Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 IV 360



122 IV 360

55. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. November 1996 i.S. A.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG; Art. 21 ff. StGB; Widerhandlung gegen
das Betäubungsmittelgesetz, mengenmässig schwerer Fall, Versuch.

    Die Verurteilung wegen eines mengenmässig schweren Falles ist geknüpft
an eine objektive und an eine subjektive Voraussetzung. Die subjektive
allein genügt nicht, auch nicht für den Versuch des qualifizierten Falles
(E. 2; Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- A. war am 30. November 1992 im Besitz von 49,1 Gramm Kokain.

    Am 19. April 1994 sprach ihn das Obergericht des Kantons Zürich
zweitinstanzlich schuldig des untauglich versuchten Verbrechens im Sinne
von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 19 Ziff. 2 lit. a
BetmG und in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 StGB. Es verurteilte ihn zu
15 Monaten Gefängnis, bedingt bei einer Probezeit von 3 Jahren.

    In Gutheissung einer von A. eingereichten kantonalen
Nichtigkeitsbeschwerde hob das Kassationsgericht des Kantons Zürich am
3. Oktober 1994 das Urteil des Obergerichts auf und wies die Sache an
dieses zurück.

    Am 7. Juli 1995 erklärte das Obergericht A. erneut des untauglich
versuchten Verbrechens im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 5 in Verbindung
mit Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG und in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 StGB
schuldig. Es sprach die gleiche Strafe aus wie in seinem ersten Urteil,
setzte aber die Probezeit auf 2 Jahre fest.

    Eine von A. dagegen erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies
das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 19. Juni 1996 ab, soweit es
darauf eintrat.

    B.- A. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts vom 7. Juli 1995 aufzuheben und die Sache
zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft haben auf Gegenbemerkungen
verzichtet.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) In ihrem ersten Urteil (ZR 1994 Nr. 43) führte die Vorinstanz
aus, eine Analyse des sichergestellten Kokains habe ergeben, dass in
der Bruttomenge von 49,1 Gramm ein Anteil von 27 Prozent oder 13,3 Gramm
reinen Kokains enthalten sei. Die von der Praxis entwickelte Grenze von
18 Gramm reinen Stoffes für die Anwendung von Art. 19 Ziff. 2 lit. a
BetmG sei damit nicht erreicht.

    Das Bundesgericht habe erklärt, selbst wenn der Täter gemeint haben
sollte, er habe mit reinem Stoff zu tun, würde das seine Strafbarkeit nicht
begründen. Die subjektive Vorstellung des Täters könne nach Auffassung
des Bundesgerichtes die fehlende objektive Voraussetzung nicht ersetzen;
es bestehe insoweit eine Analogie zum Wahndelikt.

    Die Vorinstanz ist der Ansicht, abweichend vom Bundesgericht sei nicht
die Parallele zum Wahndelikt zu ziehen, sondern jene zum untauglichen
Versuch. Wenn ein Drogenhändler meine, seinem Käufer eine bestimmte Menge
reinen Stoffes zu verkaufen, während er in seinem Sack in Wirklichkeit
nur Mehl oder nur stark verschnittenen Stoff habe, handle es sich um
einen untauglichen Versuch. Dieses Verhalten sei nicht straffrei, auch
wenn es wegen des fehlenden oder geringeren objektiven Unrechtsgehaltes
milder sanktioniert werde. Es sei gerade das Wesen des untauglichen
Versuches, dass die subjektive Vorstellung des Täters und die objektive
Tatbestandsvoraussetzung auseinanderfielen. Die Rechtsprechung des
Bundesgerichtes bedeute die Aufhebung von Art. 23 StGB. Sie müsse auf
einem Versehen beruhen, und es sei ihr nicht zu folgen.

    Der Beschwerdeführer habe über seine Vorstellung zum Reinheitsgehalt
des Kokains keine Angaben gemacht. Deshalb sei anzunehmen, er sei von
einer gassenüblichen Qualität ausgegangen. Der Gehalt von rund einem
Viertel reinen Kokains sei tief. Es sei gerichtsnotorisch, dass sich die
Bandbreite beim Handel grob zwischen einem und drei Vierteln bewege. Der
Beschwerdeführer habe also mindestens eventuell damit gerechnet, dass
von den knapp 50 Gramm Stoff mehr als die kritischen 18 Gramm reines
Kokain seien. Damit sei der schwere Fall von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
gegeben, wenn auch nur in der Form des untauglichen Versuches nach Art. 23
Abs. 1 StGB.

    In ihrem zweiten Urteil hält die Vorinstanz an dieser Auffassung
fest. Fragen könne man sich nur, ob angesichts der lediglich quantitativen
Abweichung der Vorstellung des Täters vom wirklichen Sachverhalt nicht
ein untauglicher, sondern sogar ein tauglicher Versuch vorliege. Um
letztlich unfruchtbare dogmatische Streitigkeiten zu vermeiden, werde in
diesem Punkt von vornherein zugunsten des Beschwerdeführers entschieden
(da Art. 23 Abs. 1 StGB eine weitergehende Strafmilderung erlaube als
Art. 22 Abs. 1 StGB).

    b) Der Beschwerdeführer bringt vor, an der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung sei festzuhalten. Es gehe nicht an, mit der von der
Vorinstanz gegebenen Begründung die einschneidende Strafrahmenänderung
von Art. 19 Ziff. 1 zu Art. 19 Ziff. 2 BetmG vorzunehmen.

