Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 IV 193



122 IV 193

29. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Juli 1996
i.S. D. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden und X. S., Y. S. und
Z. S. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 117 StGB; fahrlässige Tötung; Verkehrssicherungspflicht von
Skipisten (Geländemulde auf Nebenfläche).

    Für Piste und Pistenrand einerseits sowie für Nebenflächen andererseits
bestehen unterschiedliche Verkehrssicherungspflichten. Vor besonderen oder
aussergewöhnlichen Gefahren auf Nebenflächen müssen die Skifahrer durch
eine unmissverständliche Signalisation gewarnt werden, die sicherstellt,
dass sie wissen, wo die offiziellen, gesicherten Pisten verlaufen
(Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Am 16. Januar 1993 fuhr Frau S. auf der Melchsee-Frutt Ski. Auf
dem Verbindungsstück Erzegg-Balmeregg verliess sie die Piste und fuhr
einige Meter neben ihr auf gut befahrbarem, offenem Gelände talwärts. Nach
etwa 70 m Fahrt, 15 m von der Piste entfernt, stürzte sie in eine schlecht
sichtbare, quer verlaufende, 5 m tiefe Geländemulde, wobei sie sich einen
Genickbruch zuzog, der zum Tod führte.

    Mit Urteil vom 14. Dezember 1994 erkannte das Kantonsgericht Obwalden
den Pisten- und Rettungschef für das Skigebiet Melchsee-Frutt, D.,
der fahrlässigen Tötung schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von
Fr. 600.--. Die Zivilansprüche der Angehörigen des Opfers wurden dem
Grundsatz nach anerkannt und die Zivilkläger im übrigen auf den Weg der
Zivilgerichtsbarkeit verwiesen.

    Mit Urteil vom 26. Oktober 1995 hiess das Obergericht des Kantons
Obwalden als Appellationsinstanz in Strafsachen die Strafappellation des
Verurteilten teilweise gut, hob das angefochtene Urteil in bezug auf die
Höhe der Anwaltsentschädigung an die Zivilkläger auf und bestätigte im
übrigen Schuldspruch und Strafe.

    Dagegen erhebt D. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, soweit es ihn der
fahrlässigen Tötung schuldig spreche, ihn zu einer Busse verurteile und
die Zivilansprüche dem Grundsatz nach anerkenne, und die Sache sei zu
seiner Freisprechung an das Obergericht zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach der Rechtsprechung trifft die für die Sicherheit eines
Skigebiets Verantwortlichen eine unterschiedliche Verkehrssicherungspflicht
für Piste und Pistenrand einerseits sowie für Nebenflächen anderseits
(BGE 115 IV 189 E. 3b). Im Bereich von Piste und Pistenrand haben die
Verantwortlichen durch geeignete Sicherungs- bzw. Warnungsmassnahmen
dafür zu sorgen, dass Skifahrern aus Gefahren kein Schaden erwächst
(BGE 115 IV 189 E. 3a, 111 IV 15 E. 2). Aber auch vor besonderen oder
aussergewöhnlichen Gefahren auf Nebenflächen, die beim Verlassen der Pisten
drohen, müssen Skiläufer in hinreichender Weise gewarnt werden (BGE 115
IV 189 E. 3b): So muss im Bereich von abzweigenden wilden Abfahrten mit
einer ausdrücklichen Warntafel oder einer Wimpelschnur das Ausscheren
in eine nicht gesicherte Strecke mit atypischen Gefahren verhindert
werden (BGE 115 IV 189 E. 3c, bestätigt in 117 IV 415 E. 5a; PADRUTT,
Grenzen der Sicherungspflicht für Skipisten, ZStR 103/1986, S. 407;
NAY, Der Lawinenunfall aus der Sicht des Strafrichters, Zeitschrift für
Gesetzgebung und Rechtsprechung in Graubünden, ZGRG, 1994, S. 54).

    Wie weit der einer erhöhten Sicherungspflicht unterworfene Bereich
der Piste und des Pistenrands in räumlicher Hinsicht geht, hängt von
den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls ab (BGE 101 IV 396
E. 2b). Für SCHULTZ kommt als Pistenrand nur ein ganz enger Raum,
der unmittelbare Grenzbereich der Piste in Frage, wenn dort besondere
Umstände eine Gefahr begründen (ZBJV 121/1985, S. 39). PADRUTT
erachtet das auf etwa Schwungbreite an die Piste anstossende Gebiet
als mitzusichernden Randbereich (aaO, S. 402). Die vom Schweizerischen
Verband der Seilbahnunternehmungen herausgegebenen Richtlinien über
die Verkehrssicherungspflicht für Skiabfahrten (SVS-Richtlinien für
Skiabfahrten, 3. Aufl. 1991, N 18) definieren den bei besonderen
Gefahrenherden zu sichernden "unmittelbaren Grenzbereich" der Piste
ebenfalls als ein Gebiet von etwa Schwungbreite, also rund 2m.

    b) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz begann die
Geländemulde 5m neben dem Rand der präparierten Piste, wobei sich die
Unfallstelle 15 m daneben befand. Jedenfalls im zu beurteilenden Fall
kann damit nicht mehr vom Pistenrand gesprochen werden, der einer
erhöhten Sicherungspflicht unterworfen ist, sondern das Hindernis
befand sich auf einer Nebenfläche. Für solche besteht, wie ausgeführt,
eine Sicherungspflicht insoweit, als Skifahrer vor darauf befindlichen
besonderen oder aussergewöhnlichen Gefahren durch eine unmissverständliche
Signalisation zu schützen sind, die sicherstellt, dass sie wissen, wo
die offiziellen, gesicherten Pisten verlaufen (BGE 115 IV 189 E. 3b).

