Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 V 195



121 V 195

31. Urteil vom 19. September 1995 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung
gegen G. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 46 IVG: Nachzahlung von Leistungen. Die Nachzahlung von Leistungen
unterliegt, auch wenn die Verwaltung fehlerhaft einem bereits früher
hinreichend substantiierten Leistungsbegehren nicht entsprochen hat,
einer absoluten Verwirkungsfrist von fünf Jahren, welche rückwärts ab dem
Zeitpunkt der Neuanmeldung berechnet wird (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- G., geb. 1955, leidet seit Geburt an multiplen Missbildungen des
Schultergürtels, der Unterarme und der Hände sowie an einem Herzfehler
(Contergan-Syndrom).

    Die Invalidenversicherung hat - nach erster Anmeldung vom 7. Oktober
1960 und weiteren Formularanmeldungen am 17. Oktober 1967 und 10. April
1980 - verschiedene Leistungen gewährt wie medizinische Massnahmen,
Sonderschulung und Hilfsmittel.

    Nach weiterer Anmeldung vom 8. Februar 1990 wurde der Versicherten
ab 1. Februar 1989 eine halbe Invalidenrente zugesprochen (Verfügung
vom 8. Mai 1991). Schliesslich erhielt sie rückwirkend ab 1. Februar
1989 eine Hilflosenentschädigung bei leichter Hilflosigkeit (Verfügung
vom 12. September 1991).

    B.- Beschwerdeweise verlangte G. die Ausrichtung dieser
Hilflosenentschädigung rückwirkend bereits ab 1. März 1973. Mit Entscheid
vom 19. November 1992 hiess das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen die Beschwerde gut und stellte fest, dass die Versicherte
zufolge leichter Hilflosigkeit ab 1. April 1971 bis 23. Februar 1973
Anspruch auf Pflegebeiträge für Minderjährige und ab 1. März 1973 auf
eine Hilflosenentschädigung hat.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und
die Anweisung an die Verwaltung, der Versicherten "fünf Jahre rückwirkend
ab dem Zeitpunkt der für die Geltendmachung des Anspruchs massgebenden
Verfügung (recte: Anmeldung) eine Hilflosenentschädigung leichten Grades
auszurichten". Das Amt erachtet die Anmeldung vom 8. Februar 1990 als
massgebend und spricht sich für einen Anspruchsbeginn am 1. Februar
1985 aus.

    Die Versicherte beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde;
eventualiter sei die Hilflosenentschädigung ab März 1975, subeventualiter
ab Februar 1985 auszurichten.

    Die Ausgleichskasse schliesst auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Im Hinblick auf einen Datum-Verschrieb im kantonalen Urteil, der
dem BSV entgangen ist, wurde dem Amt Gelegenheit zu einer zusätzlichen
Stellungnahme gegeben. Mit Eingabe vom 29. April 1993 hält das BSV an
seiner Auffassung (Hilflosenentschädigung ab 1. Februar 1985) fest.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig ist allein die Frage, ab welchem Zeitpunkt der
Beschwerdegegnerin eine Hilflosenentschädigung zusteht. Nicht umstritten
ist, dass die Beschwerdegegnerin in leichtem Grade hilflos ist.

Erwägung 2

    2.- Im vorinstanzlichen Entscheid wird zutreffend auf die
Rechtsprechung zu Art. 46 IVG verwiesen, wonach sich die im Anschluss an
ein Leistungsgesuch durchzuführenden Abklärungen der Verwaltung nur auf
die vernünftigerweise mit dem vorgetragenen Sachverhalt und allfälligen
bisherigen oder neuen Akten in Zusammenhang stehenden Leistungen
erstrecken. Wird später geltend gemacht, es bestehe noch Anspruch auf
eine andere Versicherungsleistung, so ist nach den gesamten Umständen des
Einzelfalles im Lichte von Treu und Glauben zu prüfen, ob jene frühere
ungenaue Anmeldung auch den zweiten, allenfalls später substantiierten
Anspruch umfasst (BGE 111 V 264 Erw. 3b, 101 V 112, 100 V 117 Erw. 1b,
99 V 46 f.).

