Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 III 53



122 III 53

11. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Januar 1996 i.S.
Firma X. gegen Firma Y. AG (Berufung) Regeste

    Schadenszins in der Vertragshaftung, Höhe und Berechnungszeitpunkt;
kaufmännischer Verkehr (Art. 73, 104 Abs. 1 und 3, 106 OR).

    Abgrenzung von Schadens- und Verzugszins (E. 4a).

    Höhe des Schadenszinses in der Vertragshaftung (Art. 104 und 106
OR). Die Bestimmung von Art. 104 Abs. 3 OR bezieht sich auf den objektiv
kaufmännischen Verkehr (E. 4b).

    Die Schadensberechnung ist im Regelfall auf den vertraglichen
Erfüllungszeitpunkt vorzunehmen (E. 4c).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Klägerin rügt in ihrer Anschlussberufung eine Verletzung von
Art. 73 und Art. 104 Abs. 3 OR. Sie macht geltend, einerseits sei der
Schadenszins unter Kaufleuten nicht mit 5%, sondern nach dem üblichen
Bankdiskonto zu bemessen, und anderseits laufe er nicht linear bis
zur Tilgung, sondern sei auf den Urteilszeitpunkt zur Hauptforderung
aufzuaddieren und mit ihr dem Verzugszins zu unterstellen.

    a) Zum Schaden gehört nach konstanter Rechtsprechung der Zins
vom Zeitpunkt an, in welchem das schädigende Ereignis sich finanziell
ausgewirkt hat. Er läuft bis zur Zahlung des Schadenersatzes und wird
als Schadenszins bezeichnet (BGE 33 II 124 E. 7 S. 133, 118 II 363;
OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Band I, 5. Aufl. 1995,
S. 256 f. Rz. 23 ff.; BREHM, Berner Kommentar, N. 97 ff. zu Art. 41 OR,
je mit Hinweisen). Dieser Schadenszins bezweckt, den Anspruchsberechtigten
so zu stellen, wie wenn er für seine Forderung am Tage der unerlaubten
Handlung bzw. für deren wirtschaftliche Auswirkungen befriedigt
worden wäre (BGE 81 II 512 E. 6). Vom Verzugszins unterscheidet er
sich vor allem dadurch, dass er den Verzug, namentlich eine Mahnung
des Gläubigers nach Art. 102 Abs. 1 OR, nicht voraussetzt. Funktional
erfüllt er jedoch denselben Zweck wie der Verzugszins und kann daher
nicht kumulativ beansprucht werden (OFTINGER/STARK, aaO, S. 257 Fn. 35;
SCHRANER, Zürcher Kommentar, N. 37 zu Art. 73 OR). Geschuldet ist er
sowohl bei deliktischer wie bei vertraglicher Haftpflicht (BGE 103 II 330
E. 5 S. 338; MERZ, in: Schweizerisches Privatrecht, Band VI/1, S. 177;
GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil,
Band II, 5. Aufl. 1991, S. 128 f. Rz. 2791).

    b) Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung den Satz des
Schadenszinses in der Regel ohne nähere Begründung in Anlehnung an
Art. 73 Abs. 1 OR auf 5% festgelegt (vgl. BGE 103 II 330 E. 5 S. 338,
97 II 123 E. 9 S. 134, 82 II 25 E. 6 am Ende, 81 II 512/519). Ein
wesentlicher Teil der Lehre steht auf demselben Standpunkt (BREHM,
aaO, N. 101 zu Art. 41 OR; OFTINGER/STARK, aaO, S. 257 Rz. 25; MERZ,
aaO, S. 214; ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Band II, S. 39;
KELLER/GABI, Das Schweizerische Schuldrecht, Band II, 2. Aufl. 1988, S. 73;
STAUFFER/SCHAETZLE, Barwerttafeln, 4. Aufl. 1989, S. 249 Rz. 728). Eine
Ausnahme stellt dagegen BGE 81 II 213 dar (E. 5 S. 221; vgl. auch BGE
82 II 460 E. 1). In diesem Entscheid stellte das Bundesgericht auf die
Verhältnisse am Kapitalmarkt ab und legte den Schadenszins entsprechend mit
3%, den später einsetzenden Verzugszins dagegen mit 5% fest. Ein Teil der
Lehre folgt dieser Auffassung (GAUCH/SCHLUEP, aaO, S. 129 Rz. 2791; WEBER,
Berner Kommentar, N. 132 zu Art. 73 OR; wohl auch LEU, in: Kommentar zum
Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I [Art. 1-529 OR], N. 5
zu Art. 73 OR; unbestimmt SCHRANER, aaO, N. 36 zu Art. 73 OR; BRUNO VON
BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 47 Fn. 60).

    Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage erübrigt sich im
vorliegenden Fall. Denn es drängt sich auf, in der Vertragshaftung den
Schadenszins satzmässig jedenfalls dort dem Verzugszins gleichzusetzen,
wo ein Ersatzanspruch aus der Verletzung einer Hauptpflicht zu verzinsen
ist. Verzug und Schlechterfüllung sind im Vertragsrecht beides Tatbestände
von Leistungsstörungen, die auf dogmatisch einheitlicher Basis gründen
und daher nach harmonisierten Rechtsfolgen rufen (vgl. BGE 117 II 71;
VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts,
Band II, S. 86 und S. 135; WIEGAND, Die Leistungsstörungen, recht 1983,
S. 1 ff. und S. 118 ff., sowie recht 1984 S. 13 ff., S. 21 f.; WIEGAND, in:
Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I [Art. 1-529
OR], N. 1 in Einleitung zu Artikel 97-109 OR; BUCHER, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 339). Verzugs- wie
Schadenszins sollen denn auch den mit der Kapitalentbehrung verbundenen
Nutzungsausfall ausgleichen (SCHRANER, aaO, N. 37 zu Art. 73 OR;
OFTINGER/STARK, aaO, S. 257 Fn. 35). Der erstere bezieht sich dabei auf
eine ausgebliebene Geldleistung als Primärleistung, der zweite auf eine
Ersatzleistung, die an die Stelle der Hauptleistung getreten ist und diese
gleichsam fortsetzt (VON TUHR/ESCHER, aaO, S. 104). Unterschiedliche
Zinssätze rechtfertigen sich daher bereits aus der Gleichartigkeit der
Parteistellungen nicht.

    Der gesetzliche Verzugszins beträgt 5% (Art. 104 Abs. 1 OR), es sei
denn, der Gläubiger weise einen höheren Verzugsschaden aus (Art. 106
Abs. 1 OR; BGE 109 II 436 E. 2a, 117 II 256 E. 2b). Unter Kaufleuten gilt
der Satz des üblichen Bankdiskontos (Art. 104 Abs. 3 OR). Die Klägerin
beansprucht nicht Ersatz eines weitergehenden Schadens im Sinne von
Art. 106 OR. Dagegen beruft sie sich auf die Kaufmannseigenschaft der
Parteien. Der Anwendungsbereich von Art. 104 Abs. 3 OR beschränkt sich
indessen nach zutreffender Auffassung auf den objektiv kaufmännischen
Verkehr; es ist nicht allein auf die subjektive Kaufmannseigenschaft
abzustellen (in diesem Sinne namentlich ROLF H. WEBER, Gedanken zur
Verzugsschadensregelung bei Geldschulden, in: Festschrift Keller,
Zürich 1989, S. 323 ff., S. 330; ANDREAS KNOEPFEL, Die Sonderordnung des
kaufmännischen Verkehrs im Kaufrecht (Handelskauf), Diss. Zürich 1987,
S. 8; vgl. zur Kontroverse im Meinungsstand etwa BGE vom 2. Juli 1985
in Rep. 119/1986, S. 23; Kantonsgericht Wallis in RVJ 1979, S. 336/7
E. 2; GIGER, Berner Kommentar, N. 15 zu Art. 190 OR; SCHÖNLE, Zürcher
Kommentar, N. 19 ff. zu Art. 190 OR; GAUCH/SCHLUEP, aaO, S. 159 Rz. 2972;
TERCIER, BR 1987 S. 66 zu Rep. 119/1986, S. 23; FRANZ SCHENKER, Die
Voraussetzungen und die Folgen des Schuldnerverzugs im schweizerischen
Obligationenrecht, Diss. Freiburg 1987, S. 136 ff.). Es rechtfertigt
sich aus dem Regelungsgedanken von Art. 104 Abs. 3 OR nicht, jedwelche
Forderung unter Kaufleuten unbesehen ihres Entstehungsgrundes dem höheren
Verzugszinssatz zu unterstellen. Als Beispiele dafür seien angeführt die
Schadenersatzforderung des im Verkehr verunfallten Kaufmanns gegenüber
dem Versicherer des Unfallbeteiligten oder familienrechtliche Ansprüche
geschiedener Ehegatten, die beide im Handelsregister eingetragen
sind. Für die Annahme einer Forderung unter Kaufleuten ist vielmehr
erforderlich, dass das vom Verzug betroffene Geschäft auch objektiv unter
den Begriff des kaufmännischen Verkehrs, insbesondere des Handelsverkehrs
fällt; mit andern Worten muss das fragliche Geschäft in unmittelbarem
Zusammenhang mit der umsatzbezogenen Tätigkeit beider Parteien stehen
(vgl. BGE 65 II 171; GIGER, aaO, N. 15 zu Art. 190 OR; CAVIN, in:
Schweizerisches Privatrecht, Band VII/1, S. 4; weitergehend SCHÖNLE,
aaO, N. 20 zu Art. 190 OR). Daran gebricht es im vorliegenden Fall,
da die schlechterfüllte Leistung Anlagevermögen der Klägerin betraf,
und zum mindesten nicht festgestellt ist, deren Geschäftszweck umfasse
ebenfalls die Bautätigkeit. Der vorinstanzlich festgesetzte Zinssatz von 5%
ist daher bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

