Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 II 433



122 II 433

54. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 15. November 1996 i.S. B. gegen Regierungsrat des Kantons Luzern
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 10 Abs. 1 lit. a und Art. 11 Abs. 3 ANAG in Verbindung mit Art. 16
Abs. 3 ANAV; Art. 3 und Art. 8 EMRK sowie Art. 12 und Art. 13 UNO-Pakt
II; fremdenpolizeiliche Ausweisung eines in der Schweiz geborenen und
aufgewachsenen Ausländers (sog. "Ausländer der zweiten Generation").

    Voraussetzungen der Zulässigkeit der Ausweisung, insbesondere deren
Verhältnismässigkeit, nach schweizerischem Recht (E. 2).

    Vereinbarkeit der auf das Landesrecht gestützten Ausweisung mit den
völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Der italienische Staatsangehörige B. wurde am 8. Oktober
1967 in Luzern geboren, wo er bei seinen Eltern, beide ebenfalls
italienische Staatsangehörige, aufwuchs. Der Vater kam 1952 im Alter
von 22 Jahren in die Schweiz; die Mutter ist in Alpnach geboren und
dort aufgewachsen. B. hat einen Zwillingsbruder und eine elf Jahre
ältere Schwester. Beide Geschwister sind verheiratet und leben ebenfalls
hier. Die schulische Förderung von B. fand im wesentlichen im Rahmen der
Hilfsschule statt. Am 15. Oktober 1983 erlitt er bei einem Autounfall
neben verschiedenen Frakturen und inneren Verletzungen ein schweres
Schädel-Hirn-Trauma, wobei er während sechs Tagen bewusstlos war. Bei einem
weiteren Unfall im April 1984 zog er sich erneut ein Schädeltrauma zu.

    B. musste ab 1982 als Jugendlicher mehrfach wegen verschiedener
Delikte, namentlich Diebstahls (zum Teil in qualifizierter Form),
Sachbeschädigung und Verstosses gegen das Strassenverkehrsgesetz bestraft
werden. Am 1. Juli 1988 sprach das Kriminalgericht des Kantons Luzern
B. schuldig des Mordes, des fortgesetzten vollendeten Mordversuchs, des
gewerbsmässigen Diebstahls, des qualifizierten Raubes, der wiederholten
Sachbeschädigung, der Drohung, des fortgesetzten Inumlaufsetzens falschen
Geldes, der wiederholten Entwendung von Motorfahrzeugen zum Gebrauch, der
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der Widerhandlung gegen das
Gewässerschutzgesetz und des wiederholten verbotenen Waffentragens. Unter
Annahme einer in schwerem Grade verminderten Zurechnungsfähigkeit wurde er
zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Obergericht des Kantons Luzern hob
diese Strafe mit Urteil vom 30. März 1990 auf und ordnete an deren Stelle
die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt gemäss Art. 100bis StGB an.

    In der Folge absolvierte B. in der Arbeitserziehungsanstalt eine
Malerlehre und schloss diese erfolgreich ab. Noch bevor er aus der
Arbeitserziehungsanstalt entlassen werden konnte, wurde er erneut in
schwerer Weise straffällig. Mit Urteil vom 3. Juni 1994 sprach ihn das
Bezirksgericht Zürich der Vergewaltigung, der falschen Anschuldigung,
der einfachen Körperverletzung und des mehrfachen Versuchs der Fälschung
amtlicher Wertzeichen schuldig und bestrafte ihn mit dreieinhalb
Jahren Zuchthaus. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde zugunsten einer
stationären Massnahme nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB aufgeschoben. Da
allerdings keine entsprechende Institution bereit bzw. in der Lage war,
B. aufzunehmen, ordnete das Bezirksgericht Zürich am 17. Oktober 1994 die
Vollstreckung der Strafe sowie eine ambulante psychiatrische Behandlung
im Strafvollzug an. B. verbüsst zurzeit seine Strafe in der Strafanstalt
Pöschwies. Er wird spätestens am 29. Dezember 1996 aus dem Vollzug
entlassen.

    Am 27. November 1995 verfügte die Fremdenpolizei des Kantons Luzern
die Ausweisung von B. Der Regierungsrat des Kantons Luzern wies eine
dagegen erhobene Beschwerde am 7. Mai 1996 ab.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 19. Juni 1996 an das
Bundesgericht beantragt B., den angefochtenen Entscheid aufzuheben und
von einer Ausweisung abzusehen.

