Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 V 17



121 V 17

5. Auszug aus dem Urteil vom 6. März 1995 i.S. R. gegen Ausgleichskasse
des Kantons Bern und Verwaltungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 3 Abs. 6 ELG, Art. 22 Abs. 4 ELV.

    - Nachzahlung von Ergänzungsleistungen an die Fürsorgebehörde.

    - Sinn und Zweck des in den drei Amtssprachen nicht übereinstimmend
formulierten Art. 22 Abs. 4 ELV.

    - Auslegung des Begriffs "Zeitspanne" gemäss dem deutschen
bzw. italienischen Gesetzestext.

Sachverhalt

    A.- Die 1949 geborene, geschiedene R. bezieht gemäss einer
Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Bern vom 23. Juli 1992 seit 1.
September 1990 eine ganze einfache Invalidenrente. Diese wurde aufgrund
eines entsprechenden Gesuchs der Versicherten vom 15. April 1992 zwecks
Rückerstattung vorgeschossener Fürsorgeleistungen an die Fürsorgedirektion
der Stadt X ausbezahlt. Im Januar 1993 ersuchte die Fürsorgebehörde,
welche die Versicherte seit Jahren finanziell unterstützt, um Ausrichtung
von Ergänzungsleistungen. Mit Verfügungen vom 4. Juni 1993 sprach die
Ausgleichskasse des Kantons Bern der Versicherten solche ab 1. September
1990 zu. Die Nachzahlungen in der Höhe von Fr. 27'124.-- richtete sie
ebenfalls der Fürsorgebehörde aus.

    B.- R. erhob gegen diese Verfügungen Beschwerde mit dem Antrag, die
Auszahlung der Ergänzungsleistungen habe an sie selbst zu erfolgen. Mit
Entscheid vom 25. Februar 1994 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Bern die Beschwerde in dem Sinne teilweise gut, dass es die Ausgleichskasse
anwies, der Versicherten einen Betrag von Fr. 532.-- (Nachzahlung von
Ergänzungsleistungen für 1990) direkt auszurichten.

    C.- R. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen
Begehren, sämtliche Auszahlungen von Ergänzungsleistungen seien direkt
auf ihr Konto zu überweisen.

    Die Ausgleichskasse erklärt sich mit dem angefochtenen Entscheid
grundsätzlich einverstanden. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV)
kommt zum Schluss, dass das kantonale Gericht die Beschwerde hätte abweisen
müssen, enthält sich jedoch eines Antrages.

    Auf die Begründungen wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden
Erwägungen eingegangen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- ...

    Streitig und zu prüfen ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang
die Nachzahlung der Ergänzungsleistungen an die Fürsorgebehörde zu Recht
erfolgt ist.

Erwägung 2

    2.- Der Streit um die Drittauszahlung einer Invalidenrente
nach Art. 50 IVG und Art. 84 IVV in Verbindung mit Art. 45 AHVG und
Art. 76 AHVV betrifft nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen (BGE 118 V 90 Erw. 1a). Dasselbe gilt sinngemäss
bei der Ausrichtung von Ergänzungsleistungen an Dritte. Bei Streitigkeiten
über den Auszahlungsmodus hat das Eidg. Versicherungsgericht deshalb
nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob
der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig
oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt
worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG). Da keine Abgabestreitigkeit vorliegt, darf es weder
zugunsten noch zuungunsten der Parteien über deren Begehren hinausgehen
(Art. 114 Abs. 1 OG). Zudem ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134
OG e contrario; Art. 135 in Verbindung mit Art. 156 OG).

Erwägung 3

    3.- a) Nach Art. 3 Abs. 6 ELG regelt der Bundesrat u.a. die Nachzahlung
von Ergänzungsleistungen. Gestützt auf diese Kompetenz hat er am 12. Juni
1989 in Art. 22 ELV folgenden Absatz 4 angefügt, welcher am 1. Januar
1990 in Kraft trat:

    "Hat eine private oder eine öffentliche Fürsorgestelle einer Person im

    Hinblick auf Ergänzungsleistungen Vorschussleistungen für den

    Lebensunterhalt während einer Zeitspanne gewährt, für die rückwirkend

    Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden, so kann ihr bei der
Nachzahlung
   dieser Vorschuss direkt vergütet werden."

