Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 II 234



122 II 234

33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
27. Juni 1996 i.S. Schweizerischer Bund für Naturschutz (SBN), Schweizer
Heimatschutz (SHS), World Wildlife Fund Schweiz (WWF), Dr. Emanuel Isler
und Dr. Ambros Isler gegen Regierungspräsidium Freiburg im Breisgau und
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Rodungsbewilligung für den Bau einer staatsvertraglich vereinbarten
zollfreien Strasse.

    Der Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Bundesrepublik Deutschland über die Strasse zwischen Lörrach und Weil
am Rhein auf schweizerischem Gebiet vom 25. April 1977 (SR 0.725.122)
legt den Verlauf der projektierten Strasse detailliert fest und regelt
abschliessend die Voraussetzungen zur Erreichung des Vertragszwecks; der
Vertrag enthält insbesondere keine Vorbehalte zugunsten landesinterner
Bewilligungsverfahren (E. 4b-d).

    Konsequenzen der völkerrechtlichen Bindung für das innerstaatliche
Rodungsbewilligungsverfahren (E. 4e).

Sachverhalt

    A.- Der Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem
Grossherzogtum Baden betreffend die Weiterführung der badischen Eisenbahnen
über schweizerisches Gebiet vom 27. Juli 1852 räumt der deutschen Seite
das Recht ein, über schweizerisches Gebiet eine Verbindungsstrasse
(Zollfreie Strasse) zwischen den Städten Lörrach und Weil am Rhein zu
bauen. Ein vom Regierungspräsidium Freiburg im Breisgau ausgearbeitetes
"Auflageprojekt vom November 1974" wurde bei der Gemeindeverwaltung
Riehen und beim Baudepartement des Kantons Basel-Stadt öffentlich
aufgelegt und in der Folge aufgrund von Einsprachen überarbeitet.
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt genehmigte am 16. Dezember 1975
das überarbeitete Projekt mit verschiedenen Auflagen und Bedingungen. Am
7. Mai 1976 trafen das Land Baden-Württemberg und der Kanton Basel-Stadt
eine Vereinbarung über die technischen Einzelheiten im Zusammenhang mit
dem Bau, Betrieb und Unterhalt der Verbindungsstrasse (im folgenden:
technische Vereinbarung). In der Folge schlossen die Schweizerische
Eidgenossenschaft und die Bundesrepublik Deutschland am 25. April
1977 einen Staatsvertrag über die Verbindungsstrasse ab (SR 0.725.122;
im folgenden: Staatsvertrag von 1977). Gemäss diesem bestimmen sich
Linienführung und Bau der Strasse nach dem vom Regierungsrat des Kantons
Basel-Stadt genehmigten Auflageprojekt, wobei auf einen dem Vertrag
beigefügten "Rahmenplan" verwiesen wird (Art. 2). Der Staatsvertrag ist
am 14. Dezember 1979 von der Bundesversammlung ratifiziert worden und am
1. August 1980 in Kraft getreten.

    Die geplante Verbindungsstrasse liegt, soweit sie schweizerisches
Territorium durchquert, auf Gebiet der Gemeinde Riehen. Nach dem
Rahmenplan überschreitet sie die Landesgrenze auf der linken Seite des
Flusses Wiese, überquert diesen Fluss nach rund 70 m, verläuft alsdann
bis zur Weilstrasse der Wiese entlang, wobei sie abgesenkt und rund 120
m vor der Weilstrasse in einen Tunnel verlegt wird. Der Tunnel verläuft
unter der Weilstrasse durch und führt unter dem natürlichen Terrain auf
die Landesgrenze in der Mühlematt. Im Bereich der Landesgrenze tritt die
Strasse aus dem Tunnel und steigt auf deutscher Seite auf das natürliche
Terrain an. Das rechte Wieseufer ist von der Landesgrenze an abwärts bis
nahe an die Weilstrasse bestockt. Mit Verfügung vom 27. November 1991
qualifizierte das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) die
Bestockungen auf den Parzellen Nrn. A013600, A013700, 904400 und B147501
als Wald im Sinne der damaligen eidgenössischen Forstpolizeigesetzgebung;
das Waldareal umfasst eine Fläche von 7'023,5 m2.

