Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 II 204



122 II 204

29. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Juni 1996 i.S.
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen C. und Eidgenössische
Datenschutzkommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Verweigerte Einsichtnahme in Staatsschutzakten; Art. 24 DSG.

    Über Kompetenzkonflikte zwischen Eidgenössischer  Datenschutzkommission
und Eidgenössischem Justiz- und Polizeidepartement im Bereich
des Datenschutzes entscheidet das Bundesgericht im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde (E. 1 und 2).

    Verweigert die Behörde, die Personendaten bearbeitet hat, die Einsicht
in die Akten mit der Begründung, die Daten fielen in den Bereich des
Staatsschutzes, entscheidet ausschliesslich das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement über deren Staatsschutzcharakter und mithin
darüber, ob es nach Massgabe von Art. 24 Abs. 3 DSG seine Zuständigkeit
zur Beurteilung der Einsichtsverweigerung beansprucht (E. 3 und 4).

Sachverhalt

    A.- P. ist Physikerin mit beruflichem Interesse an Bombenschäden. Durch
ihr Interesse an Informationen über terroristische Bombenanschläge hat
sie die Aufmerksamkeit amtlicher Stellen auf sich gezogen, die ihrerseits
die Bundesanwaltschaft kontaktiert haben. Am 11. Februar 1994 fand eine
mündliche Unterredung zwischen P. und einem Kommissär der Bundespolizei
statt. Nach übereinstimmender Darstellung beider Seiten konnten dabei
alle Bedenken gegen die Person von P. ausgeräumt werden.

    P. ersuchte die Bundesanwaltschaft am 24. Februar 1994 um Einsicht
in ihr Dossier. Am 21. März 1994 teilte ihr die Bundesanwaltschaft mit,
dass gestützt auf Art. 9 Abs. 2 der Verordnung vom 5. März 1990 über
die Behandlung der Staatsschutzakten des Bundes (SR 172.014) keine
Auskunft erteilt werden könne, bis alle Daten der Bundespolizei in das
provisorische Staatsschutzinformations-System (ISIS) aufgenommen seien. Da
ihre weiteren Bemühungen um Akteneinsicht erfolglos blieben, wandte sich
P. am 5. November 1994 an die Eidgenössische Datenschutzkommission. Die
Bundesanwaltschaft stellte sich in ihrer Vernehmlassung an die
Eidgenössische Datenschutzkommission auf den Standpunkt, die Zuständigkeit
für die Beurteilung der Beschwerde liege beim Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement, da es um Personendaten im Bereiche des Staatsschutzes
im Sinne von Art. 24 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den
Datenschutz (DSG; SR 235.1) gehe.

    Am 22. Februar 1995 verlangte der Präsident der Eidgenössischen
Datenschutzkommission, in die Akten der Bundesanwaltschaft Einsicht
nehmen zu können. Dem widersetzte sich die Bundesanwaltschaft mit dem
erneuten Hinweis auf die Zuständigkeit des Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartements. Die Eidgenössische Datenschutzkommission leitete
in der Folge mit dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement den
Meinungsaustausch über die Zuständigkeitsfrage ein. Dieses vertrat in
seiner Stellungnahme die Ansicht, der Gesetzgeber habe mit der Bezeichnung
des Departements als Beschwerdeinstanz an Stelle der Datenschutzkommission
dem Geheimnischarakter der Staatsschutztätigkeit Rechnung tragen und
ausschliessen wollen, dass die Mitglieder der Datenschutzkommission zu
Geheimnisträgern im Bereiche des Staatsschutzes würden. Es werde deshalb
vorgeschlagen, in diesem wie auch in anderen Fällen wie folgt vorzugehen:

    a. Falls eine Beschwerde gegen eine Verfügung der Bundesanwaltschaft
bei
   der Datenschutzkommission eingeht, so hat die Bundesanwaltschaft die

    Möglichkeit, in ihrer Vernehmlassung mit Hinweis auf den

    Staatsschutzcharakter der Angelegenheit die Zuständigkeit der

    Datenschutzkommission zu bestreiten.