    Der Regierungsrat des Kantons Luzern und das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement schliessen in ihren Vernehmlassungen auf Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG (SR 142.20) kann ein Ausländer
aus der Schweiz ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder
Vergehens gerichtlich bestraft wurde. Die Ausweisung darf jedoch nur
ausgesprochen werden, wenn sie nach den gesamten Umständen angemessen
erscheint (Art. 11 Abs. 3 ANAG). Hierbei sind vor allem die Schwere des
Verschuldens des Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz
und die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen
(Art. 16 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum
Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, ANAV;
SR 142.201).

    Die Frage, ob die Ausweisung im Sinne der Art. 11 Abs. 3
ANAG und Art. 16 Abs. 3 ANAV "angemessen", d.h. verhältnismässig
sei, ist eine Rechtsfrage, die vom Bundesgericht im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde frei überprüft werden kann (Art. 104 lit. a
OG). Dem Bundesgericht ist es jedoch verwehrt, sein eigenes Ermessen - im
Sinne einer Überprüfung der Zweckmässigkeit (Opportunität; vgl. BGE 116
Ib 353 E. 2b) der Ausweisung - an die Stelle desjenigen der zuständigen
kantonalen Behörde zu setzen (BGE 114 Ib 1 E. 1b).

    b) Verübt ein Ausländer ein Verbrechen oder Vergehen, hat bereits
der Strafrichter die Möglichkeit, die strafrechtliche Landesverweisung
anzuordnen (Art. 55 StGB). Sieht er hievon ab oder wird im Falle
einer bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug die Landesverweisung
probeweise aufgeschoben, steht dies der fremdenpolizeilichen Ausweisung
nach Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG nicht entgegen (BGE 114 Ib 1). Dem
Resozialisierungsgedanken des Strafrechts ist aber im Rahmen der
umfassenden fremdenpolizeilichen Interessenabwägung ebenfalls Rechnung
zu tragen (BGE 114 Ib 1 E. 3a; vgl. auch BGE 120 Ib 129 E. 5b; Urteil
vom 13. Mai 1992 in ZBl 93/1992 S. 569 E. 2d; GIORGIO MALINVERNI, in
Kommentar BV, Rz. 77 zu Art. 69ter BV; STEFAN STROPPEL, Die Beendigung
der Anwesenheitsberechtigung von Ausländern nach schweizerischem Recht,
unter besonderer Berücksichtigung der entsprechenden Verwaltungs- und
Strafgerichtspraxis im Kanton Baselland, Zürich 1987, S. 125 ff.; HANS
WIPRÄCHTIGER/ANDREAS ZÜND, Kriminalitätsexport? in: Stefan Bauhofer/Nicolas
Queloz [Hrsg.], Ausländer, Kriminalität und Strafrechtspflege, Chur/Zürich
1993, S. 399 ff., insb. S. 405 f.; ANDREAS ZÜND, Der Dualismus von
strafrechtlicher Landesverweisung und fremdenpolizeilichen Massnahmen,
in: ZBJV 129/1993 S. 73 ff., insb. S. 82 f.; ders., Strafrechtliche
Landesverweisung und fremdenpolizeiliche Ausweisung, in: Festschrift für
Dr. Kurt Eichenberger, Aarau 1990, S. 363 ff., insb. S. 372 f.).

