Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 I 139



122 I 139

23. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
3. Mai 1996 i.S. X. gegen Kanton Appenzell A.Rh. und Regierungsrat des
Kantons Appenzell A.Rh. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 BV; Art. 2 ÜbBest. BV; Eröffnung von Veranlagungsverfügungen
gegenüber Ehegatten; Solidarhaftung der Ehegatten für die Gesamtsteuer.

    Mit der Zustellung an die gemeinsame Adresse der Ehegatten ist die
Veranlagungsverfügung gegenüber beiden Ehegatten eröffnet (E. 1). Kein
verfassungsmässiger Anspruch der in ungetrennter Ehe lebenden Ehegatten
auf individuelle Eröffnung der Veranlagung (E. 2).

    Die solidarische Haftung der in ungetrennter Ehe lebenden Ehegatten
für die Gesamtsteuer gemäss Art. 5 Abs. 4 des Steuergesetzes des Kantons
Appenzell A.Rh. verstösst nicht gegen die derogatorische Kraft des
Bundesrechts (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Art. 5 in der bis Ende 1986 geltenden Fassung des Gesetzes über
die direkten Steuern des Kantons Appenzell A.Rh. vom 27. April 1958
(StG) bestimmt:

    Art. 5 (a.F.)

    1 Die Ehefrau, die in ungetrennter Ehe lebt, und die unmündigen Kinder
   (unter Vorbehalt von Art. 6) werden nicht selbständig besteuert.

    2 Das Vermögen und die Einkünfte der Ehefrau werden grundsätzlich unter
   jedem Güterstande dem Ehemann, das Vermögen und Einkommen der Kinder
   dem steuerpflichtigen Elternteile zugerechnet.

    3 Die Einkünfte und das Vermögen bilden für die Steuerberechnung eine

    Einheit. Ist ein Abzug begrenzt, so darf der Gesamtabzug den
Höchstbetrag
   nicht überschreiten.

    4 Die Ehefrau und die Kinder haften mit dem Steuerpflichtigen
solidarisch
   für jene Steuerbeträge, die auf ihren Anteil am gesamten Einkommen und

    Vermögen entfallen.

    Mit Gesetz vom 27. April 1986 wurde diese Bestimmung mit Wirkung ab
1. Januar 1987 wie folgt geändert:

    Art. 5 (n.F.)

    1 Die in ungetrennter Ehe lebenden Ehegatten sind gemeinsam
   steuerpflichtig. Handlungen eines Ehegatten sowie Handlungen der

    Steuerbehörde gegenüber einem Ehegatten binden auch den andern
Ehegatten.

    2 Einkommen und Vermögen der in ungetrennter Ehe lebenden Ehegatten
   werden zusammengerechnet.

    3 ... (betreffend Kinder)

    4 Die in ungetrennter Ehe lebenden Ehegatten haften solidarisch für die

    Gesamtsteuer, Kinder für jene Steuerbeträge, die auf ihren Anteil am
   gesamten Einkommen und Vermögen entfallen.

    Am 27. Oktober 1986 wurde die Verordnung vom 27. November 1958 zum
Steuergesetz auf den 1. Januar 1987 teilweise geändert. Art. 2 dieser
Verordnung hält fest:

    Art. 2

    1 Von den Steuerbehörden werden grundsätzlich beide Ehegatten gemeinsam
   aufgefordert, die Verfahrenspflichten wahrzunehmen.

    2 Tritt in einem Verfahren gegenüber den Steuerbehörden nur ein
Ehegatte
   auf, gilt der andere Ehegatte als durch diesen vertreten.

    3 Der auftretende Ehegatte nimmt die Mitwirkungspflicht für den

    Vertretenen wahr wie für seine eigenen Angelegenheiten.

    4 Die gemeinsamen Rechte und Pflichten beziehen sich ausschliesslich
auf
   die Besteuerung von Einkommen und Vermögen gemäss Art. 5 Abs. 2 StG.

    Am 14. Februar 1989 stellte das Gemeindesteueramt den Eheleuten X. zwei
auf deren Namen lautende Veranlagungsverfügungen für die Steuerperioden
1985/86 und 1987/88 an die gemeinsame Adresse des Ehepaares zu.

