Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 I 11



122 I 11

4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23.
Januar 1996 i.S. Peter Jans und Jürg Diggelmann gegen Stadtrat der Stadt
St. Gallen sowie Regierung und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 85 lit. a OG. Finanzreferendum. Gemeindeordnung und
Finanzreglement der Stadt St. Gallen; Schutzbautenverordnung vom
27. November 1978 (BMV).

    Kredit für die Erstellung einer Bereitstellungsanlage für den
Zivilschutz als neue Ausgabe (E. 2b).

    Bei der Ermittlung der massgeblichen Kosten nach dem Nettoprinzip
darf die Gemeinde den aus Ersatzbeiträgen für nicht erstellte Schutzräume
(Art. 7 BMV) finanzierten Teil nicht von den Gesamtkosten der Vorlage
in Abzug bringen; eine solche Fondsentnahme gilt weder als Beitrag eines
Dritten noch als dem Referendum nicht unterstehende zweckgebundene Ausgabe
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 3. Dezember 1985 und am 14. Januar 1986 beschloss der Stadtrat
der Stadt St. Gallen (Exekutive) Verpflichtungskredite von insgesamt
Fr. 190'000.-- für die Projektierung einer Bereitstellungsanlage mit
Sanitätsposten für den Zivilschutz bei der Klinik Stephanshorn. Der
Standort wurde in der Folge in die benachbarte Schulliegenschaft Zil
verlegt.

    Mit Interpellation vom 26. Oktober 1993 stellten Gemeinderat
Peter Jans und 22 Mitunterzeichner dem Stadtrat verschiedene Fragen
zur Zivilschutzanlage Zil, insbesondere zum Auftraggeber des Projekts,
zu den bereits angefallenen und den noch zu erwartenden Kosten sowie der
weiteren Behandlung des Bauvorhabens.

    Am 1. Februar 1994 fasste der Stadtrat folgenden Beschluss:

    "Das Projekt für die Erstellung einer Bereitstellungsanlage mit

    Sanitätsposten und Quartier-Kommandoposten nordwestlich der

    Sekundarschule Zil im Kostenbetrage von Fr. 1'700'000.-- wird
gutgeheissen
   und dafür, nach Abzug der zweckgebundenen Mittel aus der

    Spezialfinanzierung für die Erstellung und Einrichtung öffentlicher

    Schutzräume von Fr. 1'600'000.--, ein Verpflichtungskredit von

    Fr. 100'000.-- erteilt."

    Mit Beschluss vom 15. März 1994 beantwortete der Stadtrat die
Interpellation Jans vom 26. Oktober 1993. Er führte im wesentlichen
aus, die Erstellung und Ausrüstung von Bereitstellungsanlagen (BSA)
für den Zivilschutz erfolgten durch die Politische Gemeinde aufgrund
der gesetzlichen Bestimmungen von Bund und Kanton. Nach der im Zuge
der Zivilschutz-Reform 95 überarbeiteten generellen Zivilschutzplanung
müssten in der Stadt noch zwei BSA, eine im Osten (Zil) und eine
im Westen (Winkeln), erstellt werden. Die Projektierung der Anlage
Zil sei abgeschlossen, und die Baubewilligung sei rechtskräftig. Die
Projektierung habe Fr. 180'000.-- gekostet, die der Stadtrat in eigener
Kompetenz im Rahmen des Voranschlags der Investitionsrechnung gesprochen
habe. Von den 1,7 Mio. Franken Gesamtkosten würden 1,6 Mio. Franken
aus dem aus Ersatzabgaben für nichterstellte Schutzbauten geäufneten
Spezialfinanzierungskonto gedeckt; der zu Lasten des allgemeinen Haushalts
anfallende Anteil von Fr. 100'000.-- habe der Stadtrat in eigener
Kompetenz beschlossen, weshalb eine Vorlage an den Grossen Gemeinderat
nicht notwendig sei.

    Am 5. April 1994 erhoben Peter Jans und Jürg Diggelmann Rekurs bei
der Regierung des Kantons St. Gallen. In der Sache beantragten sie, es sei
festzustellen, dass der Stadtrat mit seinem Beschluss vom 1. Februar 1994,
1,7 Mio. Franken für den Bau der Zivilschutzanlage Zil auszugeben, seine
Finanzkompetenzen überschritten habe, und der Stadtrat sei anzuweisen,
den Kredit dem Grossen Gemeinderat zur Beschlussfassung vorzulegen. Die
Regierung wies den Rekurs am 19. April 1995 ab.