    c) Während das Bundesgericht in seiner früheren Rechtsprechung den
Schadenszins im Deliktsrecht an Stelle eines Verzugszinses linear zusprach
(vgl. etwa BGE 33 II 124/133, 81 II 213 E. 5 S. 221) oder jedenfalls mit
dem - späteren - Verzugszins nicht mitverzinste (BGE 81 II 512 E. 6),
addiert es nunmehr den Schadenszins bis zum Urteilstermin des oberen
kantonalen Gerichts auf und unterstellt ihn ebenfalls dem Verzugszins
für den Schadenersatz, welcher am Urteilstag zu laufen beginnt (BGE 97
II 123 E. 9 S. 134; so schon BGE 81 II 38 E. 5 S. 49; zustimmend, BREHM,
aaO, N 99 zu Art. 41 OR). Beim Genugtuungszins dagegen findet eine solche
Aufrechnung nicht statt (BGE 118 II 404 E. 3b).

    Die Aufrechnung des Schadenszinses ergibt sich im Deliktsrecht
aus dem Grundsatz, dass der aufgelaufene Schaden konkret auf den
Zeitpunkt zu berechnen ist, in welchem das obere kantonale Sachgericht
urteilt (BGE 99 II 214 E. 3b; vgl. auch BGE 113 II 345 und 116 II 295
E. 3a). Ob diese Aufrechnung sachlich gerechtfertigt ist, kann hier
offenbleiben. Jedenfalls ist der genannte Berechnungszeitpunkt für den
Schaden aus vertraglichen Leistungsstörungen nicht zwingend. Er steht
dem Gläubiger denn auch höchstens alternativ zur Verfügung, während im
Regelfall auf den Erfüllungszeitpunkt abzustellen ist (BGE 109 II 474;
HANS-ULRICH BRUNNER, Die Anwendung deliktsrechtlicher Regeln auf die
Vertragshaftung, Diss. Freiburg 1991, S. 68 ff.; GAUCH/SCHLUEP, aaO, S. 96
Rz. 2627 f.). Das dem Gläubiger insoweit allenfalls zustehende Wahlrecht
soll ihm ermöglichen, Sachwertsteigerungen bis zum Urteilszeitpunkt
geltend zu machen. Es erfordert indessen nicht gleichzeitig eine Übernahme
der deliktsrechtlichen Regel zur Aufrechnung des Schadenszinses. Aus
der im Recht der Leistungsstörung anzustrebenden Harmonisierung der
Schadenersatzfolgen drängt sich gegenteils auf, von einer solchen
Aufrechnung abzusehen. Denn sie würde wegen des Verbots von Zinseszinsen
im Verzugsrecht (Art. 105 Abs. 3 OR) unweigerlich zu einer Besserstellung
des Ersatzgläubigers im Vergleich zum Verzugsgläubiger führen. In der
Rechtsprechung wurde denn auch bisher davon abgesehen. Mithin ist
auch insoweit der angefochtene Entscheid bundesrechtlich nicht zu
beanstanden. Dies führt zur Abweisung der Anschlussberufung.