich nachkommt, ist sichergestellt, dass die bedürftige Partei
nicht durch eigene Anwaltskosten belastet wird. Ohne Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung bliebe der Anwalt nämlich befugt,
sich durch die von ihm verbeiständete Partei bezahlt zu machen. Die
Zusprechung einer Parteientschädigung, welche aufgrund der finanziellen
Lage der verpflichteten Gegenpartei nicht erhältlich gemacht werden kann,
entbindet deshalb die zuständige Behörde nicht davon, über das Gesuch um
unentgeltliche Verbeiständung zu entscheiden.

    d) Art. 4 BV verlangt demnach im Ergebnis, dass der Anwalt einer
unentgeltlich verbeiständeten Partei vom Staat entschädigt wird, wenn
bei Obsiegen die kostenpflichtige Gegenpartei nicht mit Erfolg belangt
werden kann. Entsprechend darf ein Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung
nicht schon deshalb abgewiesen werden, weil eine Parteientschädigung
zu Lasten des Prozessgegners zugesprochen wird. Wie über das Gesuch zu
entscheiden ist, hängt vielmehr davon ab, ob die Parteientschädigung
vom Prozessgegner - allenfalls auf dem Wege der Zwangsvollstreckung -
eingebracht werden kann. Handelt es sich bei der kostenpflichtigen
Gegenpartei um das Gemeinwesen oder auch um eine private Partei,
deren Zahlungsfähigkeit ausser Zweifel steht, so lässt sich gegen den
Entscheid, das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung abzuweisen, nichts
einwenden. Anders verhält es sich jedoch, wenn sich die Zahlungsfähigkeit
als unsicher erweist, zumal diesfalls gewährleistet bleiben muss, dass der
Anwalt der bedürftigen Partei nötigenfalls durch den Staat entschädigt
wird. Wie dies prozessual sichergestellt wird, ist verfassungsrechtlich
ohne Belang. Über das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung kann
z.B. mit dem Entscheid in der Sache selbst befunden, die Entschädigung
durch den Staat aber vom späteren Nachweis der Uneinbringlichkeit der
Parteientschädigung abhängig gemacht werden. Denkbar ist allerdings auch,
den Entscheid über die unentgeltliche Verbeiständung auszusetzen und
darüber nur erforderlichenfalls zu entscheiden. Schliesslich kann es sich
rechtfertigen, die Entschädigung des Anwalts direkt festzulegen, wenn die
Zahlungsunfähigkeit der Gegenpartei bereits feststeht (was allerdings
nicht bereits aus dem Umstand zu folgen braucht, dass der Gegenpartei
ebenfalls die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden ist).

    e) Der Regierungsrat hat das Gesuch der Beschwerdeführer um
unentgeltliche Verbeiständung sinngemäss abgewiesen, obwohl die
Einbringlichkeit der zugesprochenen Parteientschädigung mehr als fraglich
erscheint. Nicht nur ist dem Prozessgegner seinerseits die unentgeltliche
Rechtspflege bewilligt worden, was bereits als unsicher erscheinen lässt,
dass die Parteientschädigung erhältlich gemacht werden kann. Hinzu kommt,
dass der entschädigungspflichtige Prozessgegner der Beschwerdeführer
offenbar eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu verbüssen hat. Unter diesen
Umständen hätte das Gesuch der Beschwerdeführer um unentgeltliche
Verbeiständung aufgrund der zugesprochenen Parteientschädigung nicht
abgewiesen werden dürfen.