Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 IV 270



122 IV 270

41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. September
1996 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 87 Abs. 3 AHVG; Art. 76 Abs. 3 BVG; Zweckentfremdung
bzw. Nichtüberweisung von Arbeitnehmerbeiträgen; letztmöglicher
Überweisungszeitpunkt, Substraterhaltungspflicht.

    Art. 87 Abs. 3 AHVG und Art. 76 Abs. 3 BVG sind gleich auszulegen
(E. 2a; Bestätigung der Rechtsprechung).

    Letztmöglicher Überweisungszeitpunkt und Substraterhaltungspflicht
im Rahmen von AHVG (E. 2c) und BVG (E. 3b und c).

    Strafbar im Sinne dieser Bestimmungen ist ein Arbeitgeber, der es
unterlässt, fällige Arbeitnehmerbeiträge im letztmöglichen Zeitpunkt
zu überweisen, obwohl ihm das möglich gewesen wäre bzw. weil sich eine
ihm vorwerfbare Verletzung der Substraterhaltungspflicht als für die
Unterlassung kausal erweist (E. 2 und 3).

    Der Verantwortliche, der die Schuld der pflichtigen Aktiengesellschaft
mit Hilfe einer persönlichen Kreditaufnahme im letztmöglichen Zeitpunkt
bezahlt, ist nicht strafbar (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Das Strafgericht Basel-Stadt (Dreiergericht) verurteilte am
25. August 1993 B. wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Bundesgesetz
über die Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 20. Dezember 1946
(AHVG; SR 831.10), IVG, EOG, AVIG und das Bundesgesetz über die berufliche
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 (BVG; SR
831.40) sowie wegen Unterlassung der Buchführung, Gläubigerbevorzugung und
Betrug zu 12 Monaten Gefängnis bedingt. Es sprach ihn von der Anklage der
Verfügung über gepfändete Sachen frei. Es erklärte eine vom Strafgericht
Basel-Stadt am 18. Juli 1985 auf 4 Jahre Probezeit ausgesprochene und vom
Bezirksgericht Aarau am 7. März 1990 um zwei Jahre Probezeit verlängerte
achtzehnmonatige Gefängnisstrafe vollziehbar.

    Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt sprach ihn am 29. März
1995 von der Anklage der Gläubigerbevorzugung und des Betrugs frei,
verurteilte ihn wegen Verfügung über gepfändete Sachen, bestätigte im
übrigen das Urteil des Strafgerichts und bestrafte ihn mit 8 Monaten
Gefängnis bedingt.

    B.- B. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Appellationsgerichts (wegen Verletzung von Art. 76 Abs. 3 BVG) aufzuheben,
die Sache zu neuer Entscheidung an die kantonale Behörde zurückzuweisen
und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

    C.- Das Appellationsgericht verzichtete auf Gegenbemerkungen und
beantragte Abweisung soweit Eintreten. Die Staatsanwaltschaft reichte
keine Vernehmlassung ein.

    D.- Der Präsident des Kassationshofs des Bundesgerichts erteilte
keine aufschiebende Wirkung.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Angefochten ist die Beurteilung des folgenden Sachverhalts: Der
Beschwerdeführer war Verwaltungsrat einer am 31. August 1988 gegründeten
Aktiengesellschaft (AG), die sich am 20. Februar 1990 mit Wirkung ab dem
1. Januar 1989 einer BVG-Sammelstiftung anschloss und die Beiträge jährlich
vorschüssig auf den 1. Januar zu entrichten hatte. Die AG beschäftigte in
den Jahren 1989, 1990 und 1991 versicherungspflichtige Arbeiter und zog
seit Januar 1989 bis Dezember 1991 von den ausbezahlten Löhnen rund 12'000
Franken BVG-Arbeitnehmerbeiträge ab, ohne aber der Vorsorgeeinrichtung die
jährlichen Beiträge zu entrichten. Der Rückstand betrug bis September
1992 Fr. 18'069.70 (davon Fr. 9'034.85 Arbeitnehmerbeiträge). Die
Vorsorgeeinrichtung mahnte nach mehreren Zahlungsaufforderungen am
9. Dezember 1991 den Gesamtbetrag förmlich und setzte Frist bis zum
28. Februar 1992 unter Androhung der Auflösung des Anschlussvertrags;
sie trat per 1. März 1992 vom Vertrag zurück und betrieb die AG, die
Rechtsvorschlag erhob. Die Vorsorgeeinrichtung klagte am 12. März 1993 auf
Zahlung der ausstehenden Prämien und Aufhebung des Rechtsvorschlags. Das
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt stellte am 9. Juli 1993 fest,
die Beklagte habe sich offensichtlich "um die Durchführung der beruflichen
Vorsorge in ihrem Betrieb vollkommen foutiert"; es verpflichtete sie
zur Zahlung der eingeklagten Fr. 20'718.60 (nebst Zins) an die Klägerin,
wies eine Mehrzinsforderung ab und erklärte den Rechtsvorschlag in diesem
Umfang für beseitigt. Der Beschwerdeführer nahm ein persönliches Darlehen
auf und zahlte am 9. August 1993 die Schuld.

