Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 V 88



121 V 88

15. Auszug aus dem Urteil vom 22. Mai 1995 i.S. Bundesamt für
Sozialversicherung gegen S. und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich
Regeste

    Art. 43bis Abs. 1 AHVG, Art. 42 Abs. 2 IVG, Art. 36 IVV: Beurteilung
der Hilflosigkeit. Das Ordnen der Kleider im Zusammenhang mit der
Notdurftverrichtung ist als Teilfunktion dieser Lebensverrichtung zu
qualifizieren; Änderung der Rechtsprechung.

Sachverhalt

    A.- Der 1895 geborene, u.a. an Herzinsuffizienz, Arteriosklerose und
Marasmus senilis leidende Altersrentner S. liess sich am 15. September
1990 durch seinen Sohn zum Bezug einer Hilflosenentschädigung der AHV
anmelden. Gestützt auf die Angaben im Anmeldeformular und eine auf Anfrage
hin erteilte Auskunft des Hausarztes Dr. med. C. vom 26. Oktober 1990,
gemäss welcher der Versicherte nach dem Verrichten der Notdurft nicht
gereinigt werden müsse, sondern diesbezüglich selbständig sei, gelangte die
Invalidenversicherungs-Kommission zum Schluss, es liege keine Hilflosigkeit
schweren Grades vor. Mit Verfügung vom 20. November 1990 lehnte die
AHV-Ausgleichskasse des Grosshandels das Leistungsbegehren deshalb ab.

    B.- Beschwerdeweise liess S. durch seinen Sohn die Aufhebung
der ablehnenden Verwaltungsverfügung und die Zusprechung einer
Hilflosenentschädigung beantragen.

    Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich stellte sich auf
den Standpunkt, die Überprüfung beim Verrichten der Notdurft sei
unethisch, da sie einen zu starken Eingriff in die Intimsphäre und
somit eine Verletzung der Persönlichkeit darstelle; das Kriterium der
Notdurftverrichtung sei deshalb für die Beurteilung der Hilflosigkeit
eines Menschen "untauglich und nicht praktikabel", zumal es seit der
Verwendung des Closomats seine Bedeutung verloren habe; aus diesen
Gründen dränge sich eine Praxisänderung auf. Ferner erwog die kantonale
Rekurskommission, der Begriff des Verrichtens der Notdurft sei weit zu
fassen, indem er als einheitlicher Vorgang gesehen werde, welcher auch
das Hinführen zur Toilette, das Entkleiden, das Absitzen und Aufstehen,
das Anziehen und das Wegführen beinhalte; zudem sei der Versicherte in
den Händen sehr schwach und könne die Nahrung nicht zerkleinern, weshalb
angenommen werden müsse, dass er auch nicht in der Lage sei, sich nach dem
Verrichten der Notdurft selber zu reinigen. Mit der Feststellung, dass
der Versicherte somit seit November 1988 in schwerem Grade hilflos sei,
hob sie deshalb die angefochtene Verfügung mit Entscheid vom 9. April 1992
auf und verpflichtete die Ausgleichskasse, dem Versicherten rückwirkend
ab 1. November 1989 eine Hilflosenentschädigung auszurichten.

    C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) erhebt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren um Aufhebung des kantonalen
Entscheids und Bestätigung der ablehnenden Kassenverfügung vom 20. November
1990.

    S. schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, in
welchem Sinne sich auch die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich zur
Sache äussert.

    Die Ausgleichskasse Grosshandel + Transithandel enthält
sich eines Antrags und verweist auf eine der Auffassung des
beschwerdeführenden Bundesamtes beipflichtende Stellungnahme der
Invalidenversicherungs-Kommission.