    b. Bestreitet die Bundesanwaltschaft mit Hinweis auf den

    Staatsschutzcharakter der Daten die Zuständigkeit der

    Datenschutzkommission, so obliegt es dem Eidgenössischen Justiz- und

    Polizeidepartement, die Zuständigkeitsfrage zu klären. Zu diesem Zweck
   überweist die Datenschutzkommission die Beschwerde dem Departement.

    c. Das Departement nimmt Einsicht in die betreffenden Daten. Falls es
   sich um Staatsschutzdaten handelt, erklärt sich das Departement für
   zuständig und behandelt die Beschwerde materiell. Andernfalls stellt es
   intern die eigene Unzuständigkeit fest und überweist die Beschwerde der

    Datenschutzkommission.

    Am 21. Oktober 1995 erliess die Eidgenössische Datenschutzkommission
eine Zwischenverfügung, wonach sie selber über ihre sachliche Zuständigkeit
zu entscheiden habe und der Instruktionsrichter beauftragt werde, in die
Akten der Bundesanwaltschaft Einblick zu nehmen.

    Gegen diese Verfügung hat das Eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement am 6. Februar 1996 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht erhoben. Es beantragt, die angefochtene Zwischenverfügung
aufzuheben und die Eidgenössische Datenschutzkommission anzuweisen, das
Meinungsaustauschverfahren entsprechend den Bestimmungen von Art. 8 und
9 VwVG weiterzuführen oder aber dem Bundesrat zum Entscheid vorzulegen;
eventualiter sei die Zuständigkeit des Departements zur Beurteilung des
Staatsschutzcharakters einer Datenbearbeitung im Sinne von Art. 24 Abs. 1
DSG festzustellen.

    In seiner Vernehmlassung vom 14. März 1996 an das Bundesgericht
macht die Eidgenössische Datenschutzkommission geltend, sie unterstehe
als Verwaltungsgericht nicht der Verwaltungsaufsicht des Bundesrates
im Sinne von Art. 9 Abs. 3 VwVG, weshalb nicht der Bundesrat über einen
Kompetenzkonflikt zu entscheiden habe. Ein solcher sei vielmehr auf dem
Rechtsmittelweg zu lösen. Im übrigen müsse die Datenschutzkommission,
wenn sie angerufen werde, selber in die Lage versetzt werden, ihre
Zuständigkeit zu überprüfen, weshalb es erforderlich sei, dass ihrem
Präsidenten Einblick in die Akten gewährt werde.

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen, die sich
auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen,
von einer der in Art. 98 OG genannten Vorinstanzen ausgehen und keinem
Ausschlussgrund nach Art. 99-102 OG unterliegen. Gegen Zwischenentscheide
kann beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde geführt werden,
soweit diese auch gegen den Endentscheid zulässig ist (Art. 101 lit. a OG)
und wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können
(Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 5 und 45 Abs. 1 VwVG).

    Da sich der angefochtene Entscheid auf das Datenschutzrecht des
Bundes stützt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf diesem Gebiet
nach dem Einleitungssatz von Art. 100 OG in keinem Fall (auch nicht auf
dem Gebiet der innern oder äussern Sicherheit) ausgeschlossen ist, als
Vorinstanz eine eidgenössische Rekurskommission entschieden hat (Art. 98
lit. e OG) und die mit dem angefochtenen Entscheid verlangte Edition der
Akten einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirkt (Art. 45 Abs. 2
lit. d VwVG), ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Das in
der Sache zuständige Departement ist beschwerdelegitimiert (Art. 103
lit. b OG). Die für die Anfechtung von Zwischenverfügungen geltende
Beschwerdefrist von zehn Tagen (Art. 106 Abs. 1 OG) ist eingehalten, da
der Entscheid der Eidgenössischen Datenschutzkommission vom 21. Oktober
1995 dem Departement erst am 29. Januar 1996 zugestellt wurde. Auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Eidgenössische Datenschutzkommission und das Eidgenössische
Justiz- und Polizeidepartement sind sich vorerst nicht darüber einig,
in welchem Verfahren entschieden wird, welche der beiden Behörden
zuständig ist. Das Departement beruft sich auf Art. 9 Abs. 3 VwVG, wonach
Kompetenzkonflikte zwischen Behörden, ausgenommen Kompetenzkonflikte
mit dem Bundesgericht, dem Eidgenössischen Versicherungsgericht oder
mit kantonalen Behörden, von der gemeinsamen Aufsichtsbehörde, im
Zweifel vom Bundesrat, zu beurteilen sind. Die Bestimmung regelt nicht
ausdrücklich, ob dem Bundesrat auch Kompetenzkonflikte zwischen einer
unabhängigen Rekurskommission und einer Verwaltungsbehörde des Bundes
zu unterbreiten sind. Die Frage braucht hier nicht in allgemeiner Weise
entschieden zu werden. Auf dem Gebiete des Datenschutzes können sowohl die
Entscheide der Datenschutzkommission wie auch diejenigen des Departements
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht angefochten
werden. Es erscheint darum naheliegend und sachlich gerechtfertigt,
dass das Bundesgericht, welches auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin
den materiellen Entscheid beider Behörden überprüfen und auch einen
unzuständigerweise getroffenen Entscheid aufheben und die Sache an die
jeweils andere Behörde überweisen müsste, darüber befindet, auf welche
Weise die Datenschutzkommission und das Departement die Zuständigkeit
klären sollen.