    Gemäss § 1 Abs. 2 der technischen Vereinbarung hatte das
Regierungspräsidium Freiburg i.Br. - betreffend den auf schweizerischem
Gebiet liegenden Teil der Verbindungsstrasse - Ausführungspläne,
Absteckungspläne, Vermessungsunterlagen, Submissionsunterlagen und das
Bauprogramm dem Baudepartement des Kantons Basel-Stadt zur Genehmigung
zu unterbreiten. Am 17. Januar 1992 genehmigte das Baudepartement
Unterlagen, die ihm am 8. Mai 1991 vorgelegt worden waren. Gegen diesen
Genehmigungsbeschluss rekurrierte der World Wildlife Fund Schweiz (WWF),
Sektion Basel, an den Regierungsrat mit dem Antrag auf Aufhebung der
Genehmigung und Durchführung eines ordentlichen Verfahrens zur Prüfung
der Umweltverträglichkeit des Projekts. Der Regierungsrat trat mit
Entscheid vom 25. August 1992 auf das Rechtsmittel nicht ein. Einen dagegen
erhobenen Rekurs wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als
Verwaltungsgericht am 20. August 1993 mit der Begründung ab, dass erst
nach der Ratifizierung des Staatsvertrages von 1977 in Kraft getretene
Umweltschutzbestimmungen auf das umstrittene Strassenprojekt nicht
anwendbar seien und dass die Genehmigung des Baudepartements Punkte
betreffe, die lediglich der Verwirklichung des bereits rechtskräftig
beschlossenen Projekts dienten. Das Urteil des Appellationsgerichts
erwuchs in Rechtskraft.

    Zur Realisierung der Verbindungsstrasse werden Waldflächen
beansprucht. Am 13. Juli 1993 stellte das Regierungspräsidium Freiburg
i.Br. beim Kantonsforstamt Basel-Stadt ein Gesuch um Rodung von 2'090
m2 Wald auf den Parzellen Nr. A013600 und A013700. Das Gesuch wurde
publiziert und öffentlich aufgelegt. Nach Durchführung des Auflage-
und Einspracheverfahrens erteilte der Regierungsrat mit Beschluss vom
4. April 1995 die nachgesuchte Rodungsbewilligung unter zahlreichen
Bedingungen und Auflagen und wies die Einsprachen ab. Als Rodungsersatz
ordnete er die Wiederaufforstung von 1'040 ma an Ort und Stelle und die
Ersatzaufforstung von 1'050 m2 auf der Parzelle Nr. B147501 an.

    Gegen die Rodungsbewilligung haben einerseits der SBN, der Schweizer
Heimatschutz (SHS) sowie der WWF und andererseits Emanuel und Ambros
Isler beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Die
Beschwerdeführer beantragen im wesentlichen die Aufhebung der
Rodungsbewilligung bzw. die Abweisung des Rodungsgesuchs.

    Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerden ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Nach dem Staatsvertrag von 1977 gestattet die Eidgenossenschaft
der Bundesrepublik Deutschland den Bau, Unterhalt und Betrieb einer
öffentlichen Strasse zwischen den Städten Lörrach und Weil am Rhein über
schweizerisches Gebiet (Art. 1 Abs. 1). Es ist zunächst die für dieses
Werk erteilte Rodungsbewilligung zu überprüfen.

    a) Ein von der Bundesversammlung genehmigter Staatsvertrag wird
mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden für die Vertragsstaaten
völkerrechtlich verbindlich; er erlangt zusammen mit der völkerrechtlichen
auch landesrechtliche Wirkung. Er kann vom Bürger vor Gericht angerufen
bzw. von den Behörden als Grundlage einer Entscheidung herangezogen
werden, wenn er - wie im vorliegenden Fall - unbedingt und eindeutig
genug formuliert ist, um in einem konkreten Fall direkt angewendet zu
werden (Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht im Rahmen der
schweizerischen Rechtsordnung, Gemeinsame Stellungnahme des Bundesamtes
für Justiz und der Direktion für Völkerrecht vom 26. April 1989, VPB 53
Nr. 54 S. 404 mit Hinweisen).