    Auf die einzelnen Vorbringen in den Rechtsschriften wird, soweit
erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 43bis Abs. 1 AHVG (in der seit 1. Januar
1988 gültigen Fassung) haben Bezüger von Altersrenten mit Wohnsitz
und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung, wenn sie in schwerem Grad hilflos sind (Satz 1);
Männer müssen das 65. und Frauen das 62. Altersjahr zurückgelegt haben
(Satz 2). Nach Abs. 2 derselben Bestimmung entsteht der Anspruch auf
eine Hilflosenentschädigung am ersten Tag des Monats, in dem sämtliche
Voraussetzungen erfüllt sind und die Hilflosigkeit schweren Grades
ununterbrochen während mindestens eines Jahres bestanden hat (Satz 1);
er endet mit dem Monat, in dem die Voraussetzungen nach Abs. 1 wegfallen
(Satz 2).

    b) Nach Art. 4 Abs. 1 des Bundesbeschlusses vom 19. Juni 1992 über
Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV sowie ihre Finanzierung
(SR 831.100.1) haben Altersrentner neu auch bei einer Hilflosigkeit
mittleren Grades Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV; dieser
Bundesbeschluss trat laut dessen Art. 8 am 1. Januar 1993 in Kraft (Abs. 2)
und gilt aufgrund eines weiteren Bundesbeschlusses vom 7. Oktober 1994
bis 31. Dezember 1996 (vgl. AS 1995 I 510).

Erwägung 3

    3.- Für den Begriff und die Bemessung der Hilflosigkeit sind laut
Art. 43bis Abs. 5 AHVG die Bestimmungen des IVG resp. laut Art. 66bis Abs.
1 AHVV Art. 36 IVV sinngemäss anwendbar.

    a) Gemäss Art. 42 Abs. 2 IVG gilt als hilflos, wer wegen der
Invalidität für die alltäglichen Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe
Dritter oder der persönlichen Überwachung bedarf. Dabei sind praxisgemäss
(BGE 117 V 31 Erw. 4b und 148 Erw. 2, je mit Hinweis) die folgenden sechs
alltäglichen Lebensverrichtungen massgebend:

    - Ankleiden, Auskleiden;

    - Aufstehen, Absitzen, Abliegen;

    - Essen;

    - Körperpflege;

    - Verrichtung der Notdurft;

    - Fortbewegung (im oder ausser) Haus, Kontaktaufnahme.

    b) Art. 36 IVV sieht drei Hilflosigkeitsgrade vor. Gemäss Abs. 1
dieser Bestimmung gilt die Hilflosigkeit als schwer, wenn der Versicherte
vollständig hilflos ist. Dies ist der Fall, wenn er in allen alltäglichen
Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter
angewiesen ist und überdies dauernd der Pflege oder der persönlichen
Überwachung bedarf.

    Dagegen liegt mittelschwere Hilflosigkeit laut Art. 36 Abs. 2 IVV vor,
wenn der Versicherte trotz der Abgabe von Hilfsmitteln

    a) in den meisten alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in
   erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist oder

    b) in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen in erheblicher

    Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und überdies einer dauernden
   persönlichen Überwachung bedarf.

    Nach der Rechtsprechung setzt Hilflosigkeit mittelschweren Grades
nach Art. 36 Abs. 2 lit. a IVV eine Hilfsbedürftigkeit in mindestens
vier alltäglichen Lebensverrichtungen voraus (BGE 107 V 151 Erw. 2).

    c) Bei Lebensverrichtungen, welche mehrere Teilfunktionen umfassen,
ist nach der Rechtsprechung (BGE 117 V 148 Erw. 2 mit Hinweisen) nicht
verlangt, dass der Versicherte bei der Mehrzahl dieser Teilfunktionen
fremder Hilfe bedarf; vielmehr ist bloss erforderlich, dass der Versicherte
bei einer dieser Teilfunktionen regelmässig in erheblicher Weise auf
direkte oder indirekte Dritthilfe angewiesen ist. In diesem Sinne ist
die Hilfe beispielsweise bereits erheblich:

    - beim Essen, wenn der Versicherte zwar selber essen,
   die Speisen aber nicht zerkleinern kann, oder wenn er die Speisen nur
   mit den Fingern zum Mund führen kann (BGE 106 V 158 Erw. 2b);

    - bei der Körperpflege, wenn der Versicherte sich
   nicht selber waschen oder kämmen oder rasieren oder nicht selber
   baden bzw.  duschen kann;

    - bei Fortbewegung und Kontaktaufnahme, wenn der Versicherte im oder
   ausser Hause sich nicht selber fortbewegen kann oder wenn er bei der

    Kontaktaufnahme Dritthilfe benötigt.