    Seit 1. März 1989 leben die Ehegatten X. getrennt, und am 16. März
1989 wurde über den Ehemann der Konkurs eröffnet. Am 25. April 1989 gab
das Gemeindesteueramt im Konkurs des Ehemannes für noch ausstehende Steuern
1985 bis 1988 eine Forderung im Betrag von Fr. 17'043.90 ein. Gleichzeitig
wurde die Ehefrau mit Hinweis auf die Solidarhaftung zur Bezahlung der
noch ausstehenden Steuern 1985-1988 aufgefordert. Die Ehefrau teilte den
Steuerbehörden darauf mit, dass sie seit 1985 unter dem Güterstand der
Gütertrennung lebe und folglich nur für ihre eigenen Verbindlichkeiten
hafte; sie lehne es ab, für die Steuerschulden des Ehemannes aufzukommen.

    Die kantonale Steuerverwaltung informierte in der Folge die Ehefrau
dahingehend, dass die solidarische Haftung der Ehegatten für Steuerschulden
(Art. 5 Abs. 4 StG n.F.) ungeachtet des jeweiligen Güterstandes gelte.
Allerdings komme für die Steuerjahre 1985 und 1986 noch die alte
gesetzliche Regelung zur Anwendung, weshalb sie für diese Periode
nur für jene Steuerbeträge solidarisch hafte, die auf ihren Anteil am
gesamten Einkommen und Vermögen entfielen (Art. 5 Abs. 4 StG a.F.). Das
Gemeindesteueramt habe dies übersehen, weshalb die Steuerrechnung zu
korrigieren sei.

    Am 8. Juni 1989 stellte das Gemeindesteueramt der Ehefrau berichtigte
Steuerrechnungen zu. Mit Einsprache gegen die Steuerrechnungen verlangte
die Ehefrau die Überprüfung der Veranlagungsverfügungen vom 14. Februar
1989. Ausserdem beantragt sie, es sei ihr in der Steuerperiode 1987/88 nur
derjenige Steuerbetrag zu belasten, der auf ihr Einkommen entfalle. Die
kantonale Steuerverwaltung wies die Einsprache ab. Mit Entscheid vom
10. Mai 1990 bestätigte die Steuerrekurskommission von Appenzell A.Rh. den
Einspracheentscheid und wies den Rekurs der Ehefrau ab.

    Die Ehefrau erhob Kassationsbeschwerde beim Regierungsrat des
Kantons Appenzell A.Rh. Sie machte geltend, die Zustellung der
Veranlagungsverfügungen an die Ehegatten gemeinsam verletze ihren
Anspruch auf individuelle Eröffnung von Verfügungen. Die Veranlagungen
für die Steuerjahre 1985 bis 1988 seien ihr erst mit den Steuerrechnungen
rechtsgenügend eröffnet worden. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 StG n.F., wonach
"Handlungen eines Ehegatten (...) auch den andern Ehegatten" binden,
sei verfassungswidrig. Überdies hielt die Beschwerdeführerin an ihrer
Auffassung fest, dass sie für die Steuern ihres Mannes nicht belangt
werden könne, und bestritt die Verfassungsmässigkeit der solidarischen
Haftung der Ehegatten für die Gesamtsteuer (Art. 5 Abs. 4 StG n.F.).

    Mit Entscheid vom 1. Februar 1994 wies der Regierungsrat die
Beschwerde ab. Die Ehefrau führt, gestützt auf Art. 4 Abs. 1 BV und
Art. 2 ÜbBest. BV, staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht weist
die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, der bundesrechtliche Anspruch
auf rechtliches Gehör verlange, dass eine Verfügung jedem Ehegatten
individuell eröffnet werde. Sie habe von den Veranlagungsverfügungen vom
14. Februar 1989 keine Kenntnis erlangt und folglich nicht die Möglichkeit
gehabt, Einsprache zu erheben. Indem der Regierungsrat von der Fiktion
der Zustellung der Veranlagungsverfügungen an die Beschwerdeführerin
ausgegangen sei und ihre Eingabe gegen die Steuerrechnungen nicht als
Einsprache gegen die Veranlagungsverfügungen gelten lasse, habe er
ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verweigert. Letztlich verfalle der
Regierungsrat in Willkür, wenn er annehme, dass ein Ehegatte, auch wenn
dieser die ihn betreffende Verfügung nicht erhalten habe, seine Rechte
im Veranlagungsverfahren habe wahrnehmen können.

