Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 I 42



121 I 42

5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18.
Januar 1995 i.S. W. gegen Staatsrat des Kantons Freiburg (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 84 ff. OG; Anfechtbarkeit von Aufsichtsentscheiden mit
staatsrechtlicher Beschwerde.

    Entscheide, mit welchen auf eine Aufsichtsbeschwerde nicht
eingetreten, diese abgewiesen oder ihr keine Folge gegeben wird, sind
nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar (E. 2a; Bestätigung
der Rechtsprechung).

    Aufsichtsrechtlicher Charakter eines Verfahrens vor dem Freiburger
Staatsrat, in dem der Gesuchsteller die Beseitigung der religiösen Symbole
aus den Gerichtsräumen des Kantons Freiburg verlangte (E. 2b-e).

    Art. 84 ff. OG; Art. 49 BV; Rechtsschutz gegen die Ausstattung der
Gerichtssäle mit Kruzifixen.

    Soweit nicht ein Rechtssatz angefochten wird, ist als Anfechtungsobjekt
der staatsrechtlichen Beschwerde ein individuell-konkreter, den
Beschwerdeführer persönlich treffender Akt erforderlich. Grundsätzliche
Anfechtbarkeit des Entscheids, die Hauptverhandlung eines
Ehescheidungsprozesses nicht in einem Saal ohne Kruzifix durchzuführen
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- W., der in der Stadt Freiburg wohnt und in Bern als Fürsprecher
- mit Zulassung auch für den Kanton Freiburg - tätig ist, stellte am
22. Oktober 1990 mit einer als Aufsichtsbeschwerde bezeichneten Eingabe
beim Kantonsgericht Freiburg folgendes Begehren:

    "1. Die zuständigen Gerichtsbehörden sämtlicher kantonaler Gerichte
   seien anzuweisen, die in den öffentlich zugänglichen Räumen, namentlich

    Verhandlungssälen und Warteräumen, aufgehängten Kruzifixe umgehend zu
   entfernen.

    2. Die Kruzifixe seien auch aus den Büroräumen zu entfernen, die der
   Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, sofern die darin arbeitenden
   Beamten und Beamtinnen die Beibehaltung nicht einstimmig ausdrücklich
   wünschen.

    3. Eventuell sei die Beschwerde an den Staatsrat zur Behandlung zu
   überweisen."

    Das Kantonsgericht eröffnete in der Folge ein Vernehmlassungsverfahren
bei den Bezirks- und Friedensgerichten des Kantons.

    B.- Am 26. März 1991 reichte W. beim Bezirksgericht der Saane in
Freiburg die Klage auf Scheidung seiner Ehe ein. Am 10. Mai 1991 ersuchte
er das Kantonsgericht, über die oben erwähnte Aufsichtsbeschwerde noch vor
der auf den 7. Juni 1991 angesetzten Hauptverhandlung im Scheidungsprozess
zu entscheiden. Am gleichen Tag stellte er beim Bezirksgericht der
Saane den Antrag, es sei die Hauptverhandlung vom 7. Juni 1991 in einem
Gerichtssaal ohne Kruzifix durchzuführen.

    Das Kantonsgericht teilte W. am 21. Mai 1991 mit, es überlasse
den Entscheid, ob die Scheidungsverhandlung in einem Gerichtssaal ohne
Kruzifix durchzuführen sei, dem Präsidenten des Bezirksgerichts. Dessen
Entscheid könne auf dem Rechtsmittelweg angefochten werden.

    Das Bezirksgericht wies das Gesuch, die Verhandlung in einem Saal
ohne Kruzifix durchzuführen, ab. Es entsprach aber am 7. Oktober 1991
dem Scheidungsbegehren von W. Das Urteil des Bezirksgerichts blieb
unangefochten.

    C.- Nach Eingang der Stellungnahmen der Bezirks- und
Friedensgerichte überwies das Kantonsgericht Freiburg am 24. Juli 1992
die Aufsichtsbeschwerde vom 22. Oktober 1990 an den Staatsrat des Kantons
Freiburg. Dieser wies sie am 18. Januar 1993 ab, soweit er darauf eintrat.