    b) In der Anklageschrift vom 3. November 1992 wurde dem
Beschwerdeführer aufgrund dieses Sachverhalts vorgeworfen, er
habe (gemeinsam mit einem Mitangeklagten) seit Versicherungsbeginn
Arbeitnehmerbeiträge von Fr. 9'034.85 abgezogen und trotz Mahnungen
nicht an die Vorsorgeeinrichtung weitergeleitet, sondern für eigene
Zwecke verwendet.

    c) Die Vorinstanz begründet den Schuldspruch damit, die AG sei
zur jährlichen Zahlung verpflichtet gewesen; die Zahlungsverweigerung
bis zum rechtskräftigen Urteil des Versicherungsgerichts habe die
Leistungspflicht nicht aufschieben können. Im August 1993 habe die AG
nicht im letztmöglichen Zeitpunkt geleistet, sondern nachträglich den
Schaden wiedergutgemacht. Davon abgesehen sei der Beschwerdeführer der
Substraterhaltungspflicht für die pflichtige AG nicht nachgekommen. Die
Mittel seien ursprünglich vorhanden gewesen, dann aber hätten andere
Gläubiger die AG erfolglos betrieben. Erst das persönliche Darlehen habe
die Zahlung ermöglicht. Selbst wenn die unter Druck des Strafverfahrens
erfolgte Zahlung als rechtzeitig angesehen würde, habe die pflichtige AG
im massgeblichen Zeitpunkt nicht über die nötige Geldsumme verfügt und
die BVG-Arbeitnehmerbeiträge zweckentfremdet. Daher könne offenbleiben,
ob die Rechtsprechung zu Art. 87 AHVG auf Art. 76 BVG Anwendung finde.

    d) Der Beschwerdeführer nimmt an, Art. 87 AHVG und Art. 76 BVG
wiesen die gleiche Zielsetzung auf, und es sei davon auszugehen,
dass die Erwägungen von BGE 117 IV 78 auch für das BVG gelten. Nicht
selten fielen Fälligkeit und Zahlung auseinander; das habe nur in genau
definierten Fällen strafrechtliche Folgen. Die AG habe die Beiträge vor dem
letztmöglichen Zeitpunkt gezahlt, nämlich vor dem Urteil des Strafgerichts
und vor der Eröffnung des Konkurses über die AG. Es sei unerheblich, dass
er das Geld über ein persönliches Darlehen aufgebracht habe; entscheidend
sei, dass die AG damit in der Lage gewesen sei zu zahlen.

    e) Zusammenfassend klagte die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer
wegen Beitragshinterziehung und Zweckentfremdung an, mithin im Sinne
von Art. 76 Abs. 3 BVG und Art. 87 Abs. 3 AHVG. Die Vorinstanz folgt
dieser Argumentation und geht in der Hauptbegründung davon aus, der
Beschwerdeführer habe trotz Fälligkeit und Mahnung nicht und schliesslich
verspätet geleistet; sie nimmt sinngemäss eine Ablieferungspflicht
bei Fälligkeit an (so ausdrücklich das Strafgericht). In ihrer
Nebenbegründung bejaht sie eine Verletzung der Substraterhaltungspflicht
und eine Zweckentfremdung der Arbeitnehmerbeiträge. Der Beschwerdeführer
bestreitet den Verzug nicht, wendet aber ein, er habe letztlich gezahlt;
dass er nicht bei Fälligkeit gezahlt habe, könne nicht schon strafbar sein.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 76 Abs. 3 BVG wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten
oder mit Busse bis zu 20'000 Franken bestraft, wer als Arbeitgeber einem
Arbeitnehmer Beiträge vom Lohn abzieht und diese nicht an die zuständige
Vorsorgeeinrichtung überweist. Die gleiche Strafe droht Art. 87 Abs. 3
AHVG demjenigen an, der als Arbeitgeber einem Arbeitnehmer Beiträge vom
Lohn abzieht, sie indessen dem vorgesehenen Zweck entfremdet.