    "Lorsqu'une autorité d'assistance, publique ou privée, a consenti des
   avances à un assuré en attendant qu'il soit statué sur ses droits
   aux prestations complémentaires, l'autorité en question peut être
   directement remboursée au moment du versement des prestations
   complémentaires acccordées rétroactivement."

    "Se, in attesa dell'assegnazione di prestazioni complementari, un ente
   assistenziale pubblico o privato ha concesso a una persona anticipi
   destinati al suo sostentamento durante un periodo per il quale sono
   versate retroattivamente prestazioni complementari, l'anticipo può
   essere rimborsato direttamente all'ente in questione al momento del
   pagamento posticipato."

    b) Die Vorinstanz hat in grundsätzlicher Hinsicht erwogen, Art. 22
Abs. 4 ELV bezwecke, das Gemeinwesen davor zu bewahren, für den gleichen
Zeitpunkt doppelte Unterstützungsleistungen (zuerst als Direktzahler, dann
als Finanzierungsträger der Ergänzungsleistungen) an denselben Versicherten
zu erbringen (vgl. ZAK 1989 S. 432); denn es komme immer wieder vor,
dass eine versicherte Person vor der Zusprechung von Ergänzungsleistungen
von einer öffentlichen oder gemeinnützigen Stelle unterstützt werden
müsse. Mit dem Erlass der erwähnten Bestimmung habe sich der Bundesrat von
der Praxis und Gesetzgebung im Bereich der Drittauszahlungsvoraussetzungen
bei der AHV/IV leiten lassen. Bei den Ergänzungsleistungen sei ausdrücklich
vorgesehen, dass Nachzahlungen an Vorschuss leistende Gemeinwesen vergütet
werden könnten. Das BSV habe in den Rz. 7031 f. der Wegleitung über die
Ergänzungsleistungen (WEL) festgehalten, dass als Vorschussleistungen
im Sinne von Art. 22 Abs. 4 ELV Leistungen zu verstehen seien, die im
Hinblick auf Ergänzungsleistungen, d.h. zur Deckung des Lebensunterhaltes,
gewährt würden.

    Die Vorinstanz führt sodann aus, gemäss Rz. 7031 WEL könnten die
von einer Fürsorgestelle erbrachten Vorschussleistungen bis zum Betrag
der für die gleiche Zeitspanne nachzuzahlenden Ergänzungsleistungen
dieser direkt vergütet werden. Das Eidg. Versicherungsgericht habe in
seinem Urteil vom 17. Dezember 1991 in Sachen H. diese Voraussetzungen
bestätigt. Nachzahlungen von Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen
seien demnach Ersatzeinkommen, das die versicherte Person zwischen
dem Zeitpunkt des Anspruchsbeginns und demjenigen der verfügungsweisen
Anerkennung des Anspruchs noch nicht erhalten habe. Damit diese Leistungen
direkt von der Ausgleichskasse zurückerstattet werden könnten, müssten
die Vorschüsse, die Dritte im Sinne einer Art "Stellvertretung" für
den Sozialversicherungsträger geleistet hätten, dieselbe Zeitspanne
betreffen. Habe also die bevorschussende Stelle während eines gewissen
Zeitraumes keine Vorschüsse geleistet, dürfe die Nachzahlung von Renten
und Ergänzungsleistungen für diesen Zeitraum nicht an sie gehen, sondern
müsse direkt an die versicherte Person erfolgen. Im selben Sinn laute
auch Rz. 1299 der Wegleitung des BSV über die Renten (RWL).