    Es ist unbestritten, dass das Gemeindesteueramt am 14. Februar 1989
zwei auf den Namen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes lautende
Veranlagungsverfügungen durch gewöhnlichen Brief an die damals noch
gemeinsame Adresse des Ehepaares zugestellt hat. Ob die Aushändigung
der Sendung an einen Ehegatten eine gültige Zustellung auch gegenüber
dem andern Ehegatten bewirkt, bestimmt sich nach der Verordnung (1) vom
1. September 1967 zum Postverkehrsgesetz (PVV 1; SR 783.01). Danach
ist zum Bezug von Postsendungen in der Regel berechtigt, wer in
der Adresse als Empfänger bezeichnet oder von diesem bevollmächtigt
ist; berechtigt zum Bezug uneingeschriebener Postsendungen sind auch
Familienangehörige, wenn der Empfänger der Bestimmungspoststelle keine
gegenteilige Weisung erteilt hat (Art. 146 Abs. 1 und 2 PVV 1, Fassung
vom 11. Februar 1987). Uneingeschriebene Briefpostsendungen können zudem
in den Briefkasten des Empfängers gelegt werden (Art. 156a Abs. 1 PVV 1,
Fassung vom 11. Februar 1987). Dass die Beschwerdeführerin der Poststelle
anderslautende Weisungen über die Empfangsberechtigung zukommen liess,
wird nicht behauptet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts
ist für die Zustellung einer Sendung auch nicht erforderlich, dass der
Adressat sie tatsächlich in Empfang nimmt; es genügt, wenn sie in seinen
Machtbereich gelangt und er demzufolge von ihr Kenntnis nehmen kann (BGE
115 Ia 12 S. 17 mit Hinweisen). Der Einwurf der Briefpostsendung in den
Briefkasten, wo sowohl die Beschwerdeführerin wie auch ihr Ehemann sie
entgegennehmen konnten, oder die Aushändigung an einen Ehegatten stellt
daher eine gültige Zustellung gegenüber beiden Ehegatten dar. Dies hat der
Regierungsrat im angefochtenen Entscheid zutreffend erwogen. Der interne
Informationsaustausch ist dagegen Sache der Eheleute. Unerheblich ist
somit, ob der Ehegatte, der den Briefkasten geleert oder die Postsendung
in Empfang genommen hat, seinem Partner vom Inhalt der Sendung Kenntnis
gegeben hat. Es ist Sache der Ehegatten, ihre Beziehungen untereinander
in dieser Hinsicht so zu regeln, dass die an sie gemeinsam adressierte
Post auch tatsächlich beiden Ehegatten zur Kenntnis gelangt.

    Verfehlt ist der Einwand der Beschwerdeführerin, dass es sich um eine
fiktive Zustellung handle. Wohl nimmt die Rechtsprechung unter bestimmten
Voraussetzungen eine solche Zustellung an. Diese Praxis bezieht sich
aber auf den Fall, wo eine Verfügung nicht zugestellt werden kann,
obschon ein Prozessrechtsverhältnis besteht und der Adressat mit der
Zustellung einer Verfügung rechnen muss (vgl. BGE 116 Ia 90 E. 2c für
Gerichtsurkunden). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt; weder
bestand für die Beschwerdeführerin in diesem Sinne eine Empfangspflicht,
noch konnte ihr die Verfügung nicht zugestellt werden. Die Verfügungen
gelangten mit dem Einwurf in den Briefkasten oder der Aushändigung an einen
Ehegatten auch in den Machtbereich des anderen Ehegatten, weshalb sie als
der Beschwerdeführerin zugestellt zu gelten haben. Die nämliche Wirkung
für die Beschwerdeführerin hätte auch die Entgegennahme der Sendung
durch eine Hausangestellte oder eine andere bezugsberechtigte Person
(vgl. Art. 146 Abs. 2 PVV 1) gehabt. Die Annahme des Regierungsrates,
die Veranlagungsverfügungen seien der Beschwerdeführerin tatsächlich
(und nicht bloss fiktiv) zugestellt worden, trifft daher zu.