Erwägung 4

    4.- Unbestrittenermassen ist der Beschwerdegegner seit
November 1988 in den fünf alltäglichen Lebensverrichtungen
Ankleiden/Auskleiden, Aufstehen/Absitzen/Abliegen, Essen, Körperpflege
und Fortbewegung/Kontaktaufnahme in relevantem Mass auf die Hilfe
Dritter angewiesen, weshalb ihm aufgrund von Art. 4 Abs. 1 des
Bundesbeschlusses über Leistungsverbesserungen in der AHV und der IV
jedenfalls ab 1. Januar 1993 eine Entschädigung für eine mittelschwere
Hilflosigkeit zustehen würde. Streitig und zu prüfen ist indessen, ob
ihm die für die Zeit ab November 1989 beantragte Hilflosenentschädigung
entsprechend der dargelegten Rechtslage mangels Hilfsbedürftigkeit bei
der Notdurftverrichtung und damit mangels schwergradiger Hilflosigkeit
nicht gewährt werden kann.

Erwägung 5

    5.- a) Die Vorinstanz stellte im angefochtenen Entscheid vor allem aus
Praktikabilitätsüberlegungen und im Hinblick auf ethische Gesichtspunkte
zunächst die Zweckmässigkeit des Kriteriums der Notdurftverrichtung
für die Beurteilung der Hilflosigkeit in Frage. Wie sie in ihrer
Vernehmlassung ausführt, zielt ihr Entscheid in dem Sinne auf eine
Änderung der Rechtsprechung, dass für die Bejahung einer schweren
Hilflosigkeit in Zukunft auf das Erfordernis einer Hilflosigkeit bei
dieser Lebensverrichtung verzichtet wird.

    b) Das Eidg. Versicherungsgericht sah sich erstmals angesichts der auf
den 1. Januar 1977 in Kraft getretenen neuen Fassung von Art. 36 Abs. 1
IVV, gemäss welcher im Gegensatz zur bis dahin geltenden Regelung für die
Annahme schwergradiger Hilflosigkeit Hilflosigkeit ausdrücklich in allen
alltäglichen Lebensverrichtungen verlangt wird, veranlasst, die Gesamtzahl
der für die Beurteilung der Hilflosigkeit massgebenden Lebensverrichtungen
zu bestimmen und diese im einzelnen zu umschreiben. Dabei konnte es
sich immerhin auf eine langjährige Entwicklung stützen, während welcher
nach und nach auch bei den früher in Gesetz resp. Verordnung nur grob
abgegrenzten Hilflosigkeitsgraden einzelne Lebensverrichtungen als
relevant bezeichnet wurden (vgl. BGE 107 V 139 f. Erw. 1c). Die seinerzeit
abschliessend festgesetzten, in BGE 107 V 141 Erw. 1c und 149 Erw. 1b
aufgelisteten Kriterien wurden in der Folge wiederholt bestätigt (BGE 117
V 31 Erw. 4b und 148 Erw. 2, 113 V 19 Erw. a; ZAK 1989 S. 213 Erw. 1a,
1987 S. 108 Erw. 1 und S. 248 Erw. 1a, 1986 S. 482 Erw. 1a und S. 485
Erw. 1a, 1984 S. 355 Erw. 2a, 1983 S. 73 Erw. 1a, 1982 S. 419 Erw. 1a) und
entsprechen somit heute einer langjährigen von der Verwaltung angewandten,
gefestigten Praxis (vgl. Rz. 8002 der vom BSV herausgegebenen Wegleitung
über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [WIH]). Wie
das BSV in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht geltend macht,
müssen deshalb für eine Änderung der diesbezüglichen Rechtsprechung
gewichtige Gründe angeführt werden können. Solche Praxisänderungen lassen
sich im allgemeinen denn auch nur rechtfertigen, wenn die neue Lösung
besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen
oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht (BGE 107 V 82 Erw. 5a
mit Hinweisen).