Erwägung 2

    2.- a) Wer die in Art. 19 Ziff. 1 BetmG umschriebenen Handlungen
vorsätzlich begeht, wird mit Gefängnis oder Busse bestraft. In schweren
Fällen ist die Strafe Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter einem Jahr,
womit eine Busse bis zu einer Million Franken verbunden werden kann. Ein
schwerer Fall liegt nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG insbesondere vor,
wenn der Täter weiss oder annehmen muss, dass sich die Widerhandlung auf
eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche die Gesundheit vieler
Menschen in Gefahr bringen kann.

    Nach der Rechtsprechung ist die Annahme eines schweren Falles
gemäss Ziff. 2 lit. a geknüpft an eine objektive und an eine subjektive
Voraussetzung. Die objektive Voraussetzung besteht darin, dass sich
die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche
die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann. Die Kokainmenge,
welche diese Gefahr bewirken kann, hat der Kassationshof in BGE 109 IV
143 festgelegt. Er nahm an, 18 Gramm Kokain reichten dafür aus. Diese
Gewichtsangabe bezieht sich auf den reinen Drogenwirkstoff. Ist die Grenze
von 18 Gramm Kokain nicht erreicht, ist die objektive Voraussetzung der
Anwendung von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG somit nicht erfüllt. Der
Qualifikationsgrund nach Ziff. 2 lit. a scheidet damit aus, und zwar
auch dann, wenn der Täter irrtümlicherweise meint, das gehandelte Kokain
enthalte mindestens 18 Gramm reinen Stoff. Die subjektive Vorstellung
des Täters kann die fehlende objektive Voraussetzung nicht ersetzen. Es
besteht insoweit eine Analogie zum Wahndelikt (BGE 119 IV 180 E. 2d,
wo Entsprechendes zur 12-Gramm-Grenze bei Heroin gesagt wurde).
   b) Daran ist festzuhalten.

    Gegen die Auffassung der Vorinstanz spricht folgendes:

    Zum einen kann man sich fragen, ob es für die allgemeinen Regeln
über den Versuch (Art. 21 ff. StGB) im Betäubungsmittelstrafrecht
überhaupt noch einen Anwendungsbereich gibt (vgl. BGE 121 IV 198 E. 2a;
PETER ALBRECHT, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, Sonderband
Betäubungsmittelstrafrecht, Art. 19 N. 115 und Art. 26 N. 3). Zum andern
betreffen diese Regeln die Frage der Strafbarkeit. Sie bestimmen, wann der
Versuch strafbar ist, wie er gegebenenfalls zu bestrafen ist und welche
Folgen der Rücktritt hat. Bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein
nach Art. 19 Ziff. 1 BetmG tatbestandsmässiges Verhalten einen schweren
Fall im Sinne von Ziff. 2 lit. a darstellt und deshalb mit mindestens
einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden ist, geht es demgegenüber nicht um
die Strafbarkeit, sondern um Strafzumessung. Ziff. 2 lit. a. ist eine
Strafzumessungsregel. Sie nennt Umstände, welche zur Anwendung des höheren
Strafrahmens von einem bis zu zwanzig Jahren Freiheitsstrafe führen, nicht
Tatbestandsmerkmale (vgl. MARTIN SCHUBARTH, Qualifizierter Tatbestand
und Strafzumessung in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts,
BJM 1992, S. 57 ff.). Letztere beschreiben die gesetzlich erfasste
Rechtsgutsbeeinträchtigung und bestimmen das strafbare Geschehen als
Gegenstand der Strafzumessung. Strafzumessungsregeln dagegen enthalten
einen Massstab für die Bewertung dieses Gegenstandes (MAURACH/GÖSSEL/ZIPF,
Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 2, 7. Aufl., Heidelberg 1989,
S. 37). Im Stadium dieser Bewertung kann die Frage des Versuchs, die
sich gegebenenfalls bei der Tatbestandsmässigkeit stellt, nicht mehr
aufgeworfen werden. Es ist denn auch widersprüchlich, in Fällen wie hier
wegen Versuchs zu bestrafen, obwohl die Tat - Besitz und Aufbewahren von
Betäubungsmitteln - vollendet ist.

    Ziff. 2 lit. a setzt für die Anwendung des höheren Strafrahmens
zweierlei voraus: (1) Die Widerhandlung muss sich auf eine Menge von
Betäubungsmitteln beziehen, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr
bringen kann; (2) der Täter muss dies wissen oder annehmen. Der Wechsel
des Strafrahmens ist somit nach dem klaren Gesetzeswortlaut geknüpft
an eine objektive und an eine subjektive Voraussetzung. Die subjektive
allein genügt, wie bereits hervorgehoben (E. 2a in fine), nicht.

Erwägung 3

    3.- (Kostenfolgen).