Erwägung 2

    2.- Fragen kann sich nur, ob die Veranlagungsverfügungen den Ehegatten
je mit separater Post - individuell - hätten eröffnet werden müssen,
wie die Beschwerdeführerin behauptet. Diese Frage beurteilt sich nach dem
kantonalen Recht, das in dieser Hinsicht den verfassungsmässigen Garantien
genügen muss. Nach Art. 5 StG n.F. sind die in ungetrennter Ehe lebenden
Ehegatten gemeinsam steuerpflichtig (Abs. 1); ihre Steuerfaktoren werden
zusammengerechnet (Abs. 2). Art. 2 Abs. 1 der Verordnung vom 27. November
1958/27. Oktober 1986 zum kantonalen Steuergesetz bestimmt zudem, dass von
den Steuerbehörden grundsätzlich beide Ehegatten gemeinsam aufgefordert
werden müssen, die Verfahrenspflichten wahrzunehmen. Sind aber nach dem
kantonalen Steuerrecht beide Ehegatten am Verfahren beteiligt, so ist
nicht zu beanstanden, wenn die Veranlagungsverfügungen an die Ehegatten
gemeinsam zugestellt werden. Diese Lösung berücksichtigt die Interessen
der Ehegatten ausreichend und entspricht der Regelung, wie sie auch das
Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer getroffen
hat (vgl. Art. 113 Abs. 4 DBG; SR 642.11). Das Schrifttum beurteilt sie
ebenfalls als sachgerecht (BRIGITTE BEHNISCH, Die Stellung der Ehegatten
im Veranlagungs-, Rechtsmittel-, Bezugs- und Steuerstrafverfahren, Bern
1992, S. 126 f., 127 f.; ROLF HARTL, Die verfahrensrechtliche Stellung
der gemeinsam steuerpflichtigen Ehegatten und ihre Haftung, Diss. Zürich
1989, S. 92; MARTIN ZWEIFEL, Die verfahrensrechtliche Stellung der
Ehegatten in der Steuerveranlagung, ZBl 89/1988 S. 349; s. auch Urteil
der Steuerrekurskommission IV des Kantons Zürich vom 8. Februar 1989,
StE 1989, B 93.6 Nr. 8).

    Darin, dass die Veranlagungsverfügungen den Ehegatten nicht je
individuell eröffnet worden sind, kann somit keine Verletzung des Art. 4
Abs. 1 BV erblickt werden. Ebenso bedeutet es keine Rechtsverweigerung,
wenn die Steuerbehörden die gegen die Steuerrechnungen erhobene
Einsprache der Beschwerdeführerin nicht als Einsprache gegen
die Veranlagungsverfügungen entgegengenommen haben, nachdem die
Veranlagungsverfügungen beiden Ehegatten ordnungsgemäss eröffnet wurden
und sie dagegen Einsprache erheben konnten.

Erwägung 4

    4.- Gemäss Art. 5 Abs. 4 StG in der ab dem Steuerjahr 1987 gültigen
Fassung haften die in ungetrennter Ehe lebenden Ehegatten solidarisch für
die Gesamtsteuer, unbekümmert darum, auf wessen Faktoren diese letztlich
zurückzuführen ist. Die Steuerbehörden und der Regierungsrat haben
gestützt auf diese Bestimmung eine Haftung der Beschwerdeführerin für
die noch offenen Steuern der Jahre 1987/88 bejaht. Die Beschwerdeführerin
wendet ein, die unbeschränkte Solidarhaftung für die Gesamtsteuer vereitle
die Verwirklichung von Bundeszivilrecht und verstosse gegen dessen Sinn
und Geist, namentlich der Art. 166, 202 und 249 ZGB. Der Grundsatz der
derogatorischen Kraft des Bundesrechts sei verletzt.

    a) Nach dem in Art. 2 ÜbBest. BV enthaltenen Grundsatz der
derogatorischen Kraft des Bundesrechts dürfen die Kantone kein Recht
erlassen, das im Widerspruch zum Bundesrecht steht. In Sachgebieten,
welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, sind sie zur
Rechtsetzung nicht befugt (BGE 120 Ia 286 S. 290 E. 2c/aa, 299 S. 303
E. 2c/aa, je mit Hinweisen).

    Gemäss Art. 64 BV steht die Gesetzgebung auf dem ganzen Gebiet des
Zivilrechts dem Bund zu. Die Kantone dürfen zivilrechtliche Bestimmungen
nur soweit erlassen, als das Bundesrecht ausdrücklich oder dem Sinne
nach die Geltung kantonalen Rechts vorbehält. Hingegen werden die
öffentlichrechtlichen Befugnisse der Kantone durch das Bundeszivilrecht
nicht beschränkt (Art. 6 ZGB). Die Kantone können in einem durch das
Bundeszivilrecht geregelten Bereich öffentlichrechtliche Vorschriften
erlassen, sofern die bundesrechtliche Ordnung keine abschliessende
ist. Die kantonalen Bestimmungen müssen aber einem öffentlichen Interesse
entsprechen und dürfen weder das Bundeszivilrecht vereiteln oder übermässig
erschweren noch dessen Sinn und Geist zuwiderlaufen (vgl. die zitierten
Urteile).

