Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 V 186



121 V 186

29. Auszug aus dem Urteil vom 23. Mai 1995 i.S. G. gegen Ausgleichskasse
PANVICA und AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau Regeste

    Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b, Art. 17 Abs. 1 IVG, Art. 6 Abs. 2
IVV. Eine erstmalige berufliche Ausbildung gilt auch dann als im Sinne
von Art. 6 Abs. 2 IVV abgebrochen, wenn der Versicherte sie nach Eintritt
des Versicherungsfalles zwar noch abschliesst, eine Betätigung auf dem
erlernten Beruf jedoch invaliditätsbedingt als ungeeignet und auf die
Dauer nicht zumutbar erscheint; für die Annahme einer vor Eintritt des
Versicherungsfalles ausgeübten ökonomisch bedeutsamen und damit einen
Umschulungsanspruch verschaffenden Erwerbstätigkeit müssen deshalb
auch in solchen Fällen die in dieser Bestimmung vorgesehenen strengeren
Voraussetzungen erfüllt sein.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Unter Bezugnahme auf  BGE 118 V 7 macht der Beschwerdeführer
geltend, er habe im dritten Lehrjahr seiner Ausbildung zum
Forstwart monatlich Fr. 990.-- verdient und damit vor Eintritt des
Versicherungsfalles am 9. Dezember 1990 während mehr als sechs Monaten
ein Einkommen erzielt, das drei Viertel der minimalen vollen einfachen
ordentlichen Invalidenrente übersteigt. Dies wird durch die im April
1993 erstellte Arbeitgeberbescheinigung des früheren Lehrmeisters
bestätigt. Es trifft somit zu, dass der Beschwerdeführer vor Eintritt
der Invalidität ein im Sinne der Rechtsprechung ökonomisch bedeutsames
Erwerbseinkommen realisierte. Daraus allein kann er jedoch noch nichts zu
seinen Gunsten ableiten. BGE 118 V 7 beschlägt einzig die Frage, ob und
inwiefern ein Umschulungsanspruch trotz Fehlens eines vor Eintritt des
Versicherungsfalles erzielten ökonomisch relevanten Erwerbseinkommens
bejaht werden kann, was nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung
noch möglich war, sofern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststand,
dass der Versicherte die abgebrochene erstmalige berufliche Ausbildung
ohne Gesundheitsschaden abgeschlossen hätte und bereits im Erwerbsleben
stünde. Im Hinblick auf die auf den 1. Juli 1987 in Kraft getretenen neuen
Bestimmungen über den Taggeldanspruch, insbesondere Art. 21bis Abs. 3 IVV,
sah sich das Eidg. Versicherungsgericht veranlasst, von seiner früheren
Rechtsprechung abzuweichen und die Anerkennung eines Umschulungsanspruches
bei Fehlen eines ökonomisch bedeutsamen Erwerbseinkommens auch in
solchen Fällen abzulehnen. Daraus kann indessen nicht geschlossen
werden, dass die Erzielung eines im Sinne der Rechtsprechung ökonomisch
relevanten Einkommens vor Eintritt der Invalidität in jedem Fall einen
Umschulungsanspruch begründet. Nicht ausser acht gelassen werden darf
nämlich die Regelung in Art. 6 Abs. 2 IVV, welche in BGE 118 V 7 denn
auch ausdrücklich vorbehalten wurde (vgl. BGE 118 V 12 Erw. 1b und
14 Erw. 1c/cc in fine). Musste eine erstmalige berufliche Ausbildung
wegen Invalidität abgebrochen werden, ist gemäss der seit 1. Juli 1987
gültigen Fassung von Art. 6 Abs. 2 IVV eine neue berufliche Ausbildung
der Umschulung nur gleichgestellt, wenn das während der abgebrochenen
Ausbildung zuletzt erzielte Erwerbseinkommen höher war als das nach
Art. 24 Abs. 2bis IVG zulässige Höchsttaggeld für Alleinstehende mit
den vollen Zuschlägen nach den Art. 24bis und 25 IVG. Art. 6 Abs. 2 IVV
stellt somit für Versicherte, die bei Eintritt der Invalidität in einer
erstmaligen beruflichen Ausbildung standen und diese invaliditätsbedingt
aufgeben mussten, höhere Anforderungen an die Anerkennung einer vor
dem Versicherungsfall ausgeübten und damit Anspruch auf eine Umschulung
verschaffenden Erwerbstätigkeit, indem Einkünfte realisiert worden sein
müssen, welche über dem sonst als Abgrenzungskriterium dienenden ökonomisch
bedeutsamen Erwerbseinkommen liegen.