Erwägung 3

    3.- Die Eidgenössische Datenschutzkommission ist eine Schieds-
und Rekurskommission im Sinne von Art. 71a-c VwVG, welche u.a. über
Beschwerden gegen Verfügungen von Bundesorganen in Datenschutzfragen
entscheidet (Art. 33 Abs. 1 lit. b DSG; Art. 25 Abs. 5 DSG). Der
ursprüngliche bundesrätliche Entwurf zu Art. 24 DSG (Art. 21 DSG im
Entwurf) enthielt eine Ermächtigung an den Bundesrat, für das Bearbeiten
von Personendaten durch "Organe des Staatsschutzes oder der militärischen
Sicherheit" in bestimmten Bereichen vom Datenschutzgesetz abweichende
Bestimmungen aufzustellen. An Stelle der Datenschutzkommission sollte das
übergeordnete Departement entscheiden, und an Stelle der Beschwerde an das
Bundesgericht sollte jene an den Bundesrat treten (BBl 1988 II 523). Die
eidgenössischen Räte sahen sich indessen veranlasst, den Begriff des
Staatsschutzes präziser zu fassen und den Geltungsbereich von Art. 24 DSG
nicht organ-, sondern aufgabenbezogen zu definieren (vgl. Votum Nabholz,
Berichterstatterin der Kommission, Amtl.Bull. 1991 N 940 ff., 975 f.). Die
besonderen Bestimmungen, welche der Bundesrat erlassen kann, sollen sich
danach auf die Bekämpfung des Terrorismus, des gewalttätigen Extremismus,
des organisierten Verbrechens und des verbotenen Nachrichtendienstes
sowie auf die Gewährleistungen der militärischen Sicherheit beziehen. Im
übrigen entschieden sich die eidgenössischen Räte dafür, die gerichtliche
Überprüfung durch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
zu ermöglichen, nicht aber (insoweit in Übereinstimmung mit dem Entwurf
des Bundesrates) durch Beschwerde an die Datenschutzkommission (Art. 24
Abs. 3 DSG).