    Den Rekursentscheid der Regierung fochten Peter Jans und Jürg
Diggelmann mit Beschwerde vom 9. Mai 1995 beim Verwaltungsgericht des
Kantons St. Gallen an, beantragten dessen Aufhebung und wiederholten
im übrigen die bereits vor der Regierung gestellten Anträge. Das
Verwaltungsgericht wies die Beschwerde am 25. September 1995 ab.

    Dieses Urteil fechten Peter Jans und Jürg Diggelmann mit
staatsrechtlicher Beschwerde vom 2. November 1995 an und beantragen
u.a. dessen Aufhebung.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt das angefochtene
Urteil des Verwaltungsgerichts auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Ausgabenkompetenzen in der Stadt St. Gallen sind,
soweit sie hier interessieren, wie folgt geregelt: Dem Stadtrat stehen
Ausgabenbeschlüsse über neue einmalige Ausgaben mit Investitionscharakter
bis zu 200'000 Franken zu (Art. 41 Ziff. 1 lit. b der Gemeindeordnung vom
20. Mai 1984 [GO]). Der Grosse Gemeinderat beschliesst, unter dem Vorbehalt
des Referendums, über neue Ausgaben, für die nicht der Stadtrat zuständig
ist (Art. 34 Ziff. 4 GO). Dem fakultativen Referendum unterstehen neue
einmalige Ausgaben von 500'001 bis 6'000'000 Franken (Art. 7 Ziff. 6 GO);
Ausgabenbeschlüsse des Grossen Gemeinderates über Beträge von 200'001
bis 500'000 Franken unterstehen dem fakultativen Referendum, wenn 21
Mitglieder unmittelbar nach der Beratung die Unterstellung verlangen
(Art. 7 Ziff. 13 GO).

    b) Sowohl die Beschwerdeführer wie auch die Regierung und das
Verwaltungsgericht gehen davon aus, dass die Erstellung der BSA eine
neue Ausgabe erfordert, sich somit die Frage nach dem zuständigen
Organ bzw. der Referendumspflicht nach deren Höhe richtet. Die
Regierung begründet das damit, dass die Stadt St. Gallen "beim Bau von
Zivilschutzanlagen über einen relativ grossen Entscheidungsspielraum
bezüglich Umfang der Ausgabe, Zeitpunkt ihrer Vornahme und anderer
Modalitäten" verfüge. Auch das Bundesgericht betrachtet, wenn keine
abweichende kantonale Regelung besteht, eine Ausgabe dann als neu, wenn
dem Gemeinwesen bei der Erfüllung der fraglichen Aufgabe ein erheblicher
Entscheidungsspielraum zusteht, der Ausgabenentscheid sich nicht im blossen
Gesetzesvollzug erschöpft. Dementsprechend hat es den Kredit für den Bau
einer Zivilschutzanlage in Dietikon, bei welchem der Gemeinde (wie im
vorliegenden Fall) in sachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht ein
erheblicher Entscheidungsspielraum zustand, als neue, nicht als gebundene
Ausgabe beurteilt (BGE 115 Ia 139 E. 2c, 3 und 4 S. 142 ff.; anders
verhielt es sich bei der Erstellung einer Sanitätshilfsstelle in Heiden,
wofür der Gemeinde kein erhebliches Ermessen zustand, unveröffentlichter
Entscheid vom 16. Dezember 1992 i.S. W.). Die Kosten für die Erstellung
der BSA unter den vorliegenden Umständen als neue Ausgabe zu behandeln,
entspricht somit der Rechtsprechung des Bundesgerichts.

    c) Streitig ist, wie der Kreditbetrag für die Bestimmung des
zuständigen Organs zu ermitteln ist. Einig sind sich die Beteiligten
darin, dass dabei das sogenannte Nettoprinzip zur Anwendung kommt,
was bedeutet, dass derjenige Betrag massgebend ist, den das Gemeinwesen
selber aufzubringen hat. Das Nettoprinzip ist im Staatsrecht des Kantons
St. Gallen offenbar seit der Einführung des Finanzreferendums unbestritten
(H. OESTER, Das Finanzreferendum im Kanton St. Gallen, St. Galler Diss.,
Winterthur 1962, S. 145 ff.); für die Stadt St. Gallen sieht Art. 35
Abs. 2 des Finanzreglements vom 19. Mai 1987 (FR) ausdrücklich vor,
dass Verpflichtungskredite netto zu beschliessen sind, "wenn die Beiträge
Dritter in ihrer Höhe gesetzlich festgelegt oder rechtskräftig zugesichert
sind oder wenn er unter dem Vorbehalt bestimmter Leistungen Dritter erteilt
wird". Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Nettoprinzip bestehen
nicht (Entscheid des Bundesgerichts vom 29. November 1988 in ZBl 90 1989
129 E. 2b; BGE 100 Ia 366 E. 4b S. 375; kritisch dazu allerdings I. GRAF,
Problem Finanzreferendum, Berner Diss., Grüsch 1989, S. 120 ff.).

