Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 II 12



122 II 12

2. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
8. Januar 1996 i.S. Schweizerische Bundesbahnen gegen Primarschulgemeinde
Rüthi und Mitb. und Präsident der Eidgenössischen Schätzungskommission,
Kreis 11 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 4 lit. d EntG in Verbindung mit Art. 9 und Art. 7 Abs. 2 EntG;
Verlegung einer elektrischen Leitung zum Schutze eines Kulturdenkmals.

    Muss eine Hochspannungsleitung aus Gründen des Denkmalschutzes auf dem
Trassee einer bereits bestehenden Leitung erstellt und diese verkabelt
werden, so hat die Eigentümerin der neuen Leitung die Verkabelung der
bestehenden als Ersatz- und Schutzvorkehr im Sinne von Art. 4 lit. d EntG
in Verbindung mit Art. 9 und 7 Abs. 2 EntG selbst vorzunehmen und darf
hiezu das Enteignungsrecht ausüben.

Sachverhalt

    A.- Am 20. Januar 1989 reichten die Schweizerischen Bundesbahnen
(SBB), Abteilung Kraftwerke, beim Bundesamt für Verkehr (BAV) ein
Plangenehmigungsgesuch für den Bau einer 132-kV-SBB-Übertragungsleitung
Sargans - St. Margrethen, Abschnitt Buchs - St. Margrethen, ein. Im
nachfolgenden Planauflageverfahren erhob der Gemeinderat Rüthi Einsprache
und verlangte, dass die Leitung im Bereich des geschützten Valentinsberges
verkabelt werde; gleichzeitig sei zu prüfen, ob bestehende Freileitungen
ebenfalls unterirdisch verlegt werden könnten. Auch das Bundesamt für
Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) hielt in seiner Stellungnahme zum
Projekt fest, es stimme diesem nur unter der Bedingung zu, dass für die
Leitung im Raume St. Valentinsberg zwischen Mast 178 und Mast 187 eine
neue Linienführung gesucht oder die Leitung verkabelt werde. Die SBB wurden
hierauf vom BAV beauftragt abzuklären, ob die südöstlich am Valentinsberg
vorbeiführende 50/10kV-SAK-Freileitung, die zur Zeit überdimensioniert
sei und nur noch der Ortsversorgung diene, durch ein 20kV-Kabel
ersetzt werden könne, sodass das dadurch freiwerdende Trassee für die
SBB-Übertragungsleitung oder für eine neue Gemeinschaftsleitung NOK/SBB
benützt werden könnte. In der Folge legten die SBB am 17. September 1990
für den fraglichen Leitungsabschnitt ein abgeändertes Projekt vor. Nach
diesem verläuft die SBB-Übertragungsleitung ab Mast 181 bis Mast 186
auf dem Trassee bzw. auf den mit neuen Auslegern versehenen Masten der
bestehenden Leitung der St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke AG (SAK),
während die 20kV-SAK-Leitung auf einem eigenen neuen Trassee verkabelt
wird. Das abgeänderte Projekt wurde am 20. Juli 1992 vom BAV genehmigt.

    Die für den Bau der SBB-Übertragungsleitung und für die Verkabelung
der SAK-Leitung erforderlichen Rechte wurden weitgehend freihändig
erworben. Einzig mit den Eigentümern von drei in Rüthi gelegenen Parzellen
konnten keine Vereinbarungen geschlossen werden. Nach Eröffnung eines
sog. abgekürzten Enteignungsverfahrens erhob die Primarschulgemeinde Rüthi
als Eigentümerin einer der betroffenen Parzellen gegen die Enteignung
Einsprache. Die SBB ersuchten hierauf den Präsidenten der Eidgenössischen
Schätzungskommission, Kreis 11, um vorzeitige Besitzeinweisung. An
der Einigungsverhandlung vom 26. Oktober 1995 widersetzten sich die
Enteigneten diesem Gesuch. Mit Verfügung vom 30. Oktober 1995 wies der
Schätzungskommissions-Präsident das Begehren um vorzeitige Inbesitznahme
der in der Gemeinde Rüthi zu enteignenden Rechte zur Zeit ab. Die SBB
haben diese Verfügung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten,
die vom Bundesgericht gutgeheissen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Schätzungskommissions-Präsident ist in seiner Verfügung davon
ausgegangen, dass es sich beim Bau der SBB-Übertragungsleitung auf dem
Trassee der SAK-Leitung und deren Verkabelung auf einem neuen Trassee um
eine Art Gemeinschaftsunternehmen handle, für das nur enteignet werden
könne, wenn beide beteiligten Elektrizitätswerke mit dem Enteignungsrecht
ausgestattet seien. Da hier nur die SBB von Gesetzes wegen über das
Enteignungsrecht verfügten und der SAK dieses noch nicht erteilt worden
sei, seien gemäss Bundesgerichtsentscheid vom 12. Dezember 1977 i.S. Siber
und Wehrli AG gegen SBB - welcher übrigens in BGE 105 Ib 197 bestätigt
worden ist (vgl. insbes. E. 1e in fine S. 201/2) - die Voraussetzungen
für einen Eingriff in fremde Rechte nicht gegeben.