    c) Die im kantonalen Entscheid angeführten Umstände bieten keinen
hinreichenden Anlass, um zukünftig bei der Beurteilung der Hilflosigkeit
das Element der Notdurftverrichtung, abweichend von der bisherigen Praxis,
grundsätzlich unberücksichtigt zu lassen. Der mit der Überprüfung dieser
Lebensverrichtung notwendigerweise verbundene Eingriff in die Intimsphäre
und damit in die Persönlichkeit des Betroffenen ist verglichen mit andern
im Invalidenversicherungsrecht unumgänglichen Vorkehren entgegen der
Auffassung der Vorinstanz nicht als derart schwerwiegend zu werten,
dass er diese zum vornherein als unzumutbar erscheinen liesse. Auch
ist zu beachten, dass entsprechende Abklärungen meist nicht mit
übermässigen Schwierigkeiten verbunden sein dürften, da der festgestellte
Gesundheitszustand und die gestellten Diagnosen über die Zuverlässigkeit
der Angaben des Leistungsansprechers selbst, seiner Angehörigen oder
Pflegepersonen und seines Arztes in aller Regel bereits hinreichend
Aufschluss geben und sich weitergehende Massnahmen somit erübrigen.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und in Übereinstimmung mit den
Darlegungen des BSV ist deshalb am Kriterium der Notdurftverrichtung
für die Beurteilung der Hilflosigkeit resp. für die Bestimmung des
Hilflosigkeitsgrades grundsätzlich festzuhalten. Insoweit liegt kein
Grund für eine Praxisänderung vor.

Erwägung 6

    6.- a) Fragen lässt sich hingegen, ob der Begriff der
Notdurftverrichtung entsprechend der von der Vorinstanz alternativ
angeführten und ebenfalls auf eine Änderung der Rechtsprechung
hinauslaufenden Argumentation als einheitlicher Vorgang weiter zu fassen
ist, indem beispielsweise auch das Hin- und Weggehen, das Ordnen der
Kleider und allenfalls noch weitere Betätigungen als eigenständige
Teilfunktionen davon betrachtet werden.

    b) In dem in ZAK 1982 S. 419 publizierten Urteil vom 9. März 1982 hat
das Eidg. Versicherungsgericht - wie zuvor schon im nicht veröffentlichten
Urteil W. vom 27. Januar 1982 - unter Bezugnahme auf die damals geltende
Rz. 298.3 der bundesamtlichen Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit
bestätigt, dass die notwendige Hilfe beim Verrichten der Notdurft
erheblich sei, wenn sich der Versicherte nicht selber reinigen könne; die
Notwendigkeit der Begleitung und der Hilfe beim Absitzen und Aufstehen
sowie beim Ordnen der Kleider hingegen finde bei den entsprechenden
alltäglichen Lebensverrichtungen Berücksichtigung. Ausdrücklich hat
es das Gericht abgelehnt, das Ordnen der Kleider entsprechend dem vom
damaligen Beschwerdeführer vertretenen Standpunkt als Teilfunktion des
Verrichtens der Notdurft anzuerkennen. In seinen Erwägungen führte es aus,
eine solche Differenzierung sei angesichts des Umstandes, dass gewisse
Verrichtungsabläufe nicht einer einzelnen bzw. einzigen Lebensverrichtung
zugeordnet werden können, sondern mehrere Lebensverrichtungen berühren,
durchaus sachgerecht; auch sei sie keineswegs unüblich und komme nicht
allein im Bereich des Verrichtens der Notdurft vor, sondern beispielsweise
auch beim Essen oder bei der Fortbewegung ausser Haus. Damit gelangte das
Gericht zum Schluss, dass die im Zusammenhang mit der Notdurftverrichtung
erforderliche Hilfeleistung beim Ordnen der Kleider einzig bei der
Lebensverrichtung Ankleiden/Auskleiden berücksichtigt werden könne.

