Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 III 414



122 III 414

76. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. November
1996 i.S. B. M. und M. gegen Direktion des Innern des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Familienname des Kindes (Art. 270 Abs. 1 ZGB).

    Nach dem klaren, nicht auslegungsbedürftigen Wortlaut von Art. 270
Abs. 1 ZGB erhält das Kind miteinander verheirateter Eltern deren
Familiennamen. Entspricht dieser dem väterlichen Nachnamen, so können
die Eltern nicht verlangen, dass das Kind unter dem Nachnamen der Mutter
in das Geburtsregister eingetragen wird (E. 2).

    Zwischen Art. 270 Abs. 1 ZGB sowie den Art. 8 und 14 EMRK besteht
keine Divergenz (E. 3).

Sachverhalt

    Die Eheleute B. M. und M. blieben mit dem Begehren, ihre Tochter
L. unter dem mütterlichen Nachnamen B. statt unter dem Familiennamen M.
in das Geburtsregister eintragen zu lassen, sowohl beim Zivilstandsamt
der Stadt Zürich wie auch bei der Direktion des Innern des Kantons Zürich
erfolglos. Gegen deren Entscheid führen sie Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Damit ersuchen sie, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und das
Zivilstandsamt anzuweisen, die gewünschte Eintragung vorzunehmen. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Wie die Direktion des Innern zutreffend bemerkt, erhält
das Kind verheirateter Eltern deren Familiennamen (Art. 270 Abs. 1
ZGB), der in der Regel demjenigen des Ehemannes entspricht (Art. 160
Abs. 1 ZGB), bei entsprechendem Gesuch der Brautleute vor der Trauung
(HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 3. Aufl. Bern 1993,
N. 13.23) aber auch derjenige der Ehefrau sein kann (Art. 30 Abs. 2
ZGB). Um letzteres haben die Beschwerdeführer sich indessen nicht bemüht.

    b) Nach dem klaren, nicht auslegungsbedürftigen Wortlaut des
Gesetzes trägt also im vorliegenden Fall die Tochter der Beschwerdeführer
zwingend den Familiennamen, der dem Namen ihres Vaters entspricht. Die
Beschwerdeführer glauben indessen, der Richter sei bereits auf der Basis
von Grundsätzen des Gesetzesrechts, von Art. 4 und 28 ZGB befugt und
verpflichtet, eine Rechtsentwicklung zu vollziehen, die ihrer Auffassung
von Freiheitsrechten und ihrer Interpretation der EMRK entspricht. Damit
übersehen sie allerdings, dass es nicht zur Aufgabe des Richters gehört,
klares Recht fortbildend zu ändern (MEIER-HAYOZ Berner Kommentar, N. 302
ff. zu Art. 1 ZGB; LIVER, Begriff und System in der Rechtssetzung, in:
Probleme der Rechtssetzung, Referate des Schweiz. Juristenvereins 1974/I,
Basel 1974 S. 140 und 162). Insoweit kann daher auf die Beschwerde nicht
eingetreten werden.

    c) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer stehen nicht mehr
bloss ihre eigenen Rechte und Vorlieben auf dem Spiel, sondern auch und vor
allem die Interessen des Kindes. Das Kind verheirateter Eltern hat einen
eigenen und eigenständigen Anspruch darauf, deren Familiennamen tragen
zu dürfen und sich durch den Namen mit der Familie verbunden zu wissen
(zum Kindesnamen allgemein siehe HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts,
4. Aufl. Bern 1994, Rz. 16.01 ff.). Insbesondere ginge es da, wo die
Eltern mehr als ein gemeinsames Kind haben oder erhalten können, nicht an,
ihnen jedesmal die freie Wahl des Nachnamens zu belassen.

Erwägung 3

    3.- In der Bindung an den Familiennamen bei der Namengebung für das
Kind erblicken die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres durch Art. 8
EMRK garantierten Anspruches auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
Ausserdem stehe mit dem Verbot der Diskriminierung der Geschlechter
gemäss Art. 14 EMRK in Widerspruch, dass der für den Namen des Kindes
massgebende Familienname allein auf den Namen des Ehemannes abgestützt
werde. Zwar hätten sie (die Beschwerdeführer) mittels einer Namensänderung
vor der Heirat die Freiheit gehabt, den Namen der Ehefrau zum Familiennamen
zu machen; doch wäre dies im Sinne einer unzulässigen Diskriminierung zu
Lasten des Ehemannes ausgefallen.