    a) Die Rechtsprechung liess zunächst offen, ob Art. 87 Abs. 3 AHVG
und Art. 76 Abs. 3 BVG gleich auszulegen sind (BGE 117 IV 78 E. 2c/bb),
und bejahte die Frage dann in BGE 119 IV 187 E. 6. Darauf ist im
grundsätzlichen nicht zurückzukommen. Schwierigkeiten ergeben sich aber
aus der unterschiedlichen Konzeption der beiden Erlasse und dem Fehlen
gesetzlicher Bestimmungen über den massgeblichen Überweisungszeitpunkt
im BVG, besonders unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots.

    b) Die AHV-Beiträge werden nach Ablauf einer Zahlungsperiode von
in der Regel einem Monat fällig und sind innert zehn Tagen zu zahlen
(Art. 14 AHVG; Art. 34 Abs. 1 und 4 AHVV [SR 831.101]); dem Säumigen ist
im Mahnverfahren eine Nachfrist von zehn bis zwanzig Tagen so anzusetzen,
dass sie spätestens zwei Monate nach dem Ende der Zahlungsperiode abläuft
(Art. 37 Abs. 1 und 3 AHVV). Werden innert dieser Nachfrist die Beiträge
nicht gezahlt oder die für die Abrechnung erforderlichen Angaben nicht
gemacht, setzt die Ausgleichskasse die geschuldeten Beiträge nötigenfalls
durch Veranlagungsverfügung fest (Art. 38 AHVV); sie kann dem sich in
finanzieller Bedrängnis befindenden Säumigen unter gewissen Umständen
Zahlungsaufschub gewähren (Art. 38bis AHVV). Bezahlt der Säumige auf
Mahnung hin nicht, wird die Beitragsforderung auf dem Betreibungsweg
vollstreckt (Art. 15 AHVG). Die Bestrafung setzt die ordnungsgemässe
Durchführung des Mahnverfahrens voraus (BGE 80 IV 184 E. 1c).

    Nach der früheren Rechtsprechung machte sich nach Art. 87 Abs. 3
AHVG strafbar, wer die abgezogenen Arbeitnehmerbeiträge nicht spätestens
innert der angesetzten Mahnfrist überwies, und zwar unabhängig davon,
dass dem Arbeitgeber die erforderlichen Mittel fehlten und diese ihm
auch nicht von Dritten zur Verfügung gestellt wurden. Der Arbeitgeber
musste aber nicht jederzeit oder zu einem bestimmten Zeitpunkt genügend
Deckung für rückständige Arbeitnehmerbeiträge bereithalten (BGE 107 IV
205 E. 2a und b). Die neuere Rechtsprechung geht davon aus, dass es dem
Arbeitgeber auch möglich sein muss, seiner Zahlungspflicht nachzukommen
(BGE 117 IV 78 E. 2a und b, mit Hinweis auf SCHULTZ, Die strafrechtliche
Rechtsprechung des BGer im Jahre 1981, ZBJV 118/1982 S. 560).