    c) Je länger ein Ausländer in der Schweiz anwesend war, desto strengere
Anforderungen sind grundsätzlich an die Anordnung einer Ausweisung zu
stellen (MALINVERNI, aaO, Rz. 84 zu Art. 69ter BV). Ein Ausländer, der
wie der Beschwerdeführer - als sogenannter Ausländer der zweiten oder
allenfalls sogar einer weiteren Generation - in der Schweiz geboren,
hier aufgewachsen und sein ganzes bisheriges Leben hier verbracht hat,
wird regelmässig dieses Land als seine "Heimat" empfinden. Hier hat
er seine familiären, sozialen und kulturellen Beziehungen und seine
Wurzeln. Anders als ein Ausländer, der als Erwachsener in die Schweiz
kommt, muss er sich bei einer Ausweisung in einer für ihn fremden Umgebung
zurechtfinden. Unter den Gesichtspunkten der Dauer der Anwesenheit sowie
der persönlichen und familiären Nachteile einer Ausweisung kann das
wesentlich werden. Grundsätzlich ist es daher angezeigt, bei Ausländern,
die in der Schweiz aufgewachsen sind, nur zurückhaltend von der Ausweisung
Gebrauch zu machen (vgl. dazu WIPRÄCHTIGER/ZÜND, aaO, S. 404 f.; ZÜND,
ZBJV, aaO, S. 85; ders., Festschrift Eichenberger, aaO, S. 379 f.).
Nach dem schweizerischen Gesetzesrecht ist aber eine Ausweisung bei
dieser Ausgangslage nicht überhaupt ausgeschlossen. Sie ist immerhin um so
weniger zulässig, je geringfügiger der Ausweisungsgrund, namentlich die
allfällige Straffälligkeit, des Ausländers ist. Bei schweren Straftaten,
insbesondere bei Gewalt-, Sexual- und schweren Betäubungsmitteldelikten,
und erst recht bei Rückfall bzw. wiederholter Delinquenz besteht indessen
ein wesentliches öffentliches Interesse an einer Ausweisung. Entscheidend
sind aber immer die gesamten Umstände des Einzelfalles (unveröffentlichte
Urteile des Bundesgerichts vom 9. Februar 1996 i.S. Mendes Da Rocha sowie
vom 21. Oktober 1994 i.S. Timocin und Doymus).

    d) Der Beschwerdeführer wurde zuletzt vom Bezirksgericht Zürich
mit einer Zuchthausstrafe von dreieinhalb Jahren bestraft, so dass der
Ausweisungsgrund von Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG gegeben ist. Bei der
Prüfung der Frage, ob die Ausweisung im Sinne von Art. 11 Abs. 3 ANAG und
Art. 16 Abs. 3 ANAV verhältnismässig erscheint, ist vorab festzustellen,
dass der Beschwerdeführer unter anderem wegen Delikten verurteilt werden
musste, die als solche sehr schwer wiegen: Mord, Raub, Vergewaltigung und
Körperverletzung. Das Mass der verhängten Freiheitsstrafen und die Art
der Straftaten - insbesondere die Gewalttätigkeit des Beschwerdeführers
und die Rücksichtslosigkeit gegenüber der persönlichen (physischen,
psychischen und sexuellen) Integrität anderer - lassen erkennen, dass das
strafrechtliche Verschulden des Beschwerdeführers sehr schwer wiegt. Sodann
hat der Beschwerdeführer mehrfach Straftaten begangen und sich auch durch
frühere Bestrafungen, insbesondere nach der ersten schweren Verurteilung,
nicht von weiteren Delikten abhalten lassen. So wurde er noch vor seiner
Entlassung aus der Arbeitserziehungsanstalt erneut in schwerer Weise
straffällig. Damit besteht ein erhebliches sicherheitspolizeiliches
Interesse, den Beschwerdeführer aus der Schweiz zu entfernen und davon
fernzuhalten.

    Sämtliche Familienangehörigen des Beschwerdeführers, zu denen
er Beziehungen pflegt, leben in der Schweiz. Das gilt vorab für seine
Eltern, die Geschwister und deren Familie, aber auch - mütterlicherseits -
für die gesamte weitere Verwandtschaft, da ja bereits die Mutter in der
Schweiz aufgewachsen ist. Die beiden Geschwister des Vaters wohnen zwar
in Italien; zu ihnen bestehen aber keine Kontakte. Völlig abgebrochen
ist die Beziehung zu Italien allerdings nicht. Nahe der Schweizergrenze
haben die Eltern des Beschwerdeführers ein Haus, welches sie von Zeit
zu Zeit aufsuchen. Insofern lassen sich die familiären Kontakte auch bei
einer Ausweisung nach Italien aufrechterhalten. Zwar liegen bei dieser
Sachlage nicht enge Beziehungen zu Italien vor; da der Beschwerdeführer
aber in seiner frühen Kindheit vorwiegend italienisch gesprochen hat und
sich die Lebensbedingungen, jedenfalls in Norditalien, nicht wesentlich
von denjenigen in der Schweiz unterscheiden, würde er sich in diesem Land
auch dann zurechtfinden können, wenn ihm ein soziales Beziehungsgefüge
(zumindest vorerst) fehlte.