    Die SBB bringen ihrerseits vor, die SAK-Leitung sei nur zu verlegen,
weil das bestehende SAK-Trassee zur Wahrung öffentlicher Interessen -
nämlich aus Gründen des Landschafts- und Ortsbildschutzes - in Anspruch
genommen werden müsse. Es gehe also nicht darum, der SAK irgendwelche
neuen Rechte im Rahmen einer Gemeinschaftsleitung zu verschaffen,
sondern es solle nur die bereits vorhandene Leitung in ihrer Funktion
aufrechterhalten werden. Die SBB seien als Verursacher verpflichtet,
die für die Ersatzvorkehr erforderlichen Durchleitungsrechte zu erwerben,
wozu sie nach Art. 4 lit. d des Bundesgesetzes über die Enteignung (EntG;
SR 711) auch das Enteignungsrecht ausüben dürften.

    Handelt es sich bei der umstrittenen Verkabelung wirklich um eine
Massnahme im Sinne von Art. 4 lit. d EntG, so sind die SBB in der Tat
gehalten, diese notfalls auf dem Enteignungswege selbst zu treffen.

    a) Nach Art. 4 lit. d EntG darf das Enteignungsrecht unter anderem
für Vorkehren beansprucht werden, die zum Ersatz enteigneter Rechte
oder zur Wahrung der öffentlichen Interessen erforderlich sind. Damit
wird dem Enteigner die Möglichkeit verschafft, bei Inanspruchnahme von
Grundstücken, die öffentlichen Zwecken dienen, oder bei Beeinträchtigung
öffentlicher Interessen den in Art. 7 bis 10 EntG umschriebenen Ersatz-
und Erhaltungspflichten nachzukommen (vgl. Art. 35 lit. b EntG). So
dürfen nach Art. 7 Abs. 2 EntG jene Rechte enteignet werden, durch die die
Fortbenützung von bestehenden öffentlichen Einrichtungen, wie Wege, Brücken
oder Leitungen, sichergestellt werden kann, soweit diese durch den Bau
oder den Betrieb des Werkes in Mitleidenschaft gezogen werden (vgl. auch
speziell für den Eisenbahnbau: Art. 19 Abs. 1 des Eisenbahngesetzes [EBG;
SR 742.101]). Weiter ist der Enteigner nach Art. 9 Abs. 2 EntG gehalten,
sein Werk so auszuführen, dass es das landschaftliche Bild möglichst
wenig stört. Auch aus dieser Bestimmung wird in der Lehre geschlossen,
dass zur Durchsetzung bestimmter Planänderungen oder Auflagen im Interesse
des Landschaftsschutzes das Enteignungsrecht in Anspruch genommen werden
dürfe; sofern der Werkeigentümer dieses nicht von Gesetzes wegen besitze,
sei es ihm noch besonders zu erteilen (HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht
des Bundes, Bd. I, N. 8 zu Art. 9 EntG).