    c) Der Tatbestand setzt voraus, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt
der Lohnauszahlung an die Arbeitnehmer die erforderlichen Mittel oder ein
diesen entsprechendes Substrat besitzt, das er nach Auszahlung der Löhne
der Ausgleichskasse zur Verfügung halten könnte (BGE 117 IV 78 E. 2d/aa).
Als Zweckentfremdung gilt nicht schon eine blosse Nichtzahlung oder nicht
rechtzeitige Zahlung an die Ausgleichskasse, solange ein Substrat beim
Arbeitgeber vorhanden ist und die entsprechenden Mittel auch jederzeit
überwiesen werden könnten (aaO, E. 2d/bb). Er muss aber so wirtschaften,
dass er bei objektiver Betrachtungsweise im letztmöglichen Zeitpunkt
zahlen kann (aaO, E. 2d/cc). Das Substrat gilt als vorhanden, wenn er
zum Zeitpunkt der Lohnauszahlung die nötigen Kredite für die Zahlung der
Arbeitnehmerbeiträge erhältlich machen könnte; eine Zweckentfremdung kann
in der nachträglichen Verunmöglichung der Krediterlangung liegen (aaO,
E. 2d/dd). Es ist daher auch unerheblich, aus welchen Mitteln er leistet,
um das gesetzlich verlangte wirtschaftliche Ergebnis herbeizuführen
(BGE 80 IV 184 E. 1b). Als letztmöglicher Überweisungszeitpunkt gilt
derjenige Zeitpunkt, an dem die von der Ausgleichskasse im Mahnverfahren
angesetzte Nachfrist endet (Art. 14 Abs. 4 AHVG; Art. 37 Abs. 1 und 3
AHVV). Überweist der Arbeitgeber die fälligen Arbeitnehmerbeiträge in
diesem letztmöglichen Zeitpunkt, stellt sich die Frage einer Verletzung
der Substraterhaltungspflicht nicht (vgl. BGE 80 IV 184 E. 1a, b und c).

    Überweist der Arbeitgeber die fälligen Arbeitnehmerbeiträge
im letztmöglichen Zeitpunkt nicht, erfüllt er den Tatbestand der
Zweckentfremdung nur dann, wenn er die Substraterhaltungspflicht
des Arbeitgebers im Sinne von Art. 87 Abs. 3 AHVG verletzt hat. Das
strafrechtliche Schuldprinzip sowie die allgemeinen Regeln des
Unterlassungsdelikts setzen nämlich voraus, dass es ihm überhaupt möglich
ist, im letztmöglichen Zeitpunkt zu zahlen (BGE 117 IV 78 E. 2a und b)
bzw. dass ihn an der unterlassenen Zahlung ein Verschulden trifft. Die
Pflicht zur Erhaltung des Substrats entspricht einer allgemeinen
unternehmerischen Sorgfaltspflicht, deren Verletzung die Strafbarkeit des
Pflichtigen begründet. Im besondern kommt hinzu, dass der Arbeitgeber
Lohnbestandteile abzieht und verwaltet, die den Arbeitnehmern zustehen,
worüber diese aber nicht verfügen können. Die Lohnbestandteile sind ihm
aber nicht von den Arbeitnehmern anvertraut. Den Arbeitgeber trifft eine
Abzugs- und Überweisungspflicht aus öffentlichem Recht. Daher verletzt er
seine Pflicht zur Substraterhaltung, wenn er die erforderlichen Mittel
oder das Substrat in einer Weise für andere Zwecke verwendet, die eine
Zahlung im letztmöglichen Zeitpunkt objektiv nicht möglich erscheinen
lässt (vgl. BGE 80 IV 184 E. 1d und 2d). Darunter fallen etwa Handlungen
und Unterlassungen, die das Substrat einem unvernünftigen oder unüblichen
Risiko aussetzen, ein die betriebliche Substanz und Bonität aushöhlendes
Geschäftsgebaren sowie Strategien, die ein gewissenhafter Arbeitgeber
unterlassen würde. Diese Fragen muss der Sachrichter aufgrund der konkreten
Umstände beurteilen.