    Sodann haben die schweizerischen Strafvollzugsbehörden umfassende
Bemühungen unternommen, um das Risiko eines Rückfalls des Beschwerdeführers
zu vermindern. Soweit möglich, wurde anstelle oder ergänzend zu den
Strafen auf Massnahmen zurückgegriffen. So konnte der Beschwerdeführer in
der Arbeitserziehungsanstalt eine Berufsausbildung absolvieren. Während
des Strafvollzugs befand er sich ferner in ambulanter psychiatrischer
Behandlung. Insgesamt dreimal wurde der Beschwerdeführer psychiatrisch
begutachtet: Der erste Experte diagnostizierte im wesentlichen eine schwere
neurotische Fehlentwicklung und tiefgreifende Persönlichkeitsstörung,
welche zusätzlich durch ein Schädel-Hirn-Trauma (verursacht durch
Verkehrsunfälle) erschwert worden ist; im neuesten Gutachten wird der
Beschwerdeführer als eine "psychisch erheblich mangelhaft entwickelte
bzw. im psychischen Reifungsprozess erheblich retardierte, seelisch unreife
sowie insbesondere narzisstisch gestörte Persönlichkeit" bezeichnet, wobei
das Schädel-Hirn-Trauma ohne offensichtliche hirnorganische Schädigung eine
deutliche psychische Reifungsverzögerung bewirkt habe. Der Therapiebericht
des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes der Direktion der Justiz des
Kantons Zürich schliesst trotz aller Resozialisierungsbemühungen ein
gewisses Rückfallrisiko nicht aus; vor allem wird darauf hingewiesen,
dass reale oder auch bloss vermeintliche Kränkungen, Ungerechtigkeiten,
empfundener Mangel an Anerkennung und Wertschätzung deutliche Störungen
der inneren Befindlichkeit des Beschwerdeführers auslösen können. Der
Bericht erachtet unter anderem eine weitere ambulante psychiatrische
Betreuung als angezeigt.

    Die Strafgerichte und Vollzugsbehörden haben den psychischen
Zustand des Beschwerdeführers in jedem Verfahrensstadium gebührend
berücksichtigt. Eine weitere Betreuung ist auch in Italien nicht
ausgeschlossen. Weiter ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer
wegen seines geistigen Zustandes von vorneherein nicht in der Lage wäre,
auf eigenen Füssen zu stehen, bzw. deswegen solchermassen von seinen
in der Schweiz lebenden Angehörigen abhängig wäre, dass er nachgerade
darauf angewiesen wäre, bei ihnen oder in ihrer unmittelbaren Nähe
zu weilen. Schliesslich wird der Beschwerdeführer seinen in der
Arbeitserziehungsanstalt erlernten Beruf auch in Italien ausüben können.

    e) Bei dieser Sachlage verstösst der angefochtene Entscheid,
den Beschwerdeführer auszuweisen, nicht gegen schweizerisches
Gesetzesrecht; das gilt insbesondere auch bei Berücksichtigung des
geistigen Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers und des Umtands,
dass er hier geboren und aufgewachsen ist und womöglich die besseren
Resozialisierungschancen hat. Das sicherheitspolizeiliche Interesse
an seiner Entfernung und Fernhaltung überwiegt angesichts der sehr
schweren Straffälligkeit und der Art der begangenen Delikte sein privates
Interesse, in der Schweiz bleiben zu können. Diese Schlussfolgerung
entspricht im übrigen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts in
vergleichbaren Fällen (so die oben erwähnten unveröffentlichten Urteile
vom 9. Februar 1996 i.S. Mendes Da Rocha sowie vom 21. Oktober 1994
i.S. Timocin und Doymus). Obwohl die Ausweisung des Beschwerdeführers
allenfalls die Frage nach der - vom Bundesgericht nicht überprüfbaren
(vgl. E. 2a) - Zweckmässigkeit im Sinne der Opportunität aufwirft, ändert
das nichts daran, dass sie nicht unverhältnismässig ist und das geltende
eidgenössische Gesetzesrecht nicht verletzt.

