Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 V 371



121 V 371

54. Auszug aus dem Urteil vom 7. September 1995 i. S. Rhätische
Bahn AG (RhB) gegen Amt für Wirtschaft und Tourismus Graubünden und
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Regeste

    Art. 31 Abs. 1 lit. b und d, Art. 32 Abs. 1 lit. a, Art. 33 Abs. 1
lit. b AVIG, Art. 51 Abs. 2 AVIV: Kurzarbeitsentschädigung für Arbeitnehmer
öffentlichrechtlicher Institutionen. Die Verkürzung der Arbeitszeit
in der Hauptwerkstätte eines Verkehrs- und Transportunternehmens als
Folge der Subventionskürzung des Bundes begründet keinen Anspruch auf
Kurzarbeitsentschädigung.

Sachverhalt

    A.- Die Rhätische Bahn AG (RhB) erneuerte am 10. Dezember 1993 ihr
zuvor zurückgezogenes (mit Subventionskürzungen begründetes) Gesuch vom
27. August 1993 um Voranmeldung von Kurzarbeit vom 1. Januar bis 31.
Dezember 1994 für die Betriebsabteilung Hauptwerkstätte in Landquart
(138 Arbeitnehmer, 1 Arbeitnehmerin; voraussichtlicher prozentualer
Arbeitsausfall pro Monat 20%) mit folgender Begründung:

    "Durch die anhaltende Rezession sind im laufenden Geschäftsjahr die

    Verkehrsleistungen beachtlich zurückgegangen. Aufgrund der
mittelfristigen

    Wirtschaftsprognosen müssen wir davon ausgehen, dass sich ein spürbares

    Wirtschaftswachstum erst wieder in den Jahren ab 1995 einstellen wird.

    Diese Ausgangslage verlangt, dass der vorbeugende Unterhalt an den

    Bahnanlagen vorübergehend stark (bis 20%) gekürzt werden muss. Diese

    Massnahme trifft die RhB ab Januar 1994. Die dadurch nicht ausführbaren

    Unterhaltsarbeiten müssen in den folgenden Jahren nachgeholt
werden. Die

    Hauptwerkstätte, welche für den Fahrzeugbereich zuständig ist,
wird dadurch
   stark betroffen. Die Überkapazität wird vorübergehend bis zu 20%
   betragen, wenn wir von Entlassungen absehen wollen. Zudem ist zu
   bemerken, dass sich viele Mitarbeiter in der meist langjährigen
   Tätigkeit in unseren

    Werkstätten spezifisches Fachwissen für den Eisenbahnfahrzeugunterhalt
   angeeignet haben. Dies würde bei einer entlassungsbedingten Abwanderung
   in andere Betriebe verloren gehen und müsste bei einer Rekrutierung
   von neuen

    Mitarbeitern zuerst wieder aufgebaut werden. Die dadurch entstehenden

    Mehrkosten wären beachtlich."

    Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) hielt am
30. Dezember 1993 unter Hinweis auf seine Beurteilung vom 1. Oktober 1993
zuhanden der Kantonalen Amtsstelle fest, im Grunde habe sich mit dem neuen
Gesuch materiell nichts geändert: Wären die Bundessubventionen ganz gewährt
worden, könnte der vorübergehende Kapazitätsüberhang finanziert werden. Die
Kurzarbeitsentschädigung könne nicht bewilligt werden, weil der geltend
gemachte Arbeitsausfall auf Subventionskürzungen (strukturelles Defizit)
und nicht auf einen wirtschaftlichen Grund (ungenügende Nachfrage nach
Dienstleistungen) zurückzuführen sei.

    Mit Entscheid vom 13. Januar 1994 erhob das Amt für Wirtschaft und
Tourismus des Kantons Graubünden (KIGA) Einspruch und lehnte das Gesuch
unter Bezugnahme auf die rechtliche Beurteilung des BIGA ab.