    Sodann verweist die Vorinstanz auf die mit BGE 116 V 273 vollzogene
Praxisänderung. In diesem Urteil ist die frühere Rechtsprechung,
wonach eine hinreichend substantiierte, Leistungsansprüche wahrende
Anmeldung nur während fünf Jahren wirkt und demnach eine fünfjährige
Verwirkungsfrist ab dieser Anmeldung zu beachten ist, aufgegeben worden
und wurde entschieden, dass der Anmeldung zum Leistungsbezug formell
eine grundsätzlich unbefristete Wirkung zuzuerkennen ist. Mit diesem die
Militärversicherung betreffenden Urteil wurde eine Praxis geändert, die
seinerzeit zu Art. 46 IVG entwickelt worden war; sie war mit einer kurzen
Bemerkung in BGE 99 V 47 initiiert, in BGE 100 V 118 näher begründet und
in BGE 101 V 112 summarisch bestätigt worden.

    Im Anschluss an BGE 116 V 273 haben mehrere Urteile festgehalten,
dass sich die erwähnte unbefristete Wirkung dann nicht entfalten kann,
wenn die Verwaltung über den Leistungsanspruch mit unangefochten in
Rechtskraft erwachsener Verfügung befunden hat (nicht veröffentlichte
Urteile K. vom 13. Oktober 1992 und M. vom 16. April 1991).

    Des weitern kommt es gemäss BGE 116 V 273 trotz grundsätzlich
unbefristeter Anmeldung und trotz Fehlens einer den fraglichen
Leistungsanspruch betreffenden rechtskräftigen Verfügung zu keiner bis zu
dieser Anmeldung zurückreichenden Nachzahlung, wenn für die Folgezeit ein
ausdrücklicher oder stillschweigender Verzicht auf Leistungen angenommen
werden muss.

Erwägung 3

    3.- a) Die Vorinstanz beruft sich in ihrem Entscheid auf BGE
116 V 273 und erachtet die (Neu-)Anmeldung vom 17. Oktober 1967 als
entscheidend. Zwar sei damals ein Pflegebeitrag nicht in Frage gekommen,
weil die Versicherte ab April 1968 im Rahmen von Sonderschulung in
einem Internat war, Art. 20 IVG (in der Fassung ab 1968) aber bei
Anstaltsaufenthalt zur Durchführung von Eingliederungsmassnahmen einen
Pflegebeitrag ausdrücklich ausschliesst. Jedoch wäre die Verwaltung
aufgrund der Anmeldung vom 17. Oktober 1967 gehalten gewesen, nach
Beendigung der Internatsschulung (März 1971) die Hilfsbedürftigkeit
der Versicherten abzuklären. Dabei wäre sie ohne weiteres zum Ergebnis
gelangt, es habe schon damals leichte Hilflosigkeit bestanden, wie sie
im Abklärungsbericht vom 7. August 1991 umschrieben wird. Die Vorinstanz
bejaht daher einen Leistungsanspruch ab April 1971, und zwar bis Ende
Februar 1973 (Vollendung des 18. Altersjahres) auf Pflegebeiträge und
hernach auf eine Hilflosenentschädigung.

    b) Das BSV bezieht sich ebenfalls auf BGE 116 V 273, geht jedoch
davon aus, dass diese Rechtsprechung hier nicht anwendbar sei. Einerseits
beruft es sich dazu auf das vorne zitierte Urteil M. vom 16. April 1991,
ohne allerdings anzugeben, welche der hier im Laufe der Jahre ergangenen
Verfügungen der Zuerkennung der unbefristeten Wirkung einer früheren
Anmeldung entgegenstehen sollten; anderseits weist es darauf hin, dass die
Versicherte in der Neuanmeldung vom 10. April 1980 Hilfsbedürftigkeit
ausdrücklich verneint hat. Massgeblich sei erst die Anmeldung vom
8. Februar 1990. Weil die fünfjährige Frist in Art. 48 Abs. 1 IVG eine
absolute Verjährungsfrist enthalte, dürfe die Hilflosenentschädigung
nur ab Februar 1985 nachgezahlt werden. Das BSV spricht sich dabei für
eine fünfjährige Nachzahlung aus, obwohl es "der Ansicht (ist), dass der
rechtserhebliche Sachverhalt bereits seit Jahren bekannt war."

    Nachdem das BSV von seinem durch einen Datumfehler der Vorinstanz
hervorgerufenen Irrtum bezüglich einer Anmeldung vom "17. Oktober
1987" (recte: 17. Oktober 1967) Kenntnis genommen hatte, vertrat es
in einer zusätzlichen Stellungnahme die Auffassung, die Anmeldung
vom 17. Oktober 1967 sei deshalb ohne Bedeutung, "weil inzwischen
mehr als 5 Jahre verflossen sind. U.E. ist nämlich in jedem Fall die
absolute Verjährungsfrist von 5 Jahren gemäss Art. 48 Abs. 1 IVG zu
berücksichtigen. Seit 1968 sind mehr als 5 Jahre verstrichen". Es bleibe
somit bei der Massgeblichkeit der Anmeldung vom 8. Februar 1990.

