Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 IV 79



122 IV 79

14. Urteil des Kassationshofes vom 28. Februar 1996 i.S. C. gegen L. und
Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 270 Abs. 1 BStP, Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG. Legitimation des
Opfers zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde.

    Das Opfer kann ungeachtet der in Art. 270 Abs. 1 BStP und Art. 8
Abs. 1 lit. c OHG genannten Voraussetzungen mit eidgenössischer
Nichtigkeitsbeschwerde die Verletzung der ihm durch das OHG eingeräumten
Opferrechte, so des Rechts auf einen Gerichtsentscheid, geltend machen
(E. 1).

    Art. 8 Abs. 1 lit. b, Art. 9 Abs. 4 OHG. Opferrechte im Verfahren
gegen Kinder und Jugendliche; Kompetenz der Kantone zum Erlass abweichender
Bestimmungen.

    Das in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG festgelegte Recht des Opfers, den
Entscheid eines Gerichts zu verlangen, wenn das Verfahren nicht eingeleitet
oder wenn es eingestellt wird, kann von den Kantonen für Verfahren gegen
Kinder und Jugendliche nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden
(E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 22. Juli 1995, um 11.40 Uhr, fuhr C. (geb. 1942) mit dem
Fahrrad von Lyssach kommend auf dem rund 2,40 m breiten Radstreifen in
Burgdorf stadteinwärts. Im Bereich einer Rechtskurve, in dem die Sicht
durch eine Hausecke eingeschränkt ist, stiess er mit der auf demselben
Radstreifen aus der Gegenrichtung nahenden Radfahrerin L. (geb. 1986)
zusammen. C. kam zu Fall und erlitt eine Wirbelfraktur.

    Am 4. August 1995 stellte das Untersuchungsrichteramt Burgdorf bei
der Staatsanwaltschaft des III. Bezirks den Antrag, dem Bericht der
Kantonspolizei Burgdorf betreffend den Verkehrsunfall zwischen L. und
C. sei keine Folge zu geben; keiner der beiden beteiligten Personen
könne ein Fehlverhalten als Strassenbenützer nachgewiesen werden. Der
Staatsanwalt Emmental-Oberaargau stimmte dem Antrag am 14. August 1995 zu.

    Am 11. August 1995 stellte der Jugendgerichtspräsident
Emmental-Oberaargau dem Jugendstaatsanwalt den Antrag, die Untersuchung
gegen L. wegen des Verkehrsunfalles vom 22. Juli 1995 sei aufzuheben; ein
Fehlverhalten könne L. nicht nachgewiesen werden. Der Jugendstaatsanwalt
stimmte diesem Antrag am 14. August 1995 zu.

    B.- C. erhob gegen den Aufhebungsbeschluss
des Jugendgerichtspräsidenten und des Jugendstaatsanwaltes vom
11./14. August 1995 Rekurs bei der Anklagekammer des Obergerichts des
Kantons Bern. Er beantragte, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und
die Überweisungsbehörden seien anzuweisen, eine Untersuchung durchzuführen.

    Die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern trat mit
Beschluss vom 19. September 1995 auf den Rekurs nicht ein; C. sei dazu
nicht legitimiert.

    C.- C. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen,
der Entscheid der Anklagekammer sei aufzuheben und die Sache zur neuen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- L. stellt den Antrag, auf die Nichtigkeitsbeschwerde sei nicht
einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Die Jugendstaatsanwaltschaft
des Kantons Bern beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG (SR 312.5) kann das Opfer
den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten wie der
Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat
und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf
deren Beurteilung auswirken kann. Nach Art. 270 Abs. 1 BStP steht die
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde unter anderen dem Geschädigten zu,
wenn er sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit sich der
Entscheid auf die Beurteilung seiner Zivilforderung auswirken kann. Der
Beschwerdeführer ist möglicherweise durch die Handlung eines andern,
die eventuell als Straftat zu qualifizieren ist, in seiner körperlichen
Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden. Er ist damit Opfer im Sinne
des Opferhilfegesetzes (Art. 2 OHG). Zugleich ist er auch Geschädigter
im Sinne von Art. 270 Abs. 1 BStP.

