Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 III 305



122 III 305

55. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. August 1996
i.S. E. B. gegen G. B. (Berufung) Regeste

    Art. 146 Abs. 3 ZGB; Trennung der Ehe bei Klage auf Scheidung.

    Im Rahmen eines Scheidungsverfahrens kann gemäss Art. 146 Abs. 3
ZGB nur dann auf Trennung der Ehe erkannt werden, wenn Aussicht auf
Wiedervereinigung besteht. Wird zur Hauptsache auf Scheidung nach
Art. 142 Abs. 1 ZGB geklagt und eventualiter die Trennung beantragt,
stehen Zerrüttungsgrundsatz und Aussicht auf Wiedervereinigung streng
genommen in Widerspruch zueinander. Es rechtfertigt sich daher, eine
Trennung nur auszusprechen, wenn bestimmte konkrete Tatsachen Aussicht
auf Wiedervereinigung gemäss Art. 146 Abs. 3 ZGB begründen.

Sachverhalt

    A.- Am 27. November 1992 erhob E. B. beim Kantonsgericht
Obwalden Scheidungsklage gegen ihrem Ehemann G. B., welche Klage mit
Urteil vom 31. Mai 1995 abgewiesen wurde. Gegen dieses Urteil führte
E. B. Appellation ans Obergericht des Kantons Obwalden und beantragte
die Scheidung, eventualiter die Trennung der Ehe. Mit Urteil vom 23. Mai
1996 wies das Obergericht die Appellation ab und bestätigte das Urteil
des Kantonsgerichts. Mit Berufung vom 28. Juni 1996 beantragt E. B. dem
Bundesgericht im wesentlichen, dass die Ehe der Parteien auf unbestimmte
Zeit zu trennen sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht hat die Frage offengelassen, ob die Ehe
der Parteien tief zerrüttet im Sinn von Art. 142 Abs. 1 ZGB sei,
und die von der Klägerin erhobene Scheidungsklage mit dem Hinweis
auf das Widerspruchsrecht des Beklagten nach Art. 142 Abs. 2 ZGB
abgewiesen. In bezug auf den eventualiter gestellten Antrag auf
Trennung hielt das Obergericht fest, dass nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts das Widerspruchsrecht gemäss Art. 142 Abs. 2
ZGB nicht durch die Aussprechung einer Trennung und die nachträglich
erleichterte Scheidungsmöglichkeit unterlaufen werden dürfe; auch eine
Trennung der Ehe sei daher ausgeschlossen. Vor Bundesgericht kritisiert
die Klägerin ausschliesslich, dass die Trennung zu Unrecht verweigert
wurde; demgegenüber ist die Frage der Scheidung nicht mehr Gegenstand
des Verfahrens. Die Klägerin wirft dem Obergericht vor, zu Unrecht
die Frage des Vorliegens eines Scheidungsgrundes, gestützt auf den
die Trennung auszusprechen sei, offengelassen zu haben. Zudem sei die
Annahme der Vorinstanz bundesrechtswidrig, dass das Vorliegen eines
Widerspruchsrechtes nach Art. 142 Abs. 2 ZGB dem Trennungsanspruch der
Gegenpartei entgegenstehe.

    a) Die Klägerin hat im Hauptstandpunkt auf Scheidung und -
vor Obergericht - im Eventualantrag auch auf Trennung geklagt. Wenn
ein Scheidungsgrund nachgewiesen ist, so hat der Richter entweder die
Scheidung oder die Trennung auszusprechen (Art. 146 Abs. 1 ZGB). Wird nur
auf Trennung geklagt, so kann die Scheidung nicht ausgesprochen werden
(Abs. 2). Wird auf Scheidung geklagt, so kann nur dann auf Trennung
erkannt werden, wenn Aussicht auf die Wiedervereinigung der Ehegatten
vorhanden ist (Abs. 3).

    aa) Wenn ausschliesslich auf Trennung geklagt wird, ist die
Wahrscheinlichkeit einer Wiedervereinigung nicht speziell zu prüfen, weil
durch das Klagebegehren bereits dargetan ist, dass die Ehe weiterbestehen
soll (BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 21 zu Art. 146). Wird hingegen
auf Scheidung geklagt, kann der Richter gemäss Art. 146 Abs. 3 ZGB nur
dann auf Trennung erkennen, wenn eine Aussicht auf Wiedervereinigung der
Ehegatten besteht. Dasselbe gilt auch dann, wenn wie vorliegend nebst der
Scheidungsklage im Eventualstandpunkt auf Trennung geklagt wird. Denn
auch in diesem Fall bringt der klagende Ehegatte zum Ausdruck, dass er
- nicht anders als der nur auf Scheidung klagende - die Ehe im Grunde
genommen nicht mehr will. Um dennoch auf Trennung zu erkennen, hat der
Richter die Chance einer Wiedervereinigung zu prüfen.

