Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 III 420



122 III 420

77. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Juli 1996
i.S. C. AG gegen H. AG (Berufung) Regeste

    Art. 160 OR; Konventionalstrafe; Verhältnis zum Erfüllungsanspruch
und zum Schaden des Gläubigers.

    Zweck der Konventionalstrafe (E. 2a).

    Ausnahmen vom Prinzip der Alternativität nach Art. 160 Abs. 1 OR;
Konkretisierung für den Fall der Schlechterfüllung (E. 2b u. c).

    Auslegung einer Vereinbarung, mit welcher die rechtzeitige Lieferung
einer funktionstauglichen Anlage durch Konventionalstrafe gesichert wird
(E. 3).

Sachverhalt

    Mit Schreiben vom 8. Februar 1988 bestellte die H. AG bei der C. AG
eine Verpackungsanlage für Pfeifenfilter zum Preis von Fr. 135'000.--,
die eine Leistung von 30'000 Filtern pro Stunde in Packungen zu 10 Filtern
erbringen sollte. Zu den Lieferungsbedingungen wurde im Schreiben folgendes
festgehalten:

    "Absolut verbindlich muss per 15. Juli die Anlage funktionsfähig in

    Ihrem Werk übergeben, d.h. von uns abgenommen werden.

    Um dies sicherzustellen muss eine Konventionalstrafe vereinbart werden.

    Nach Überschreiten der Lieferfrist über 4 Wochen sind dies
   arbeitstäglich 400 sFr., nach 8 Wochen 800 sFr. arbeitstäglich."

    Am 11. Februar 1988 bestätigte die C. AG schriftlich die
Bestellung. Nachdem eine Abnahme in ihrem Werk in Bologna (Italien) wegen
Nichterreichens der vertraglich zugesicherten Leistung gescheitert war,
wurde die Verpackungsanlage am 8. August 1988 bei der H. AG abgeliefert
und installiert. Bei der Inbetriebsetzung stellte sich heraus, dass die
Leistung von 500 Filtern pro Minute noch immer nicht erreicht wurde. Daran
änderte sich auch in den folgenden Monaten nichts. Mit Schreiben vom
24. Februar 1989 verzichtete die H. AG per 28. April 1989 auf eine
vertragsgemässe Erfüllung. Sie ersetzte in der Folge die mangelhafte
Zuführeinheit durch eine neue, die sie bei einer Drittfirma bestellt
hatte. Im Juli 1989 konnte sie die Maschine schliesslich in Betrieb nehmen.

    Am 7. September 1989 klagte die H. AG beim Zivilgericht des Kantons
Basel-

    Stadt gegen die C. AG auf Zahlung von Fr. 213'568.50 als
Konventionalstrafe, Schadenersatz und Minderwert nebst Zins. Die Beklagte
bestritt die Forderung und verlangte widerklageweise, die Klägerin sei
zur Restzahlung von Fr. 48'109.95 nebst Zins zu verpflichten. Mit Urteil
vom 17. Dezember 1992 schützte das Zivilgericht die Klage im Umfang
von Fr. 100'800.-- nebst 6% Zins seit 7. September 1989 und wies das
weitergehende Klagebegehren sowie die Widerklage ab. Das Zivilgericht
bejahte den Minderungsanspruch der Klägerin. Zudem ging es davon aus,
dass die Beklagte gemäss Vereinbarung vom 8./11. Februar 1988 zur Leistung
einer Konventionalstrafe verpflichtet sei. Hingegen verweigerte es eine
Entschädigung als Ersatz für entgangenen Gewinn mangels Beweises insoweit,
als sie die Konventionalstrafe überstieg. Auf Appellation der Beklagten und
Anschlussappellation der Klägerin bestätigte das Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt mit Urteil vom 9. Dezember 1994 den erstinstanzlichen
Entscheid.

    Die Beklagte hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten,
die vom Bundesgericht abgewiesen wird, soweit es auf sie eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Als Konventionalstrafe wird eine Leistung bezeichnet,
die der Schuldner dem Gläubiger für den Fall verspricht, dass er eine
bestimmte Schuld (Hauptverpflichtung) nicht oder nicht richtig erfüllt
(GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil,
Bd. II, 6. Aufl., S. 361 Rz. 3909; BECKER, Berner Kommentar, N. 1 zu
Art. 160 OR; EHRAT, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel,
N. 1 zu Art. 160 OR). Zweck der Konventionalstrafe ist die Verbesserung
der Gläubigerstellung durch Befreiung vom Schadensnachweis (BGE 109 II
462 E. 4a S. 468 mit Hinweisen).