    Die in Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG und Art. 270 Abs. 1 BStP genannten
weiteren Legitimationsvoraussetzungen (Beteiligung am Verfahren,
Auswirkungen des Entscheides auf eine Zivilforderung) müssen unter anderem
dann nicht erfüllt sein, wenn das Opfer mit der Nichtigkeitsbeschwerde die
Verletzung von Rechten geltend macht, die ihm das OHG einräumt. Dazu gehört
z.B. das in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG festgelegte Recht des Opfers, den
Entscheid eines Gerichts zu verlangen, wenn das Verfahren nicht eingeleitet
oder wenn es eingestellt wird (BGE 120 IV 38 E. 2c, 44 E. 3b und E. 7).

    Der Beschwerdeführer ist daher zur eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde, mit welcher er die Verletzung von Art. 8 Abs. 1
lit. b OHG geltend macht, legitimiert.

    b) Der angefochtene Entscheid ist ein letztinstanzlicher. Art. 8
Abs. 1 lit. b OHG, dessen Verletzung der Beschwerdeführer rügt, ist eine
Bestimmung des eidgenössischen Rechts (siehe BGE 119 IV 168 E. 3). Die
Beschwerde ist rechtzeitig angemeldet und begründet worden.
   c) Auf die Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach einzutreten.

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 8 OHG ("Verfahrensrechte") kann sich das Opfer
am Strafverfahren beteiligen. Es kann unter anderem seine Zivilansprüche
geltend machen (Abs. 1 lit. a), und es kann den Entscheid eines Gerichts
verlangen, wenn das Verfahren nicht eingeleitet oder wenn es eingestellt
wird (Abs. 1 lit. b). Art. 9 OHG ("Zivilansprüche") regelt die Behandlung
der Zivilansprüche des Opfers durch den Strafrichter. Solange der Täter
nicht freigesprochen oder das Verfahren nicht eingestellt ist, entscheidet
das Strafgericht auch über die Zivilansprüche des Opfers (Abs. 1). Das
Gericht kann vorerst nur im Strafpunkt urteilen und die Zivilansprüche
später behandeln (Abs. 2). Würde die vollständige Beurteilung der
Zivilansprüche einen unverhältnismässigen Aufwand erfordern, so kann das
Strafgericht die Ansprüche nur dem Grundsatz nach entscheiden und das
Opfer im übrigen an das Zivilgericht verweisen. Ansprüche von geringer
Höhe beurteilt es jedoch nach Möglichkeit vollständig (Abs. 3). Gemäss
Art. 9 Abs. 4 OHG können die Kantone für Zivilansprüche unter anderem im
Verfahren gegen Kinder und Jugendliche abweichende Bestimmungen erlassen.

    Gegen Nichteröffnungsbeschlüsse und gegen Aufhebungsbeschlüsse (sofern
eine mit Freiheitsstrafe bedrohte strafbare Handlung den Gegenstand
der Untersuchung bildet) kann nach Art. 84 Abs. 5 bzw. Art. 187 Abs. 1
des Gesetzes über das Strafverfahren des Kantons Bern (StrV/BE) der
Privatkläger Rekurs an die Anklagekammer erheben. Als Privatkläger kann
sich am Strafverfahren beteiligen, wer durch eine strafbare Handlung
unmittelbar in seinen rechtlich geschützten Interessen verletzt
wurde; Verletzter ist auch der zum Strafantrag Berechtigte (Art. 43
Abs. 1 StrV/BE). Die Privatklage wird gemäss Art. 43 Abs. 3 StrV/BE
vom Verletzten angebracht entweder durch eine Erklärung zuhanden der
Strafgerichtsbehörden, wonach er Bestrafung eines Beschuldigten verlange
und Parteirechte ausüben wolle, oder durch Einreichung einer Zivilklage
bei den Strafgerichtsbehörden gemäss Art. 3 StrV/BE.