    Das Steuerrecht der Kantone ist Ausfluss der diesen durch Art. 3
BV eingeräumten staatlichen Selbständigkeit. Die Kantone sind daher
befugt, im Rahmen der Verfassung ihre Steuern nach eigenem Gutdünken
zu ordnen (BLUMENSTEIN/LOCHER, System des Steuerrechts, 5. Aufl. 1995,
S. 15). Sie sind bei der Ausgestaltung ihres Steuerrechts aber an die von
der Verfassung gezogenen Schranken gebunden. Ein Kanton überschreitet daher
die ihm nach Art. 6 ZGB zustehenden öffentlichrechtlichen Befugnisse, wenn
er Steuervorschriften erlässt, welche die Anwendung des Bundeszivilrechts
verunmöglichen oder übermässig erschweren oder auch nur dem Sinn und
Geist des Bundeszivilrechts zuwiderlaufen (BGE 118 Ib 60 S. 64; Urteil vom
23. April 1993, ASA 62 S. 574). Ob die beanstandeten kantonalen Normen in
diesem Sinne mit dem Bundesrecht vereinbar sind, prüft das Bundesgericht
auf Rüge hin frei (BGE 122 I 18 E. 2b/aa; 120 Ia 299 S. 302 E. 2b).

    b) Zur Begründung ihrer Rüge, wonach die uneingeschränkte
Solidarhaftung beider Ehegatten für die Gesamtsteuer gemäss Art. 5 Abs. 4
StG n.F. gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts
verstosse, bringt die Beschwerdeführerin zunächst vor, dass die Ehegatten
nach dem neuen Eherecht nur für Schulden aus Rechtsgeschäften über die
laufenden Bedürfnisse der Familie solidarisch haften; Steuerschulden fielen
nicht darunter. Der Einwand läuft sinngemäss auf die Behauptung hinaus,
die Regelung der Haftung der Ehegatten im neuen Eherecht sei abschliessend
und müsse auch vom kantonalen Steuergesetzgeber beachtet werden.

    Diese Rüge dringt nicht durch. Der Bundesgesetzgeber hat hinsichtlich
der direkten Bundessteuer in Art. 13 DBG selbst eine von der Regelung
der Haftung im Zivilrecht abweichende, eigenständige Bestimmung für die
Haftung der Ehegatten für Steuerschulden eingeführt. Die Absätze 1 und
2 dieser Vorschrift lauten:

    1 Ehegatten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben,
   haften solidarisch für die Gesamtsteuer. Jeder Gatte haftet jedoch
   nur für seinen Anteil an der Gesamtsteuer, wenn einer von beiden
   zahlungsunfähig ist. Ferner haften sie solidarisch für denjenigen Teil
   an der Gesamtsteuer, der auf das Kindereinkommen entfällt.

    2 Bei rechtlich und tatsächlich getrennter Ehe entfällt die

    Solidarhaftung auch für alle noch offenen Steuerschulden.

    3-4 (...)

    Der Bundesgesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass die vom
Bundeszivilgesetzgeber vorgesehene, grundsätzlich individuelle Haftung
der Ehegatten den Steuergesetzgeber nicht bindet. Eine dem Art. 13
DBG analoge Bestimmung enthält das Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990
über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden
(StHG; SR 642.14) nicht und überlässt damit die Regelung der Haftung
für die Steuern der Ehegatten den Kantonen. Wenn daher der kantonale
Steuergesetzgeber eine eigenständige Haftungsnorm einführt, kann ihm
nicht vorgeworfen werden, er habe in einem Bereich legiferiert, der vom
Bundeszivilrecht abschliessend geordnet worden sei.

    c) Nach Ansicht der Beschwerdeführerin verletzt die
unbeschränkte Solidarhaftung der Ehegatten für Steuerschulden
auch zivilrechtliche Ordnungsstrukturen, wie sie dem neuen Eherecht
aufgrund des gesetzgeberischen Leitbilds von der Ehe zugrundeliegen. Die
Beschwerdeführerin bringt damit zum Ausdruck, dass nach ihrer Meinung die
beanstandete kantonale Regelung Bundeszivilrecht vereitelt oder zumindest
dessen Sinn und Geist zuwiderläuft.