Erwägung 4

    4.- Das BSV bringt die fünfjährige Frist des Art. 48 Abs. 1 IVG in
mehrfacher Hinsicht ins Spiel.

    a) Nach Art. 48 Abs. 1 IVG erlischt der Anspruch auf Nachzahlung mit
dem Ablauf von fünf Jahren seit Ende des Monats, für welchen die Leistung
geschuldet war. Inhaltlich gleich formuliert sind Art. 46 Abs. 1 AHVG sowie
Art. 15 Abs. 2 Satz 2 aMVG (vgl. auch den neuen Art. 14 MVG). Dem Wortlaut
nach handelt es sich dabei um eine Frist, die vom Monat, für welchen die
Leistung geschuldet war, nach vorwärts gerechnet wird und mit diesem Monat
beginnt ("erlischt mit dem Ablauf ... seit Ende des Monats"; vgl. MAURER,
Sozialversicherungsrecht, Bd. II, Bern 1981, S. 250 f.). Dabei macht es
im Ergebnis allerdings keinen Unterschied aus, wenn man vom Ist-Monat aus
zurückrechnet: was weiter als fünf Jahre zurückliegt, ist erloschen. Der
Wortlaut von Art. 48 Abs. 1 IVG sagt aber nichts darüber aus, ob sich der
Beginn der Frist im Laufe der Zeit ständig verschiebt, oder ob er sich -
und in Funktion welcher Handlung - fix bestimmen lässt und dann festgelegt
ist. Die Antwort ergibt sich - durch Umkehrschluss - aus Art. 48 Abs. 2
IVG, wo die Anmeldung als Ausgangspunkt für die Berechnung der Frist
genannt wird mit der Folge, dass die Frist dann konsequenterweise auch
rückwärts berechnet wird. In ständiger Rechtsprechung hat denn auch
das Eidg. Versicherungsgericht festgehalten, dass diese fünfjährige
Frist rückwärts zu berechnen ist, und zwar ausgehend vom Monat der
Anmeldung. Dabei ist es Zweck der fünfjährigen Frist zu vermeiden, dass
rückwirkend Leistungen ohne zeitliche Begrenzung beansprucht werden
können. Mit dieser klaren Absicht ist denn auch im Jahre 1963 Art. 15
Abs. 2 Satz 2 aMVG nach dem Vorbild von Art. 46 Abs. 1 AHVG und Art. 48
Abs. 1 IVG ins aMVG eingefügt worden (BGE 116 V 276 Erw. 2a). Diese
Betrachtungsweise wird vom BSV an sich nicht in Frage gestellt.

    b) Indessen betrachtet das BSV die fünfjährige Frist von Art. 48
Abs. 1 IVG auch als ab Anmeldung nach vorwärts, in die Zukunft gerichtete
absolute Verjährungsfrist; in seiner zusätzlichen Stellungnahme vom
29. April 1993 führt es aus, die Anmeldung vom 17. Oktober 1967 sei
deshalb unbeachtlich, weil "inzwischen" mehr als fünf Jahre verflossen
seien. Diese Auffassung läuft darauf hinaus, einer Anmeldung eine auf
fünf Jahre befristete Wirkung zuzuerkennen. Gerade dies aber wurde in
BGE 116 V 273 in Änderung der Rechtsprechung verneint, was das BSV -
wiewohl es in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde selber auf das zitierte
Urteil hinweist - verkennt.

Erwägung 5

    5.- Die vorliegend zentrale Frage lautet, ob die Fristen des Art. 48
IVG nur mit Bezug auf die für eine Leistung massgebende, substantiierte
Anmeldung anzuwenden sind, oder ob dann, wenn die Verwaltung einen
seinerzeit hinreichend substantiiert geltend gemachten Leistungsanspruch
übersehen hat, im Rahmen eines späteren Gesuchsverfahrens (in welchem
dieser Fehler entdeckt wird) die fünfjährige Frist im Sinne einer absoluten
Verwirkungsfrist (für eine Nachzahlung) ebenfalls zum Tragen kommt.