    B.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies mit Entscheid
vom 3. Juni 1994 die von der RhB dagegen erhobene Beschwerde ab.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die RhB beantragen,
in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei dem Gesuch vom 27. August
1993 bzw. vom 10. Dezember 1993 um Voranmeldung von Kurzarbeit für die
Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1994 stattzugeben; eventuell sei
die Sache zu neuem Entscheid an das KIGA zurückzuweisen.

    Das KIGA verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das BIGA hat sich nicht
vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Kognition)

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 31 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer, deren normale
Arbeitszeit verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, Anspruch auf
Kurzarbeitsentschädigung, wenn sie für die Versicherung beitragspflichtig
sind oder das Mindestalter für die Beitragspflicht in der AHV noch nicht
erreicht haben (lit. a in der ab 1. Januar 1992 geltenden Fassung),
der Arbeitsausfall anrechenbar ist (lit. b), das Arbeitsverhältnis nicht
gekündigt (lit. c) und der Arbeitsausfall voraussichtlich vorübergehend
ist und erwartet werden darf, dass durch Kurzarbeit ihre Arbeitsplätze
erhalten werden können (lit. d). Ein Arbeitsausfall ist u.a. anrechenbar,
wenn er auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführen und unvermeidbar ist
(Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG). Diese Voraussetzungen müssen kumulativ
erfüllt sein (unveröffentlichte Urteile Gemeinde H. vom 26. Mai 1994 und
S. vom 6. Dezember 1985).

    Ob der Arbeitsausfall voraussichtlich vorübergehend ist und der
Arbeitsplatz durch Kurzarbeit erhalten werden kann, kann im Zeitpunkt
der Voranmeldung in der Regel nur prognostisch anhand von Vermutungen
geprüft werden. Nach der Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass ein
Arbeitsausfall wahrscheinlich vorübergehend sein wird und die Arbeitsplätze
durch die Einführung von Kurzarbeit erhalten werden können, solange
nicht konkrete Anhaltspunkte die gegenteilige Schlussfolgerung zulassen
(BGE 111 V 385 f. Erw. 2b). Dabei sind die Verhältnisse im Zeitpunkt
der angefochtenen Einspruchsverfügung prospektiv zu beurteilen (ARV 1989
Nr. 12 S. 124 Erw. 3a).

    Ein auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführender und darum
grundsätzlich anrechenbarer Arbeitsausfall gilt u.a. dann nicht als
anrechenbar, wenn er durch Umstände verursacht ist, die zum normalen
Betriebsrisiko des Arbeitgebers gehören (Art. 33 Abs. 1 lit. a AVIG),
oder wenn er branchen-, berufs- oder betriebsüblich ist oder durch
saisonale Beschäftigungsschwankungen verursacht wird (Art. 33 Abs. 1
lit. b AVIG). Damit will das Gesetz vor allem regelmässig wiederkehrende
Arbeitsausfälle von der Kurzarbeitsentschädigung ausschliessen (ARV 1986
Nr. 9 S. 41 Erw. 1, 1985 Nr. 17 S. 104 Erw. 1 und S. 107 Erw. 1 sowie
Nr. 18 S. 112 Erw. 3b).

    b) Nach Art. 32 Abs. 3 AVIG regelt der Bundesrat für Härtefälle die
Anrechenbarkeit von Arbeitsausfällen, die auf behördliche Massnahmen oder
auf andere, vom Arbeitgeber nicht zu vertretende Umstände zurückzuführen
sind. Nach Art. 51 Abs. 1 AVIV sind auch Arbeitsausfälle anrechenbar,
die auf behördliche Massnahmen oder andere nicht vom Arbeitgeber zu
vertretende Umstände zurückzuführen sind, wenn der Arbeitgeber sie nicht
durch geeignete, wirtschaftlich tragbare Massnahmen vermeiden oder keinen
Dritten für den Schaden haftbar machen kann. Dabei ist der Arbeitsausfall
insbesondere anrechenbar (Art. 51 Abs. 2 AVIV), wenn er durch Ein-
oder Ausfuhrverbote für Rohstoffe oder Waren (lit. a), Kontingentierung
von Roh- oder Betriebsstoffen einschliesslich Brennstoffen (lit. b),
Transportbeschränkungen oder Sperrung von Zufahrtswegen (lit. c), länger
dauernde Unterbrüche oder erhebliche Einschränkungen der Energieversorgung
(lit. d) oder Elementarschadenereignisse verursacht wird.