    aa) Am 1. Januar 1988 ist das neue Eherecht in Kraft getreten. Ziel
der Reform war die gesetzliche Gleichstellung der Ehegatten. Im neuen
Eherecht hat der Bundesgesetzgeber das traditionelle Rollenverständnis,
das dem Ehemann die Rolle des Familienernährers und der Ehefrau die
Rolle der Hausfrau gesetzlich (vgl. THOMAS KOLLER, Privatrecht und
Steuerrecht, Bern 1993, S. 412; BGE 114 II 26 E. 5b) zuwies, aufgegeben
und dem neuen Recht ein freiheitlich-partnerschaftliches Leitbild von der
Ehe vorangestellt. Der Ehemann ist nicht mehr das "Haupt der Familie"
(vgl. Art. 160 Abs. 1 aZGB). Die Vertretungsbefugnis des Ehemannes
(Art. 162 Abs. 1 aZGB) und seine güterrechtliche Vorherrschaft sind
aufgehoben. Beide Ehegatten sind in gleicher Weise für das Gelingen
der ehelichen Gemeinschaft verantwortlich (Art. 159 Abs. 2 ZGB),
und es trifft sie die gleiche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die
eheliche Gemeinschaft. Sie bestimmen die eheliche Wohnung gemeinsam
(Art. 162 ZGB) und sorgen miteinander für den Unterhalt der Familie
(Art. 163 ZGB). Nach Art. 166 ZGB vertritt jeder Ehegatte während des
Zusammenlebens die eheliche Gemeinschaft für die laufenden Bedürfnisse
der Familie (Abs. 1). Für die übrigen Bedürfnisse der Familie kann ein
Ehegatte die eheliche Gemeinschaft vertreten, wenn er vom anderen Ehegatten
oder vom Richter dazu ermächtigt worden ist oder wenn die Interessen der
Gemeinschaft keinen Aufschub dulden (Abs. 2).

    bb) Der Bundesgesetzgeber hat zwar den Gedanken der Gleichberechtigung
der Ehegatten im neuen Eherecht voll verwirklicht, doch bleiben die
Ehegatten weiterhin nicht nur zu einer rechtlich-sittlichen, sondern
auch zu einer wirtschaftlichen Gemeinschaft verbunden. Durch die
gegenseitige Beitragspflicht (Art. 163 ZGB) und die Anwartschaft auf
die Hälfte des gegenseitigen Vorschlages (Art. 215 ZGB) bindet das neue
Eherecht die ehelichen Mittel sogar stärker ein als früher (PETER BÖCKLI,
Eintracht und Hader mit Steuerfolgen, StR 46/1991 S. 229). Obwohl die
Errungenschaftsbeteiligung als neuer ordentlicher Güterstand innerhalb
der ehelichen Gemeinschaft klarere Nutzungs- und Vermögensverhältnisse
geschaffen und besonders den Grundsatz der bloss individuellen Haftung
verwirklicht hat (vgl. Art. 166, 202 ZGB), bilden die Ehegatten weiterhin
eine Erwerbs- und Verbrauchergemeinschaft (Botschaft des Bundesrates zu den
Bundesgesetzen über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone
und Gemeinden sowie über die direkte Bundessteuer, vom 25. Mai 1983,
BBl 1983 III S. 25, 26; s. auch KLAUS TIPKE, Die Steuerrechtsordnung,
Band I, Köln 1993, S. 389 f. mit Hinweis auf die schweizerische Doktrin).

    Daran darf auch das Steuerrecht anknüpfen. Auch wenn der
Bundesgesetzgeber in den harmonisierten Steuergesetzen den Gedanken der
Gleichberechtigung und Partnerschaft der Ehegatten voll verwirklicht hat,
behandelt er die Ehegatten nicht als voneinander völlig unabhängige
Steuersubjekte. So hat er sich gegen die Individualbesteuerung der
Ehegatten und für die Beibehaltung des Instituts der Familienbesteuerung,
d.h. für die Zusammenrechnung der Steuerfaktoren, entschieden, was auch
in der Doktrin als zulässig erachtet wird (vgl. etwa BÖCKLI, aaO). Er hat
ferner in Art. 13 DBG eine spezifische Haftungsnorm eingeführt, welche
die Solidarhaftung beider Ehegatten für die Gesamtsteuer begründet. Zum
Bundesrecht im Sinne von Art. 2 ÜbBest. BV gehört indessen nicht nur das
Eherecht, sondern auch das Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer.
Wenn somit der kantonale Gesetzgeber eine dem Art. 13 DBG entsprechende
Lösung wählt, kann nicht gesagt werden, er verstosse gegen den Grundsatz
der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV).