    a) Das BSV spricht sich für eine absolute Verwirkung aus. Es begründet
seine Auffassung nicht näher, sondern begnügt sich mit dem Hinweis, es
gehe seines Erachtens nicht an, die Hilflosenentschädigung rückwirkend
ab März 1973 und zudem Pflegebeiträge ab April 1971 bis Februar 1973
zuzusprechen, "ohne die fünfjährige Verjährungsfrist in Art. 48 Abs. 1
IVG zu berücksichtigen". Dass das Amt in einem Fall wie dem vorliegenden,
wo erst später entdeckt wird, dass bereits vor Jahren eine bezüglich
der fraglichen Leistung substantiierte Anmeldung eingereicht worden war,
Art. 48 IVG nicht in gleicher Weise wie bei einer erstmaligen Anmeldung
(bei verspäteter Anmeldung erfolgt die Nachzahlung nur für die letzten
zwölf Monate) anwenden will, folgt daraus, dass es sich für die Beachtung
der fünfjährigen Frist ausspricht, obwohl "der rechtserhebliche Sachverhalt
bereits seit Jahren bekannt war".

    b) Die vom BSV aufgeworfene Frage ist an sich in BGE 116 V 273
beantwortet. Das Bundesamt für Militärversicherung hatte sich damals auf
den mit Art. 48 Abs. 1 IVG übereinstimmenden Art. 15 Abs. 2 Satz 2 aMVG
berufen. Das Eidg. Versicherungsgericht erachtete diese Bestimmung jedoch
als nicht anwendbar, weil der Versicherte sich nicht erst im Januar 1986
(= Neuanmeldung) und mithin nicht verspätet angemeldet hatte (BGE 116
V 277 Erw. 2b). Wenn das Eidg. Versicherungsgericht schliesslich im
Hinblick auf die Erstanmeldung von 1968 dem Versicherten eine Leistung
ab Dezember 1976 zusprach (bezogen auf die Neuanmeldung also über rund
neun Jahre zurück), so ging es davon aus, dass Art. 15 Abs. 2 Satz 2
aMVG nicht im Sinne einer absoluten Verwirkungsfrist zu verstehen ist.

    Würde BGE 116 V 273 dahingehend verstanden, dass bei Übersehen eines
früher hinreichend substantiierten Leistungsanspruchs die Nachzahlung
ohne Berücksichtigung irgendeiner absoluten Verwirkungsfrist bis zur
massgebenden seinerzeitigen Anmeldung zurück zu erfolgen hat (also
gegebenenfalls - wie hier - über 20 Jahre zurück), wäre grundsätzlich
dem vorinstanzlichen Entscheid zuzustimmen.

    c) Es stellt sich indessen die Frage, ob mit BGE 116 V 273 wirklich
ein solches Ergebnis beabsichtigt wurde, und namentlich, ob dieses mit
dem Zweck von periodischen Sozialversicherungsleistungen vereinbar wäre.

    Vorauszuschicken ist, dass BGE 116 V 273 die Höhe einer altrechtlichen
ausgekauften Integritätsrente betraf, d.h. die mit einer einmaligen
Kapitalleistung abgegoltene Beeinträchtigung der Integrität. Insofern
betraf jener Fall eine eher atypische Leistung der Sozialversicherung. Denn
in der Hauptsache handelt es sich bei Sozialversicherungsleistungen
um periodische Geldleistungen und damit darum, dass ein aktueller
Unterhaltsbedarf laufend durch Leistungen abgedeckt wird. Dies gilt für
Hilflosenentschädigungen (und Pflegebeiträge) in gleicher Weise wie
für AHV/IV-Renten und Taggelder der Invalidenversicherung. Während
diese den laufenden Existenzbedarf sicherstellen sollen, stellen
Hilflosenentschädigungen (und Pflegebeiträge) ein Entgelt dar für
laufende Betreuungs- und Pflegeaufwendungen. Alle diese Leistungen haben
gewissermassen eine "Umlage"-Funktion und kommen zeitgleich dann zur
Ausrichtung, wenn der entsprechende Bedarf besteht. Dies schliesst die
rückwirkende Zusprechung einer Leistung keineswegs aus, die zum einen
im Hinblick auf die Dauer eines Abklärungsverfahrens durchaus am Platze
ist und zum andern deswegen, weil der Versicherte in der Zwischenzeit
vielleicht Fürsorgeleistungen bezogen hat. Hingegen wird die grundsätzliche
Funktion der Deckung eines laufenden Bedarfs verlassen, wenn Leistungen -
wie hier aufgrund des kantonalen Entscheides und auf der Linie von BGE 116
V 273 - über zwei Jahrzehnte hinweg nachbezahlt werden müssen. Letztlich
hat hier (auch wenn es nur um eine - im Vergleich mit Renten niedrige -
Entschädigung bei leichter Hilflosigkeit geht) die Nachzahlung bloss noch
die Funktion der Äufnung eines mehr oder weniger grossen Vermögens. Dies
ist aber nicht die Aufgabe einer Sozialversicherung. Aus diesem Grunde -
und unabhängig von den Argumenten der Rechtssicherheit und der mit längerem
Zeitablauf zunehmenden Schwierigkeiten der Sachverhaltsabklärung, wie sie
in BGE 100 V 118 Erw. 1c angeführt, in BGE 116 V 279 Erw. 3d aber verworfen
wurden - drängt sich eine absolute zeitliche Befristung von Nachzahlungen
auf. Die Auffassung des BSV, dass in Fällen wie dem vorliegenden bei
der Nachzahlung eine absolute Verwirkungsfrist zu beachten sei, ist
somit zutreffend.