    bb) Wird im Rahmen eines Scheidungsverfahrens zur Begründung
des eventualiter gestellten Trennungsbegehrens der Scheidungsgrund
der tiefen Zerrüttung gemäss Art. 142 Abs. 1 ZGB angerufen, schlösse
dies streng genommen die von Art. 146 Abs. 3 ZGB geforderte Aussicht
auf die Wiedervereinigung von vorneherein aus; ist eine Ehe nämlich
tief und unheilbar zerrüttet, erscheint die Wiedervereinigung als
unwahrscheinlich. In der Lehre wird seit langem auf den Widerspruch
zwischen dem Zerrüttungsgrundsatz nach Art. 142 Abs. 1 ZGB und der
geforderten Aussicht auf die Wiedervereinigung gemäss Art. 146 Abs. 3 ZGB
hingewiesen (HINDERLING/STECK, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 4.
Auflage, Zürich 1995, S. 169; DESCHENAUX/TERCIER/WERRO, Le mariage et
le divorce, 4. Auflage, Bern 1995, Rz. 935; ALFRED BÜHLER, Ehetrennung
und Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes, Diss. Zürich 1969, S. 22
ff., insbes. S. 25; EDOUARD BARDE, Le procès en divorce, ZSR NF 74/II
[1955], S. 510a f.). Einzelne Autoren folgern daraus sogar, dass eine
Ehetrennung beim Scheidungsgrund der Zerrüttung ausgeschlossen sei
(HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 3. Auflage, Bern 1993,
Rz. 10.07). Die Gerichtspraxis geht indessen stillschweigend davon aus,
dass auch bei einer zerrütteten Ehe eine Aussicht auf die Wiedervereinigung
vorhanden sein kann. Im Bestreben, den Widerspruch zwischen unheilbarer
Zerrüttung und Aussicht auf Wiedervereinigung zu minimieren und damit
auch im Falle des Scheidungsgrundes der Zerrüttung eine Trennung nicht
von vorneherein auszuschliessen, werden an die Zerrüttung nicht allzu hohe
Anforderungen gestellt, während gleichzeitig bei der Anwendung von Art. 146
Abs. 3 ZGB starke Zurückhaltung geübt wird: Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtes reicht eine bloss vage Möglichkeit der Wiedervereinigung
nicht aus, um bei einer Scheidungsklage nur auf Trennung zu erkennen,
sondern es müssen bestimmte konkrete Tatsachen vorhanden sein, die
beim Richter die Überzeugung erwecken, dass der zwischen den Parteien
bestehende Bruch doch noch nicht als endgültig zu erachten ist (BGE 88
II 137, 55 II 158 S. 159, je mit Hinweisen).

    b) In ihrer Berufung legt die Klägerin ausführlich dar, dass der
Scheidungsgrund der tiefen und unheilbaren Zerrüttung nach Art. 142
Abs. 1 ZGB erfüllt sei, so dass gestützt auf Art. 146 Abs. 1 ZGB die
Trennung auszusprechen sei. Mit dem weiteren Tatbestandselement, der
Aussicht auf die Wiedervereinigung (Art. 146 Abs. 3 ZGB), setzt sich
die Klägerin indessen überhaupt nicht auseinander. Im Gegenteil lässt
sie keinen Zweifel an ihrer Auffassung, dass eine Wiedervereinigung der
Parteien völlig undenkbar sei. So führt die Klägerin beispielsweise aus,
dass die tiefe und unheilbare Zerrüttung aufgrund der Tatsache dargetan
sei, dass sie seit nunmehr vier Jahren vom Beklagten getrennt lebe und
eine Rückkehr zum Beklagten für sie nicht in Frage komme. Sie habe vor
Obergericht auch eine Reihe konkreter Punkte dargelegt, aus denen sich
nach allgemeiner Lebenserfahrung ergebe, dass die Ehe der Parteien heute
tief und unheilbar zerrüttet sei. Abschliessend hält die Klägerin mit
Nachdruck - und mit Ausrufezeichen versehen - fest, dass für sie eine
Rückkehr zum Beklagten nicht in Frage komme. Unter diesen Umständen ist
die Aussicht auf eine Wiedervereinigung zu verneinen und zwar um so mehr,
als sie wie erläutert nicht leichthin angenommen werden darf.

    c) Damit fehlt es aber an einer unabdingbaren Voraussetzung, um
die Trennung der Ehe auszusprechen. Die Berufung erweist sich daher als
unbegründet, ohne dass zu prüfen wäre, ob das Widerstandsrecht gemäss
Art. 142 Abs. 2 ZGB auch im Fall einer beantragten Trennung angerufen
werden kann (so BGE 59 II 409 S. 410).