Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 122 III 1



122 III 1

1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. März 1996 i.S.
Versicherung X. gegen A. M. (Berufung) Regeste

    Art. 936 und 3 Abs. 2 ZGB; Gutgläubigkeit des Erwerbers einer
abhandengekommenen Sache.

    In Geschäftsbereichen, in denen oft Waren zweifelhafter
Herkunft angeboten werden, sind bei einem Erwerber mit einschlägigen
Branchenkenntnissen hohe Anforderungen an die zu verlangende Aufmerksamkeit
gemäss Art. 3 Abs. 2 ZGB zu stellen. Auch der Antiquitätenhandel zählt zu
diesen Geschäftsbereichen; ob ein Gegenstand zum Eigengebrauch erworben
wird oder ob ein Handelskauf vorliegt, ist unerheblich.

Sachverhalt

    A.- Im April 1979 wurde aus der Villa von R. M. in Versoix (GE) eine
antike Waffensammlung gestohlen. C. F. übernahm die Beute von den Dieben
und übergab die Waffensammlung A. R., welcher sie im Oktober 1979 an A.
M. verkaufte. Die Versicherung X. bezahlte R. M. für die gestohlene
Waffensammlung eine Entschädigung von Fr. 553'045.--. Im Gegenzug wurden
ihr sämtliche Rechte am Deliktsgut abgetreten.

    Am 21. Dezember 1992 erhob die Versicherung X. Klage gegen A. M. und
verlangte die Herausgabe sämtlicher Waffen, die aus dem Diebstahl bei R. M.
stammten. Mit Urteil vom 2. Dezember 1994 wurde die Herausgabeklage vom
Amtsgericht Luzern-Land gutgeheissen. Die von A. M. dagegen erhobene
Appellation hiess das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 7.
September 1995 gut und wies die Herausgabeklage der Versicherung X. ab.

    Mit Berufung vom 6. November 1995 beantragt die Versicherung X. dem
Bundesgericht, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Luzern aufzuheben
und ihre Herausgabeklage gutzuheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Vor Bundesgericht ist zwischen den Parteien nicht mehr
strittig, dass die Klägerin durch die Abtretung der Rechte am Deliktsgut
berechtigt ist, die Eigentumsherausgabeklage gemäss Art. 641 Abs. 2 ZGB
zu erheben. Umstritten ist nur noch, ob der Beklagte beim Erwerb der
Waffen von A. R. gutgläubig gewesen und damit Eigentümer geworden sei
(Art. 714 Abs. 2 ZGB in Verbindung mit Art. 936 ZGB). Das Obergericht
hat den gutgläubigen Besitzes- und Eigentumserwerb des Beklagten bejaht
und die klägerische Eigentumsansprache mit dem Hinweis auf das bessere
Recht des Beklagten abgewiesen. Die Klägerin hält diese Auffassung
für bundesrechtswidrig und wirft dem Obergericht im wesentlichen eine
Verletzung von Art. 3 Abs. 2 ZGB vor.

    a) Art. 936 Abs. 1 ZGB bestimmt, dass derjenige, der den Besitz
einer beweglichen Sache nicht in gutem Glauben erworben hat, vom
früheren Besitzer jederzeit auf Herausgabe belangt werden kann.
Der Erwerber einer Sache gilt grundsätzlich als gutgläubig (Art. 3
Abs. 1 ZGB). Der Gutglaubensschutz versagt indessen nicht nur bei
Bösgläubigkeit, sondern auch dann, wenn die Unkenntnis des Erwerbers vom
Rechtsmangel darauf zurückzuführen ist, dass er beim Erwerb der Sache jene
Aufmerksamkeit vermissen liess, die von ihm nach den Umständen verlangt
werden durfte (Art. 3 Abs. 2 ZGB). Wird nicht die nach dem Umständen
gebotene Aufmerksamkeit aufgewendet, zieht dies die gleichen Rechtsfolgen
nach sich wie die Bösgläubigkeit (BGE 121 III 345 E. 2b S. 348 mit Hinweis;
EMIL W. STARK, Berner Kommentar, N. 46 zu Art. 933 ZGB). Die Nichtbeachtung
der gebotenen Aufmerksamkeit ist allerdings nur von Bedeutung, wenn sie
für die fehlende Kenntnis vom Rechtsmangel kausal ist; andernfalls ist
sie unbeachtlich (BGE 100 II 8 E. 4b S. 16 mit Hinweisen; STARK, aaO,
N. 51 zu Art. 933 ZGB).

    aa) Der Grad der Aufmerksamkeit, der vom Erwerber verlangt werden darf,
richtet sich nach den Umständen. Was dies im Einzelfall bedeutet, ist
weitgehend eine Ermessensfrage (Art. 4 ZGB). Nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichtes besteht keine allgemeine Erkundigungspflicht des
Erwerbers nach dem Vorliegen der Verfügungsmacht des Veräusserers; nur
wenn konkrete Verdachtsgründe vorliegen, müssen die näheren Umstände
abgeklärt werden (BGE 100 II 8 E. 4a S. 14 f., 83 II 126 E. 1 S. 133,
77 II 138 E. 3 S. 147 f., je mit Hinweisen). In einem jüngeren Entscheid
hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung in bezug auf Rechtsgeschäfte,
die mit besonderen Risiken behaftet sind, dahingehend präzisiert,
dass an die Sorgfaltspflicht des Händlers von Occasionsautomobilen der
Luxusklasse besonders hohe Anforderungen zu stellen seien (BGE 113 II 397
E. 2b/c S. 399 f.). Auch wenn damit keine generelle Erkundigungspflicht
statuiert wird, ergibt sich in diesen Fällen eine Abklärungs-
bzw. Erkundigungspflicht hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des
Veräusserers nicht erst bei konkretem Verdacht des Rechtsmangels, sondern
bereits, wenn aufgrund der Umstände Anlass zu Misstrauen besteht.