    Nach Art. 3 Abs. 1 des bernischen Jugendrechtspflegegesetzes vom
21. Januar 1993 (JRPG/BE) sind, soweit dieses Gesetz keine abweichenden
Bestimmungen enthält, für die Durchführung der Jugendrechtspflege
die Bestimmungen des bernischen Strafverfahrensgesetzes sinngemäss
anwendbar. Der Rekurs gegen Nichteröffnungs- und Aufhebungsbeschlüsse
des Jugendgerichtspräsidenten und der Jugendstaatsanwaltschaft
im Sinne von Art. 30 und Art. 45 JRPG/BE ist im bernischen
Jugendrechtspflegegesetz nicht geregelt. Demnach sind insoweit gemäss
Art. 3 JRPG/BE die Bestimmungen des bernischen Strafverfahrensgesetzes
sinngemäss anwendbar. Allerdings sind gemäss Art. 14 Abs. 1 JRPG/BE
Parteien im Verfahren die betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie
im Haupt-, Rechtsmittel- und vollzugsrichterlichen Verfahren die
Jugendstaatsanwaltschaft und ist gemäss Art. 14 Abs. 2 JRPG/BE die
Privatklage ausgeschlossen.

    b) Die Vorinstanz geht davon aus, nach dem bernischen Verfahrensrecht
sei somit der Verletzte, auch wenn er Opfer im Sinne des OHG sei,
im Verfahren gegen Kinder und Jugendliche, da er sich hier nicht als
Privatkläger konstituieren könne, nicht befugt, einen (nicht-richterlichen)
Nichteröffnungs- oder Aufhebungsbeschluss des Jugendgerichtspräsidenten
und der Jugendstaatsanwaltschaft mit einem Rekurs bei der Anklagekammer
des Obergerichts anzufechten oder sonstwie durch ein Gericht überprüfen
zu lassen.

    Zu entscheiden ist, ob dieser sich aus dem kantonalen Prozessrecht
ergebende Ausschluss des in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG festgelegten Rechts
des Opfers, den Entscheid eines Gerichts zu verlangen, wenn das Verfahren
nicht eingeleitet oder wenn es eingestellt wird, durch Art. 9 Abs. 4
OHG gedeckt ist, der die Kantone ermächtigt, für Zivilansprüche unter
anderem im Verfahren gegen Kinder und Jugendliche abweichende Bestimmungen
zu erlassen.

Erwägung 3

    3.- a) Nach Ansicht der Vorinstanz enthält Art. 14 Abs. 2 JRPG/BE,
wonach die Privatklage ausgeschlossen ist, eine gemäss Art. 9 Abs. 4 OHG
unter anderem für das Verfahren gegen Kinder und Jugendliche zulässige
Abweichung von der in Art. 8 und 9 OHG getroffenen Regelung. Zur Begründung
zitiert die Vorinstanz die Ausführungen in der Botschaft zu Art. 9 Abs. 4
des bundesrätlichen Entwurfs, mit dem Art. 9 Abs. 4 OHG übereinstimmt. In
der Botschaft wird festgehalten, dass sich das Verfahren gegen Kinder
und Jugendliche (wie auch das Strafmandatsverfahren) durch zahlreiche
Abweichungen von der allgemeinen Verfahrensordnung auszeichne. Eine
ausnahmslose Anwendung der Bestimmungen der Art. 8 und 9 OHG könnte
diese Verfahren in ihrer bisherigen Form grundsätzlich in Frage
stellen. Die Kantone sollen daher die Möglichkeit haben, für diese beiden
Verfahrensarten soweit erforderlich Ausnahmen von den Bestimmungen der
Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 vorzusehen (Botschaft des Bundesrates zum OHG, BBl
1990 II 961 ff., 988/989). Gemäss den weiteren Erwägungen im angefochtenen
Entscheid kann weder dem Wortlaut des OHG noch der bundesrätlichen
Botschaft zu diesem Gesetz entnommen werden, dass im Jugendstrafverfahren
dem Opfer ein Recht auf Beteiligung im Strafpunkt eingeräumt werden
müsse. Wenn das Jugendgericht nämlich zulassen müsste, dass sich das
Opfer, das eine Schadenersatzklage vor dem Zivilrichter anvisiert,
am Verfahren beteiligt, würden die jugendadäquate Verfahrensabwicklung
und die geschützte Stellung des Minderjährigen im Strafprozess, welche
Art. 9 Abs. 4 OHG garantieren wolle, zur Illusion. Daher sei das Opfer
im bernischen Jugendstrafverfahren nicht zum Rekurs an die Anklagekammer
gegen einen Aufhebungsbeschluss des Jugendgerichtspräsidenten und der
Jugendstaatsanwaltschaft legitimiert.