    Es stelle sich noch die Frage, was unter der "gleichen Zeitspanne"
zu verstehen sei. Möglich erscheine entweder ein Monat, entsprechend
der monatlichen Auszahlung der Ergänzungsleistungen, oder ein Jahr,
entsprechend der jahresweisen Festsetzung derselben. Beide Abrechnungsarten
liessen sich begründen; aus Praktikabilitätsüberlegungen sei der
jahresweisen Abrechnung der Vorzug zu geben. Hier spielten Zufälligkeiten
eine kleinere Rolle als bei der monatlichen Abrechnung, bei welcher kaum
mehr auf die Buchhaltung der bevorschussenden Stelle zurückgegriffen
werden könnte. Normalerweise würden Ein- und Ausgänge chronologisch
gebucht. Treffe beispielsweise die Rückerstattung einer Krankenkasse ein,
handle es sich vielleicht um eine Arztrechnung, die einige Monate früher
habe bezahlt werden müssen, oder um eine über mehrere Monate gehende
Behandlung. Bei der monatlichen Abrechnung müssten solche Tatsachen
berücksichtigt werden. Zwar gelte dies auch für die Jahresabrechnung; doch
würden ein bestimmtes Jahr betreffende Vorgänge normalerweise im selben
Jahr verbucht, während es bei den monatlichen Buchungen viel häufiger zu
Überschneidungen komme. Hiezu verweist die Vorinstanz auf einen Entscheid
ihrer französischsprachigen Abteilung vom 21. April 1992 in Sachen T.

    Demnach ging das kantonale Gericht von folgenden Zeitspannen aus: 1.
September 1990 (Beginn des Anspruchs auf eine Invalidenrente und auf
Ergänzungsleistungen) bis 31. Dezember 1990; 1. Januar bis 31. Dezember
1991; 1. Januar bis 31. Dezember 1992; 1. Januar bis 30. Juni 1993 (Ende
der Nachzahlung von Ergänzungsleistungen). Die Beschwerdeführerin habe in
diesen Zeiträumen folgende Fürsorgeleistungen (Unterstützungen abzüglich
Rückerstattungen der Krankenkasse) bezogen: Zeitraum Fürsorge-
IV-Renten Ergänzungs- Saldo
                 leistungen                   leistungen
1.9.90-31.12.90 Fr. 1'149.35 Fr. 3'776.-- Fr. 532.-- + Fr. 3'158.65
1.1.91-31.12.91 Fr. 23'233.40 Fr. 12'036.-- Fr. 10'648.-- - Fr.
549.40 1.1.92-31.12.92 Fr. 38'520.75 Fr. 7'436.--
                                 Fr.  5'310.--*
                                --------------
                                 Fr. 12'746.--  Fr. 12'419.--  -
                                 Fr. 13'355.75
1.1.93-30.6.93 Fr. 12'541.20 Fr. 6'960.--* Fr. 3'525.-- - Fr.
2'056.20
   * = nicht mehr Rentennachzahlungen, sondern laufende Rentenbetreffnisse,
die gemäss den Akten der Fürsorgebehörde und nicht der Versicherten direkt
ausbezahlt werden.

    Gemäss dieser Zusammenstellung hätten lediglich die Nachzahlungen
der Ergänzungsleistungen für das Jahr 1990 der Beschwerdeführerin direkt
ausbezahlt werden müssen, weil die Fürsorgebehörde durch die Nachzahlung
der Invalidenrenten bereits mehr zurückerhalten als sie seit dem Beginn des
Anspruchs auf Ergänzungsleistungen bis Ende Jahr vorgeschossen habe. 1991,
1992 und in den hier zur Diskussion stehenden ersten sechs Monaten von 1993
hingegen hätten die Vorschussleistungen der Fürsorge jedes Jahr das Total
der Nachzahlungen an Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen überstiegen;
dabei würden in bezug auf die Invalidenrente ab August 1992 nicht mehr
Nachzahlungen, sondern die laufenden Rentenbetreffnisse, gestützt auf
ein entsprechendes Drittauszahlungsgesuch an die Fürsorgebehörde, in
die Berechnung einbezogen. Die Beschwerdeführerin könne hier keinen
Anspruch auf Direktauszahlung geltend machen. Auch die laufenden
Ergänzungsleistungen würden an die Fürsorgebehörde und nicht an die
Versicherte überwiesen. Dies entspreche nicht dem Wortlaut von Art. 22
Abs. 4 ELV, welcher ausdrücklich nur Nachzahlungen erwähne. Ob solche
Drittauszahlungen zulässig seien, könne jedoch nicht geprüft werden,
da die angefochtenen Verfügungen lediglich die Zeitspanne zwischen dem
1. September 1990 und dem 30. Juni 1993 abdeckten.