    a) Das Bundesgericht hat es in der jüngeren Rechtsprechung abgelehnt,
Bestimmungen des Zivilgesetzbuches auf ihre EMRK-Konformität zu überprüfen
(BGE 120 II 384 E. 5a S. 387; nicht veröffentlichter Entscheid vom
6. September 1995 i.S. W., E. 2a). In einem Fall, wo es um die Auslieferung
eines in der Schweiz wohnhaften italienischen Staatsangehörigen nach
Deutschland ging, hat es hingegen abgeklärt, ob Art. 37 IRSG (SR 351.1)
mit den Bestimmungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom
13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1; für die Schweiz in Kraft getreten
am 20. März 1967; für Deutschland am 1. Januar 1977) bzw. mit den
Normen des Vertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens und die Erleichterung seiner Anwendung, vom
13. November 1969 (SR 0.353.913.61; in Kraft getreten am 1. Januar 1977),
vereinbar sei. In diesem Zusammenhang wurde unter anderem ausgeführt,
die Tatsache, dass Art. 37 IRSG im Jahre 1983 und damit nach den beiden
Abkommen in Kraft getreten sei, bedeute nicht, dass die Bestimmung des
internen Rechts denjenigen der Abkommen entgegengehalten werden könne. Der
Vorrang des Völkerrechts vor dem innerstaatlichen Recht ergebe sich aus
der Natur der völkerrechtlichen Vorschrift; diese stehe hierarchisch über
allen Normen des innerstaatlichen Rechts, weshalb der Grundsatz der lex
posterior nicht zur Anwendung gelangen könne. Aufgrund der Prüfung hat das
Bundesgericht Art. 37 IRSG denn auch die Anwendung versagt (zur teilweisen
Publikation bestimmter Entscheid des Bundesgerichts vom 1. November 1996,
i.S. S., E. 3, insbes. 3a).

    Der vorliegend zu beurteilende Fall weist mit dem in der zitierten
Rechtsprechung aufgezeigten insofern eine Parallele auf, als Art. 270
Abs. 1 ZGB nach der Europäischen Menschenrechtskonvention in Kraft getreten
ist (EMRK; SR 0.101; für die Schweiz in Kraft getreten am 28. November
1974; Art. 270 ZGB: am 1. Januar 1988). Ob indessen die Rechtsprechung in
ihrer ganzen Tragweite auf den Bereich des Zivilrechts zu übertragen ist
und welche Konsequenzen sich insgesamt daraus ergeben, braucht hier nicht
entschieden zu werden, zumal die Beschwerde, was die gerügte Verletzung
der Art. 8 und 14 EMRK betrifft, ohnehin abzuweisen ist.

    b/aa) Der angestammte Name ist Ausdruck der Identität und
Individualität (WILDHABER, Internationaler Kommentar zur Europäischen
Menschenrechtskonvention, Köln, 2. Lieferung 1992, N. 178 zu Art. 8 EMRK;
HEGNAUER, aaO, Rz. 16.02). Nach der neueren Praxis des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gehört der Anspruch auf Achtung
des Namens grundsätzlich zur Achtung des Privatlebens gemäss Art. 8
EMRK (Entscheid vom 22. Februar 1994 i.S. Burghartz Schnyder c. CH,
in: PCourEDH Série A Volume 280 B = VPB 1994 Nr. 121). Die Regelung von
Art. 270 Abs. 1 ZGB, wonach bei Verheiratung der Eltern das Kind deren
Familienname erhält, bezweckt die Erkennbarkeit der Familieneinheit nach
aussen (HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 10 f. zu Art. 270 ZGB; derselbe,
Grundriss des Kindesrechts, Rz. 16.02). Dabei handelt es sich um ein
legitimes Ziel (WILDHABER, aaO, N. 177), welches auch durch den Entscheid
des EGMR in Sachen Burghartz nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern
lediglich insoweit relativiert worden ist, als die von den damaligen
Beschwerdeführern beanspruchte und mittlerweile in Art. 177a Abs. 1 ZStV
(SR 211.112.1) verwirklichte Lösung die Familieneinheit nach aussen nicht
minder widerspiegle als die in Art. 160 Abs. 2 ZGB enthaltene Regelung
(VPB 1994 Nr. 121, Ziff. 28). Die Erkennbarkeit der Familieneinheit nach
aussen rechtfertigt grundsätzlich Eingriffe in die Ausübung des Rechts
(Art 8 Ziff. 2 EMRK). Der Name, den eine Person in der Öffentlichkeit
führt, ist zwar eng mit ihrem Privat- und Familienleben verbunden; die
Regelung der Namensführung erschöpft sich jedoch nicht allein in der
Ordnung privater Lebensverhältnisse, sondern entfaltet darüber hinaus
eine dem öffentlichen Interesse dienende Ordnungsfunktion (vgl. HEGNAUER,
Berner Kommentar, N. 13 zu Art. 270 ZGB). Das Namensrecht steht daher einer
Ordnung durch den Gesetzgeber offen und kann von diesem nach durchaus
unterschiedlichen Grundsätzen gestaltet werden (vgl. Entscheid des
österreichischen Verfassungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1993, in:
EuGRZ 1994, S. 498).