    cc) Die früheren Einkommenssteuerrechte der Schweiz beruhten gewöhnlich
auf der Steuersubstitution der Ehefrau durch den Ehemann. Danach gingen
sämtliche aus dem Steuerrechtsverhältnis entspringenden Verpflichtungen
und Befugnisse von Gesetzes wegen auf den Substituten (Ehemann) über,
der damit auch sämtliche Verfahrenspflichten wahrzunehmen hatte und
in die Steuerschuld, d.h. in die Zahlungspflicht für die Gesamtsteuer,
eintrat. Mit der verfassungsmässig verankerten Gleichberechtigung von
Mann und Frau ist die Steuersubstitution eines Ehegatten durch den andern
jedoch nicht mehr zu vereinbaren. Die meisten Kantone haben denn auch die
Steuersubstitution der Ehegatten inzwischen abgeschafft oder zumindest
erheblich abgeschwächt (ausführlich BRIGITTE BEHNISCH aaO, S. 55-81)
und zumeist eine dem Art. 13 Abs. 1 DBG nachgebildete Haftungsregelung
eingeführt. Das trifft auch für die Regelung des Kantons Appenzell
A.Rh. zu. Art. 5 Abs. 4 StG n.F. bestimmt, dass die "in ungetrennter
Ehe lebenden Ehegatten ... solidarisch für die Gesamtsteuer" haften. Es
folgt daraus, dass bei tatsächlich (oder rechtlich) getrennter Ehe die
Solidarhaftung entfällt. Diese Vorschrift entspricht vollumfänglich
dem Art. 13 DBG, ausser dass ihr eine klarstellende Bestimmung wie in
Art. 13 Abs. 2 DBG hinsichtlich der Haftung für die offenen, d.h. bis
zum Zeitpunkt der Trennung entstandenen Steuerschulden fehlt, und dass
der Haftungsausschluss bei Insolvenz nicht vorgesehen ist. Von einer
Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts
durch diese Haftungsvorschrift kann daher nicht gesprochen werden.

    d) Die Beschwerdeführerin weist auch auf die mangelnde Kohärenz
innerhalb der steuerrechtlichen Ordnung hin: Bei Mitgliedern einer
Kollektivgesellschaft bestehe keine Solidarhaftung für die gesamte Steuer
auf dem aus der Gesellschaft erzielten Einkommen; jeder Gesellschafter sei
nur für seinen Einkommensanteil steuerpflichtig; demgegenüber hafteten
Ehegatten solidarisch für die Gesamtsteuer; auf diese Weise werde die
ethisch-moralisch motivierte Gemeinschaft der Eheleute gegenüber der
bloss kommerziell motivierten Gemeinschaft der Kollektivgesellschafter
in unhaltbarer Weise benachteiligt.

    Mit diesen Vorbringen rügt die Beschwerdeführerin keine Verletzung
des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts: Wie
dargelegt, lässt das Eherecht Raum für eine abweichende Regelung
der Haftung der Ehegatten im Steuerrecht. Vielmehr beanstandet die
Beschwerdeführerin die Steuerordnung in sich als widersprüchlich und
rechtsungleich. Dieser Einwand dringt indes nicht durch. Mit der Ehe, die
nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht nur eine Erwerbs-, sondern
auch eine Verbrauchsgemeinschaft darstellt (vorstehende E. 4c/bb),
lässt sich die Kollektivgesellschaft nicht vergleichen. Abgesehen
von den Beiträgen, die in Geld, Sachen, Forderungen oder Arbeit
bestehen können (Art. 531 in Verbindung mit Art. 557 OR), schulden die
Gesellschafter einander keinen über den Gesellschaftsvertrag oder den
Gesellschaftszweck hinausgehenden Beistand. Die Kollektivgesellschaft
wird gewöhnlich zu kommerziellen Zwecken errichtet. In diesem Sinne kann
beim Verhältnis der Gesellschafter untereinander nicht von einer gleich
starken "Schicksalsgemeinschaft" wie bei der Ehe gesprochen werden. Die
Kollektivgesellschaft kann allenfalls als "Erwerbsgemeinschaft" betrachtet
werden, keinesfalls jedoch als Verbrauchsgemeinschaft wie die Ehe. Das
rechtfertigt auch die unterschiedliche Regelung der steuerrechtlichen
Haftung.