    d) Die Beschwerdeführer bringen vor, dass nach Art. 35 Abs. 2 FR
ausdrücklich nur Beiträge Dritter, nicht aber Entnahmen aus städtischen
Spezialfinanzierungen von der Gesamtkreditsumme in Abzug gebracht werden
dürften. Das Verwaltungsgericht führt dazu aus, Art. 35 Abs. 2 FR lasse
sich tatsächlich in dem Sinne verstehen, dass nur Beiträge Dritter an klar
umschriebene Investitionsvorhaben abzugsfähig seien. Die Ersatzabgabe der
Hauseigentümer, die von der Pflicht zur Erstellung privater Schutzräume
dispensiert worden seien, sei nicht an ein konkretes Vorhaben gebunden,
sondern in das Finanzierungskonto für die Erstellung und Einrichtung
öffentlicher Schutzräume zu leisten; man könne sich daher fragen, ob das
Nettoprinzip zur Anwendung gelangen könne. Es hielt diese Frage aber nicht
für entscheidend, weil es den Kanton als über dieses Finanzierungskonto
verfügungsberechtigtes Gemeinwesen ansah; daraus leitete es ab, dass
Entnahmen daraus als kantonale Beiträge so oder so als Beiträge Dritter
im Sinne von Art. 35 Abs. 2 FR von der Gesamtkreditsumme abzugsfähig
gewesen seien.

Erwägung 3

    3.- a) Nach Art. 2 Abs. 1 des Schutzbautengesetzes vom 4.  Oktober 1963
(SR 520.2; BMG) in der hier anwendbaren, bis Ende 1994 geltenden Fassung
(AS 1994 2670) sind die Hauseigentümer verpflichtet, in allen üblicherweise
mit Kellergeschossen versehenen Neubauten sowie bei wesentlichen Umbauten
solcher Gebäude Schutzbauten zu erstellen. Nach Abs. 3 können die Kantone
in besonderen Fällen Ausnahmen anordnen; ergeben sich daraus für den
Hauseigentümer Einsparungen, so hat er eine gleichwertige Ersatzabgabe für
die Erstellung öffentlicher Schutzbauten zu leisten. Die Ersatzbeiträge
werden in der Schutzbautenverordnung vom 27. November 1978 (SR 520.21;
BMV) in der hier anwendbaren, bis Ende 1994 geltenden Fassung (AS 1994
2674) näher geregelt. Deren Art. 7 lautet:

    "1Die Ersatzbeiträge werden von der Gemeinde für die Erstellung,

    Erneuerung
   und Ausrüstung von öffentlichen Schutzbauten, insbesondere von
   öffentlichen

    Schutzräumen, verwendet. Sind in einer Gemeinde die vorgeschriebenen
   öffentlichen Schutzbauten erstellt und ausgerüstet, so kann der
   Kanton die

    Verwendung der Ersatzbeiträge für weitere Zivilschutzmassnahmen
freigeben.

    2Die einer Gemeinde von den Hauseigentümern entrichteten Ersatzbeiträge
   sind bei der Erstellung, Erneuerung und Ausrüstung der nächsten
   öffentlichen Schutzbaute von den beitragsberechtigten Kosten abzuziehen.

    3Die Kantone können anordnen, dass Ersatzbeiträge zur ganzen oder
   teilweisen Deckung des Gemeindeanteils der Kosten zur Erstellung und

    Ausrüstung öffentlicher Schutzbauten in anderen, finanzschwachen
Gemeinden
   verwendet werden."

    b) Die Gemeinden sind von Bundesrechts wegen die Hauptträger des
Zivilschutzes auf ihrem Gebiet (Art. 10 Abs. 1 des Zivilschutzgesetzes
vom 23. März 1962; SR 520.1; ZSG). Die Pflicht, Schutzräume zu
erstellen bzw. erstellen zu lassen, trifft die Gemeinden, nicht den
Kanton (Art. 1 BMG); diese erheben die Ersatzabgabe (Art. 6 Abs. 4
BMV), führen das entsprechende Konto in ihrer Rechnung und verwenden
die Ersatzbeiträge nach der Vorschrift von Art. 7 Abs. 1 BMV. Zu Unrecht
will das Verwaltungsgericht aus Art. 7 Abs. 2 BMV ableiten, dass nicht die
Gemeinde, sondern der Kanton (durch das kantonale Amt für Zivilschutz) über
den Einsatz der Mittel verfüge. Diese Bestimmung stellt lediglich klar,
dass sich der Bund nur an Kosten beteiligt, die nicht durch eingegangene
Ersatzbeiträge gedeckt sind.

