Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 II 367



122 II 367

46. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. August
1996 i.S. B., C. und D. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 83 IRSG: Anfechtung einer Schlussverfügung, Umfang der Prüfung
durch das Bundesgericht.

    Zulässige Rügen in einer gegen die Schlussverfügung erhobenen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde; Art. 10 Abs. 1 IRSG ist in einer nach dem
EUeR abzuwickelnden Rechtshilfesache nicht anwendbar (E. 1).

    Die an die ersuchende Behörde zu übermittelnden Akten prüft das
Bundesgericht nur darauf hin, ob sie im ausländischen Strafverfahren
möglicherweise erheblich sind (Prüfung nur der potentiellen Erheblichkeit;
E. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Staatsanwaltschaft Stuttgart reichte im Strafverfahren
gegen R., C. und weitere Mitbeteiligte am 15. September 1994, am
5. Dezember 1994 und am 5. Juli 1995 bei den schweizerischen Behörden
drei Rechtshilfeersuchen ein, wobei das letzte am 6. Juli 1995 noch
ergänzt wurde. Den Beschuldigten werden Widerhandlungen gegen das deutsche
Kriegswaffenkontrollgesetz und die deutsche Aussenwirtschaftsgesetzgebung
vorgeworfen. Die Beschuldigten sollen im wesentlichen an der Lieferung
einer Anlage zur Produktion von Chemiewaffen nach Libyen beteiligt sein.

    Mit Verfügung vom 10. Juli 1995 trat die Bundesanwaltschaft auf
das Rechtshilfeersuchen ein und bewilligte es. Sie ordnete mehrere
Hausdurchsuchungen an und liess Unterlagen im Umfang von rund 100
Bundesordnern beschlagnahmen. C., V. und J. wurden einvernommen. Mit
Schlussverfügung vom 8. Mai 1996 ordnete die Bundesanwaltschaft an, ein
Teil der beschlagnahmten Akten werde den deutschen Behörden im Original
übermittelt. Ausserdem brachte sie einen Spezialitätsvorbehalt an.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerden vom 7. Juni 1996 stellen C., B. und
D. den Antrag, die Schlussverfügung der Bundesanwaltschaft sei aufzuheben
und die beschlagnahmten Unterlagen seien (mit einigen Ausnahmen) nicht
an die deutschen Behörden zu übermitteln.

    Das Bundesgericht vereinigt die Verwaltungsgerichtsbeschwerden und
weist sie ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Alle drei Verwaltungsgerichtsbeschwerden betreffen denselben
Sachverhalt und lauten inhaltlich gleich. Aus prozessökonomischen Gründen
sind deshalb die Beschwerden zu vereinigen und mit einem einzigen Urteil
zu erledigen.

    b) Die Zulässigkeit der Rechtshilfe richtet sich grundsätzlich
nach dem Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen
vom 20. April 1959 (EUeR, SR 0.351.1) und dem zwischen der Schweiz und
Deutschland hiezu abgeschlossenen Zusatzvertrag vom 13. November 1969 (SR
0.351.913.61). Das Verfahren vor den schweizerischen Behörden bestimmt
sich indessen nach dem Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in
Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG, SR 351.1) und der dazugehörigen
Ausführungsverordnung vom 24. Februar 1982 (IRSV, SR 351.11).

    c) Erachtet die ein rechtskräftig bewilligtes Rechtshilfeersuchen
ausführende Behörde die Rechtshilfehandlungen als abgeschlossen, so
erlässt sie eine Schlussverfügung betreffend die Übermittlung der Akten
an den ersuchenden Staat (Art. 83 IRSG). Diese Schlussverfügung kann mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden, doch
dürfen in diesem Stadium des Verfahrens nur noch Rügen erhoben werden,
welche die Weiterleitung der beschlagnahmten Gegenstände oder Akten selbst
betreffen oder welche sich auf Tatsachen beziehen, die sich während des
Instruktionsverfahrens ereignet oder herausgestellt haben (BGE 116 Ib 91
E. 1b, mit Hinweisen).

    d) Die Beschwerdeführer rügen hauptsächlich, die meisten derjenigen
Akten, welche die Bundesanwaltschaft den deutschen Behörden übermitteln
will, würden sich nicht auf den Gegenstand des deutschen Strafverfahrens
beziehen und dürften deshalb nicht übermittelt werden. Diese Rüge ist
nach dem Gesagten zulässig. Nicht zulässig sind jedoch die weiteren von
den Beschwerdeführern erhobenen Rügen. Soweit sie geltend machen, die
Übermittlung der Akten an die deutschen Behörden sei unverhältnismässig und
der Grundsatz der Spezialität werde verletzt, hätten sie die entsprechenden
Rügen bereits mit einer gegen die Bewilligung der Rechtshilfe eingereichten
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben können. Insoweit sind die
vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerden unzulässig. Zulässig wäre
höchstens die Rüge, die Übermittlung der Akten an die deutschen Behörden
sei gerade deshalb unverhältnismässig, weil sich die Akten, soweit sie bis
heute bekannt sind, nicht auf das deutsche Strafverfahren bezögen; diese
Rüge fällt aber mit der ohnehin zulässigen Rüge gegen die Auswahl der zu
übermittelnden Akten zusammen und ist nicht für sich allein zu beurteilen.