    b) Gemäss dispositivem Gesetzesrecht (Art. 160 Abs. 1 OR) tritt
die Konventionalstrafe alternativ neben die Erfüllung oder den für
Nichterfüllung geschuldeten Schadenersatz (von TUHR/ESCHER, Allgemeiner
Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, S. 281). Diese Regel
gilt einerseits nicht, wenn die Konventionalstrafe für Nichteinhaltung
der Erfüllungszeit oder des Erfüllungsortes versprochen wurde,
solange der Gläubiger nicht ausdrücklich Verzicht leistet oder die
Erfüllung vorbehaltlos annimmt (Art. 160 Abs. 2 OR). Anderseits kann
sich ein abweichender Wille ergeben aus dem Wortlaut der eingegangenen
Verpflichtung, aus den Umständen, unter denen sie abgeschlossen wurde,
oder aus der Höhe der Konventionalstrafe, dies namentlich in dem Sinne,
dass die Strafe in einem derartigen Missverhältnis zum Erfüllungsinteresse
des Berechtigten steht, dass anzunehmen ist, dieses Interesse werde durch
die Konventionalstrafe nicht gedeckt (BGE 46 II 399 E. 2; 40 II 233 E. 9;
26 II 108 E. 5; BECKER, aaO, N. 33 zu Art. 160 OR; OSER/SCHÖNENBERGER,
Zürcher Kommentar, N. 2 und 6 zu Art. 160 OR; ähnlich GAUCH/SCHLUEP, aaO,
S. 365 Rz. 3929 ff.; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner
Teil, 2. Aufl., S. 529; VON BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht,
Allgemeiner Teil, S. 408 f.). Im Zweifel ist auf die Interessenlage
und den Zweck der Konventionalstrafe abzustellen, um zu ermitteln,
ob eine besondere Abrede getroffen wurde (BGE 46 II 399 E. 2). So soll
der Gläubiger für ein und dasselbe rechtliche Interesse entweder nur die
Strafe oder nur die Hauptleistung bzw. Schadenersatz wegen Nichterfüllung
verlangen können (BECKER, aaO, N. 15 zu Art. 160 OR; Bucher, aaO, S. 529;
SOERGEL/LINDACHER, N. 4 zu § 340 BGB).

    Für den Fall der nicht richtigen Erfüllung im Sinne von Art. 160
Abs. 1 OR hat der Gläubiger die Wahl, entweder die vereinbarten
bzw. gesetzlichen Folgen der Schlechterfüllung des Hauptvertrags oder den
Strafanspruch geltend zu machen (ROLAND BENTELE, Die Konventionalstrafe
nach Art. 160-163 OR, Diss. Freiburg 1994, S. 89). Nach einem wesentlichen
Teil der Lehre kann jedoch der Gläubiger, der nur teilweise, mithin nicht
richtige Erfüllung erlangt hat, auf Zahlung der Konventionalstrafe
klagen, wobei er die Teilleistung auf die Strafe anrechnen oder
sie dem Schuldner zurückgeben muss (OSER/SCHÖNENBERGER, aaO, N. 4
zu Art. 160 OR; BECKER, aaO, N. 22 zu Art. 160 OR; GUHL/MERZ/DRUEY,
Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Aufl., S. 554). Demgegenüber
fordern von TUHR/ESCHER (aaO, S. 282), dass in einem solchen Fall der zur
Erfüllung nicht genügende Leistungsgegenstand zurückzugeben ist. Diese
Auffassung, derzufolge eine Kumulation ausgeschlossen ist, nimmt aber
zu wenig Rücksicht auf die Interessenlage. Die Strafe soll gerade die
Mangelhaftigkeit der Hauptleistung sanktionieren (ROLAND BENTELE, aaO,
S. 92). Das Interesse des Gläubigers an der Erfüllung überhaupt und sein
Interesse, die Hauptleistung nicht nur irgendwann und irgendwie, sondern
ordnungsgemäss und unter Meidung von Begleitschäden zu erhalten, decken
sich nicht (SOERGEL/LINDACHER, N. 5 zu § 341 BGB). Dem Kumulationsverbot
ist insoweit Rechnung zu tragen, als der Gläubiger nicht zugleich Ansprüche
auf Schadenersatz bzw. Mangelfolgeschaden und den Strafanspruch geltend
machen kann, wenn die Konventionalstrafe vornehmlich die sich aus der
Nicht- oder Schlechterfüllung des Vertrags ergebenden Ansprüche abdecken
soll. Der Wert der Hauptleistung ist daher adäquat zu berücksichtigen in
dem Sinne, dass der Gläubiger diese entweder bezahlt oder zurückgibt.

