Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 III 49



122 III 49

10. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. März 1996
i.S. Ernst Tscherrig gegen Munizipalgemeinde Raron (Berufung) Regeste

    Art. 704 Abs. 1 ZGB; Abgrenzung zwischen Privat- und Bachquelle.

    Eine Quelle, die auf einem privaten Grundstück entspringt und von
Anfang an einen Bach bildet, ist nicht eine Privatquelle und als solche
Bestandteil des Grundstückes, sondern eine Bachquelle und damit Teil
des von ihr gebildeten Gewässers. Ob eine Quelle einen Bach bildet,
hängt von der Mächtigkeit und Stetigkeit der Quelle ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Kantonsgericht Wallis hat für das Bundesgericht verbindlich
festgehalten (Art. 63 Abs. 2 OG), dass es sich bei der Quelle "am Bach"
um eine ergiebige Quelle handelt. Die Schüttungsmessungen, die über
ein ganzes Jahr in Abständen von 14 Tagen vorgenommen wurden, haben
eine mittlere Schüttung von 9,09 l/s (Sekundenlitern) oder 545 l/min
(Minutenlitern) ergeben. Die Messungen haben gezeigt, dass während 80%
des Jahres eine Wassermenge von mindestens 6,0 l/s oder 360 l/min zur
Verfügung steht. Nach den weiteren Feststellungen im angefochtenen Urteil
begründete die Quelle vor ihrer Fassung einen kleinen Bach, der durch
St. German floss. Bereits vor dem Jahr 1933 wurde die Quelle gefasst;
während ein Teil des Quellwassers in einer Leitung abgeführt wurde,
floss das übrige Wasser in einem offenen Kanal dorfwärts; es betrieb zwei
Mühlen und eine Sägerei, versorgte Brunnentröge und wurde zeitweise zum
Bewässern von Wiesen und Reben benutzt. Nachdem 1966 die Quellfassung
erneuert worden war, leitete die Gemeinde Raron seit 1975 einen Teil des
Quellwassers ins Reservoir "Tscherrgen", während der Überlauf der Quelle
weiterhin zum Bewässern verwendet wurde.

    Gestützt auf diese tatsächlichen Feststellungen qualifiziert das
Kantonsgericht die Quelle als Bachquelle; sie sei ein Teil des von ihr
erzeugten Wasserlaufs und damit ein öffentliches Gewässer. Der Kläger
lässt diese Auffassung nicht gelten und stellt sich auf den Standpunkt,
dass die Quelle als private Quelle zu qualifizieren sei, die in seinem
Eigentum stehe.

    a) Quellen sind grundsätzlich Bestandteile der Grundstücke, auf welchen
sie hervortreten (Art. 667 Abs. 2 ZGB, Art. 704 Abs. 1 ZGB); das Eigentum
am Grundstück erstreckt sich daher auch auf die darauf entspringende
Quelle. In seiner älteren Rechtsprechung hatte das Bundesgericht
entschieden, dass grundsätzlich alle auf privatem Grund und Boden
hervortretenden Quellen im Privateigentum stehen können (BGE 43 II 152 E. 3
S. 158, bestätigt in BGE 93 II 170 E. 3 S. 174 und E. 8c S. 182). Diese
Rechtsprechung ist in der Literatur einhellig kritisiert worden. Von den
Privatquellen seien diejenigen Quellen zu unterscheiden, die von allem
Anfang an einen Wasserlauf bildeten. Im Unterschied zu Privatquellen
handle es sich bei diesen sog. Bachquellen nicht um einen Bestandteil des
Grundstückes, auf dem sie entspringen, sondern um einen Teil des Gewässers,
das sie bilden (P. LIVER, Das Eigentum, Schweizerisches Privatrecht V/1,
Basel 1977, S. 293 f.; HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL, Zürcher Kommentar,
N. 9 zu Art. 704 ZGB; F. GUISAN, L'eau en droit privé, JdT 90/I [1942],
S. 502; DESCHENAUX/JÄGGI, Sources provenant d'eaux souterraines publiques,
JdT 107/I [1959], S. 104; je mit weiteren Hinweisen). Entscheidend für die
Unterscheidung zwischen Privatquellen einerseits und Bachquellen anderseits
sei, ob das von einer Quelle hervorgebrachte Wasser einen Bach bilde. Dies
sei dann der Fall, wenn das Wasser die Mächtigkeit und Stetigkeit habe,
dass es sich ein festes Gerinne, ein Bett mit festen Ufern zu schaffen
vermag oder zu schaffen vermöchte, wenn es ihm nicht künstlich bereitet
worden wäre. Sei es unmittelbar von der Quelle weg ein solcher Wasserlauf,
umfasse dieser auch die Quelle (LIVER, SPR V/1, S. 293). Das Bundesgericht
ist in seiner neueren Rechtsprechung der in der Literatur erhobenen
Kritik gefolgt. Quellen, die auf einem Privatgrundstück entspringen und
von Anfang an einen Wasserlauf bilden, sind nicht Privatquellen im Sinn
von Art. 704 Abs. 1 ZGB, sondern werden als Teil des von ihnen gebildeten
Wasserlaufs betrachtet und teilen demnach dessen rechtliches Schicksal
(BGE 97 II 333 E. 1 S. 337, bestätigt in BGE 106 II 311 E. 2a S. 314).