Erwägung 3

    3.- a) Zu prüfen bleibt, ob dieses auf das Landesrecht gestützte
Ergebnis auch vor den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz
standhält. Dabei sind Art. 8 der Konvention vom 4. November 1950
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische
Menschenrechtskonvention, EMRK; SR 0.101), eventuell in Verbindung mit
Art. 3 EMRK, Art. 1 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (Zusatzprotokoll Nr. 7; SR 0.101.07)
sowie Art. 12 und 13 des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 1966 über
bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) von Interesse.

    b) Nach der Rechtsprechung und dem überwiegenden Teil der Lehre
garantiert die Europäische Menschenrechtskonvention kein Recht auf
Aufenthalt in einem Konventionsstaat. Staatliche Massnahmen der
Einreise- oder Aufenthaltsbeschränkung müssen aber die Garantien der
Menschenrechtskonvention beachten (BGE 122 II 289 E. 3b; LUZIUS WILDHABER,
Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention,
Art. 8, Köln etc. 1992, Rz. 417). Keine Probleme wirft im vorliegenden
Fall Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 7 auf, welcher dem Auszuweisenden
gewisse Verfahrensgarantien gewährt (vgl. dazu MALINVERNI, aaO, Rz. 89 zu
Art. 69ter BV); diese sind dem Beschwerdeführer vollumfänglich zugestanden
worden. Näher einzugehen ist jedoch auf den materiellrechtlichen Schutz,
welcher die Menschenrechtskonvention dem Beschwerdeführer allenfalls
bietet.

    Die Europäische Kommission sowie der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte hatten sich in den letzten Jahren verschiedentlich mit der
Frage der Zulässigkeit der Ausweisung von ausländischen Straftätern zu
befassen, die im Aufenthaltsstaat aufgewachsen sind. Die beiden Instanzen
beurteilten die ihnen unterbreiteten Fälle auf die Vereinbarkeit mit
dem in Art. 8 EMRK verankerten Anspruch auf Achtung des Privat- und
Familienlebens, welchen sie - vor allem im Hinblick auf die Trennung von
den Eltern und Geschwistern - nicht nur bei jugendlichen, sondern ebenfalls
bei erwachsenen Ausländern, die im Aufenthaltsstaat aufgewachsen sind,
als betroffen ansehen (vgl. dazu STEPHAN BREITENMOSER, Das Recht auf
Achtung des Privat- und Familienlebens in der Schweizer Rechtsprechung
zum Ausländerrecht, in EuGRZ 1993 S. 542; WILDHABER, aaO, Rz. 415
ff.). Massgeblich ist demnach, ob sich eine Ausweisung als Eingriff in
diesen Anspruch im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK rechtfertigen lässt.

    aa) Aufschlussreich sind vorab die einschlägigen Entscheide des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Im Urteil Moustaquim vom
18. Februar 1991 (Publications de la cour européenne des droits de l'homme,
série A, vol. 193; EuGRZ 1993 S. 552) erachtete dieser die Ausweisung eines
21jährigen, in Belgien aufgewachsenen Ausländers als unverhältnismässig,
der im Alter zwischen 15 und 18 Jahren 147 Delikte (worunter Diebstahl,
qualifizierter Diebstahl und Diebstahl mit Gewalt) verübt hatte und
zu einer Gefängnisstrafe von 26 Monaten verurteilt worden war. Gleich
entschied er mit Urteil vom 26. März 1992 im Fall des 41jährigen, in
Frankreich aufgewachsenen Algeriers Beldjoudi (Publications de la cour
européenne des droits de l'homme, série A, vol. 234-A; EuGRZ 1993 S.
556), der im Zeitraum von 15 Jahren mehrfach straffällig geworden
war und unter anderem wegen Diebstahls, qualifizierten Diebstahls,
Waffenbesitzes und Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von insgesamt
zwölf Jahren verurteilt werden musste. Ebenfalls als unzulässig erachtete
der Gerichtshof mit Urteil vom 13. Juli 1995 (Publications de la cour
européenne des droits de l'homme, série A, vol. 320-B) die Ausweisung des
1965 im Alter von vier Jahren zusammen mit seinen Eltern nach Frankreich
immigrierten Algeriers Nasri; dieser befand sich zwischen 1981 und
Mitte 1993 insgesamt achteinhalb Jahre im Strafvollzug, unter anderem
wegen Vergewaltigung, wobei er die kurzen Unterbrüche regelmässig zu
neuen Straftaten benutzte. Der Gerichtshof strich bei seinem Entscheid
hervor, dass es sich um einen gehörlosen Ausländer mit nur mässiger
Schulbildung handle, der auf die Hilfe seiner Familie angewiesen sei. In
den beiden zuletzt ergangenen Entscheiden gelangte der Gerichtshof zu
einer anderen Schlussfolgerung. In einem Urteil vom 24. April 1996 wurde
die Ausweisung des im Alter von sieben Jahren nach Frankreich gekommenen
Tunesiers Boughanemi, der verschiedentlich verurteilt werden musste,
unter anderem zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen Zuhälterei, als mit
der Konvention vereinbar erachtet. Im jüngsten Urteil vom 27. August 1996
in Sachen C. gegen Belgien ging es schliesslich um einen Marokkaner,
der im Alter von elf Jahren nach Belgien gelangt und dort insbesondere
wegen Betäubungsmitteldelikten zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt
worden war; auch in diesem Fall erachtete der Europäische Gerichtshof
eine Ausweisung als zulässig.

    Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
lässt sich somit zwar folgern, dass bei der Ausweisung von Ausländern,
die im Aufenthaltsstaat aufgewachsen sind, eine gewisse Zurückhaltung
angezeigt ist (vgl. dazu WILDHABER, aaO, Rz. 436 ff.), dass der
Entscheid letztlich aber immer von der Würdigung der konkreten Umstände
im Einzelfall abhängt, auch wenn diese einzelfallorientierte Beurteilung
in Sondervoten einzelner Richter kritisiert worden ist (so insbesondere
Richter Martens in den Fällen Beldjoudi und Boughanemi). Während die
Mehrheit des Gerichtshofs sodann bisher ausschliesslich auf Art. 8 EMRK
abgestellt hat, ist in Sondervoten auch auf Art. 3 EMRK und auf Art. 3
des von der Schweiz nicht ratifizierten Protokolls Nr. 4 zur Europäischen
Menschenrechtskonvention hingewiesen worden. Dabei wird die Ausweisung
eines Ausländers aus dem Land, in dem er aufgewachsen ist und immer gelebt
hat, generell und ausnahmslos als unmenschliche Behandlung - gemäss Art. 3
EMRK - betrachtet (Richter De Meyer in den Fällen Beldjoudi und Nasri,
Richter Morenilla im Fall Nasri), welche in gleicher Weise unzulässig
sei wie jene von Staatsangehörigen (vgl. Art. 3 des von der Schweiz nicht
ratifizierten Protokolls Nr. 4). Eine unterschiedliche Behandlung zwischen
formellen Staatsangehörigen und Ausländern der zweiten Generation soll sich
danach nur ausnahmsweise rechtfertigen lassen, nämlich bei Delikten gegen
den Staat oder bei politisch oder religiös motivierten terroristischen
Aktivitäten (Richter Martens in den Fällen Beldjoudi und Boughanemi;
für eine Behandlung, die nur unwesentlich schlechter sein soll als bei
Staatsangehörigen, auch der Richter Baka im Fall Boughanemi).

    bb) Die in den Sondervoten geäusserten Auffassungen blieben bis
heute Minderheitsmeinungen; zudem gilt das Protokoll Nr. 4 - und damit
dessen Art. 3 - für die Schweiz gerade nicht. Die Anforderungen an die
Verhältnismässigkeitsprüfung, wie sie von der Gerichtsmehrheit regelmässig
vorgenommen wurden, können auch bei der Anwendung des massgeblichen
schweizerischen Landesrechts beachtet werden. Insbesondere lassen sich
die wesentlichen Gesichtspunkte in die Interessenabwägung nach Art. 11
Abs. 3 ANAG in Verbindung mit Art. 16 Abs. 3 ANAV einbeziehen. Wie vor
allem die jüngsten beiden Urteile des Europäischen Gerichtshofes erkennen
lassen, kann sich eine Ausweisung namentlich bei derart schwerwiegender
Deliktstätigkeit wie im vorliegenden Fall als zulässig erweisen (vgl. dazu
auch das Sondervotum des schweizerischen Richters Wildhaber im Fall
Nasri). In den Fällen, welche der Gerichtshof gutgeheissen hat, lagen
jeweils besondere Umstände (etwa Gehörlosigkeit, besondere Abhängigkeit von
den Angehörigen, nahe Angehörige mit Bürgerrecht des Aufenthaltsstaates,
keine Kenntnis der Sprache des Heimatlandes, wesentliche Unterschiede
in den Lebensbedingungen zwischen Aufenthalts- und Heimatstaat usw.) vor
(vgl. Sondervotum des Richters Wildhaber im Fall Nasri; FRANK SCHÜRMANN,
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - Chronik der Rechtsprechung,
in AJP 1996 S. 1178 [zum Urteil Nasri]; G. COHEN-JONATHAN, Respect for
Private and Family Life, in: Macdonald/Matscher/