    b) Nachdem der Beschwerdeführer vor Abschluss seiner Ausbildung
zum Forstwart verunfallte und dieser Beruf deswegen für die Zukunft
nicht mehr als geeignete und zumutbare Betätigung in Frage kam, muss
vorliegend Art. 6 Abs. 2 IVV zur Anwendung gelangen, welcher bezüglich der
ökonomischen Beachtlichkeit des für den Umschulungsanspruch vorausgesetzten
früheren Erwerbseinkommens eine verschärfte Regelung enthält. Daran ändert
nichts, dass der Beschwerdeführer seine Forstwartlehre nach dem Unfall
noch abschliessen konnte und zunächst auch kurze Zeit auf diesem Beruf
arbeitete. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt des Versicherungsfalles
noch kein Lehrabschluss vorlag und die gesundheitliche Beeinträchtigung
die Ausübung dieses Berufs in der Folge als ungeeignet und auf die Dauer
unzumutbar erscheinen liess. Weil auf die Verhältnisse bei Eintritt
des für die Eingliederungsmassnahme spezifischen Versicherungsfalles
abzustellen ist, gestaltet sich die Rechtslage gleich wie bei einem
invaliditätsbedingten Abbruch der erstmaligen beruflichen Ausbildung im
Sinne von Art. 6 Abs. 2 IVV.

    c) Versicherte in der erstmaligen beruflichen Ausbildung laut Art. 24
Abs. 2bis und 3 IVG in Verbindung mit Art. 21bis Abs. 3 IVV erhalten
höchstens den Mindestbetrag der Entschädigungen gemäss Art. 9 Abs. 1
und 2 EOG mit den vollen Zuschlägen nach Art. 24bis und 25 IVG. Nur
wenn das in der Forstwartlehre vor Eintritt des Versicherungsfalles
zuletzt erzielte Einkommen diesen Höchstbetrag übersteigt, kann die neu
angetretene Lehre als Weinküfer aufgrund von Art. 6 Abs. 2 IVV als der
Umschulung gleichgestellte berufliche Massnahme gelten.

    Als Lediger hätte dem Beschwerdeführer nach Art. 9 Abs. 2 EOG im
Jahre 1990 eine Mindestentschädigung von Fr. 24.-- pro Tag zugestanden
(Art. 9 Abs. 2 EOG und Art. 1 und 2 der Verordnung 84 vom 6. Juli 1983
über die Anpassung der Erwerbsersatzordnung an die Lohnentwicklung [V 84;
SR 834.12] in Verbindung mit dem auf den 1. Januar 1988 in Kraft getretenen
Art. 16a EOG und der sich daraus ergebenden Anpassung von Art. 2 der V
84 [15% der Gesamtentschädigung von neu Fr. 155.-- ergibt aufgerundet
Fr. 24.--]). Zu diesem Ansatz wären der Alleinstehendenzuschlag nach
Art. 24bis IVG von Fr. 10.-- pro Tag (Art. 22ter IVV in der 1990 gültig
gewesenen Fassung) sowie der Eingliederungszuschlag nach Art. 25 IVG von
maximal Fr. 22.- pro Tag (Art. 22bis Abs. 1 IVV in Verbindung mit Art. 11
Abs. 1 AHVV, je in der 1990 gültig gewesenen Fassung; vgl. auch Anhang I
zu dem vom BSV herausgegebenen Kreisschreiben über das Taggeld [KSTG])
hinzugetreten. Das somit resultierende Mindesttaggeld von Fr. 56.--
hätte der Beschwerdeführer an jedem Tag der Eingliederung beanspruchen
können, bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen somit auch an
den in die Eingliederungszeit fallenden Sonn- und Feiertagen (Rz. 1022
KSTG). Der minimale Taggeldanspruch hätte sich somit nach den im Jahre 1990
massgebenden Ansätzen auf knapp Fr. 1'700.-- monatlich belaufen. Diesen
Betrag hat der Beschwerdeführer mit seinem Lehrlingslohn vor Eintritt
des Versicherungsfalles indessen bei weitem nicht erreicht, womit eine
Qualifikation der Weinküferlehre als Umschulung aufgrund von Art. 6 Abs. 2
IVV ausser Betracht fällt. Ob diese als erstmalige berufliche Ausbildung
nach Art. 16 Abs. 1 IVG oder als einer solchen gleichgestellte berufliche
Neuausbildung nach Art. 16 Abs. 2 lit. b IVG zu betrachten ist, braucht
nicht abschliessend geklärt zu werden, da der Beschwerdeführer im einen
wie im andern Falle lediglich ein kleines Taggeld beanspruchen kann
(vgl. BGE 118 V 15 Erw. 2c).