    bb) Diese erhöhte Sorgfaltspflicht ist nicht auf die Branche des
Auto-Occasionshandels beschränkt. Vielmehr hielt das Bundesgericht fest,
dass höhere Anforderungen an diejenigen Geschäftszweige zu stellen
sind, die dem Angebot von Waren zweifelhafter Herkunft und folglich mit
Rechtsmängeln behafteter Sachen in besonderem Masse ausgesetzt sind, wie es
beim Handel mit Gebrauchtwaren aller Art der Fall ist (BGE 113 II 397 E. 2b
S. 399 f.). Ebensowenig ist die erhöhte Sorgfaltspflicht auf den Händler
im kaufmännischen Verkehr beschränkt. Für das Mass der aufzuwendenden
Sorgfalt kommt es nicht darauf an, ob ein Handelskauf - d.h. ein Kauf
zum Zweck des Weiterverkaufs (BGE 65 II 171 E. 2 S. 173) - vorliegt;
entscheidend ist vielmehr die Branchenvertrautheit des betreffenden
Erwerbers. Bei einem Kaufmann werden vertiefte Branchenkenntnisse
regelmässig vorausgesetzt und unterstellt. Trifft ihn insoweit eine
erhöhte Sorgfaltspflicht, kommt nichts darauf an, ob er eine Ware zum
Weiterverkauf oder ausnahmsweise für den eigenen Bedarf erwirbt.

    b) Im vorliegenden Fall geht das Obergericht davon aus, dass die
konkreten Umstände des Erwerbs der Waffensammlung den Beklagten zu keiner
besonderen Aufmerksamkeit hätten veranlassen müssen. Eine generelle
Erkundigungspflicht nach der Herkunft der Waffen bestehe nicht, es sei
denn, äussere Umstände würden Verdachtsmomente an der Lauterkeit des
Händlers oder der "Sauberkeit" der Ware nahelegen. Anders als in BGE
113 II 397 gelte im vorliegenden Fall der Grundsatz uneingeschränkt,
dass eine Erkundigungspflicht nur beim Bestehen eines Verdachtes bestehe,
da das Antiquitätengeschäft nicht mit dem Auto-Occasionshandel verglichen
werden könne und da es sich vorliegend um den Geschäftsverkehr zwischen
Händler und Endabnehmer handle. Da keine allzuhohen Anforderungen an
die Sorgfaltspflicht gestellt werden dürften, habe der Beklagte die nach
den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet, so dass er in seinem guten
Glauben zu schützen sei.

    aa) Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Einerseits sind die
erhöhten Anforderungen an die Sorgfaltspflicht wie erläutert nicht nur
auf den Auto-Occasionshandel beschränkt, sondern erstrecken sich generell
auf Geschäftszweige, die dem Angebot von Waren zweifelhafter Herkunft
in besonderem Masse ausgesetzt sind, und bei denen infolgedessen ein
erhöhtes Risiko besteht, dass Waren mit Rechtsmängeln behaftet sind. Diese
Rechtsprechung, die sich auf den Handel mit Gebrauchtwaren aller Art
bezieht, gilt auch für den Antiquitätenhandel. Anderseits ist die erhöhte
Sorgfaltspflicht nicht auf den kaufmännischen Verkehr beschränkt. In
diesem Zusammenhang hat das Obergericht für das Bundesgericht verbindlich
festgehalten (Art. 63 Abs. 2 OG), dass der Beklagte Kaufmann sei,
der zunächst mit Automobilen und später mit Immobilien gehandelt
habe; seit Jahren sammle er Antiquitäten, aber auch Zinnkannen und
gelegentlich Waffen. Vor dem Untersuchungsrichter in Neuenburg habe der
Beklagte ausgesagt, er kenne sich auf dem Gebiet der Waffen aus. In der
Klageantwort bestritt der Beklagte lediglich, "zur Zeit des Erwerbs
des Streitgegenstandes im Antiquitätenhandel tätig gewesen zu sein",
gab aber zu, dass es zwischen ihm und A. R. "zu Geschäften über Autos und
vereinzelt auch über Antiquitäten" gekommen sei. Unter diesen Umständen ist
davon auszugehen, dass es sich beim Beklagten nicht nur um einen Kaufmann,
sondern auch um eine Person handelt, die im Antiquitätenhandel keineswegs
unerfahren ist. Es rechtfertigt sich daher, im vorliegenden Fall an die
nach Art. 3 Abs. 2 ZGB gebotene Aufmerksamkeit erhöhte Anforderungen
zu stellen.