    Petzold [Hrsg.], The European System for the Protection
of Human Rights, Dordrecht etc., 1993, S. 438 f. [zum Urteil
Moustaquim]). Vergleichbares ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich,
auch nicht mit Blick auf den geistigen Zustand des Beschwerdeführers. Die
angefochtene Ausweisung beruht auf einer Interessenabwägung, die alle nach
Art. 8 EMRK massgeblichen Gesichtspunkte gebührend berücksichtigt. Sie
hält damit vor der Europäischen Menschenrechtskonvention stand.

    c) Der UNO-Pakt II enthält Regelungen über die Ein- und Ausreise in
den Art. 12 und 13. In Art. 13 wird die Ausweisung eines Ausländers, der
sich rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhält, - ähnlich
wie in Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 7 zur EMRK - an das Erfordernis
einer rechtmässig ergangenen Entscheidung und an die Einhaltung gewisser
Verfahrensgarantien geknüpft; diese Anforderungen sind im vorliegenden
Fall offensichtlich erfüllt. Art. 12 UNO-Pakt II regelt demgegenüber
zunächst die Bewegungs- und Wohnsitzfreiheit (Abs. 1), die Ausreise-
und Auswanderungsfreiheit (Abs. 2) sowie die Schranken dieser Rechte
(Abs. 3); Abs. 4 lautet sodann:
       "Niemand darf willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes

    Land einzureisen."

    Zu Art. 12 Abs. 1 UNO-Pakt II hat die Schweiz einen Vorbehalt
angebracht, wonach Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen für
Ausländer nur für den Kanton gelten sollen, der sie ausgestellt hat. Im
Hinblick auf die übrigen Absätze besteht kein Vorbehalt.

    aa) Das in Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II gewährleistete Recht,
in das eigene Land einzureisen, setzt an sich notwendigerweise das
Verbot der Ausweisung voraus. Ein solches ist jedoch nicht ausdrücklich
vorgesehen. Aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung ergibt sich,
dass damit die gesetzmässige Exilierung der eigenen Staatsbürger eines
Staates als Strafe für ein Delikt, sei es unter gleichzeitigem Entzug der
Staatsangehörigkeit (Ausbürgerung), sei es ohne Ausbürgerung (Verbannung),
geregelt werden sollte (vgl. MARC J. BOSSUYT, Guide to the "travaux
préparatoires" of the International Covenant on Civil and Political Rights,
Dordrecht 1987, S. 260 ff.; MANFRED NOWAK, U.N. Covenant on Civil and
Political Rights - CCPR Commentary, Kehl etc. 1993, [bzw. die ältere
deutschsprachige Fassung: UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte
und Fakultativprotokoll - CCPR-Kommentar, Kehl etc. 1989], N. 47 zu Art.
12). Einzelne Kommentatoren interpretieren nun allerdings den Ausdruck
"in sein eigenes Land" so, dass dieser nicht auf Staatsangehörige
beschränkt sei; erfasst würden vielmehr auch Ausländer und Staatenlose,
die eine so starke Beziehung zu einem Staat hätten, dass sie diesen als
ihr eigenes Land bzw. ihre Heimat betrachten würden; dabei handle es sich
vor allem um Kinder von Immigranten oder ausländischen Arbeitskräften,
die im Gastland geboren sind und daher im Land ihrer Staatsangehörigkeit
keine Heimat mehr haben, sowie um Immigranten, die alle Beziehungen zum
Heimatland abgebrochen, ihre Staatsangehörigkeit aber nicht gewechselt
haben (NOWAK, aaO, N. 48 f. zu Art. 12; STIG JAGERSKIOLD, Freedom of
Movement, in Louis Henkin (Hrsg.), The International Bill of Rights -
The Covenant on Civil and Political Rights, New York 1981, S. 180 f.;
für eine Beschränkung auf Staatsangehörige demgegenüber, allerdings
jeweils ohne nähere Begründung: KURT MÜNGER, Bürgerliche und politische
Rechte im Weltpakt der Vereinten Nationen und im schweizerischen Recht,
Diss. Zürich 1973, S. 46; Stroppel, aaO, S. 41). Soweit ersichtlich,
hat sich der UNO-Menschenrechtsausschuss bisher noch nicht zu dieser
Frage geäussert, die Ausweisung im Fall Hammel, eines aus Madagaskar
ausgeschafften Franzosen, der während knapp zwei Jahrzehnten dort gelebt
hatte, immerhin lediglich unter dem Gesichtspunkt von Art. 13 UNO-Pakt
II geprüft (vgl. NOWAK, aaO, N. 49 zu Art. 12 und N. 16 zu Art. 13).