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, es treffe grundsätzlich
wohl zu, dass Art. 8 und 9 OHG der Durchsetzung der zivilrechtlichen
Ansprüche des Opfers dienen. Demnach würde ein kantonaler Ausschluss
der Privatklage gestützt auf Art. 9 Abs. 4 OHG tatsächlich ungeachtet
der unterschiedlichen Randtitel der beiden OHG-Bestimmungen auch die
Verfahrensrechte des Opfers im Sinne von Art. 8 OHG ausschliessen. Die
Vorinstanz habe indessen verkannt, dass der Rekurs des Beschwerdeführers
nicht nur erfolgt sei, um Parteirechte geltend zu machen, sondern
auch um einen Gerichtsentscheid betreffend den Aufhebungsbeschluss
herbeizuführen. Dieser Anspruch auf einen Gerichtsentscheid sei in Art. 8
Abs. 1 lit. b OHG ausdrücklich verankert. Er stehe allen Opfern zu und
setze, wie auch in der bundesrätlichen Botschaft zu dieser Bestimmung
(BBl 1990 II 961 ff., 986 unten) festgehalten werde, nicht voraus,
dass eine Zivilforderung eingereicht werde. Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG
räume somit jedem Opfer einen absoluten Anspruch auf einen gerichtlichen
Entscheid ein. Dieser Anspruch könne nicht über Art. 9 Abs. 4 OHG durch
eine kantonale Bestimmung untergraben werden. Indem die Vorinstanz auf
den Rekurs des Beschwerdeführers nicht eingetreten sei, habe sie ihm die
Durchsetzung seines bundesrechtlichen Anspruchs auf einen Gerichtsentscheid
verunmöglicht und damit Bundesrecht verletzt.