    c) Das BSV wendet gegen diese Argumentation ein, die Versicherte
habe vom 1. September 1990 bis 30. Juni 1993 vom Fürsorgeamt der
Stadt X Vorschussleistungen in der Höhe von Fr. 75'444.70 bezogen. Die
Fürsorgebehörde habe an IV-Nachzahlungen und laufenden Rentenbetreffnissen
Fr. 35'518.-- erhalten. Es blieben Fr. 39'926.70 ungedeckt. Die
Nachzahlung von Ergänzungsleistungen machten für den genannten Zeitraum
Fr. 27'124.-- aus. Diese Summe reiche nicht aus, um die geleisteten
Vorschüsse vollumfänglich zu decken. Das kantonale Gericht habe nun nicht
die Periode vom 1. September 1990 bis 30. Juni 1993 als Ganzes betrachtet,
sondern diese Zeitspanne in einzelne Jahre aufgeteilt und die Nachzahlungen
der Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen für diese Zeiträume mit den
Vorschüssen, die im jeweiligen Jahr geleistet wurden, verglichen. Im
Jahr 1991 seien die Fürsorgeleistungen um Fr. 549.40 geringer gewesen
als die nachbezahlten Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen zusammen,
so dass die Ergänzungsleistungen in derselben Höhe der Versicherten
auszurichten gewesen seien (recte: 1990 überstiegen die Invalidenrenten
allein die im selben Jahr erbrachten Fürsorgeleistungen, so dass die
Ergänzungsleistungen von Fr. 532.-- der Beschwerdeführerin auszurichten
waren). In diesem Sinne sei die Beschwerde teilweise gutgeheissen worden.

    Dieser Betrachtungsweise des kantonalen Gerichtes könne nicht gefolgt
werden. In Art. 22 Abs. 4 ELV werde von der Zeitspanne gesprochen, für die
rückwirkend Ergänzungsleistungen ausgerichtet würden. Eine Aufteilung auf
einzelne Kalenderjahre sei wie bei den Renten nicht vorgesehen. Rz. 1299
der Rentenwegleitung bestimme, dass die erbrachten Vorschussleistungen
bis zum Betrag der für die gleiche Periode nachzuzahlenden Renten
direkt zurückerstattet werden könnten. Dabei werde auch die ganze
Dauer in Betracht gezogen, und nicht nach einzelnen Kalenderjahren
aufgeteilt. Das Erfordernis der gleichen Zeitspanne sei nötig, damit
nicht etwa Fürsorgeleistungen für einen Zeitraum, für den gar keine
Ergänzungsleistungen ausgerichtet würden, mit der Nachzahlung verrechnet
werden könnten.