    c) Die Einschränkung, dass regelmässig wiederkehrende Arbeitsausfälle
nicht mit Kurzarbeitsentschädigung ausgeglichen werden können, gilt nach
der Rechtsprechung sinngemäss auch dann, wenn die Anrechenbarkeit des
Arbeitsausfalles an sich aufgrund eines unter Art. 32 Abs. 3 AVIG und
Art. 51 AVIV fallenden Sachverhalts zu bejahen ist. Denn der eine wie der
andere Fall steht unter dem Vorbehalt des normalen Betriebsrisikos oder der
Branchen-, Berufs- oder Betriebsüblichkeit. Ist somit ein solcher Grund für
die Verneinung der Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalles gegeben, so ist
es letztlich unerheblich, ob diesem ein Sachverhalt nach Art. 32 Abs. 1
lit. a AVIG oder nach Art. 32 Abs. 3 AVIG in Verbindung mit Art. 51 AVIV
zugrunde liegt (ARV 1987 Nr. 8 S. 81 Erw. 1, 1985 Nr. 18 S. 113 Erw. 4).

Erwägung 3

    3.- a) Der Zweck der Kurzarbeitsentschädigung besteht darin, einerseits
dem Versicherten einen angemessenen Ersatz für Erwerbsausfälle wegen
Kurzarbeit zu garantieren und Ganzarbeitslosigkeit, d.h. Kündigung
und Entlassung, zu verhindern. Der Verhütungsgedanke ist dabei sowohl
von sozialen und wirtschaftlichen Überlegungen getragen als auch davon,
die finanzielle Belastung der Arbeitslosenversicherung, wie sie ihr durch
Ganzarbeitslose entsteht, möglichst gering zu halten. Anderseits dient die
Kurzarbeitsentschädigung der Erhaltung von Arbeitsplätzen im Interesse
sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber, indem die Möglichkeit
der Erhaltung eines "intakten Produktionsapparates" über die Zeit der
Kurzarbeit hinweg geboten wird (BGE 120 V 526 Erw. 3b).

Erwägung 4

    4.- a) In der Betriebsabteilung "Hauptwerkstätte der RhB in
Landquart", welche für den Fahrzeugbereich zuständig ist, werden u.a.
Unterhaltsarbeiten an Eisenbahnwagen durchgeführt. Laut den Gesuchen um
Voranmeldung von Kurzarbeit vom 27. August und 10. Dezember 1993 ist
die RhB von Kürzungen der Beiträge von Bund und Kanton betroffen wie
auch durch den infolge der anhaltenden Rezession bewirkten beachtlichen
Rückgang der Verkehrsleistungen. Diese Ausgangslage verlange, "dass der
vorbeugende Unterhalt an den Bahnanlagen vorübergehend stark (bis 20%)
gekürzt werden muss". Die dadurch nicht ausführbaren Unterhaltsarbeiten
müssten in den folgenden Jahren nachgeholt werden.