    c) Die Beschwerdegegnerin 1 macht geltend, der Beschwerdeführer
sei nicht Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG. Zwar sei er durch die
Kollision schwer verletzt worden, doch könne der Beschwerdegegnerin 1
nach den übereinstimmenden Erkenntnissen des Untersuchungsrichters und
des Jugendgerichtspräsidenten keine Straftat vorgeworfen werden. Sie
hält sodann fest, nach den einschlägigen Bestimmungen des bernischen
Prozessrechts sei der Beschwerdeführer nicht zum Rekurs an die
Anklagekammer des Obergerichts legitimiert. Diese kantonale Regelung,
die ein Jahr nach dem Opferhilfegesetz in Kraft getreten sei, stehe
zu diesem nicht im Widerspruch. Sie trage im Gegenteil den auch
in der bundesrätlichen Botschaft erwähnten und durch Art. 9 Abs. 4
OHG berücksichtigten Besonderheiten des Verfahrens gegen Kinder und
Jugendliche Rechnung. Eine Beteiligung des Privatklägers bzw. des
Opfers allein im Strafpunkt, unabhängig vom Zivilpunkt, sei, gerade
auch im Verfahren gegen Kinder und Jugendliche, nicht sinnvoll. Zudem
sei das OHG angesichts von Art. 64bis Abs. 2 BV, wonach die Regelung
des Strafprozesses in die Zuständigkeit der Kantone falle, insoweit
einschränkend auszulegen. Es könne nicht angehen, die den Besonderheiten
des Jugendstrafverfahrens Rechnung tragende kantonale Prozessordnung
durch das OHG zu unterlaufen. Dazu bestehe umso weniger Anlass, als dem
Opfer die Möglichkeit des Zivilprozesses offenstehe, in dem das unmündige
Kind durch die Inhaber der elterlichen Gewalt vertreten werde. Selbst
wenn aber das Bundesgericht einen Anspruch des Opfers auf Beteiligung
am bernischen Jugendstrafverfahren grundsätzlich bejahen sollte, wäre
die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen. Der Beschwerdeführer habe sich
nämlich nicht gemäss den Vorschriften des bernischen Strafverfahrensrechts
rechtzeitig und formrichtig als Privatkläger konstituiert. Nach Art. 43
Abs. 4 StrV/BE sei das Anbringen einer Privatklage nach dem Endurteil
ausgeschlossen. Diese Bestimmung werde durch das OHG nicht aufgehoben.

    d) Die Beschwerdegegnerin 2 verweist auf ihre Stellungnahme vom
6. September 1995 zum Rekurs des Beschwerdeführers an die Anklagekammer
des Obergerichts. Darin hatte sie beantragt, auf den Rekurs sei nicht
einzutreten, eventuell sei er abzuweisen. Zur Begründung wurde ausgeführt,
Art. 14 Abs. 2 JRPG/BE schliesse die Privatklage aus, um im Interesse der
Kinder und Jugendlichen eine einfache, rasche Verfahrenserledigung mit
möglichst wenigen Beteiligten sicherzustellen. Das OHG respektiere diese
kantonalen Sonderregelungen durch Art. 9 Abs. 4. Gemäss den Ausführungen in
der bundesrätlichen Botschaft sollen die Kantone angesichts der zahlreichen
Besonderheiten des Verfahrens gegen Kinder und Jugendliche die Möglichkeit
haben, für diese Verfahrensart soweit erforderlich Ausnahmen von den
Bestimmungen von Art. 8 und 9 OHG vorzusehen. Der Eventualantrag auf
Abweisung des Rekurses wurde damit begründet, dass objektive Anhaltspunkte
(Spuren, Zeugen), welche Aufschluss über den Unfallhergang liefern könnten,
fehlten. Es lägen einzig die widersprüchlichen Schilderungen der beiden
Unfallbeteiligten vor. Die Aussage der Beschwerdegegnerin 1 nach dem
Unfallereignis, sie sei "etwa in der Mitte" des Radstreifens gefahren,
liefere keinen hieb- und stichfesten Beweis für ein rechtlich relevantes
Verschulden an der Kollision.

Erwägung 4

    4.- a) Art. 9 Abs. 4 OHG bezieht sich nach seiner Stellung im
Anschluss an Art. 9 Abs. 1-3 OHG und nach seinem Wortlaut ("... für
Zivilansprüche ..."; "En ce qui concerne les prétentions civiles ...";
"Per quanto concerne le pretese civili, ..."), auch unter Berücksichtigung
des Randtitels von Art. 9 OHG ("Zivilansprüche", "Prétentions civiles",
"Pretese civili"), auf diejenigen Bestimmungen des OHG, welche erstens
die Behandlung der Zivilansprüche des Opfers durch den Strafrichter und
deren Verweisung auf den Zivilweg (Art. 9 Abs. 1-3 OHG) und zweitens
die adhäsionsweise Geltendmachung von Zivilansprüchen im Strafverfahren
(Art. 8 Abs. 1 lit. a OHG) regeln. Die Kantone können mithin gestützt
auf Art. 9 Abs. 4 OHG im Strafmandatsverfahren sowie im Verfahren gegen
Kinder und Jugendliche davon abweichende Bestimmungen erlassen. Sie
können abweichend von Art. 9 Abs. 1-3 OHG beispielsweise die Verweisung
der Zivilansprüche auf den Zivilweg erleichtern oder die Behandlung von
Zivilansprüchen in diesen Verfahren ausschliessen. Sie können abweichend
von Art. 8 Abs. 1 lit. a OHG die Geltendmachung von Zivilansprüchen in
diesen Verfahren beschränken oder ausschliessen.