    c) Dem Gläubiger (Käufer bzw. Besteller) steht neben dem Wandelungs-
(Art. 205 Abs. 1 bzw. Art. 368 Abs. 1 OR), Minderungs- (Art. 205 Abs. 1
bzw. Art. 368 Abs. 2 OR) oder - nur beim Werkvertrag - Nachbesserungsrecht
(Art. 368 Abs. 2 OR) ein Recht auf Ersatz des Mangelfolgeschadens zu
(GAUCH/SCHLUEP, aaO, S. 210 Rz. 3173; vgl. auch BGE 116 II 454 E. 2a). Im
vorliegenden Fall hat die Klägerin mit der Annahme der Verpackungsanlage
zu einem geminderten Preis nicht sämtliche Mängelrechte erschöpft. Ihr
Anspruch auf Abgeltung des Mangelfolgeschadens blieb unbefriedigt. Es
erscheint nun durchaus sachgerecht und ist, wie vorne dargelegt,
mit der Interessenlage vereinbar, dem Gläubiger zuzugestehen, die
Ausübung seiner Mängelrechte aufzuspalten und den Anspruch auf Ersatz
des Mangelfolgeschadens durch die Einforderung der Konventionalstrafe
geltend zu machen, sich für den Minderwert der abgelieferten
Anlage auf den Minderungsanspruch zu berufen und diesen Wert an die
Konventionalstrafe anzurechnen. Entgegen der Auffassung der Beklagten
ist nicht einzusehen, weshalb der Käufer oder Besteller sich nur dann
auf die vereinbarte Konventionalstrafe soll berufen können, wenn er die
Annahme der mangelhaften Sache verweigert, während ihm diese Möglichkeit
verschlossen bleiben soll, wenn er den für den Verkäufer oder Unternehmer
weniger einschneidenden Weg der Minderung wählt. Indem die Vorinstanz
die Konventionalstrafe der Klägerin zusprach und diese verpflichtete,
der Beklagten den Wert der von ihr erbrachten Leistung zu vergüten,
gewährte sie der Klägerin richtig besehen den Erfüllungsanspruch nicht
kumulativ zur Strafe, denn deckungsgleiche Interessen wurden nicht mehrfach
abgegolten. So betrachtet kann die Frage, ob die Parteien stillschweigend
vereinbarten, der Erfüllungsanspruch könne zusätzlich zum Strafanspruch
geltend gemacht werden, offenbleiben.

Erwägung 3

    3.- Indes lässt sich auch die Ansicht vertreten, die Parteien hätten
stillschweigend die Abmachung getroffen, die Strafe wegen verspäteter
oder unrichtiger Erfüllung solle neben der Primärleistung geschuldet sein.

    a) Die Willenserklärungen der Parteien sind, da ein übereinstimmender
wirklicher Wille nicht ermittelt wurde (Art. 18 Abs. 1 OR), aufgrund
des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und
Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und
mussten (BGE 121 III 118 E. 4b/aa mit Hinweisen; 119 II 449 E. 3a). Dabei
hat der Richter zu berücksichtigen, was sachgerecht ist, weil nicht
anzunehmen ist, dass die Parteien eine unangemessene Lösung gewollt haben
(BGE 117 II 609 E. 6c mit Hinweis; 116 II 259 E. 5a).

    In BGE 46 II 399 E. 2 führte das Bundesgericht aus, bei der Auslegung
eigentlicher Konventionalstrafversprechen, die ja im Interesse des
Strafberechtigten gegeben würden, sei vor allem darauf Gewicht zu legen,
welche Meinung dieser damit verbunden wissen, welchen Zweck er damit
erreichen wolle, weil es sich für ihn, abgesehen von der Entlastung
vom Schadensbeweis, darum handle, durch die Konventionalstrafe seinem
Vertragsgegner einen psychischen Zwang zur Erfüllung der dadurch
gesicherten Verpflichtung aufzuerlegen. An dieser Rechtsprechung ist
festzuhalten.