    b) Gemäss dem Staatsvertrag von 1977 ist die Eidgenossenschaft befugt,
die Bauausführung der Verbindungsstrasse in polizeilicher Hinsicht und
bezüglich der Einhaltung der Vereinbarungen und Pläne zu überwachen
(Art. 1 Abs. 2). Die für den Bau erforderlichen Grundstücke werden vom
Kanton Basel-Stadt zur Verfügung gestellt. Sie sind nötigenfalls auf dem
Wege der Landumlegung oder der Enteignung zu beschaffen. Für den Fall des
Landerwerbs durch Enteignung überträgt die Eidgenossenschaft dem Kanton
das Enteignungsrecht im Sinn von Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die
Enteignung vom 20. Juni 1930 (SR 711). Das Enteignungsverfahren beschränkt
sich auf die Behandlung der angemeldeten Forderungen; Einsprachen gegen die
Umlegung oder gegen die Enteignung sowie Begehren, die eine Planänderung
bezwecken, sind ausgeschlossen (Art. 1 Abs. 4). Linienführung und Bau der
Strasse bestimmen sich nach dem vom Regierungsrat am 16. Dezember 1975
genehmigten Auflageprojekt (Art. 2 Abs. 1). In Art. 2 Abs. 2 wird die
Strassenführung beschrieben, und es wird auf den dem Vertrag beigefügten
Rahmenplan verwiesen. Dieser Plan ist in der amtlichen Sammlung des
Bundesrechts veröffentlicht (AS 1980 984). Die Regelung technischer
Einzelheiten behält der Staatsvertrag von 1977 der besonderen Vereinbarung
zwischen dem Kanton Basel-Stadt und dem Land Baden-Württemberg vor
(Art. 2 Abs. 7). Das Übereinkommen ordnet ferner die Strassenbenützung
und bestimmt das hierfür massgebliche Recht. Die Schlussbestimmungen
legen u.a. fest, wie Meinungsverschiedenheiten über die Vertragsauslegung
beizulegen sind. Der Vertrag ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen
und kann nur im gegenseitigen Einvernehmen zwischen den Vertragsstaaten
aufgehoben oder geändert werden; die Vertragsstaaten treten auf Verlangen
eines Vertragsstaates in Verhandlungen über eine angemessene Neuregelung,
wenn sich bei der Durchführung erhebliche Schwierigkeiten ergeben oder
sich die Verhältnisse wesentlich verändert haben (Art. 22).

    c) Die Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969
(VRK; SR 0.111) ist für die Schweiz am 6. Juni 1990 in Kraft getreten. Das
Übereinkommen findet zwar auf den vorliegend zur Diskussion stehenden,
bereits 1977 abgeschlossenen Staatsvertrag keine direkte Anwendung (Art. 4
VRK). Dem steht jedoch nicht entgegen, dass sich die Vertragsauslegung
an den in Art. 31 ff., insbesondere in Art. 31 Abs. 1 VRK festgelegten
allgemeinen Grundsätzen orientiert (vgl. BGE 117 V 268 E. 3b S. 269), zumal
diese in ihrem wesentlichen Gehalt Völkergewohnheitsrecht kodifizieren
(BGE 120 Ib 360 E. 2c S. 365) und mithin der bisherigen Praxis des
Bundesgerichts entsprechen (s. BGE 116 Ib 217 E. 3a mit weiteren Hinweisen;
speziell zum Vertrauensgrundsatz vgl. BGE 38 I 551 E. 4a S. 585; 94 I 669
E. 4 S. 673). Nach Art. 31 Abs. 1 VRK ist ein Staatsvertrag nach Treu und
Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in
ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und
Zweckes auszulegen.

    d) Lage und Umfang der projektierten Verbindungsstrasse sind im
Staatsvertrag von 1977 detailliert festgelegt. Das dem Rodungsgesuch
zugrundeliegende Projekt entspricht dieser vertraglichen Festsetzung, was
unbestritten ist. Ziel und Zweck des Vertrages sind, die Verbindungsstrasse
am vorgesehenen Ort zu bauen und hernach zu betreiben. Der Staatsvertrag
regelt abschliessend, unter welchen Voraussetzungen der Vertragszweck
erreicht werden soll. Die Bauausführung richtet sich nach dem
Auflageprojekt und den im Genehmigungsbeschluss enthaltenen Bedingungen
und Auflagen. Weitergehende Voraussetzungen können dem Vertragstext
nicht entnommen werden; insbesondere fehlen Rückverweise auf Landesrecht
und Vorbehalte zugunsten landesinterner Bewilligungen. Es gibt auch
keine Hinweise dafür, dass die Vertragsstaaten Bewilligungsverfahren
stillschweigend vorbehalten hätten. Dies ist um so weniger anzunehmen, als
dem Vertragsabschluss ein landesinternes Auflage- und Einspracheverfahren
vorausgegangen war. Sodann kann weder aus der Entstehungsgeschichte noch
aus dem Vertragszweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Bestimmungen
geschlossen werden, die Übereinkunft sei im hier zur Diskussion stehenden
Bereich lückenhaft oder gebe die wirkliche Willensmeinung der Parteien
unzutreffend wieder. All dies führt zum Auslegungsergebnis, dass der
Vertragszweck und mithin die Verwirklichung der Verbindungsstrasse
nicht vom Ergebnis nachfolgender landesinterner Bewilligungsverfahren
abhängen soll.