    Ob ein Wasserlauf und als Teil desselben eine Bachquelle als
öffentliche Gewässer zu betrachten sind, ergibt sich indessen nicht aus dem
Bundeszivilrecht, sondern aus der in die Kompetenz der Kantone fallenden
Abgrenzung der öffentlichen Gewässer (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar,
N. 152 f. zu Art. 664 ZGB). Für den Kanton Wallis bestimmt Art. 3 des
Gesetzes vom 17. Januar 1933 betreffend das Eigentum an öffentlichen
und herrenlosen Gütern (GS/VS 13), dass Flüsse und Bäche im Eigentum der
Gemeinden stehen. Ob es sich bei der Quelle "am Bach" um eine Privatquelle
oder eine im Eigentum der Gemeinde stehende Bachquelle handelt, hängt
demnach davon ab, ob das Wasser von Anfang an einen Bach bildet, d.h. die
Mächtigkeit und Stetigkeit hat, dass es sich ein Bett mit festen Ufern zu
schaffen vermag oder zu schaffen vermöchte, wäre es nicht gefasst worden.

    b) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz weist die
Quelle "am Bach" eine durchschnittliche Schüttung von 545 l/min auf, wobei
die Wassermenge während 80% des Jahres nicht unter 360 l/min sinkt. Zwar
liegt die Mächtigkeit der Quelle erheblich unter der maximalen Wassermenge
von 3420 l/min, die von der Quelle hervorgebracht wird, welche das
Bundesgericht in BGE 97 II 333 als Bachquelle qualifizierte. Doch weist
sie eine Mächtigkeit auf, die nach den Feststellungen der Vorinstanz
ausreicht, den Wasserbedarf von 1000 Personen bei einem mittleren
Wasserverbrauch von 500 Litern pro Person und Tag zu decken. Der Kläger
selbst spricht von einer "sehr ergiebigen Quelle". In der Literatur wird
bei einer Schüttungsmenge von mindestens 200-300 l/min von einer Bachquelle
ausgegangen (F. GYGI, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 241). Sodann weist
die Quelle eine beträchtliche Stetigkeit auf, sinkt doch die Schüttung
während 80% des Jahres nicht unter 360 l/min. Mit einer minimalen Schüttung
von 2,1 l/s bzw. 126 l/min weist sie auch eine bedeutend höhere Stetigkeit
auf als die in BGE 97 II 333 beurteilte Quelle, deren minimale Schüttung
auf 60 l/min sinkt. Die Vorinstanz hat denn auch von einer "ziemlich
konstanten Quelle" gesprochen. Sie hat sodann verbindlich festgehalten,
dass die Quelle, bevor sie gefasst wurde, einen kleinen Bach bildete und
in einem offenen Graben durch St. German floss. Dass die Quelle schon vor
Jahrzehnten gefasst und in Röhren abgeleitet wurde, schliesst aufgrund
des Gesagten die Annahme einer Bachquelle nicht aus. Zu Recht hat daher
die Vorinstanz die Quelle "am Bach" als Teil des Wasserlaufs, den sie
bildet, und damit als öffentliches und im Eigentum der Munizipalgemeinde
Raron stehendes Gewässer beurteilt und das Eigentum des Klägers daran
verneint. Daran ändert auch dessen Einwand nichts, im Grundbuch sei
kein Recht der Gemeinde an der Quelle eingetragen. Dem Kläger kann auch
insoweit nicht gefolgt werden, als er geltend macht, die Gemeinde hätte
allenfalls nach Art. 705 Abs. 1 ZGB Rechte an der Quelle beanspruchen
müssen. Diese Bestimmung bezieht sich schon aufgrund ihrer Stellung im
Gesetz ausschliesslich auf Privatquellen im Sinn von Art. 704 Abs. 1 ZGB;
da die vorliegende Quelle eine Bachquelle und damit ein öffentliches
Gewässer ist, kommt Art. 705 ZGB nicht zur Anwendung. Aus dem gleichen
Grund gehen die Ausführungen des Klägers fehl, die Gemeinde habe das
Quelleigentum nicht ersessen. Da die Gemeinde gestützt auf öffentliches
Recht Eigentümerin der Quelle "am Bach" ist, erübrigen sich Ausführungen
zur Ersitzung des Quelleigentums.