    Aus diesen Erwägungen ergebe sich, dass das kantonale Gericht die
Beschwerde der Versicherten hätte abweisen müssen. Da dies zu einer
reformatio in peius führe, enthält sich das BSV eines Antrages zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    d) Im nicht publizierten Urteil H. vom 17. Dezember 1991 hat das Eidg.
Versicherungsgericht in einem Drittauszahlungsstreit, bei dem es in erster
Linie um Invalidenrenten ging, nach Darstellung der gesetzlichen Regelung
über die Nichtabtretbarkeit von Renten (Art. 50 Abs. 1 AHVG/Art. 50 IVG)
ausgeführt, dass Art. 45 AHVG über die Gewährleistung zweckmässiger
Verwendung von Renten und Hilflosenentschädigungen vorbehalten bleibe
(Art. 76 AHVV/Art. 84 IVV). Überdies habe das Eidg. Versicherungsgericht
die Verwaltungspraxis wiederholt unbeanstandet gelassen, wonach die
Drittauszahlung unter bestimmten Voraussetzungen auch dann zugelassen
sei, wenn die Bedingungen des Art. 76 AHVV über die Gewährleistung
zweckmässiger Rentenverwendung nicht erfüllt seien, obschon grundsätzlich
jede Abtretung einer Invalidenrente aufgrund von Art. 50 IVG in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 1 AHVG nichtig sei. So könnten Rentennachzahlungen
auf Gesuch hin privaten oder öffentlichen Fürsorgestellen ausbezahlt
werden, welche entsprechende Vorschussleistungen erbracht hätten.
Solche Drittauszahlungen setzten nach der Verwaltungspraxis jedoch voraus,
dass die Vorschussleistungen tatsächlich erbracht worden seien und dass der
Leistungsberechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter der Drittauszahlung
schriftlich zugestimmt habe (BGE 110 V 13 Erw. 1; ZAK 1990 S. 254; Rz. 1299
RWL). Was die Ergänzungsleistungen anbelange, erkläre Art. 12 ELG die
Leistungen im Sinne dieses Gesetzes ebenfalls als unabtretbar. Die ELV
sehe jedoch seit 1. Januar 1990 im Falle der rückwirkenden Ausrichtung
von Ergänzungsleistungen die direkte Vergütung solcher Nachzahlungen an
private oder öffentliche Fürsorgestellen vor, die einer Person im Hinblick
auf Ergänzungsleistungen Vorschussleistungen für den Lebensunterhalt
gewährt haben. Diese Bestimmung, die sich auf Art. 3 Abs. 6 ELG stütze
und sich unmittelbar an die erwähnte Drittauszahlungspraxis in der AHV und
IV anlehne, widerspreche dem ELG grundsätzlich nicht. Die Frage, ob das
- verordnungsmässig nicht verlangte - Erfordernis einer schriftlichen
Zustimmung des Anspruchsberechtigten auch bei Ergänzungsleistungen
erfüllt sein müsse, wurde offengelassen, weil im konkreten Fall ein
solches Einverständnis vorlag. Im nicht publizierten Urteil A. vom 14.
Dezember 1987 hat das Eidg. Versicherungsgericht vor der Novellierung von
Art. 22 Abs. 4 ELV im Falle einer auf die AHV-Vorschriften verweisenden
kantonalen Ordnung über die Nachzahlung von Ergänzungsleistungen eine
schriftliche Einwilligung des Anspruchsberechtigten verlangt. Das
Eidg. Versicherungsgericht führte dort aus, dass die zu Art. 20 Abs. 1
AHVG entwickelte bundesrechtliche Praxis - jedenfalls bei entsprechender
Verweisung des kantonalen Rechts auf die AHV-Regelung - auch Geltung im
Rahmen des Abtretungsverbotes von Art. 12 ELG habe.

Erwägung 4

    4.- a) Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut
auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen
möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter
Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des
Sinnes und der dem Text zugrunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls
der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen
und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen
werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der
Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe
können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund
und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE
119 Ia 248 Erw. 7a, 119 II 151 Erw. 3b, 355 Erw. 5, 119 V 126 Erw. 4,
204 Erw. 5c, 118 Ib 191 Erw. 5a, 452 Erw. 3c, 555 Erw. 4d, 118 II 342
Erw. 3e, je mit Hinweisen; IMBODEN/RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 21 B IV).

    b) Bei der Auslegung von Art. 22 Abs. 4 ELV fällt auf, dass im
Wortlaut eine Diskrepanz zwischen dem deutschen und italienischen
Text einerseits und der französischen Fassung anderseits besteht
(vgl. Erw. 3a hievor): Letztere spricht nicht ausdrücklich von einer
"Zeitspanne ..., für die rückwirkend Ergänzungsleistungen ausgerichtet
werden". Bei der grammatikalischen Auslegung ist von der grundsätzlichen
Gleichwertigkeit der drei Amtssprachen auszugehen (Art. 9 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 21. März 1986 über die Gesetzessammlungen und das
Bundesblatt; SR 170.512). Stimmen die drei verschiedenen sprachlichen
Versionen nicht vollständig überein oder widersprechen sie sich gar, kann
dieser Auslegungsmethode nur untergeordnete Bedeutung beigemessen werden
(MALINVERNI, Commentaire de la Constitution Fédérale, note 15 ad art. 116;
BGE 119 V 127 Erw. 4a). Keine der drei Fassungen spricht deutlich für
die Ansicht der Vorinstanz oder für diejenige des BSV. Indessen lässt
sich aus dem Text keine einjährige Periodizität herauslesen. Eher neigt
die Formulierung im deutschen und italienischen Text ("während einer
Zeitspanne, für die rückwirkend Ergänzungsleistungen ausgerichtet werden"),
wo von einer Periode und nicht von einer Unterteilung in Zeitabschnitte
die Rede ist, zur bundesamtlichen Version hin.