    d) In BGE 116 V 273 wurde - nebst der dargelegten Funktion von
periodischen Leistungen - der Umstand zu wenig beachtet, dass der
materiellrechtliche Grundanspruch aufgrund einer unbefristet wirkenden
Anmeldung eine Sache ist, die Frage der Befristung der Nachzahlung einer
in der Folge zugesprochenen Leistung aber eine andere. Wenn in BGE 116 V
273 damit argumentiert wird, Art. 15 Abs. 2 aMVG sei nicht anwendbar,
weil sich der Versicherte schon früher angemeldet hat, so dürfte dabei
übersehen worden sein, dass Art. 15 Abs. 2 Satz 1 aMVG den auf fünf
Jahre beschränkten Anspruch auf Nachzahlung nicht nur auf den Fall der
Nicht-Geltendmachung beschränkt. Vielmehr bezieht er sich auch auf den
Fall, wo der Versicherte "eine ihm zustehende Geldleistung nicht bezogen
hat", was im Kontext so zu verstehen ist, dass der Versicherte sich zwar
seinerzeit angemeldet, die entsprechenden Leistungen aus irgendwelchen
Gründen aber nicht ausbezahlt erhalten hat.

    Für eine absolute Verwirkungsfrist spricht sodann auch die von MAURER
zu Art. 48 Abs. 1 IVG vertretene Auffassung (aaO, S. 250 f.). Danach
ist die fünfjährige Frist des Abs. 1 nur massgebend, wenn der Versicherte
die Anmeldung innerhalb von zwölf Monaten nach Entstehung des Anspruchs
eingereicht hat. Dies folge durch Umkehrschluss aus Abs. 2, indem dort
bei verspäteter Anmeldung ein Anspruch grundsätzlich nur für die letzten
zwölf Monate statuiert werde. Wenn nun aber Abs. 1 einerseits den Fall der
rechtzeitigen Anmeldung betrifft, anderseits jedoch jede Leistung ohnehin
bloss ab dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs in Frage kommen kann,
so folgt daraus, dass die fünfjährige Frist dann zum Tragen kommt, "wenn
... die Invalidenversicherung eine Leistung nicht entrichtet, obwohl diese
innert der erwähnten zwölf Monate seit Entstehung des Anspruchs geltend
gemacht worden ist". So Maurer, der im übrigen folgende möglichen Gründe
für ein derartiges Verhalten der Invalidenversicherung anführt (aaO,
Anm. 548): Die Verwaltung erlässt gar keine Verfügung; sie verweigert
verfügungsweise eine Leistung; sie befasst sich in einer allfälligen
Verfügung nicht mit der verlangten Leistung. Nach Maurer bezieht sich
Art. 48 Abs. 1 IVG demnach auf all jene Fälle, wo die Verwaltung - trotz
rechtzeitiger Anmeldung und aus welchen Gründen auch immer - die in Frage
kommende Leistung nicht zugesprochen hat: Der Anspruch auf jede Leistung
erlischt für einen Zeitpunkt, der weiter als fünf Jahre (ab einer späteren
Anmeldung) zurückliegt.

    Demnach ist die mit BGE 116 V 273 begründete Rechtsprechung insofern
zu ändern, als dann, wenn die Verwaltung einen hinreichend substantiiert
geltend gemachten Leistungsanspruch übersehen hat, die spätere Nachzahlung
von Leistungen einer absoluten Verwirkungsfrist von 5 Jahren, rückwärts
gerechnet ab dem Zeitpunkt der Neuanmeldung, unterliegt.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 19. November 1992 und
die Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen vom 12. September
1991 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass der Beschwerdegegnerin
ab 1. Februar 1985 eine Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit leichten
Grades zusteht.