    e) Nach Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist
und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung
hat. Aus den Beschwerdeschriften geht nicht mit letzter Deutlichkeit
hervor, ob sich die Beschwerdeführer auch im Namen ihrer (nicht am
deutschen Strafverfahren beteiligten) Geschäftspartner gegen die
Schlussverfügung der Bundesanwaltschaft zur Wehr setzen wollen. Dazu
sind sie nicht legitimiert, denn nach der zitierten Bestimmung sind
sie im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur berechtigt,
eigene Interessen zu verfolgen. In dieser Beziehung erweisen sich die
Verwaltungsgerichtsbeschwerden ebenfalls als unzulässig. Soweit indessen
die Beschwerdeführer davon ausgehen, sie selbst seien im Sinne von
Art. 10 IRSG am Strafverfahren im Ausland nicht beteiligt, sind ihre
Ausführungen offensichtlich unbegründet, denn das Rechtshilfeersuchen
richtet sich ausdrücklich auch gegen C. (im vorliegenden Verfahren
Beschwerdeführer 1). Im übrigen ist Art. 10 Abs. 1 IRSG in einer nach
dem EUeR abzuwickelnden Rechtshilfesache nicht direkt anwendbar (nicht
veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 30. Mai 1995 i.S. L.,
E. 2b, mit Hinweis).

Erwägung 2

    2.- a) Die Beschwerdeführer rügen, ausser den von ihnen im
einzelnen aufgeführten Aktenstücken, gegen deren Übermittlung an die
deutschen Behörden sie nichts einzuwenden hätten, seien alle anderen
Akten, welche die Bundesanwaltschaft übermitteln wolle, im deutschen
Strafverfahren nicht von Interesse. Dabei handle es sich um Unterlagen
der 20jährigen Holdinggesellschaft D. sowie um private Unterlagen ihres
Verwaltungsrates und um Disketten mit den Kunden der international tätigen
Treuhandgesellschaft B.

    Das Bundesamt für Polizeiwesen hält dieser Darstellung entgegen,
die Beschwerdeführer gingen nicht in die Einzelheiten und unterliessen
es, bestimmte Unterlagen mit konkreter Begründung von der Übermittlung
auszuschliessen. Sie beschränkten sich vielmehr darauf, die Interessen
unbeteiligter Dritter geltend zu machen. In den Ausführungen der
Beschwerdeführer würden die konkreten Darlegungen fehlen, welche
erforderlich seien, damit das Bundesgericht den Grundsatz der
Verhältnismässigkeit anwenden könne.

    Die Bundesanwaltschaft führt aus, bei der Ausscheidung der Akten
habe sie dem Umstand Rechnung tragen müssen, dass die deutschen Behörden
den Verdacht geäussert hätten, die Beschuldigten hätten systematisch
Verschleierungsmassnahmen getroffen, zum Beispiel durch Benützung
von Scheinfirmen. Ob dieser Verdacht und die diversen Beschuldigungen
des schwerwiegenden, illegalen Technologietransfers begründet seien,
hätten die Justizbehörden des ersuchenden, nicht des ersuchten Staates zu
beurteilen. Nur die mit dem Strafverfahren selber befasste Behörde sei in
der Lage, abschliessend zu beurteilen, welche der fraglichen Unterlagen
sich als Beweismittel eigneten.

    b) Das Bundesgericht erkannte in BGE 115 Ib 193 E. 6 (S. 196 f.), der
zwischen der Schweiz und Deutschland abgeschlossene Zusatzvertrag zum EUeR
erleichtere zwar in Art. III und XII den Verkehr zwischen den Behörden
des ersuchenden und des ersuchten Staates, doch regle er bezüglich der
Herausgabe von Akten an den ersuchenden Staat nicht mehr als das EUeR
selber. Massgebend seien daher die Bestimmungen des internen Rechts,
namentlich die Art. 82 und 83 IRSG, welche die Geheimniswahrung und die
Bedingungen des Vollzugs eines Begehrens und damit der Aktenherausgabe
regelten. Wegen der nur beschränkten Mitwirkungsmöglichkeiten, die Beamten
des ersuchenden Staates im Zusammenhang mit dem Vollzug eines Ersuchens
zustehen, müsse der ersuchte Staat eine Ausscheidung von Unterlagen,
wie sie hier zur Diskussion stehe, selber vornehmen (allenfalls unter -
auf das Nötigste begrenzter - Mitwirkung von Vertretern des ersuchenden
Staates). Würde eine solche Ausscheidung grundsätzlich an den ersuchenden
Staat delegiert, so würden dadurch - selbst wenn dieser einen neutralen
Experten beiziehen würde - die Regelungen betreffend Spezialitätsgrundsatz
(bzw. -vorbehalt) und Schutz der Geheimsphäre des betroffenen Beschuldigten
sowie allfälliger Dritter ernsthaft in Frage gestellt.

