Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 III 426



122 III 426

78. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Juni 1996
i.S. Bruno B. und Konsorten gegen X. AG (Berufung) Regeste

    Kaufvertrag; Garantie des Verkäufers für die Kaufsache; Verjährung
des Garantieanspruchs.

    Rechtliche Bedeutung einer Garantie; Abgrenzung zwischen Zusicherung
im Sinne von Art. 197 Abs. 1 OR und selbständiger Garantie, für welche
die zehnjährige Verjährungsfrist von Art. 127 OR gilt (E. 4 und 5).

Sachverhalt

    Am 9. Juni 1987 schlossen die X. AG und Heinz L. als Verkäufer
mit Bruno B., Jürg B. sowie Andreas und Ulrich L. einen öffentlich
beurkundeten Kaufvertrag über zwei Grundstücke (GB Nr. 273 und Nr. 280)
zum Gesamtpreis von Fr. 1'380'000.--. Der Kaufvertrag wurde am gleichen
Tag im Grundbuch eingetragen. In Ziffer 2 der "Besonderen Bestimmungen"
des Vertrags wird festgehalten:

    "Jede Gewährspflicht für die Kaufsobjekte wird, soweit gesetzlich
   zulässig, wegbedungen."

    Ziffer 7 dieser Bestimmungen lautet sodann wie folgt:

    "Die beiden Grundstücke liegen in der Bauzone (W 2) bzw. ein Teil
von GB

    Nr. 273 in der Landwirtschaftszone.

    Die Verkäufer garantieren den Käufern die Überbaubarkeit der beiden

    Grundstücke. Sollte dies nicht der Fall sein, verpflichten sich die

    Verkäufer, die Grundstücke zu den gleichen Konditionen zurückzukaufen.

    Die Käufer verpflichten sich ihrerseits, der Baugesetzgebung
   entsprechende Baugesuche bis am 1.11.1987 einzureichen. Sollte diese

    Verpflichtung nicht eingehalten werden, fällt die Garantie der
Verkäufer
   dahin."

    Am 27. Oktober 1987 wurde ein Baugesuch eingereicht. Nachdem bis Ende
Oktober 1992 keine Baubewilligung erteilt worden war, erhoben die Käufer
nach erfolglosem Aussöhnungsversuch vom 17. Dezember 1992 am 2. Juni 1993
beim Appellationshof des Kantons Bern Klage gegen die X. AG. Sie stellten
die - am 3. März 1994 modifizierten - Rechtsbegehren, die Beklagte zu
verurteilen, 1/2 Miteigentum an den Grundstücken zurückzukaufen und ihnen
dafür Fr. 680'000.-- nebst 8 1/2% Zins seit 9. Juni 1987 zu bezahlen, sowie
die Beklagte zur Zahlung von Schadenersatz in gerichtlich zu bestimmender
Höhe zu verurteilen; zudem sei der Grundbuchverwalter von Y. anzuweisen die
Beklagte gegen Vorlage des Ausweises über die erfolgte Zahlung der Beträge
gemäss den vorangehenden Rechtsbegehren im Grundbuch als Miteigentümerin
zu 1/2 Anteil an den Grundstücken einzutragen. Die Beklagte beantragte
die Abweisung der Klage und erhob die Einrede der Verjährung.

    Der Appellationshof  beschränkte am 16. März 1995 das Verfahren auf
die Frage der Verjährung und wies mit Urteil vom 24. August 1995 die
Klage in Gutheissung der Verjährungseinrede ab.

    Gegen dieses Urteil erhoben die Kläger Berufung. Das Bundesgericht
heisst die Berufung teilweise gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf
und weist die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Auslegung der Vorinstanz beruht auf dem grundsätzlich
zutreffenden Ansatzpunkt, dass eine vertragliche Garantie des Verkäufers
für die Kaufsache verschiedene inhaltliche Bedeutungen haben kann
(vgl. die Aufzählung bei GIGER, Berner Kommentar, N. 53 zu Art. 210
OR). Im vorliegenden Fall ist von Interesse, dass die Garantie den
Sinn einer Zusicherung bestimmter tatsächlicher oder rechtlicher
Eigenschaften der Kaufsache im Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder des
Gefahrübergangs haben kann (Art. 197 Abs. 1 OR), und zwar auch dann, wenn
die Überbaubarkeit eines Grundstücks garantiert wird (GIGER, aaO, N. 46
zu Art. 197 OR; SCHUMACHER, Die Haftung des Grundstückverkäufers, in: Der
Grundstückkauf, S. 197 ff., Rz. 696). Fragwürdig ist indessen die Annahme
der Vorinstanz, eine unbefristete Garantie habe stets die Bedeutung einer
gewährleistungsrechtlichen Eigenschaftszusicherung. Das lässt sich nicht
aus der aufgeführten Lehre ableiten und leuchtet auch nicht ein. Der von
der Vorinstanz zitierte Autor klassifiziert die Bedeutung der verschiedenen
Garantien zwar hauptsächlich nach dem Kriterium der Befristung (GIGER, aaO,
N. 54 ff. zu Art. 210 OR). Er weist aber darauf hin, dass die Garantie eine
andere Bedeutung haben kann, so wenn sie einen eigentlichen Garantievertrag
darstellt, was hier von Interesse ist, oder wenn sie als Anerkennung
einer Verpflichtung des Verkäufers zur Nachbesserung von Sachmängeln zu
verstehen ist (GIGER, aaO, N. 59 und 60 zu Art. 210 OR).

    Die Abgrenzung zwischen Zusicherung im Sinne von Art. 197 Abs. 1
OR und selbständiger Garantie ist nach schweizerischer Lehre danach
vorzunehmen, ob der Verkäufer eine gegenwärtig bestehende Eigenschaft
der Kaufsache oder einen zukünftigen Erfolg verspricht, der über die
vertragsgemässe Beschaffenheit der Kaufsache hinausgeht (GIGER, aaO,
N. 20 zu Art. 197 OR; GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht,
Allgemeiner Teil, Bd. II, 6. Auflage, Rz. 4066; HONSELL, in: Kommentar
zum Schweizerischen Privatrecht, N. 17 zu Art. 198 OR; vgl. auch GAUCH,
Der Werkvertrag, 4. Auflage, Rz. 1395 ff.). Diese Auffassung entspricht
der deutschen Lehre, wo auch die künftige Baureife oder Bebaubarkeit
eines Grundstücks als Gegenstand eines selbständigen Garantieversprechens
erwähnt wird (SOERGEL/HUBER, N. 202 ff. zu § 459 BGB; STAUDINGER/HONSELL,
N. 171 zu § 459 BGB; MünchKomm-WESTERMANN, N. 96 zu § 459 BGB). In
der deutschen Doktrin wird sodann eine Dreiteilung in Zusicherung,
selbständige und unselbständige Garantie vorgenommen, wobei letztere, die
auch als Haltbarkeitsgarantie bezeichnet wird, sich von der selbständigen
dadurch unterscheidet, dass sie sich auf das Versprechen des Verkäufers
beschränkt, die Mängelhaftung auch dann zu übernehmen, wenn die Mängel
innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach Gefahrübergang auftreten
und nicht auf unsorgfältige Handhabung seitens des Käufers zurückgehen
(MünchKomm-WESTERMANN, N. 96 zu § 459 BGB; STAUDINGER/HONSELL, N. 175 zu §
459 BGB; kritisch hinsichtlich der Unterscheidung zwischen unselbständiger
und selbständiger Garantie: SOERGEL/HUBER, N. 208 zu § 459 BGB).

    In diesem Zusammenhang ist im übrigen festzuhalten, dass BGE 102 II 97
ff., auf den die Vorinstanz wesentlich abstützen will, nicht einschlägig
ist, da es im damals beurteilten Fall eindeutig um die Zusicherung einer
gegenwärtig bestehenden Eigenschaft der Kaufsache ging und sich das
Bundesgericht dort zur Abgrenzung zwischen Zusicherung und selbständigem
Garantieversprechen nicht geäussert hat.

Erwägung 5

    5.- Wie bereits festgehalten, ist im vorliegenden Fall der mutmassliche
Parteiwille zu ermitteln. Die Erklärungen der Parteien sind aufgrund
des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und
Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und
mussten. Da keine Elemente dargetan sind, welche auf ein vom allgemeinen
abweichendes Verständnis der Parteien zu den im Kaufvertrag verwendeten
Begriffen hindeuten, ist vom Wortlaut in der Bedeutung auszugehen, wie
sie im Fachkreis der Immobilienbranche, dem alle Beteiligten angehören,
verstanden wird, unter Berücksichtigung der systematischen Stellung der
auszulegenden Bestimmungen im Rahmen des ganzen Vertrags. Alsdann ist
das Auslegungsergebnis rechtlich zu qualifizieren.