    b) Art. 9 Abs. 4 OHG bezieht sich dagegen nicht auch auf das in
Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG festgelegte Recht des Opfers, den Entscheid
eines Gerichts zu verlangen, wenn das Verfahren nicht eröffnet oder
wenn es eingestellt wird (ebenso, allerdings ohne nähere Begründung,
GOMM/STEIN/ZEHNTNER, Kommentar zum Opferhilfegesetz, Art. 9 N. 20). Das
ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 4 OHG, aus Sinn und Zweck
des in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG geregelten Rechts sowie aus einem Hinweis
in der Botschaft des Bundesrates zum OHG.

    aa) In Art. 9 Abs. 4 OHG ist nicht von "Verfahrensrechten", sondern
von "Zivilansprüchen" die Rede. Nur "für Zivilansprüche" ("En ce qui
concerne les prétentions civiles, ..."; "Per quanto concerne le pretese
civili, ...") können die Kantone gemäss Art. 9 Abs. 4 OHG im Verfahren
gegen Kinder und Jugendliche abweichende Bestimmungen erlassen, mithin
nicht für alle in Art. 8 Abs. 1 OHG genannten "Verfahrensrechte" ("Droits
dans la procédure", "Diritti processuali"). Das in Art. 8 Abs. 1 lit. b
OHG statuierte Recht des Opfers, die gerichtliche Überprüfung eines
nicht-richterlichen Nichteröffnungs- oder Einstellungsbeschlusses zu
verlangen, ist kein Zivilanspruch.

    bb) Das in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG vorgesehene Recht des Opfers kann
allerdings der Durchsetzung von Zivilansprüchen im Strafverfahren dienen,
und insoweit besteht zwischen diesem Verfahrensrecht und dem Zivilanspruch
ein Zusammenhang. Zwar ist das dem Opfer gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG
zustehende Verfahrensrecht, im Unterschied zur Rechtsmittellegitimation
nach Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG, an keine Voraussetzungen geknüpft und
besteht es unabhängig von der Geltendmachung von Zivilansprüchen. Der
Grund hiefür liegt indessen darin, dass das Opfer im Zeitpunkt des
nicht-richterlichen Nichteröffnungs- oder Einstellungsbeschlusses oft noch
gar keine Gelegenheit hatte, eine Zivilforderung einzureichen (siehe BGE
120 IV 44 E. 4a S. 52/53; Botschaft des Bundesrates zum OHG, BBl 1990 II
961 ff., 986 unten; GOMM/STEIN/ZEHNTNER, op.cit., Art. 8 N. 6). Das Opfer
wird einen nicht-richterlichen Nichteröffnungs- oder Einstellungsbeschluss
beim Gericht oft gerade mit dem Ziel anfechten, im Strafverfahren,
welches auf Anweisung des den Beschluss aufhebenden Gerichts eröffnet
werden soll, eine Zivilforderung einzureichen, wozu es vor dem Beschluss je
nach den Umständen noch keine Gelegenheit hatte. Gemäss den Ausführungen
im Schlussbericht der Studienkommission vom 23. Dezember 1986 wird das
Recht des Opfers, Einstellungsverfügungen an ein Gericht weiterzuziehen,
"voraussichtlich bewirken, dass die Wiedergutmachung des Schadens vermehrt
in die Verfahrenserledigung einbezogen werden wird" (Schlussbericht S. 100;
GOMM/STEIN/ZEHNTNER, op.cit., Art. 8 N. 5).