    c) Gemäss dieser Rechtsprechung ist es grundsätzlich Sache der
schweizerischen Behörden, diejenigen Akten auszuscheiden, die den
ausländischen Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden. Daher ist es
nicht zulässig, die Auswahl der für das ausländische Strafverfahren
erheblichen Akten vollständig den ausländischen Behörden zu
überlassen. Indessen ist die ersuchende Behörde nicht verpflichtet,
zu beweisen, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfenen Taten begangen
hat (BGE 116 Ib 102 E. 4a). Ob die Beschuldigten die ihnen vorgeworfenen
Taten begangen haben, ist ausschliesslich im ausländischen Strafverfahren
zu prüfen. Die schweizerischen Behörden sind deshalb verpflichtet,
den ausländischen Behörden alle diejenigen Aktenstücke zu übermitteln,
die sich auf den im Ersuchen enthaltenen Verdacht beziehen können.
Nicht zulässig wäre es, den ausländischen Behörden nur diejenigen
Unterlagen zu überlassen, die den im Rechtshilfeersuchen dargestellten
Sachverhalt mit Sicherheit beweisen. Massgeblich ist die potentielle
Erheblichkeit der beschlagnahmten Aktenstücke: Den ausländischen
Strafverfolgungsbehörden sind diejenigen Aktenstücke zu übermitteln,
die sich möglicherweise auf den im Rechtshilfeersuchen dargestellten
Sachverhalt beziehen können; nicht zu übermitteln sind nur diejenigen
Akten, die für das ausländische Strafverfahren mit Sicherheit nicht
erheblich sind. Den ausländischen Strafverfolgungsbehörden obliegt es
dann, aus den möglicherweise erheblichen Akten diejenigen auszuscheiden,
welche die den Beschuldigten vorgeworfenen Taten beweisen.

    d) Im vorliegenden Fall enthalten die eingereichten Rechtsschriften
keinen Hinweis darauf, dass die Bundesanwaltschaft beschlagnahmte
Akten für die Übermittlung nach Deutschland vorgesehen hat, die mit
Sicherheit für das deutsche Strafverfahren nicht erheblich sind. Vor allem
aber unterlassen es die Beschwerdeführer, diejenigen Akten einzeln zu
bezeichnen, die nach ihrer Auffassung nicht nach Deutschland übermittelt
werden dürfen; ebenso unterlassen sie es, darzulegen, dass bestimmte
Aktenstücke im deutschen Strafverfahren mit Sicherheit nicht wesentlich
sein werden. Da nur diejenigen Aktenstücke nicht an die ersuchende
ausländische Behörde übermittelt werden dürfen, die mit Sicherheit keinen
Bezug zu dem im Rechtshilfeersuchen dargestellten Sachverhalt haben, hätten
die Beschwerdeführer jedes einzelne Aktenstück, das nach ihrer Auffassung
nicht übermittelt werden darf, bezeichnen müssen; zugleich hätten sie für
jedes der so bezeichneten Aktenstücke darlegen sollen, weshalb nach ihrer
Auffassung das Aktenstück im deutschen Strafverfahren nicht erheblich sein
kann. Das Bundesgericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet, von Amtes
wegen nach weiteren der Rechtshilfe allenfalls entgegenstehenden Gründen zu
forschen, die aus der Beschwerde nicht hervorgehen (BGE 122 II 134 E. 2a).
Ebensowenig ist das Bundesgericht verpflichtet, von Amtes wegen in den zur
Übermittlung ins Ausland bestimmten Akten nach einzelnen Aktenstücken zu
forschen, die im ausländischen Strafverfahren nicht erheblich sind. Wie
die Bundesanwaltschaft und das Bundesamt für Polizeiwesen zutreffend
ausführen, gibt die eingereichte Beschwerdeschrift keinen Anlass, bestimmte
Aktenstücke von der Übermittlung nach Deutschland auszunehmen, soweit sie
nicht bereits von der Bundesanwaltschaft ausgeschieden worden sind. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerden erweisen sich soweit als unbegründet.

Erwägung 3

    3.- Aus diesen Gründen sind die Verwaltungsgerichtsbeschwerden
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch der
Bundesanwaltschaft vom 22. Juli 1996 wird mit dem Entscheid in der Sache
selbst gegenstandslos, da nach der Zustellung des Dispositivs die dafür
vorgesehenen Akten sofort nach Deutschland übermittelt werden dürfen.

    Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend haben die Beschwerdeführer
die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Bei deren
Bemessung ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass drei Beschwerden zu
beurteilen waren, die aber mit einem einzigen Urteil erledigt werden
konnten. Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 159
Abs. 2 OG).