    b) Zu prüfen ist zunächst, ob ein anrechenbarer Arbeitsausfall
vorliegt. Darunter wird der Wegfall oder das Fehlen einer
Arbeitsgelegenheit für einen Arbeitnehmer verstanden, zu deren
Wahrnehmung dieser verpflichtet oder berechtigt wäre (GERHARDS, aaO,
N. 3 zu Art. 32-33 AVIG). Der Arbeitsausfall muss einen Verdienstausfall
zur Folge haben (GERHARDS, aaO, N. 7 f. zu Art. 32-33 AVIG). Die
Beschwerdeführerin erklärt in beiden Gesuchen zur Voranmeldung von
Kurzarbeit, aufgrund der angespannten Finanzlage müssten in der
Hauptwerkstätte Unterhaltsarbeiten an Eisenbahnwagen zurückgestellt
und in den kommenden Jahren nachgeholt werden. Der "Arbeitsausfall" ist
somit nach den zutreffenden Ausführungen des KIGA in der Vernehmlassung
an die Vorinstanz nicht durch ein von der Beschwerdeführerin nicht
beeinflussbares Fehlen an Arbeitsgelegenheit verursacht. Vielmehr sind
es auf Budgetgründen beruhende betriebswirtschaftliche Überlegungen,
welche die RhB veranlassen, an und für sich anstehende Unterhaltsarbeiten,
soweit technisch verantwortbar, auf bessere Zeiten zu verschieben. Ein -
unvermeidbarer - Arbeitsausfall im Sinne des Gesetzes liegt nicht vor.

    Daran vermag der Einwand der Beschwerdeführerin in der Replik zur
Vernehmlassung des KIGA an die Vorinstanz nichts zu ändern, der Rückgang
der effektiv erbrachten Transportleistung infolge konjunkturell bedingten
Nachfragerückganges führe automatisch zu weniger Unterhalt. Diese
Behauptung widerspricht der Begründung im Gesuch um Voranmeldung von
Kurzarbeit, wo von "vorbeugendem" Unterhalt insbesondere im Fahrzeugbereich
gesprochen wird. Darauf ist die Beschwerdeführerin zu behaften.

    c) Selbst wenn ein Arbeitsausfall im Sinne des Gesetzes vorläge,
wäre er nicht auf einen wirtschaftlichen, d.h. konjunkturellen
Grund zurückzuführen. Der Wegfall einer Subvention stellt keinen
wirtschaftlichen Grund dar. Arbeitsausfälle trotz vorhandener Arbeit
als Folge von Subventionskürzungen begründen keinen Anspruch auf
Kurzarbeitsentschädigung (nicht publiziertes Urteil vom 29. September
1994 im Falle der Organisation gegen die Folter).

    Daran ändert der Umstand nichts, dass die Sparmassnahmen des Bundes
und die daraus folgenden Subventionskürzungen der öffentlichen Hand
Folge der schlechten Wirtschaftslage sind. Im übrigen war ein allfälliger
rezessionsbedingter Rückgang der Verkehrsleistungen nicht der entscheidende
Grund für die Zurückstellung der Unterhaltsarbeiten im Fahrzeugbereich.

    d) Es liegen auch keine Umstände im Sinne von Art. 51 AVIV vor, die
im Härtefall die Anrechenbarkeit von Arbeitsausfällen zuliessen, welche
auf behördliche Massnahmen zurückzuführen sind und die Beschäftigung
von Arbeitnehmern objektiv verunmöglichen. Eine Ergänzung des - nicht
abschliessenden - Katalogs von Art. 51 Abs. 2 AVIV mit dem Tatbestand
der Subventionskürzungen, welche einen anrechenbaren Arbeitsausfall
verursachen, ist nach dem Gesagten ausgeschlossen, weil kein Arbeitsausfall
im Sinne des Gesetzes vorliegt.

    e) Schliesslich hat die Vorinstanz zu Recht entschieden, dass ein
infolge Subventionskürzungen eingetretener allfälliger Arbeitsausfall
im vorliegenden Fall deswegen nicht anrechenbar wäre, weil er für
Transportunternehmungen zum normalen Betriebsrisiko (Art. 33 Abs. 1 lit. a
AVIG) gehört branchenüblich (Art. 33 Abs. 1 lit. b AVIG) und angesichts
der Finanzlage des Bundes voraussichtlich auch nicht bloss vorübergehender
Natur ist (Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG).