Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 III 97



122 III 97

19. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. März 1996 i.S. G.
gegen B. (Berufung) Regeste

    Verzicht auf Abänderung einer Bedürftigkeitsrente (Art. 2, Art. 27
und Art. 153 ZGB).

    Ein Abänderungsverzicht ist zulässig und verbindlich. Analoge Anwendung
der clausula rebus sic stantibus auf eine Unterhaltsverpflichtung;
Voraussetzungen vorliegendenfalls nicht erfüllt (E. 3a).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Die Vorinstanz hat die unter Art. 152 ZGB fallende
Rentenhälfte deswegen nicht herabgesetzt oder aufgehoben, weil der
Kläger in der Scheidungskonvention einem Abänderungsverzicht zugestimmt
hat. Der Kläger beruft sich demgegenüber angesichts der drastischen
und für ihn unvorhersehbaren und ruinösen Veränderungen auf dem Bau-
und Immobilienmarkt auf die clausula rebus sic stantibus, ferner auf
Art. 27 ZGB.

    Ein Abänderungsverzicht ist dem Grundsatz nach zulässig und
dementsprechend verbindlich (BGE 67 II 6 ff.; BÜHLER/SPÜHLER,
N. 19 zu Art. 153 ZGB, mit Hinweisen, und SPÜHLER/FREI-MAURER,
N. 19 zu Art. 153 ZGB). Es erscheint indessen als zutreffend, auch
auf eine solche Vereinbarung - jedenfalls entsprechend, denn diese
beruht an sich nicht auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung -
die auf Art. 2 ZGB beruhende clausula rebus sic stantibus anzuwenden
(vgl. dazu auch MERZ, Berner Kommentar, N. 237, 239 und 240 zu Art.
2 ZGB). Ebenso fällt eine solche Abmachung unter den Vorbehalt des
Art. 27 Abs. 2 ZGB (BGE 82 II 369; vgl. dazu auch HINDERLING/STECK,
Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. Aufl. 1995, S. 517 f. Fn. 11),
wobei das Rechtsmissbrauchsverbot des Art. 2 ZGB als ein Anwendungsfall
der ersteren Bestimmung aufgefasst werden kann (BUCHER, Berner Kommentar,
N. 197 zu Art. 27 ZGB, und sinngemäss auch BGE 113 II 209 E. 4a). Die
clausula rebus sic stantibus führt jedoch gemäss bundesgerichtlicher Praxis
nur sehr selten zu einer richterlichen Vertragsauflösung oder -anpassung
(BUCHER, aaO, N. 195, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Eine solche
Lösung wird nur bejaht, wenn das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung
infolge ausserordentlicher und unvorhersehbarer Änderung der Umstände so
gestört ist, dass das Beharren des Gläubigers auf seinem Vertragsanspruch
geradezu eine wucherische Ausbeutung des Missverhältnisses und damit
einen offenbaren Rechtsmissbrauch darstellt (BGE 100 II 345 E. 2b, 101
II 17 E. 2, 107 II 343 E. 2, je mit Hinweisen).

    Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz erzielt der
Kläger heute ein Arbeitseinkommen von brutto Fr. 4'500.-- und netto
Fr. 4'000.-- pro Monat plus Kinderzulagen. Bei diesem Einkommen kann
nicht gesagt werden, ein Beharren der (1952 geborenen) Beklagten auf der
monatlichen Unterhaltsrente von Fr. 1'000.-- bzw. Fr. 1'187.10 aufgrund
der Indexierung gemäss Scheidungsurteil (Stand 1995) stelle geradezu
eine wucherische Ausbeutung des Klägers dar, auch wenn anlässlich der
Scheidung von einem Jahreseinkommen des Klägers von Fr. 90'000.--
ausgegangen wurde. Selbst wenn die Unterhaltsbeiträge gegenüber seinen
Kindern berücksichtigt werden - die Rente gemäss Art. 151 Abs. 1 ZGB
entfällt -, ändert sich daran nichts; denn im angefochtenen Urteil wird
festgehalten, dass die Beklagte bisher keine Arbeitsstelle gefunden hat
und abgesehen von den Leistungen des Klägers von ihrem Vermögen leben
muss. Zudem hat der Appellationshof verbindlich festgestellt (Art. 63
Abs. 2 OG), dass der wirtschaftliche Zusammenbruch des Klägers, der seine
Schulden im Privatkonkurs auf 27 Mio. Franken beziffert habe, Ende 1990
nicht unvorhersehbar war. Die Berufung ist daher insofern unbegründet.