Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 III 358



122 III 358

66. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Oktober 1996
i.S. A. E. gegen O. R. (Berufung) Regeste

    Art. 739 ZGB; Mehrbelastung einer Dienstbarkeit.

    Eine Mehrbelastung einer Dienstbarkeit ist nach Art. 739 ZGB dann
unzulässig, wenn sie erheblich ist. Bei der Beurteilung der Erheblichkeit
sind das Interesse des herrschenden und die Belastung des dienenden
Grundstückes bei der Begründung der Dienstbarkeit mit der heutigen
Interessenlage zu vergleichen. Einige zusätzliche Fahrbewegungen pro
Tag als Folge einer intensiveren Nutzung des berechtigten Grundstückes
führen nicht zu einer erheblichen Mehrbelastung eines "unbedingten Fuss-
und Fahrwegrechtes" (E. 2c).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- c) Im weiteren stellt sich die Frage, ob der Einbau zusätzlicher
Wohnungen in einem bestehenden Wohnhaus zu einer quantitativen
Mehrbeanspruchung der Dienstbarkeit führt, die dem belasteten Grundstück
nicht zugemutet werden darf.

    Gemäss Art. 739 ZGB darf dem Verpflichteten nicht allein aufgrund
der Tatsache, dass sich die Bedürfnisse des berechtigten Grundstückes
geändert haben, eine Mehrbelastung zugemutet werden. Gemeint ist dabei nach
einhelliger Rechtsprechung und Lehrmeinung eine erhebliche Mehrbelastung,
denn das Tatbestandsmerkmal der Mehrbelastung schliesst die Erheblichkeit
bereits ein, da eine unerhebliche Mehrbelastung gar keine Mehrbelastung
ist (BGE 94 II 145 E. 6 S. 148; 100 II 105 E. 3c S. 118; LIVER, Berner
Kommentar, N. 32 f. zu Art. 739; RIEMER, Die beschränkten dinglichen
Rechte, Grundriss des schweizerischen Sachenrechts, Band II, Rz. 10 zu §
12; Steinauer, Les droits réels, 2. Auflage, Bern 1994, Rz. 2298). Bei der
Beurteilung der Erheblichkeit ist das Interesse des herrschenden und die
Belastung des dienenden Grundstückes bei der Begründung der Dienstbarkeit
mit der heutigen Interessenlage zu vergleichen (BGE 100 II 105 E. 3c
S. 118). Bei dieser Interessenabwägung steht dem Richter Ermessen zu
(LIVER, aaO, N. 32 zu Art. 739 ZGB), dessen Ausübung vom Bundesgericht nur
mit Zurückhaltung geprüft wird (BGE 119 II 157 E. 2a S. 159 mit Hinweis).

    Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass das Wohnhaus auf dem
berechtigten Grundstück bislang von den Personen zweier Wohnungen bzw.
Haushalte bewohnt wurde, welche die Dienstbarkeit beanspruchten. Nach
Realisierung des Projektes werden es fünf Wohnungen bzw. Haushalte sein,
wovon allerdings drei Wohnungen sehr klein sein werden. Dadurch wird ein
vergrösserter Personenkreis zur Benützung der Dienstbarkeit berechtigt
sein und es muss mit einer intensiveren Benutzung des Wegrechtes
gerechnet werden. Dennoch ist aus verschiedenen Gründen nicht auf eine
unzulässige Mehrbelastung zu schliessen. Zunächst ist festzuhalten,
dass sich die heutige Interessenlage der Parteien im Vergleich zu
derjenigen im Zeitpunkt der Errichtung der Dienstbarkeit nicht erheblich
verändert hat. Dem Interesse des Beklagten an einer besseren Nutzung
seiner Liegenschaft - das sich auch mit dem allgemeinen Interesse einer
zeitgemässen Bodennutzung deckt - stehen nur geringfügige Auswirkungen auf
den Kläger gegenüber, die ihm zugemutet werden können. Der Kläger spricht
zwar von einem "erheblichen Mehrverkehr", doch macht er nicht geltend, es
sei mit einem intensiven und ständigen Verkehr zu rechnen; vielmehr wird
es sich lediglich um einige zusätzliche Fahrbewegungen pro Tag handeln.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Vermehrung der Wohnungszahl zwar
eine intensivere Beanspruchung der Dienstbarkeit erwarten lässt, dass eine
solche aber in gewissem Rahmen auch möglich und zu dulden gewesen wäre,
wenn die Zahl der Bewohner ohne Umbau zugenommen hätte. Schliesslich war
angesichts der offenen Umschreibung des Dienstbarkeitsinhaltes schon bei
der Begründung des "unbedingten Fuss- und Fahrwegrechtes" vernünftigerweise
mit einer gewissen Ausdehnung der Beanspruchung der Dienstbarkeit zu
rechnen (vgl. TUOR/SCHNYDER/SCHMID, Das schweizerische Zivilgesetzbuch,
11. Auflage, Zürich 1995, S. 785; STEINAUER, aaO, Rz. 2299b).

    Die Rechtsprechung hat denn auch in vergleichbaren Fällen eine
unzulässige Mehrbelastung einer Dienstbarkeit stets verneint, wenn durch
Umbauten die Anzahl der Benützer steigt und dadurch ein Zugang stärker
begangen oder befahren wird (Urteil des Bundesgerichtes vom 26. Mai
1992, publiziert in SJ 114 [1992] 597 E. 3b S. 601 f., wo es um vier
oder fünf zusätzliche Fahrzeuge ging; ZR 90 [1991] Nr. 21 S. 70 ff.,
vom Bundesgericht bestätigt im unveröffentlichten Entscheid vom 15. April
1991 i.S. F.Z u. E.W. gegen F.K., in welchem Fall die Erstellung von acht
Parkplätzen zu beurteilen war; vgl. auch die umfangreiche ältere Kasuistik
in HANS FLEISCHLI, Die Mehrbelastung nach Art. 739 ZGB, Diss. Freiburg
1980, S. 175 ff.). Unter Berücksichtigung der Zurückhaltung, die sich
das Bundesgericht bei Ermessensfragen auferlegt, kann im vorliegenden
Fall nicht von einer unzulässigen Mehrbeanspruchung der Dienstbarkeit
die Rede sein.