    Über Streitigkeiten betreffend die Art und den Umfang solcher
Schutz- und Ersatzvorkehren sowie über die Frage, ob und inwieweit die
Voraussetzungen für eine Enteignung überhaupt erfüllt seien, hat die zum
Entscheid über die Einsprachen berufene Behörde zu befinden. Dagegen
urteilt die Eidgenössische Schätzungskommission im Anschluss an den
Einspracheentscheid darüber, ob trotz der Ersatzmassnahmen des Enteigners
ein Schaden entstanden sei, wie die Eigentumsverhältnisse zu gestalten
seien und wer für den Unterhalt aufzukommen habe (Art. 26 sowie Art. 64
lit. c und d EntG; vgl. BGE 116 Ib 241 E. 3a S. 246).

    b) Im vorliegenden Fall hatten die SBB ursprünglich geplant, ihre
Übertragungsleitung längs der bestehenden Eisenbahnlinie westlich
des St. Valentinsberg zu erstellen. Dadurch wäre die Pfarrkirche,
die seit 1983 als Baudenkmal unter dem Schutz des Bundes steht, von
Hochspannungsleitungen sozusagen umrahmt worden, da bereits die SAK-Leitung
und eine 380/220kV-Leitung der Nordostschweizerischen Kraftwerke AG
(NOK) östlich des Schutzobjektes vorbeiführen. Die SBB sind daher im
Plangenehmigungsverfahren auf die Einwendungen der Gemeinde Rüthi und
des BUWAL hin aufgefordert worden abzuklären, ob ihre Leitung nicht
auch auf die Ostseite, das heisst auf die "Rückseite" des Kirchenhügels
verlegt werden könne, wobei zur Vermeidung einer Anhäufung von Leitungen
die SAK-Leitung zu verkabeln sei. Die SBB haben hierauf ihr Projekt im
fraglichen Bereich geändert und sehen, wie im Sachverhalt geschildert,
die Erstellung ihrer Übertragungsleitung auf dem Trassee der nunmehr
unterirdisch zu führenden SAK-Leitung vor.

    Aus diesem Sachverhalt ergibt sich, dass es sich bei der Verkabelung
der SAK-Leitung nicht bloss um eine Ersatzvorkehr im Sinne von Art. 7
Abs. 2 EntG für eine durch das Werk beeinträchtigte Leitung handelt, deren
Funktion es in erster Linie aufrechtzuerhalten gälte. Ausschlaggebend für
die Projektänderung und die dadurch bedingte Verlegung der SAK-Freileitung
waren vielmehr die Interessen des Landschafts- und Denkmalschutzes. Auch
für solche Schutzmassnahmen im öffentlichen Interesse erlaubt aber,
wie dargelegt, die Bestimmung von Art. 9 in Verbindung mit Art. 4
lit. d EntG den Rückgriff auf die Enteignung. Daran ändert nichts,
dass im vorliegenden Fall die Massnahmen zugunsten des Schutzobjektes
bereits im Plangenehmigungs- und nicht erst in einem gestützt auf Art. 9
EntG angehobenen enteignungsrechtlichen Einspracheverfahren getroffen
worden sind. Die Pflicht des Enteigners, bei der Ausführung seines
Werkes Landschafts- und Ortsbilder sowie Natur- und Kulturdenkmäler zu
schonen, hat allgemeine Geltung (vgl. Art. 12 und Art. 3 Abs. 2 lit. a
des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz [NHG; SR 451]). Die
Mittel zur Erfüllung dieser Aufgabe müssen ihm deshalb unabhängig davon
zur Verfügung stehen, ob er die nötigen Schutzvorkehren schon aus
eigenem Antrieb plane oder ob er hiezu im Plangenehmigungsverfahren
oder erst im enteignungsrechtlichen Einspracheverfahren angehalten
werde. Übrigens sieht das Bundesrecht heute für die meisten öffentlichen
Werke sog. kombinierte Verfahren, das heisst mit einem Enteignungsverfahren
verbundene Plangenehmigungsverfahren, vor, in denen ohnehin nur noch ein
einziges Einspracheverfahren durchgeführt wird.

    c) Geht es demnach bei der Verkabelung der SAK-Leitung um eine Schutz-
und Ersatzvorkehr im Sinne von Art. 4 lit. d EntG in Verbindung mit Art. 9
und 7 Abs. 2 EntG, müssen die SBB sie selbst vornehmen und dürfen hiezu
auch das Enteignungsrecht ausüben. Dieses steht ihnen schon von Gesetzes
wegen zu (Art. 3 Abs. 1 EBG). Einer Verleihung des Enteignungsrechtes
an die SAK bedarf es nicht. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist
sich als begründet.