    c) aa) Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, ist Sinn und Zweck
von Art. 22 Abs. 4 ELV, dass das Gemeinwesen nicht für den gleichen
Zeitpunkt (recte: Zeitraum) doppelte Unterstützungsleistungen
- zuerst als Direktzahler, dann als Finanzierungsträger der
Ergänzungsleistungen - erbringen muss (Erläuterungen des BSV zur
neuen Norm in ZAK 1989 S. 430). Unter Berufung auf das erwähnte Urteil
H. geht sie sodann zutreffend davon aus, dass die direkte Nachzahlung
von Ergänzungsleistungen an Fürsorgestellen u.a. nur zulässig ist,
wenn die Vorschüsse die gleiche Periode betreffen. Die Voraussetzung
der Zeitidentität für die Drittauszahlung von Nachzahlungen ergibt sich
aus dem Wortlaut der Norm selber. Zu Recht ist dieses Erfordernis der
gleichen Zeitspanne in Rz. 7031.1 WEL aufgenommen worden, wie es auch
in Rz. 1299 RWL figuriert. Bis hierher ist der Betrachtungsweise der
Vorinstanz zu folgen. Den Begriff der gleichen "Zeitspanne" legt das
kantonale Gericht sodann in dem Sinne aus, dass damit entweder Jahre oder
Monate gemeint sein könnten, und gibt der jahresweisen den Vorzug vor der
Monatsabrechnung. Indes ist in erster Linie zu fragen, ob die erwähnte
"Zeitspanne" für die Bestimmung des an Fürsorgestellen zurückzuerstattenden
Betrages überhaupt in mehrere Einheiten - seien es Jahre oder Monate -
zu unterteilen oder nicht vielmehr als eine einzige Gesamtperiode zu
berücksichtigen ist.

    bb) Soll der Normzweck verwirklicht werden, muss konsequenterweise die
gesamte Zeitspanne als einheitliches Ganzes erfasst werden. Andernfalls
kann es mit dem "Berner System" je nach Konstellation und Zufälligkeiten
zu doppelten Unterstützungsleistungen durch das Gemeinwesen kommen. Ein
Vergleich mit der Variante ohne Unterteilung zeigt nämlich: Übersteigen
in einem Jahr die Fürsorgeleistungen die Ergänzungsleistungen,
geht der gesamte Betrag der letzteren an die Fürsorgestelle. Diese
hat den ungedeckten Rest zu tragen. Sind dagegen in einem Jahr die
Ergänzungsleistungen grösser als die Fürsorgeleistungen für dasselbe Jahr,
ist nach dem "Berner System" der jeweilige Saldo an den Versicherten
auszuzahlen. Eine Verrechnung mit ungedeckt gebliebenen Leistungen
der Fürsorgebehörde aus negativ verlaufenen frühern Jahren findet
nicht statt. Geht man hingegen von einer einzigen Gesamtperiode aus,
erhält die Fürsorgestelle so lange alle Nachzahlungen, als ihr ein
Negativsaldo verbleibt, womit auch ungedeckte Verluste aus vorherigen
Jahren berücksichtigt werden. Bei der Unterteilung nach Einzeljahren
fährt der Versicherte somit besser, sobald es ein Jahr gibt, in welchem
die Ergänzungsleistungen grösser sind als die Fürsorgeleistungen. Wenn in
einem oder mehreren Jahren ein positiver Saldo - mehr Ergänzungsleistungen
als Fürsorgeleistungen - resultiert, bleibt der überschiessende Teil
beim Versicherten. Die Versichertenfreundlichkeit der Berner Praxis
beruht darauf, dass kein Ausgleich von positiven und negativen Jahren
stattfindet. Dies war der Fall in dem im angefochtenen Entscheid erwähnten
Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern in Sachen T. vom 21. April
1992, bei welchem für die ersten drei Jahre mehr Ergänzungsleistungen als
Fürsorgeleistungen bezahlt wurden, in den nächsten drei Jahren dagegen
mehr Fürsorgeleistungen als Ergänzungsleistungen. Die Fürsorgebehörde
hatte aus den sechs Jahren insgesamt eine Unterdeckung von Fr. 5'500.90;
trotzdem wurde dem Versicherten ein Betrag von mehr als Fr. 9'000.--,
basierend auf Überschüssen von Ergänzungsleistungen aus den ersten
drei Jahren, zugesprochen. So musste die Fürsorge, obwohl sie für das
Existenzminimum aufgekommen war, mangels Kompensation mit den ersten drei
Jahren einen Verlust hinnehmen bzw. das Gemeinwesen wurde im Ergebnis
zweimal zur Zahlung verpflichtet. Die Praxis der Vorinstanz kann somit
unter Umständen zu Resultaten führen, die dem Sinn und Zweck von Art. 22
Abs. 4 ELV widersprechen.