    Anderseits hat das Eidg. Versicherungsgericht nicht nur das in der
bundesamtlichen Wegleitung erwähnte selbständige Reinigen als massgebenden
Bestandteil der Notdurftverrichtung betrachtet, sondern etwa auch "die
nachts regelmässige Hilfe beim Urinieren" (nicht veröffentlichtes Urteil
N. vom 20. August 1981) sowie das nächtliche Bringen eines Topfes ans
Bett und dessen Entleerung (ZAK 1985 S. 403 Erw. 2b) als erhebliche
Hilfeleistung im Rahmen des Verrichtens der Notdurft bezeichnet. Ferner
hat das Gericht die indirekte Hilfeleistung in einem Fall als beachtlich
eingestuft, in welchem die Versicherte zwar die Notdurft einschliesslich
Reinigung funktionsmässig an sich noch selber verrichten konnte,
hingegen dabei speziell überwacht werden musste, damit bei Bedarf,
d.h. wenn die eigene Reinigung hygienischen Anforderungen nicht genügte,
eingegriffen werden konnte (nicht veröffentlichtes Urteil H. vom 1. März
1988). Als erhebliche direkte Dritthilfe bei der Notdurftverrichtung
qualifizierte es im weiteren die Hilfeleistung einer Frau, welche ihren
Ehemann zur Toilette bringen, ihm die Urinflasche reichen und ihn für
die Nacht mit einem Urinal ausrüsten musste; im selben Urteil hielt
das Gericht fest, dass die Körperreinigung, die notwendig werde, wenn
der Versicherte die Toilette nicht rechtzeitig erreiche oder das Urinal
sich löse, ebenfalls der Notdurftverrichtung und nicht der Körperpflege
zuzuschreiben sei (nicht veröffentlichtes Urteil Z. vom 12. Februar
1987). Schliesslich bezeichnete das Gericht entgegen der damals vom BSV
vertretenen Auffassung auch eine nur kurze, regelmässige Nachkontrolle
als erheblich, da sie eine notwendige Teilfunktion der Lebensverrichtung
"Notdurft" darstelle (nicht veröffentlichtes Urteil S. vom 13. Dezember
1991); im besonderen erwog es, die Überprüfung der Reinlichkeit sei nicht
nur aus hygienischen, gesundheitlichen und sozialpraktischen Gründen,
sondern auch aus der allgemeinen Sicht der Menschenwürde unentbehrlich;
unabhängig davon, dass diese Nachkontrolle nur wenig Zeit beanspruche,
handle es sich dabei um eine beachtliche indirekte Dritthilfe bei einer
einzelnen Lebensverrichtung.

    c) Das Eidg. Versicherungsgericht hat somit bei der Beurteilung der
Notdurftverrichtung nicht ausschliesslich auf das in der bundesamtlichen
Wegleitung (vgl. Rz. 8019 WIH in der heute gültigen Fassung) genannte
Element der selbständigen Reinigung abgestellt, sondern dieser
Lebensverrichtung verschiedentlich auch weitergehende Hilfeleistungen
im Sinne einer wesentlichen Teilfunktion zugeordnet. Dennoch hat es
dem Grundsatz nach an dem in ZAK 1982 S. 420 f. Erw. 2 aufgestellten
Prinzip festgehalten, wonach im Zusammenhang mit der Notdurftverrichtung
erforderliche Hilfeleistungen, welche bereits unter einer andern der
relevanten sechs alltäglichen Lebensverrichtungen erfasst werden,
im Rahmen der Notdurftverrichtung nicht als Teilfunktion nochmalige
Berücksichtigung finden können. Diese Rechtsprechung kann zur Folge
haben, dass ein an sich schwer hilfsbedürftiger Altersrentner, der zur
Toilette und zurück geführt und welchem dort beim Hinsetzen und Aufstehen
sowie beim Ordnen der Kleider geholfen werden muss, nur deshalb nicht
als in schwerem Grade hilflos gelten kann, weil er noch einigermassen
in der Lage ist - oder zu sein vorgibt -, die erforderliche Reinigung
selbständig vorzunehmen. In solchen Verhältnissen konnte er bis zum
Inkrafttreten des Bundesbeschlusses über Leistungsverbesserungen in der
AHV und der IV auf den 1. Januar 1993 gar keine Hilflosenentschädigung
und seither lediglich eine solche für mittelschwere Hilflosigkeit
beanspruchen. Der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung ist insofern
beizupflichten, als eine solche Konsequenz mit der menschlichen Würde
nicht zu vereinbaren ist. Dies wird insbesondere deutlich, wenn im
Rahmen der im Administrativverfahren erforderlichen Abklärungen einzig
danach gefragt wird, ob sich der Versicherte noch in einer hygienischen
Anforderungen genügenden Art zu reinigen vermag und ob diesbezüglich
allenfalls regelmässig Nachkontrollen nötig sind (vgl. Erw. 6b). Die
Überprüfung dieser alltäglichen Lebensverrichtung auf diese einzige
Teilfunktion zu beschränken, führt dazu, dass der grundsätzlichen Frage,
ob eine Lebensverrichtung in ihrer Gesamtheit überhaupt noch in einer
üblichen, menschenwürdigen Weise vollzogen werden kann, nicht mehr die
ihr zukommende Bedeutung beigemessen wird. Es verhält sich diesbezüglich
nicht anders als bei der Lebensverrichtung "Essen", bei welcher das
Eidg. Versicherungsgericht Hilflosigkeit in einem Fall bejaht hat,
wo die Versicherte zwar noch allein essen, dabei aber die Speisen nur
mit den Fingern zum Mund führen konnte; ausdrücklich hat das Gericht
festgehalten: "De manière générale, on ne saurait réputer apte à un acte
ordinaire de la vie l'assuré qui ne peut l'accomplir que d'une façon non
conforme aux moeurs usuelles" (BGE 106 V 159 Erw. 2b). Auch im Bereich
der Notdurftverrichtung darf dieser Aspekt nicht vernachlässigt werden.