Erwägung 3

    3.- Nach dem Wortlaut von Art. 76 Abs. 3 BVG könnte die blosse
Unterlassung der Überweisung bereits den Tatbestand erfüllen. Eine solche
Auslegung stünde aber im Widerspruch zur neueren Rechtsprechung zu Art.
87 Abs. 3 AHVG. Art. 76 Abs. 3 BVG ist wie Art. 87 Abs. 3 AHVG auszulegen
(BGE 119 IV 187 E. 6).

    a) Das BVG sieht eine "Vorsorgepflicht des Arbeitgebers" vor (Titel
vor Art. 11 BVG; BGE 115 Ib 37 E. 3a). Dieser sorgt für die geeignete
und gesetzlich bestimmte Vorsorgemöglichkeit seiner Arbeitnehmer und
haftet für die Beitragsleistungen selbst vor dem Anschluss an eine
Vorsorgeeinrichtung (Art. 10, 11 und 12 BVG). Er ist Beitragsschuldner
gegenüber der Vorsorgeeinrichtung (Art. 66 Abs. 2 BVG) und zieht
den in den reglementarischen Bestimmungen der Vorsorgeeinrichtung
festgelegten Beitragsanteil des Arbeitnehmers vom Lohn ab (Art. 66
Abs. 3 BVG). Die Vorsorgeeinrichtungen regeln das Beitragssystem und
die Finanzierung (Art. 65 Abs. 2 BVG) und legen die Höhe der Beiträge
in den reglementarischen Bestimmungen fest (Art. 66 Abs. 1 BVG). Art. 76
Abs. 3 BVG erfasst die Unterlassung der Überweisung der gemäss Art. 66 BVG
(im Obligatorium) abgezogenen Arbeitnehmerbeiträge.

    b) Die Erfüllung des Tatbestands von Art. 76 Abs. 3 BVG setzt nach dem
Gesagten die Unterlassung einer Überweisung fälliger Arbeitnehmerbeiträge
im letztmöglichen Zeitpunkt und eine Verletzung der Pflicht, das Substrat
zu erhalten, voraus. Hinsichtlich der Substraterhaltungspflicht stellen
sich keine besonderen Fragen (oben E. 2c).

    c) Das BVG bestimmt den letztmöglichen Überweisungszeitpunkt nicht. Es
beschränkt sich als Rahmengesetz auf Mindestvorschriften und schreibt
den (privatwirtschaftlichen) Vorsorgeeinrichtungen lediglich vor, das
Beitragssystem und die Finanzierung zu regeln und die Beitragshöhe in
ihren reglementarischen Bestimmungen festzulegen. Strafrechtlich kann
nicht auf blosse reglementarische Regelungen von Vorsorgeeinrichtungen
abgestellt werden, deren Bundesrechtskonformität im Verfahren nach Art. 73
BVG nur eingeschränkt und im übrigen nur im aufsichtsrechtlichen Verfahren
nach Art. 62 und 74 BVG geprüft werden kann (BGE 119 V 195 E. 3b). Dem
auch im Nebenstrafrecht geltenden strafrechtlichen Legalitätsprinzip und
Bestimmtheitsgebot (Art. 1 StGB; BGE 105 Ia 63 E. 2; 119 IV 242 E. 1c)
genügt diese unterschiedliche und teils ungewisse Rechtslage nicht. Hinzu
kommt, dass Vorsorgeeinrichtungen Streitigkeiten mit Anspruchsberechtigten
oder Arbeitgebern nicht durch Verfügung erledigen können (mit Ausnahme
von Anschlussverfügungen der Auffangeinrichtung; Art. 11 Abs. 5
i.V.m. Art. 60 Abs. 2 lit. a BVG; BGE 115 V 375); das gilt auch für
Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen und Arbeitgebern über die
Beitragspflicht. Entsprechend können Vorsorgeeinrichtungen ausstehende
Forderungen nicht durch Verwaltungsverfügungen und mithin einen definitiven
Rechtsöffnungstitel erheben (Art. 40 VwVG i.V.m. Art. 80 SchKG),
sondern müssen im Klageverfahren nach Art. 73 BVG vorgehen (BGE 115 V
375 E. 3b und 5c; 112 Ia 180 E. 2a) und den Betreibungsweg beschreiten
(aus der kantonalen Praxis beispielsweise die in der Zeitschrift für
Walliser Rechtsprechung veröffentlichten Entscheidungen des Kantonalen
Versicherungsgerichts, ZWR/RVJ 1996 S. 114 und 117). Dies gilt für die
Auffangeinrichtung gemäss Art. 60 BVG (BGE 118 III 13 E. 3; 115 III 89 E.
2) und um so mehr für privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen.