    b/bb) Der Zwang, den angestammten Namen abzulegen, muss sich demnach
auf Art. 8 Ziff. 2 EMRK stützen können (WILDHABER, aaO, N. 178 zu Art. 8
EMRK). Nun ist aber nicht zu sehen, inwiefern Identität oder Individualität
des Kindes ein freies Wahlrecht der Eltern in der Namengebung erheischen,
geht es doch nicht darum, dass das Kind seinen angestammten Namen
aufgeben müsste; vielmehr wird es sich, unter welchem Namen es auch immer
aufwächst, unter diesem individualisieren. Zur Achtung des Privatlebens
gemäss Art. 8 Ziff. 1 EMRK gehört daher nicht auch die Wahlfreiheit der
Eltern hinsichtlich des Nachnamens ihrer Kinder. Eine Divergenz zwischen
Art. 270 Abs. 1 ZGB und Art. 8 EMRK ist folglich nicht auszumachen.

    c/aa) Ungeachtet der, wenn auch nicht voraussetzungslosen (Art. 30
Abs. 2 ZGB) Wahlfreiheit der Ehegatten in bezug auf ihren Familiennamen
ist dem Grundsatz des gemeinsamen Familiennamens die Ungleichbehandlung
der angestammten Namen inhärent. Sie wird zwar dadurch wesentlich
gemildert, dass nunmehr ungeachtet der Frage, wessen Namen zum
Familiennamen wird, der jeweils andere Ehegatte erklären kann, seinen
bisherigen Namen dem Familiennamen voranzustellen (Art. 160 Abs. 2 ZGB
und Art. 177a Abs. 1 ZStV). Dadurch wird die Ungleichbehandlung indessen
nicht vollends beseitigt; dies zeigt sich namentlich darin, dass es,
wenn sich die Ehegatten für den Namen des einen als Familiennamen
entschlossen haben, dem andern verwehrt bleibt, seinen Nachnamen dem
Kind weiterzugeben. Eine diesbezügliche volle Gleichstellung nach der
Vorstellung der Beschwerdeführer setzte demnach im Ergebnis die Aufgabe
des Grundsatzes voraus, dass sich die Familieneinheit im gemeinsamen
Familiennamen widerspiegeln soll. Konsequenterweise erblicken die
Beschwerdeführer denn auch eine Lösung nur im Recht auf freie Wahl des
Namens, d.h. im Recht, dem Kind den Familiennamen, M., oder aber den
früheren Namen der Ehefrau, B., geben zu können.

    c/bb) Fraglich bleibt indessen, ob eine so verstandene Gleichstellung
nicht schon deshalb an Grenzen stösst, weil es wie bei der Namengebung
der Kinder in der Natur der Sache liegt, dass sich die Ehegatten auf
einen Namen einigen müssen und es insoweit eine Wahlfreiheit nach
den Vorstellungen der Beschwerdeführer auch dann nicht gäbe, wenn der
Gesetzgeber vom Grundsatz des gemeinsamen Familiennamens der Ehegatten
abweichen würde. Die Beschwerdeführer selber verkennen nicht, dass gerade
die Aufgabe des gemeinsamen Familiennamens bei der Namengebung der Kinder
zu praktischen Schwierigkeiten führen kann, sollten sich die Eltern auf
den Namen des Kindes nicht einigen können, wenn das bei ihnen auch nicht
der Fall zu sein scheint.

    c/cc) Das in Art. 14 EMRK verankerte Diskriminierungsverbot erheischt
denn auch keine absolute Gleichstellung. Eine Massnahme oder Regelung
ist u.a. dann diskriminierender Natur, wenn zwischen den eingesetzten
Mitteln und dem angestrebten Ziel kein angemessenes Verhältnis besteht
(FROWEIN/PEUKERt, EMRK-Kommentar, Kehl 1985, N. 17 zu Art. 14 EMRK;
vgl. auch VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention,
Zürich 1993, Rz. 637 ff.). Nicht jede noch so geringfügige Ungleichheit
verstösst demnach von vornherein gegen Art. 14 EMRK. Geahndet wird mit
anderen Worten nur eine unterschiedliche Behandlung, die einer sachlichen
oder vernünftigen Rechtfertigung entbehrt (vgl. VILLIGER, aaO, Rz. 637). Im
Lichte dieser Ausführungen gilt es vorliegend insbesondere hervorzuheben,
dass die vom Gesetzgeber gewollte Erkennbarkeit der Familieneinheit nach
aussen durch den Namen als legitimes Ziel gilt und dass eine völlige
Gleichstellung der Ehegatten in der Wahl des Nachnamens für das Kind
zwangsläufig zur Aufgabe dieses Ziels führen müsste; nicht ausser acht
gelassen werden dürfen sodann auch die praktischen Schwierigkeiten, die
entstehen, wenn die Eltern sich auf den Namen ihres Kindes nicht einigen
können. Angesichts dieser Umstände lässt sich darin, dass die Ehegatten
in der Wahl des Nachnamens für ihre Kinder weitgehend, wenn auch nicht
vollständig gleichgestellt sind, keine Diskriminierung im Sinne von
Art. 14 EMRK erblicken. Eine Divergenz zwischen dieser Bestimmung und
Art. 270 Abs. 1 ZGB ist demnach zu verneinen.