    e) Die Beschwerdeführerin beanstandet auch, dass die Solidarhaftung
gemäss Art. 5 Abs. 4 StG n.F. keine Rücksicht darauf nehme, ob die
Ehegatten unter dem ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung
leben oder ob sie unter sich Gütertrennung vereinbart haben. Auch
dieses Argument ist nicht geeignet, die beanstandete Bestimmung als
verfassungswidrig erscheinen zu lassen. Das Steuerrecht berücksichtigt
nicht, unter welchem Güterstand die Ehegatten leben, und ist dazu auch
nicht verpflichtet. Das kommt namentlich in der Faktorenaddition zum
Ausdruck: Die Steuerfaktoren der in rechtlich und tatsächlich ungetrennter
Ehe lebenden Ehegatten werden für die Steuerberechnung "ohne Rücksicht
auf den Güterstand" zusammengerechnet (so ausdrücklich Art. 3 Abs. 3 StHG,
Art. 9 Abs. 1 DBG). Das Steuerrecht trägt folgerichtig auch bei der Frage
der Haftung für Steuerschulden einem zwischen den Ehegatten vereinbarten
oder gesetzlich angeordneten besonderen Güterstand keine Rechnung.

    f) Die Steuerbehörden und der Regierungsrat legen Art. 5 Abs. 4 StG
n.F. in dem Sinne aus, dass die solidarische Haftung für alle im Zeitpunkt
der Trennung noch offenen Steuerschulden bestehen bleibt. Sie haben
folglich eine Haftung der Beschwerdeführerin für die noch ausstehenden
Steuern der Jahre 1987/88 bejaht, obschon die Beschwerdeführerin seit
März 1989 von ihrem Ehemann getrennt lebt und über diesen am 16. März
1989 der Konkurs eröffnet worden ist. Es handelt sich um die Haftung
für Steuerschulden, die noch während des gemeinsamen Zusammenlebens
und vor der Konkurseröffnung über den Ehemann entstanden sind. Käme
hier Art. 13 DBG zur Anwendung, so müsste eine rückwirkende Haftung der
Beschwerdeführerin verneint werden: Abs. 2 bestimmt ausdrücklich, dass
bei rechtlich und tatsächlich getrennter Ehe die Solidarhaftung auch
für "alle noch offenen Steuerschulden" entfällt. Bei der Beratung des
Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer im Parlament war unsicher,
ob der Haftungsausschluss des Art. 13 DBG bei Trennung der Ehe auch für
die alten, während der Dauer des Zusammenlebens entstandenen Steuern gilt;
um diese Unklarheit zu beseitigen, wurde der Abs. 2 eingefügt, der die
Solidarhaftung auch für die noch offenen Steuerschulden aufhebt (vgl. Votum
Spoerry, Amtl.Bull. NR 1987 II S. 1736). Allein deswegen kann jedoch die
Auslegung des Art. 5 Abs. 4 StG n.F. durch die kantonalen Behörden nicht
als verfassungswidrig bezeichnet werden, wenn sie die Solidarhaftung für
die im Zeitpunkt der Trennung offenen Steuerschulden bejaht haben.

    g) Als Schranke fällt hier einzig Art. 4 BV in Betracht. Auf dem Gebiet
der Steuern wird Art. 4 Abs. 1 BV konkretisiert durch die Grundsätze der
Allgemeinheit und Gleichmässigkeit der Besteuerung sowie den Grundsatz
der Verhältnismässigkeit der Steuerbelastung (BLUMENSTEIN/LOCHER, aaO,
S. 144, mit zahlreichen Hinweisen). Die diesbezüglichen Vorbringen der
Beschwerdeführerin in der staatsrechtlichen Beschwerde sind indessen nicht
geeignet, den angefochtenen Entscheid als verfassungswidrig erscheinen
zu lassen. Zu beachten ist überdies das Willkürverbot, doch kann die
Auslegung des Art. 5 Abs. 4 StG n.F. durch die kantonalen Behörden auch
nicht als willkürlich bezeichnet werden. Mit Art. 5 Abs. 4 StG n.F. wurde
im übrigen eine geschlechtsneutrale Regelung getroffen, so dass auch
Art. 4 Abs. 2 BV nicht verletzt ist.