    b) Die Vorinstanz entnimmt dem Wortlaut der Abmachung, die Parteien
hätten eine Konventionalstrafe vereinbart, die sowohl die Rechtzeitigkeit
der Lieferung als auch die Funktionsfähigkeit der Anlage habe sichern
sollen. Diesen Zweck hätten auch die Umstände nahegelegt. Für den Käufer
oder Besteller, der den gekauften oder bestellten Gegenstand zu einem
bestimmten Zeitpunkt benötige und dies mit einer Konventionalstrafe
sichere, bleibe sich nämlich gleich, ob eine Lieferverzögerung eintrete
oder die Sache zwar rechtzeitig, aber mit derartigen Mängeln behaftet
geliefert werde, dass sie zum vorausgesetzten Gebrauch untauglich sei. Um
diesen Zweck zu erreichen, hätten die Parteien eine mit der Dauer des
Verzugs wachsende Konventionalstrafe vereinbart. Eine derartige Abrede
setze aber gerade den Eintritt des erwarteten Ereignisses, hier also der
Erfüllung, notwendigerweise voraus (vgl. VON BÜREN, aaO, S. 409). Die
Vorinstanz schliesst daraus, nach der von den Parteien getroffenen
Abmachung sollte die Strafe wegen verspäteter oder unrichtiger Erfüllung
neben der Primärleistung geschuldet sein. Dieser Schlussfolgerung ist
beizupflichten.

    Auszugehen ist vom Wortlaut der im Bestellschreiben der Klägerin vom 8.
Februar 1988 enthaltenen Lieferbedingungen, welche nach der verbindlichen
Feststellung der Vorinstanz zum Vertragsinhalt erhoben wurden. Dem ersten
Absatz ist zu entnehmen, dass die Parteien den Zeitpunkt der Ablieferung
und die Funktionsfähigkeit der Anlage als gleich wichtig einstuften und
zueinander derart in Beziehung setzten, dass die rechtzeitige Lieferung
einer funktionsunfähigen Anlage der verspäteten Lieferung gleichgestellt
wurde. Gemäss dem zweiten Absatz wurde "dies", d.h. die Lieferung einer
funktionsfähigen Anlage per 15. Juli 1988 durch die Beklagte, mittels
Konventionalstrafe sichergestellt. Die Klägerin liess sich also für
beide Modalitäten der Leistungsstörung gleichermassen absichern. Im
dritten Absatz schliesslich wird die Höhe der Konventionalstrafe
festgesetzt. Dabei wird als die Konventionalstrafe auslösendes Ereignis
nur das "Überschreiten der Lieferfrist" ausdrücklich genannt; das kann
aber im Hinblick auf das vorstehend Vereinbarte nicht heissen, dass
die fristgerechte Lieferung einer gebrauchsuntauglichen Anlage nicht
ebenfalls sanktioniert wäre. Andernfalls würde der mit der Vereinbarung
verfolgte Zweck unterlaufen: Die Beklagte hätte es in der Hand, sich durch
Ablieferung einer unfertigen Anlage am vereinbarten Termin der Pflicht
zur Zahlung der Konventionalstrafe zu entschlagen. Der Klägerin ging
es jedoch darum, sich auf die Zusicherung "absoluter Verbindlichkeit"
im Hinblick darauf zu verlassen, dass sie am vereinbarten Termin die
Anlage in ihrem Produktionsbetrieb einsetzen und damit den vereinbarten
Ausstoss werde erzielen können, was sie der Beklagten mit hinlänglicher
Deutlichkeit zur Kenntnis brachte. Wurde aber die Funktionsuntauglichkeit
der Verspätung vertraglich gleichgesetzt und ist davon auszugehen, bei
verspäteter Lieferung wäre die Klägerin gemäss Art. 160 Abs. 2 OR ohne
weiteres berechtigt gewesen, die Konventionalstrafe kumulativ zur Erfüllung
zu fordern, so drängt sich die Annahme auf, die Parteien hätten diese
Rechtsfolge auch für den Fall der Lieferung einer nicht betriebsfähigen
Anlage vereinbaren wollen. Die Auslegung der Vereinbarung über die
Konventionalstrafe durch die Vorinstanz hält daher vor Bundesrecht stand.

    c) Die Beklagte rügt, die Vorinstanz habe zu Unrecht verneint,
dass die Klägerin die Lieferung im Sinne von Art. 160 Abs. 2 OR
vorbehaltlos angenommen habe. Da die Vorinstanz jedoch in ihrer
Hauptbegründung zutreffend ausgeführt hat, Art. 160 Abs. 2 OR sei nicht
(unmittelbar) anwendbar, und sich das Vorbringen der Beklagten nur auf
eine Eventualbegründung bezieht, ist darauf nicht einzutreten.