    Die zuständigen schweizerischen Instanzen wie auch die Lehre haben
keine Unvereinbarkeit des schweizerischen Rechts mit Art. 12 Abs. 4
UNO-Pakt II erkannt, auch nicht im Hinblick auf langjährig anwesende
oder hier geborene und aufgewachsene Ausländer (vgl. BBl 1991 I 1199;
GIORGIO MALINVERNI, Les pactes et la protection des droits de l'homme dans
le cadre européen, in: Walter Kälin/Giorgio Malinverni/Manfred Nowak,
Die Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, Basel/Frankfurt a.M. 1991,
S. 47; CLAUDE ROUILLER, Le Pacte international relatif aux droits civils
et politiques, in ZSR 111/1992 I S. 113). Dementsprechend hat die Schweiz
auch keinen diesbezüglichen Vorbehalt angebracht. Es braucht hier aber
nicht abschliessend entschieden zu werden, ob Ausländer überhaupt unter
dem Schutz von Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II stehen.

    bb) Das Recht auf Einreise besteht für den davon erfassten
Personenkreis nämlich nicht uneingeschränkt. Unzulässig ist nach
dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II vielmehr lediglich der
"willkürliche" ("arbitrarily") Entzug dieses Rechts. Die Ein-fügung des
Begriffs "arbitrarily" entstammt der Kontroverse, ob die Exilierung oder
Verbannung von Staatsangehörigen zulässig sei; der Willkürvorbehalt drückt
im wesentlichen aus, dass eine solche wenigstens gesetzlich vorgesehen
sein muss bzw. den jeweiligen Anforderungen des Gesetzes zu entsprechen
hat (BOSSUYT, aaO, S. 260 ff.; NOWAK, aaO, N. 47 zu Art. 12; vgl. auch
STROPPEL, aaO, S. 36 f.). Ob darüber hinaus auch ein materiellrechtlicher
Vorbehalt besteht, ist unklar, kann aber offenbleiben. Sollte Art. 12
Abs. 4 UNO-Pakt II allenfalls auch langjährig anwesenden Ausländern,
namentlich solchen der zweiten Generation, Schutz gewähren, könnte dieser
jedenfalls nicht weiter reichen als für Staatsangehörige.

    Selbst bei Anwendbarkeit von Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II im vorliegenden
Fall würde sich somit die Frage stellen, ob das Einreiseverbot und damit
die Ausweisung des Beschwerdeführers willkürlich im Sinne dieser Bestimmung
wäre. Nicht nur vermag sich die Ausweisung jedoch auf Gesetzesrecht
zu stützen, sondern es sind auch die entsprechenden Voraussetzungen
erfüllt. Angesichts der Umstände, welche von den zuständigen Instanzen
gebührend und umfassend gewürdigt worden sind, insbesondere der schweren
Straffälligkeit des Beschwerdeführers, ist die Ausweisung überdies nicht
unsachlich oder unverhältnismässig bzw. ungerecht oder stossend. Die
Ausweisung erweist sich damit nicht als im Sinne von Art. 12 Abs. 4
UNO-Pakt II willkürlich. Sie hält demnach vor dem Pakt stand, soweit
dieser anwendbar sein sollte.