    Das in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG vorgesehene Recht des Opfers
dient indessen nicht allein der Durchsetzung von Zivilansprüchen im
Strafverfahren, sondern ist darüber hinaus von Bedeutung. Gemäss den
Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates zu den Rechten des Opfers
im Strafverfahren ist es "ein zentrales Anliegen des Opferhilfegesetzes,
mit geeigneten Mindestbestimmungen die Position des Opfers in gewissen
zentralen Punkten zu stärken und auf diese Weise zum Abbau der Ängste der
Opfer vor einer Anzeige und vor dem Einbezug in die Strafuntersuchung
beizutragen und damit auch einen Beitrag zur besseren Verwirklichung
des materiellen Strafrechts in diesen Bereichen zu leisten" (BBl 1990 II
973). Die Stärkung der Position des Opfers im Strafverfahren sei "zudem
und in erster Linie ein zentrales Gebot der Achtung der Menschenwürde
und des Schutzes der Persönlichkeitsrechte des Opfers" (aaO). Auch das in
Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG festgelegte, an keine besonderen Voraussetzungen
geknüpfte Recht des Opfers stärkt dessen Stellung im Strafverfahren und
ist beispielsweise geeignet, entsprechend den Zielen des Gesetzes im
Interesse einer besseren Verwirklichung des materiellen Strafrechts die
Anzeigebereitschaft des Opfers zu erhöhen. Das Opfer soll sich, unabhängig
davon, ob es im Strafverfahren Zivilansprüche geltend machen will oder
einbringen kann, nicht mit einem nicht-richterlichen Nichteröffnungs-
oder Einstellungsbeschluss abfinden müssen, sondern dessen gerichtliche
Überprüfung verlangen können.

    Das in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG statuierte Recht steht dem Opfer
somit nicht allein zum Zweck der Durchsetzung von Zivilansprüchen im
Strafverfahren, sondern ganz allgemein zwecks Stärkung seiner Stellung im
Strafverfahren zu und ist demnach nicht untrennbar mit dem Zivilanspruch
verknüpft. Daher kann nicht angenommen werden, dass sich die Kompetenz
der Kantone zum Erlass abweichender Bestimmungen gemäss Art. 9 Abs. 4
OHG über den Wortlaut dieser Vorschrift hinaus nicht nur auf die darin
ausdrücklich genannten Zivilansprüche, sondern auch auf das in Art. 8
Abs. 1 lit. b OHG genannte Verfahrensrecht beziehe.

    Das in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG festgelegte Recht, den Entscheid
eines Gerichts zu verlangen, wenn das Verfahren nicht eingeleitet oder
wenn es eingestellt wird, steht, wie erwähnt, dem Opfer als solchem
voraussetzungslos zu. Es besteht auch dann, wenn eine Verurteilung der
angezeigten Person wegen der angezeigten Straftat nach dem anwendbaren
Prozessrecht nicht notwendigerweise durch ein Gericht erfolgen
müsste, sondern etwa durch die Untersuchungs- oder Anklagebehörde (im
Strafmandatsverfahren) oder durch eine Verwaltungsbehörde (im Verfahren
gegen Kinder und Jugendliche) erfolgen könnte.