    Die aufgabenorientierte Umschreibung des Geltungsbereichs von Art. 24
DSG hat zur Folge, dass die klare Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeit
von Departement und Datenschutzkommission verloren ging. Es kann nicht,
wie dies noch beim bundesrätlichen Entwurf der Fall gewesen wäre, darauf
abgestellt werden, ob die Bearbeitung der Personendaten durch Organe des
Staatsschutzes oder der militärischen Sicherheit erfolgt ist. Vielmehr
ist vorerst zu klären, ob die Organe des Staatsschutzes im Bereiche der
Bekämpfung des Terrorismus, des gewalttätigen Extremismus usw. tätig
geworden sind. Dazu ist vollumfängliche Einsicht in die massgeblichen
Akten erforderlich. Sofern es Sache der Datenschutzkommission ist, in
solchen Fällen über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden und diese
nach Massgabe der in Art. 24 DSG angewendeten Begriffe zu bestimmen, ist
es unumgänglich, dass den Mitgliedern dieser Kommission die Akten der
Bundesanwaltschaft vorgelegt werden. Der Gesetzgeber hat nun aber die
Datenschutzkommission im fraglichen Bereich nicht mit der Beurteilung
von Beschwerden betrauen wollen, weil der Kreis der Geheimnisträger in
Staatsschutzangelegenheiten möglichst klein gehalten werden sollte (HANS
REINHARD, in: MAURER/VOGT, Kommentar zum schweizerischen Datenschutzgesetz,
Basel 1995, N. 23 zu Art. 24). Einen anderen plausiblen Grund für die
Übertragung der Aufgaben der Datenschutzkommission an das Departement
gibt es nicht. Die gerichtliche Beurteilung als solche sollte (in
Abweichung vom Entwurf des Bundesrates) gerade nicht ausgeschlossen
werden, da das Bundesgericht sowohl zur Überprüfung der Entscheide
der Datenschutzkommission wie auch jener des Departements befugt ist
(Art. 24 Abs. 3 und Art. 25 Abs. 5 DSG). Verhält es sich aber so, kann
kein Sinn darin gesehen werden, der Datenschutzkommission Einblick in
die Akten zu gewähren und deren Mitglieder damit zu Geheimnisträgern
in Staatsschutzangelegenheiten zu machen, den materiellen Entscheid
aber doch dem Departement zu überlassen. Das Departement tritt einzig
deshalb an die Stelle der Datenschutzkommission, weil dadurch die
Zahl der Geheimnisträger kleiner gehalten werden kann, nicht weil ein
Bedürfnis besteht, den materiellen Entscheid nicht einem unabhängigen
Gericht zu übertragen. Auch die Datenschutzkommission anerkennt in
ihrer Zwischenverfügung, dass der Kreis der Geheimnisträger aufgrund
der gesetzlichen Regelung möglichst klein zu halten ist. Sie wollte
aus diesem Grund die Einsicht in die Akten der Bundesanwaltschaft dem
Instruktionsrichter vorbehalten. Das wäre indessen nicht folgerichtig,
da die übrigen Mitglieder keine vollständige Aktenkenntnis hätten und
die Auffassung des Instruktionsrichters für sie nicht überprüfbar wäre.

    Der Zweck der gesetzlichen Regelung gebietet damit das Vorgehen, wie es
vom Departement im Meinungsaustauschverfahren vorgezeichnet worden ist. Das
Departement hat im Streitfall darüber zu entscheiden, ob es nach Massgabe
von Art. 24 Abs. 3 DSG seine Zuständigkeit beansprucht. Auf diese Weise
ist sichergestellt, dass die Mitglieder der Datenschutzkommission nicht
zu Geheimnisträgern in diesem Bereich werden, was nichts mit mangelnder
Vertrauenswürdigkeit ihrer Mitglieder zu tun hat, sondern einzig damit,
dass Geheimnisse um so besser gewahrt sind, je weniger Personen davon
Kenntnis haben. Den Betroffenen entsteht daraus kein Nachteil. Sie können
den Entscheid des Departements, wenn er zu ihren Ungunsten ausfällt,
beim Bundesgericht anfechten, das ihn nicht nur materiell, sondern
auch darauf hin überprüfen kann, ob das Departement zuständigerweise
entschieden hat; nötigenfalls kann das Bundesgericht den Entscheid wegen
fehlender Zuständigkeit des Departements aufheben und die Sache an die
Datenschutzkommission überweisen.

Erwägung 4

    4.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist damit teilweise (im Sinne
des Eventualbegehrens des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements)
gutzuheissen, die angefochtene Zwischenverfügung der Eidgenössischen
Datenschutzkommission aufzuheben und die Sache an das Eidgenössische
Justiz- und Polizeidepartement zu überweisen, damit dieses prüfe, ob es
selbst gestützt auf Art. 24 Abs. 3 DSG zur materiellen Behandlung der
von P. erhobenen Beschwerde zuständig sei.