Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 IV 289



122 IV 289

44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. September 1996
i.S. C. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 44 Ziff. 6 Abs. 2 StGB; nachträgliche Einweisung in eine Anstalt
für Rauschgiftsüchtige.

    Die nachträgliche Anordnung einer ambulanten Massnahme unter Aufschub
des Strafvollzugs ist unzulässig (E. 1a).

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte C. am 24.
Juni 1993 wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 12
Monaten Gefängnis (unbedingt). Am 30. September 1993 stellte C. ein
Gesuch um Aufschub des Strafvollzuges zugunsten einer Massnahme für
Rauschgiftsüchtige gemäss Art. 44 Ziff. 6 Abs. 2 StGB.

    Am 18. März 1996 verurteilte das Kriminalgericht des
Sensebezirks C. wegen Vermögensdelikten und Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz zu 20 Monaten Gefängnis, als Zusatzstrafe zum
Urteil des Obergerichtes. Der Vollzug der Strafe wurde zugunsten der
laufenden ambulanten Massnahme aufgeschoben.

    B.- Mit Beschluss vom 16. April 1996 wies das Obergericht des
Kantons Bern das Gesuch von C. ab, im wesentlichen mit der Begründung,
der Wortlaut von Art. 44 Ziff. 6 Abs. 2 StGB ermögliche lediglich
den Aufschub einer rechtskräftigen Strafe zugunsten der Einweisung in
eine Anstalt für Rauschgiftsüchtige, d.h. zugunsten einer stationären
Massnahme. Der nachträgliche Aufschub zugunsten einer ambulanten
Massnahme sei deshalb nicht möglich. Offen bleibe ein allfällig im Kanton
Freiburg einzuleitendes Verfahren nach Art. 2 und 3 der Verordnung 1 zum
Schweizerischen Strafgesetzbuch (VStGB 1; SR 311.01).

    C.- C. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
den Beschluss des Obergerichtes aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
an dieses zurückzuweisen.

    D.- Das Obergericht führt in seinen Gegenbemerkungen aus, es gehe
um eine grundsätzliche Auslegungsfrage zu Art. 44 Ziff. 6 StGB. Der
vorliegende "Konflikt" sei nach Art. 2 und 3 VStGB 1 über die Behörden
des Kantons Freiburg zu lösen, wie dies in der Urteilsbegründung dargelegt
worden sei.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Erweist sich ein zu einer Strafe verurteilter
Rauschgiftsüchtiger nachträglich als behandlungsbedürftig, behandlungsfähig
und behandlungswillig, so kann ihn der Richter auf sein Gesuch hin in
eine Anstalt für Rauschgiftsüchtige einweisen und den Vollzug der noch
nicht verbüssten Strafe aufschieben (Art. 44 Ziff. 6 Abs. 2 StGB).

    Diese Bestimmung wurde durch Bundesgesetz vom 21. Juni 1991 mit
Wirkung auf den 1. Januar 1992 in das Strafgesetzbuch aufgenommen, und
zwar auf Vorschlag von Ständerat Jagmetti hin. Dieser begründete seinen
Vorstoss im wesentlichen wie folgt (Amtl.Bull. 1987 S 407):

    Bei der Drogendelinquenz liegt ein Problem vor, das sich seit längerer

    Zeit
   gestellt hat und das bei dieser Gelegenheit gelöst werden
   könnte. Es geht um folgendes: Nach Art. 44 StGB kann der Richter
   bei Drogenabhängigen entscheiden, ob an die Stelle der Strafe eine
   Massnahme, also eine

    Behandlung des Drogendelinquenten, treten soll. Diese Entscheidung
kann am

    Anfang getroffen werden. Wird auf Massnahme entschieden, so kann der

    Richter später den Vollzug der Strafe anordnen. Das ist
vorgesehen. Nachher
   aber nicht mehr möglich ist der umgekehrte Weg von der Strafe zur

    Massnahme. Nun sind Drogendelinquenten ja häufig selber
Drogenabhängige, es
   werden also Täter bestraft, die ihrerseits drogenabhängig sind. Das
   zeigt sehr wohl die Bedeutung der Behandlung als Massnahme, die zu einer
   Besserung der Situation des Betroffenen führen kann. Die Sache hat um
   so grösseres Gewicht, als es bei den Drogendelikten zum wesentlichen