    Die Geländemulde stellte nach den Feststellungen der Vorinstanz eine
solche aussergewöhnliche Gefahr dar, handelte es sich dabei doch um ein
atypisches, gefährliches und fallenartiges Hindernis: Nichts wies darauf
hin, dass sich mitten im relativ flachen und offenen Gelände eine quer
verlaufende, in Fahrtrichtung steil abfallende, 5 m tiefe Mulde befinden
könnte. Soweit der Beschwerdeführer also vorbringt, es habe sich bei der
Vertiefung um eine für das Gebiet durchaus typische Gefahr gehandelt,
die auch für ortsunkundige Skifahrer ersichtlich gewesen sei, ist er
nicht zu hören (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).

    Das Verlassen der Piste an dieser Stelle war somit gefährlich. Da die
Piste in offenem, weitem Gelände verlief und nur bergseitig, nicht aber
talseitig abgegrenzt war, war aber damit zu rechnen, dass ohne hinreichende
Warnung Skifahrer neben der Piste fahren würden. Dass an der fraglichen
Stelle häufig von der Piste abgewichen wurde, bestätigen sowohl die
Fahrspuren anderer Skifahrer als auch die Aussagen des Beschwerdeführers,
wonach bei Verhältnissen, wie sie am Unfalltag herrschten, viele Skifahrer
neben den Pisten führen, auch im Bereich der Unfallstelle, wo er immer
wieder Skifahrer gesehen habe.

    Um zu verhindern, dass die Skifahrer in diesem Bereich die Piste
verlassen würden, oder sie mindestens vor der drohenden Gefahr zu warnen,
wäre demnach mindestens der Pistenrand zu kennzeichnen und mit einer
Warnung zu versehen gewesen, dass das Verlassen der Piste an dieser Stelle
in ein nicht gesichertes Gebiet mit atypischen Gefahren führen würde; oder
aber die Geländemulde hätte markiert oder aufgefüllt werden müssen. Da der
Beschwerdeführer, obwohl er die fragliche Geländemulde kannte und wusste,
dass an dieser Stelle immer wieder Skifahrer von der Piste abzweigen,
eine entsprechende Sicherung unterliess, hat ihm die Vorinstanz zu Recht
eine Sorgfaltspflichtverletzung zur Last gelegt.

    c) Die Sicherung der Stelle wäre auf einfachste Weise zu
bewerkstelligen gewesen und war ohne weiteres zumutbar, wie die Vorinstanz
zutreffend ausführt; es kann auf ihre Erwägungen verwiesen werden. Die
Piste und die daran angrenzende Nebenfläche wies gemäss dem verbindlich
(Art. 277bis Abs. 1 BStP) festgestellten Sachverhalt keine grössere Anzahl
von derartigen Mulden auf; nicht zu helfen vermag dem Beschwerdeführer
deshalb sein Hinweis auf angeblich viele ähnliche Vertiefungen in der
südlichen Hälfte der Melchsee-Frutt, da das übrige Gebiet nicht Gegenstand
des zu beurteilenden Falles ist.

    d) Der Unfalltod der Skifahrerin ist nicht auf eine unglückliche
Verkettung von Umständen zurückzuführen: Bei einer 15 m neben der Piste
gelegenen, schlecht erkennbaren, 5 m tiefen Mulde, die in Fahrtrichtung
steil abfällt, ist voraussehbar, dass ihr Befahren zu schweren Stürzen mit
entsprechenden Folgen führen kann. Somit musste für den Beschwerdeführer
erkennbar sein, dass das Unterlassen der Sicherung der fallenartigen
Vertiefung einen Erfolg wie den eingetretenen herbeiführen oder mindestens
begünstigen könnte. Daran vermag auch die Eigenverantwortung der Skifahrer,
auf die sich der Beschwerdeführer beruft, nichts zu ändern. Diese
müssen zwar ihre Geschwindigkeit grundsätzlich so bemessen, dass sie auf
Sichtweite anhalten können (BGE 122 IV 17 E. 2b), und gerade ausserhalb
der signalisierten Piste besonders vorsichtig fahren. Im zu beurteilenden
Fall ist jedoch nicht festgestellt worden, dass das Opfer mit übermässiger
Geschwindigkeit gefahren wäre, und da die Geländevertiefung nach den
Feststellungen der Vorinstanz nicht oder nur sehr schlecht erkennbar war
und ein ortsunkundiger Skifahrer nicht mit einem solchen Hindernis rechnen
musste, bot auch eine den Sichtverhältnissen angepasste Geschwindigkeit
nicht die Gewähr, dass das Hindernis rechtzeitig wahrgenommen werden
konnte.

    Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen fahrlässiger Tötung
verletzt demnach kein Bundesrecht.