    a) Im Kaufvertrag wurde einerseits die Gewährspflicht der Beklagten
soweit gesetzlich zulässig wegbedungen und andererseits festgestellt, dass
die Kaufsachen bei Vertragsschluss teilweise in der Bauzone, teilweise in
der Landwirtschaftszone lagen. Zudem haben die Verkäufer die Überbaubarkeit
der Grundstücke garantiert, unter der Bedingung, dass bis zum 1. November
1987 ein der Gesetzgebung entsprechendes Baugesuch eingereicht werde.

    b) Aus der als Auslegungselement zu berücksichtigenden Interessenlage
(JÄGGI/GAUCH, Zürcher Kommentar, N. 362 zu Art. 18 OR) ergibt sich
eindeutig, dass für die Käufer nicht die Baulandqualität im Zeitpunkt
des Vertragsschlusses oder des Gefahrübergangs, sondern der Erhalt der
fristgerecht zu beantragenden Baubewilligung wesentlich war. Entsprechend
musste sich für sie die Garantie auf den Zeitpunkt des Bauentscheids
beziehen, und durfte die Beklagte als redliche Verkäuferin nach
Treu und Glauben von nichts anderem ausgehen. Eine andere Auslegung
der zum Teil widersprüchlichen vertraglichen Vereinbarungen ergibt
keinen vernünftigen Sinn. Waren die Parteien sich einig, welcher
Zonenordnung die Kaufsachen bei Abschluss des Vertrags unterstanden,
war insoweit die Geschäftsgrundlage beidseits gesichert und nicht
zusätzlich zusicherungsbedürftig. Garantiebedürftig war dagegen nach
ihren mutmasslichen Intentionen der Fortbestand dieser Ordnung bzw. die
allenfalls von weiteren möglichen Eigentumsbeschränkungen abhängige
Überbaubarkeit der Grundstücke. Die abgegebene Garantie hat daher
klarerweise prospektive, auf die Zukunft gerichtete Bedeutung.

    c) Bei der abgegebenen Garantie handelt es sich somit nicht um
eine blosse Zusicherung im Sinne von Art. 197 OR. Unter diesen Begriff
können nur Eigenschaften fallen, die im Zeitpunkt des Übergangs von
Nutzen und Gefahr oder in einem früheren Zeitpunkt (BGE 88 II 410
E. 3a S. 414 f.) vorhanden sein müssen, nur ausnahmsweise auch solche,
die erst für einen späteren Zeitpunkt versprochen werden. Letzteres
ist gewährleistungsrechtlich nur möglich, wenn der Verkäufer haupt-
oder nebenvertraglich verpflichtet und objektiv auch in der Lage ist,
die Kaufsache noch in den zugesicherten Zustand zu überführen (z.B. im
Fall von Montage- und Fertigungspflichten). Stehen dagegen - wie hier -
die Erhaltung des bestehenden oder der Eintritt eines veränderten Zustands
der Kaufsache ausserhalb der Einflussmöglichkeiten der Verkäufer, bedeutet
eine entsprechende Garantie mehr als eine gewährleistungsrechtliche
Zusicherung im Sinne von Art. 197 OR. Diesfalls handelt es sich nach der
vorne (E. 4) aufgeführten Lehre entweder um eine selbständige oder eine
unselbständige Garantie. Diese beiden Garantien unterscheiden sich dadurch,
dass bei der selbständigen künftige - positive oder negative - Umstände
zum eigenen Haftungsgegenstand erhoben werden, bei der unselbständigen
Garantie dagegen der mängelfreie Zustand der Kaufsache nicht bloss
momentan, sondern auf Zeit garantiert wird. Im vorliegenden Fall ist die
Garantieerklärung nach der vorangehenden Erwägung so auszulegen, dass
die Verkäufer die zukünftige Überbaubarkeit versprochen haben, und zwar
unabhängig davon, ob die Kaufsachen die Eigenschaft der Überbaubarkeit
bereits im gewährleistungsrechtlich massgebenden Zeitpunkt aufgewiesen
haben. Es handelt sich demnach um einen selbständigen Garantievertrag, auf
den die zehnjährige Verjährungsfrist von Art. 127 OR anwendbar ist (GIGER,
aaO, N. 20 zu Art. 197 OR; vgl. auch HONSELL, aaO, N. 17 zu Art. 198 OR).