    Eine Etappierung des Zeitraumes hat deshalb nur, aber jedesmal dann
Platz zu greifen, wenn die Ausrichtung von Fürsorgeleistungen unterbrochen
wird, weil eine Nachzahlung nur zeitidentisch und bis zur Höhe von deren
Leistungen der Fürsorgestelle überwiesen werden darf.

    d) Die nach der Rechtsprechung auch bei Rentennachzahlungen
zu beachtende Verrechnungsschranke des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums (BGE 111 V 103 Erw. 3b, 108 V 49 Erw. 1) kommt
vorliegend nicht zum Zug, weil die Beschwerdeführerin in der Zeit,
für welche ihr nachträglich Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen
zugesprochen wurden, Sozialhilfe genossen hat und ihr Existenzminimum
so sichergestellt war (nicht publiziertes Urteil N. vom 18. Mai 1992,
Erw. 2b i.f.). Die soeben gewonnene Auslegung des Art. 22 Abs. 4 ELV ist
daher unter dem Gesichtspunkt des in der Lehre fast einhellig anerkannten
verfassungsmässigen Individualrechts auf Existenzsicherung (dazu WOLFFERS,
Grundriss des Sozialhilferechts, 1993, S. 78; MÄDER/NEFF, Vom Bittgang
zum Recht, 1988, S. 42) unbedenklich.

    e) Schliesslich sind für die Beurteilung, ob und inwieweit eine
Drittauszahlung von nachgezahlten Ergänzungsleistungen an Fürsorgestellen
zulässig ist, die AHV- und Invalidenrenten mitzuberücksichtigen, obwohl
Art. 22 Abs. 4 ELV nur von Ergänzungsleistungen spricht. Die entsprechende
Abstimmung der Praxis wurde im erwähnten Urteil H. vorgezeichnet
(Erw. 3d hievor). In bezug auf die Invalidenrenten wird die Frage der
Drittauszahlung durch den im Rahmen der 10. AHV-Revision neu eingeführten
Art. 50 Abs. 2 IVG und die darin vorgesehenen näheren Vorschriften geregelt
sein (BBl 1994 III 1832).

Erwägung 5

    5.- Diese Überlegungen führen vorliegend im Sinne der Vernehmlassung
des BSV zum Ergebnis, dass das kantonale Gericht dem Begehren der
Beschwerdeführerin um Direktauszahlung überhaupt nicht hätte entsprechen
dürfen. Der nicht näher substantiierte Einwand der Beschwerdeführerin, es
seien "Rückzahlungen aufgebraucht worden für Rechnungen, die schlussendlich
nicht mich betreffen (zügeln, KKB)", bleibt unbeachtlich. Gemäss
Zusammenstellung der Fürsorgeleistungen ist auszuschliessen, dass es sich
hierbei um "Vorschussleistungen für den Lebensunterhalt" (Art. 22 Abs. 4
ELV) gehandelt hat. Einzelne umstrittene Posten könnten zudem angesichts
der Höhe der insgesamt ungedeckten Fürsorgeleistungen für den Ausgang
dieses Prozesses nicht relevant sein.

Erwägung 6

    6.- Der soeben erwähnte Verfahrensausgang würde für die
Beschwerdeführerin eine reformatio in peius bedeuten. Da das Eidg.
Versicherungsgericht vorliegend (Erw. 2 hievor) wegen Art. 114 Abs. 1 OG
nicht zuungunsten der Parteien über deren Begehren hinausgehen darf, und
die Ausgleichskasse ihrerseits keine eigene Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erhoben hat, muss es beim kantonalen Entscheid sein Bewenden haben
(vgl. hiezu GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 252
f.). Unter diesen Umständen erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob
allenfalls in Anlehnung an die Rechtsprechung gemäss BGE 119 V 249 Erw. 5
von einer reformatio in peius hätte abgesehen werden können.