    Die Strafnorm dient dem Schutz des Arbeitnehmers und sollte eine Lücke
im System schliessen (Vital Schwander, Das Schweizerische Strafgesetzbuch,
2. Auflage, Zürich 1964, S. 337, Nr. 546a Ziff. 5). Sie bezweckt, dass
die Arbeitnehmerbeiträge den Arbeitnehmern gesetzmässig zugute kommen,
schützt jedoch nicht Fälligkeitsordnungen von Vorsorgeeinrichtungen. Wie
ausgeführt, gilt auch beim Tatbestand von Art. 87 Abs. 3 AHVG nicht der
gesetzliche Fälligkeitstermin als letztmöglicher Zeitpunkt. Um so weniger
kann im Rahmen des BVG mangels entsprechender gesetzlicher Bestimmungen für
die Strafbarkeit auf eine reglementarische Fälligkeitsordnung abgestellt
werden. Es besteht hier keine Gesetzeslücke, da der Gesetzgeber diese
Frage ausdrücklich einer reglementarischen Regelung zuwies. Solche
Fälligkeitsordnungen sind unter strafrechtlichen Gesichtspunkten als
Vereinbarungen unter Privatrechtssubjekten zu beurteilen (vgl. BGE 113
Ib 188 E. 2; 116 V 112; 118 III 13 E. 3; 118 V 248 E. 1b). Entsprechend
gerät der Säumige in Verzug und kann betrieben werden; wird Rechtsvorschlag
erhoben, schliesst sich das Rechtsöffnungsverfahren an, und gegebenenfalls
muss ein materieller Entscheid Bestand und Umfang der geforderten
Beitragssumme feststellen und einen Rechtsvorschlag beseitigen. Bis zum
Zeitpunkt der definitiv und betragsmässig feststehenden Leistungspflicht
des Säumigen kann der objektive Tatbestand von Art. 76 Abs. 3 BVG
nicht erfüllt sein. Mutwillige oder trölerische Prozessführungen
unterstehen verfahrensrechtlichen Sanktionsnormen (BGE 118 V 316 E. 3,
229 E. 8b). Gerät demnach in der hier zu beurteilenden Konstellation ein
Arbeitgeber in Verzug, ist als letztmöglich jener Zeitpunkt anzunehmen,
in dem ein die Leistungspflicht und Beitragshöhe definitiv festlegender
Entscheid in Rechtskraft erwächst, so dass die Fortsetzung der Betreibung
verlangt werden kann (vgl. BGE 107 III 60), zuzüglich einer Zahlungsfrist.

Erwägung 4

    4.- Wird als Schutzzweck von Art. 76 Abs. 3 BVG angenommen, dass
die zuständige Vorsorgeeinrichtung letztlich die Beiträge zu Gunsten
der betroffenen Arbeitnehmer überwiesen erhält, ist es wie im Rahmen
von Art. 87 Abs. 3 AHVG (BGE 80 IV 184 E. 1b) unerheblich, mit welchen
Mitteln der Arbeitgeber seine Schuld erfüllt. Kann der Arbeitgeber
nämlich die notwendigen Beträge aufbringen, besteht in objektiver Hinsicht
für die Anwendung des Strafrechts als ultima ratio kein Bedürfnis. Der
Beschwerdeführer durfte somit auch einen persönlichen Kredit aufnehmen,
um der Leistungspflicht der AG nachzukommen. Er überwies die fälligen
Arbeitnehmerbeiträge zwar erst infolge einer Betreibung und aufgrund des
anschliessenden Leistungsurteils des Versicherungsgerichts. Aber damit kam
die pflichtige AG ihrer Überweisungspflicht im letztmöglichen Zeitpunkt
nach, als das Leistungsurteil, welches das durch den Schuldnerverzug
ausgelöste Betreibungsverfahren durch die Erteilung der definitiven
Rechtsöffnung abschloss, in Rechtskraft erwuchs. Damit stellt sich
die Frage der Substraterhaltungspflicht nicht mehr. Eine Erfüllung des
objektiven Tatbestands ist daher zu verneinen und die Frage des subjektiven
Tatbestands nicht mehr zu prüfen (vgl. BGE 80 IV 184 E. 1d).

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers von der Widerhandlung
gegen Art. 76 Abs. 3 BVG an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Erwägung 5

    5.- (Kostenfolgen).