    cc) Allerdings wird in der Botschaft zu Art. 9 Abs. 4 OHG im speziellen
ausgeführt, dass sich das Verfahren gegen Kinder und Jugendliche (wie
auch das Strafmandatsverfahren) "durch zahlreiche Abweichungen von der
allgemeinen Verfahrensordnung" auszeichne. "Eine ausnahmslose Anwendung
der Bestimmungen der Artikel 8 und 9" könnte diese Verfahren in ihrer
bisherigen Form grundsätzlich in Frage stellen. Die Kantone sollen daher
die Möglichkeit haben, für diese Verfahrensarten "soweit erforderlich
Ausnahmen von den Bestimmungen der Artikel 8 Abs. 1 und 9 vorzusehen" (BBl
1990 II 988/989). Die Bedeutung dieser Ausführungen zum Anwendungsbereich
von Art. 9 Abs. 4 OHG ist etwas unklar. Die zitierten Überlegungen
entsprechen im wesentlichen den Argumenten, mit welchen im Schlussbericht
der Studienkommission vom 23. Dezember 1986 (S. 97/98) die ausdrückliche
Beschränkung von Art. 11 des Vorentwurfs der Studienkommission vom
12. August 1986 ("Verfahrensrechte und Zivilansprüche") in beiden
vorgeschlagenen Varianten auf das "Verfahren gegen Erwachsene" begründet
worden war. Dies könnte dafür sprechen, dass nach der Auffassung des
Bundesrates die Kantone gestützt auf Art. 9 Abs. 4 OHG in bezug auf alle
in Art. 8 Abs. 1 OHG genannten Verfahrensrechte abweichende Bestimmungen
erlassen können. Die vorstehend zitierte Passage der Botschaft zu Art. 9
Abs. 4 OHG ist indessen nicht in diesem Sinne zu verstehen, wie eine
andere Passage der Botschaft (zu Art. 8 Abs. 1 OHG) deutlich macht. In
BBl 1990 II 985/986 wird festgehalten, dass die Kantone "im Bereich
der Beurteilung von Zivilansprüchen" die Möglichkeit haben, für das
Verfahren gegen Kinder und Jugendliche sowie für das Strafmandatsverfahren
abweichende Bestimmungen zu erlassen. "Schliessen sie in diesen Verfahren
die Beurteilung zivilrechtlicher Ansprüche ganz aus, so entfallen hier auch
die Ansprüche des Opfers nach den Buchstaben a und c" (S. 986 oben). Aus
dieser Bemerkung ergibt sich, dass die Kantone nach der Auffassung des
Bundesrates das in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG festgelegte Recht des Opfers
nicht gestützt auf Art. 9 Abs. 4 OHG beschränken oder ausschliessen können.

    dd) Art. 9 Abs. 4 OHG bezieht sich somit nicht auf Art. 8 Abs. 1
lit. b OHG. Die Kantone können demnach das in dieser Bestimmung
festgelegte Recht des Opfers nicht einschränken oder ausschliessen.

    ee) Ob sich Art. 9 Abs. 4 OHG allenfalls auf das in Art. 8 Abs. 1
lit. c OHG vorgesehene Recht des Opfers zur Ergreifung von Rechtsmitteln
beziehe, ist hier nicht zu prüfen.

    c) Die Vorinstanz verletzte somit Bundesrecht, indem sie auf den Rekurs
des Beschwerdeführers gegen den nicht-richterlichen Aufhebungsbeschluss
des Jugendgerichtspräsidenten und der Jugendstaatsanwaltschaft mit der
Begründung nicht eintrat, dass das in Art. 8 Abs. 1 lit. b OHG statuierte
Recht des Opfers, einen Gerichtsentscheid zu verlangen, wenn das Verfahren
nicht eingeleitet oder wenn es eingestellt wird, durch kantonales Recht
gestützt auf Art. 9 Abs. 4 OHG im Verfahren gegen Kinder und Jugendliche
ausgeschlossen werden könne und damit durch Art. 14 Abs. 2 JRPG/BE
bundesrechtskonform ausgeschlossen worden sei.

    Ob zur Behandlung von Rekursen des Opfers gegen nicht-richterliche
Nichteröffnungs- und Aufhebungsbeschlüsse im Verfahren gegen Kinder
und Jugendliche die Anklagekammer des bernischen Obergerichts oder eine
andere gerichtliche Instanz zuständig sein soll, ist eine hier nicht zu
beurteilende Frage des kantonalen Rechts.

    Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach gutzuheissen,
der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägung 5

    5.- ("Kostenfolgen").