    Die Ersatzbeiträge stehen nach der insoweit klaren bundesrechtlichen
Regelung der Gemeinde zu. Ob sie diese Mittel in eigener Kompetenz oder,
wie das Verwaltungsgericht ausführt, nur im Einverständnis mit dem Kanton
einsetzen darf, ändert daran nichts. Das gleiche gilt, soweit der Kanton
nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 BMV in besonderen Fällen eine andere
Verwendung der Ersatzbeiträge anordnen kann. Die Entnahme von Mitteln
für eine kommunale Schutzbaute aus dem mit Ersatzbeiträgen geäufneten
Finanzierungskonto kann somit nicht als Drittbeitrag des Kantons im Sinne
von Art. 35 Abs. 2 FR betrachtet werden.

    c) Stehen die Ersatzbeiträge der Gemeinde zu, so stellen sie eine kraft
Bundesrecht für eine bestimmte Aufgabe - die Erstellung, Erneuerung und
Ausrüstung von öffentlichen Schutzbauten - reservierte Spezialfinanzierung
der Gemeinde dar (Art. 19 Abs. 1 FR). Die Ersatzbeiträge werden nicht
für ein konkretes Vorhaben geleistet; die Beitragspflicht knüpft einzig
daran an, dass ein Hauseigentümer von der Pflicht zur Erstellung von
Schutzräumen befreit wurde (Art. 1 Abs. 3 BMG). Die Gemeinde anderseits
muss die vorgeschriebenen öffentlichen Schutzräume errichten, auch wenn die
eingegangenen Ersatzbeiträge für deren Finanzierung nicht ausreichen. Auch
die Ersatzpflichtigen können daher nicht als Dritte im Sinne von Art. 35
Abs. 2 FR betrachtet werden, deren Beiträge von der gesamten Baukreditsumme
für ein konkretes Projekt abgerechnet werden können.

    d) Bei einer ganz oder teilweise aus einem Fonds finanzierten Ausgabe
erfolgt eine erste Zweckbindung bereits mit der Fondseinlage, so dass
gegebenenfalls diese als neue, der Volksabstimmung zu unterwerfende
Ausgabe in Betracht fällt. Ob auch die Fondsentnahme als eine neue,
referendumspflichtige Ausgabe zu betrachten ist, hängt davon ab, in
welchem Masse die Zweckbestimmung des Fonds beim Entscheid darüber einen
entsprechenden Spielraum offenlässt oder nicht (vgl. den Entscheid des
Bundesgerichts vom 12. Juli 1989 in ZBl 91 1990 121 E. 3 und BGE 96 I
705 E. 4). Die Ersatzbeiträge im Zivilschutz gemäss Art. 7 BMV und die
entsprechenden Fondseinlagen haben ihre Rechtsgrundlage im Bundesrecht,
so dass in bezug auf die Fondseinlage ein kommunales Finanzreferendum
ausscheidet. Der mit den Ersatzbeiträgen geäufnete Fonds bezweckt die
Finanzierung der Zivilschutzanlagen, zu deren Errichtung die Gemeinde
verpflichtet ist. Der Gemeinde steht bei der Erfüllung dieser Aufgabe
- und damit auch bei der Verwendung der Fondsmittel - ein erheblicher
Spielraum offen (E. 2b), so dass es sich ebenfalls bei der Entnahme von
1,6 Mio. Franken aus dem Ersatzbeiträgefonds um eine neue Ausgabe handelt,
bei der sich die demokratische Mitbestimmung des Souveräns rechtfertigt.

    e) Es gibt somit keinen stichhaltigen Grund, zur Bestimmung des für die
Ausgabe zuständigen Organs den aus Ersatzbeiträgen finanzierten Anteil von
der Gesamtkreditsumme abzuziehen. Der Stadtrat, der nach Art. 41 Ziff. 1
lit. b GO nur befugt ist, neue Investitionen bis zu Fr. 200'000.-- zu
tätigen, hat demzufolge mit dem Kreditbeschluss vom 1. Februar 1994 über
1,7 Mio. Franken seine Ausgabenkompetenz überschritten.