    Grundsätzlich ist der Vorinstanz deshalb darin beizupflichten, dass
auch die Notdurftverrichtung als einheitlicher, verschiedene Teilfunktionen
umfassender Vorgang zu betrachten ist. Gerade beim dabei unabdingbar
notwendigen Ordnen der Kleider liegt es angesichts des engen zeitlichen
und sachlichen Zusammenhangs nahe, im Sinne einer funktionalen Einheit
von einer direkt dieser Lebensverrichtung zuzuordnenden Betätigung
auszugehen. Zwar trifft es zu, dass sich die dabei geleistete Hilfe
auf das Objekt "Kleid" bezieht und deshalb rein mechanisch und selektiv
betrachtet als Teil der Lebensverrichtung Ankleiden/Auskleiden gesehen
werden kann. Dieses beinhaltet indessen primär lediglich das morgendliche
An- und das abendliche Auskleiden, welche ohne weiteres vorausplanbar
sind. Die sporadisch und mehr oder weniger häufig nötige Hilfe beim
Ordnen der Kleider im Zusammenhang mit der Notdurftverrichtung bedingt
demgegenüber unter Umständen einen unvergleichbar grösseren Einsatz
der Hilfsperson. Diesem wird allein durch die Berücksichtigung bei
der Lebensverrichtung Ankleiden/Auskleiden nicht hinreichend Beachtung
geschenkt.

    d) Die bisherige Rechtsprechung trug diesen Verhältnissen nicht
genügend Rechnung, weshalb daran nicht mehr festgehalten werden
kann. Das Ordnen der Kleider im Zusammenhang mit der Notdurftverrichtung
ist in Abweichung von der früheren Praxis als Teilfunktion dieser
Lebensverrichtung zu qualifizieren. Ob und inwieweit dies auch für die
Begleitung zur Toilette und die dortige Hilfe beim Absitzen und Aufstehen
gelten kann, braucht an dieser Stelle nicht geprüft zu werden.

Erwägung 7

    7.- Aufgrund der Eingaben des Beschwerdegegners ist davon auszugehen,
dass er im Rahmen der Notdurftverrichtung für das Ordnen seiner
Kleidung auf Hilfe angewiesen ist. Nach dem Gesagten muss er somit
auch in dieser Lebensverrichtung als in relevantem Mass hilfsbedürftig
gelten. Offenbleiben kann unter diesen Umständen die Rechtfertigung der
vorinstanzlichen Argumentation, wonach schon die Schwäche der Finger des
Beschwerdegegners, welche es ihm verunmögliche, die Nahrung zu zerkleinern,
darauf schliessen lasse, dass die Reinigung bei der Notdurftverrichtung
entgegen seinen eigenen Angaben nicht mehr in genügender Weise
gewährleistet sei. Da der Versicherte in allen sechs massgebenden
Lebensverrichtungen als hilflos zu betrachten ist und gemäss den von
keiner Seite bestrittenen Ausführungen in der Anmeldung zum Leistungsbezug
auch die kumulative Voraussetzung der dauernden Pflege und persönlichen
Überwachung erfüllt ist, liegt schwere Hilflosigkeit vor. Die Vorinstanz
hat demnach den Anspruch auf eine entsprechende Hilflosenentschädigung
der AHV ab November 1989 im Ergebnis zu Recht bejaht, was zur Abweisung
der vom BSV erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führt.