    e) Die Eidgenossenschaft kann sich der völkerrechtlichen Verpflichtung
nicht unter Berufung auf inländisches Recht entziehen; das Völkerrecht
hat grundsätzlich Vorrang (vgl. BGE 119 V 171 E. 4 S. 176 ff.; 109 Ib
165 E. 7b S. 173). Dies verlangt von den Rechtsanwendungsinstanzen
eine völkerrechtskonforme Handhabung des Landesrechts. In bezug auf die
vorliegend umstrittenen Rodungsvoraussetzungen wirkt sich dies materiell in
zweierlei Hinsicht aus: Zum einen ist mit der Ratifizierung des Vertrags
abschliessend über die Standortgebundenheit des Werks entschieden worden
und die Rodungsbehörde kann diese unter keinem Aspekt mehr in Frage
stellen. Zum anderen besteht kein Raum mehr für eine Interessenabwägung;
diese liegt der eingegangenen Verpflichtung zugrunde, den Bau der
Strasse ohne Vorbehalt zugunsten landesinterner Bewilligungsverfahren
zu ermöglichen. Damit ist durch den Staatsvertrag von 1977 vorgegeben,
dass den wichtigen Gründen, die hier für eine Rodung angeführt werden
können, kein überwiegendes Interesse an der Walderhaltung entgegensteht.
Bei dieser Rechtslage erscheint fraglich, ob das Projekt überhaupt
einer Rodungsbewilligung bedurfte oder ob nicht eine Verfügung über die
Ersatzaufforstung genügt hätte; jedenfalls ist es nicht zu beanstanden,
dass die für die Erteilung der Rodungsbewilligung zuständige kantonale
Instanz die Vorgaben des Staatsvertrages von 1977 bei der Handhabung der
waldrechtlichen Bestimmungen beachtete. Insofern verletzt der angefochtene
Beschluss kein Bundesrecht und es erübrigt sich, auf den gegenteiligen
Standpunkt der Beschwerdeführer weiter einzugehen.

    Daran vermag auch der Hinweis auf Art. 22 Abs. 2 des Staatsvertrages
von 1977 nichts zu ändern. Nach dieser Bestimmung treten - wie schon gesagt
- die Vertragsstaaten bei erheblichen Schwierigkeiten in der Durchführung
des Vertrages oder bei wesentlicher Veränderung der Verhältnisse in
"Verhandlungen über eine angemessene Neuregelung". Die Möglichkeit der
Vertragsänderung schränkt die völkerrechtliche Verpflichtung nicht ein, den
Vertrag nach Treu und Glauben zu erfüllen. Solange eine Vertragsänderung
nicht zustande gekommen ist, behält der in Kraft stehende Vertrag seine
völkerrechtliche Verbindlichkeit und mithin landesrechtliche Wirkung,
d.h. er ist für die rechtsanwendenden Behörden verbindlich. Entgegen
der Auffassung der Beschwerdeführer ist es daher für die Beurteilung der
streitigen Rodung unerheblich, ob die Voraussetzungen für die Aufnahme von
Verhandlungen vorliegen und ob gegebenenfalls nach innerstaatlichem Recht
die Verpflichtung zur Verhandlungsaufnahme besteht oder nicht. Nachdem
es auch keine Anzeichen gibt, dass die Eidgenossenschaft mit einem
Änderungsbegehren an die Bundesrepublik Deutschland herantreten wird,
besteht kein Anlass, mit der Beurteilung der Streitsache bis zum Vorliegen
eines Verhandlungsergebnisses zuzuwarten.

    Nach dem Gesagten verletzt die für die Verbindungsstrasse bewilligte
Rodung weder Art. 5 WaG (SR 921.0) noch Koordinationsgrundsätze.