    Teil
   junge Täter sind; die Resozialisierung ist demgemäss von besonderem
   Gewicht. Der Antrag, dem sich die Kommission anschliessen konnte und
   der dann durch das Departement freundlicherweise formuliert worden ist,
   erlaubt nun, in Zukunft auch den umgekehrten Weg zu gehen und dort
   wieder zu einer Massnahme zu wechseln, wo der Richter ursprünglich
   die Strafe für richtig gehalten hat. Das ist aus mehreren Gründen
   sinnvoll. Erstens kann sich die Notwendigkeit der Massnahme erst nachher
   richtig manifestieren, und zweitens bedingt ja eine Entzugsbehandlung
   bei den Drogenabhängigen das Einverständnis des Betroffenen, wenn
   sie echten Erfolg haben soll. Dieses Einverständnis liegt vielleicht
   am Anfang nicht vor, kann aber durch Einsicht gewonnen werden; dann
   sollte der

    Weg nicht versperrt bleiben.

    Beide Räte stimmten diesem Antrag diskussionslos zu.

    Die Begründung von Ständerat Jagmetti ist zwar so allgemein gehalten,
dass man daraus auf die Zulässigkeit der nachträglichen Anordnung auch
einer ambulanten Massnahme schliessen könnte. Nach dem klaren Wortlaut
von Art. 44 Ziff. 6 Abs. 2 StGB kommt jedoch nur die Einweisung in
eine Anstalt für Rauschgiftsüchtige in Betracht. Auch im Vorentwurf
der Expertenkommission zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches (Bern
1993) ist in Art. 69 Abs. 1 nur von der nachträglichen Anordnung einer
stationären Behandlung oder Pflege nach Art. 61-64 VE die Rede, nicht aber
von der Anordnung einer ambulanten Behandlung nach Art. 67 VE. Ebenso sah
der Vorentwurf SCHULTZ in Art. 82 nur die nachträgliche Einweisung in eine
Anstalt für Rauschgiftsüchtige vor (Bericht und Vorentwurf zur Revision
des Allgemeinen Teils [...] des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Bern
1987, S. 208 f. und 309).

    Die nachträgliche Anordnung einer ambulanten Massnahme unter Aufschub
des Strafvollzuges ist deshalb nicht zulässig.

    b) Einzuräumen ist allerdings, dass in einer Konstellation wie hier,
wo in einem zweiten Urteil die Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten
Massnahme aufgeschoben wurde, der damit angestrebte Zweck unter Umständen
in Frage gestellt würde, wenn die ursprüngliche Strafe von 12 Monaten
verbüsst werden müsste, nicht aber die Zusatzstrafe von 20 Monaten. Der
Sache nach ist allerdings, wie die Vorinstanz zutreffend bemerkt, ein
vernünftiges Ergebnis auch in Anwendung von Art. 2 und Art. 3 VStGB 1
zu erzielen, also auf der Ebene des Vollzuges. Trifft eine Massnahme,
wie hier vom Kriminalgericht des Sensebezirks angeordnet, im Vollzug
mit einer Freiheitsstrafe, wie hier von der Vorinstanz ausgesprochen,
zusammen, so ist von der zuständigen Behörde vorerst die am dringlichsten
oder zweckmässigsten erscheinende Massnahme oder Strafe zu vollziehen und
der Vollzug der andern aufzuschieben. Ob und wieweit die aufgeschobene
Massnahme oder Strafe später noch vollstreckt werden soll, entscheidet der
Richter, der auf die zum Vollzug gelangte Massnahme oder Strafe erkannt
hat (vgl. Art. 2 Abs. 8 VStGB 1). Es liegt also an der zuständigen
Vollzugsbehörde zu entscheiden, ob die ambulante Massnahme, die vom
Kriminalgericht des Sensebezirkes angeordnet wurde, vollzugsrechtlich
den Vorrang hat. Art. 3 Abs. 5 VStGB 1 präzisiert dazu, dass bei der
Konkurrenz von Sanktionen aus verschiedenen Kantonen sich die zuständigen
Behörden der Urteilskantone darüber verständigen, welche Sanktion gemäss
Art. 2 Abs. 8 VStGB 1 als erste zu vollziehen ist.

Erwägung 2

    2.- (Kostenfolgen).