    D.- W. hat gegen den Entscheid des Staatsrats vom 18. Januar 1993 eine
staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht erhoben. Er beantragt,
es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Angelegenheit an
den Staatsrat zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Ferner stellt er den
Antrag, es hätten die Mitglieder des Bundesgerichts, welche einer Kirche
angehören, die das Kreuz - insbesondere das Kruzifix - als Hauptsymbol
betrachte, in den Ausstand zu treten und die zuständige Abteilung des
Bundesgerichts habe die Beschwerde in einem Gerichtssaal ohne Kruzifix
oder Kreuz zu beurteilen. Nach Auffassung des Beschwerdeführers verletzt
der Entscheid des Staatsrats primär den Anspruch auf rechtliches Gehör
(Art. 4 BV), ferner subsidiär die Grundrechte der Religions-, Gewissens-
und Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 49 BV, Art. 9 EMRK, Art. 1 Abs.
1 der Freiburger Staatsverfassung) und der Handels- und Gewerbefreiheit
(Art. 31 BV) sowie den Anspruch auf einen unabhängigen und unparteiischen
Richter (Art. 4 und 58 BV, Art. 6 EMRK).

    Mit Eingaben vom 1. März 1993, 31. März 1993 und 22. Dezember 1993
ergänzte der Beschwerdeführer seine Vorbringen.

    Der Staatsrat des Kantons Freiburg beantragt, es sei auf die Beschwerde
nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden könne.

    Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach der ständigen Rechtsprechung kann der Entscheid einer
Behörde, auf eine Aufsichtsbeschwerde nicht einzutreten, sie abzuweisen
oder ihr keine Folge zu geben, nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde
angefochten werden (BGE 116 Ia 8 E. 1a S. 10; 109 Ia 251 E. 3 S. 252;
106 Ia 310 E. 6 S. 321). Dem Aufsichtsmassnahmen ablehnenden Beschluss
fehlt der Verfügungscharakter, da er keinen Akt darstellt, der ein
Verhältnis zwischen der Verwaltung und einem Bürger verbindlich regelt
(BGE 102 Ib 81 E. 3 S. 85). Zugleich geht dem Aufsichtsbeschwerdeführer
das nach Art. 88 OG vorausgesetzte rechtlich geschützte Interesse ab, da
die Einreichung einer Aufsichtsbeschwerde keinen Anspruch auf materielle
Prüfung und Erledigung vermittelt (BGE 109 Ia 251 E. 3 S. 252).

    b) Der Beschwerdeführer bezeichnete seine Eingabe an das Kantonsgericht
vom 22. Oktober 1990, mit welcher er die Beseitigung der religiösen
Symbole aus den Gerichtsräumen verlangte, als "Aufsichtsbeschwerde". Auch
der Staatsrat, an den die Angelegenheit in der Folge weitergeleitet wurde,
stufte sie als Aufsichtsbeschwerde ein. In den Erwägungen seines Entscheids
führte er allerdings einleitend aus, der Beschwerdeführer besitze als
Einwohner des Kantons Freiburg und als in diesem Kanton zugelassener
Anwalt die erforderliche Aktivlegitimation, zumal er ein aktuelles und
schützenswertes Interesse geltend machen könne.

    Unter Hinweis auf diese Feststellung des Staatsrats erachtet sich
der Beschwerdeführer zur Einreichung einer staatsrechtlichen Beschwerde
legitimiert. Zwar habe er seine Eingabe seinerzeit als Aufsichtsbeschwerde
bezeichnet. Da es aber um die Durchsetzung eines verfassungsrechtlichen
Anspruchs gehe, müssten die für das streitige Verwaltungs- bzw.
Verwaltungsjustizverfahren geltenden Verfahrensbestimmungen Anwendung
finden. Der Staatsrat vertritt demgegenüber die Auffassung, sein
Entscheid, der Aufsichtsbeschwerde keine Folge zu geben, stelle keinen
mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbaren Akt dar.

    c) Nach dem kantonalen Recht bestimmt sich, welchen Charakter
das vor dem Kantonsgericht bzw. dem Staatsrat durchgeführte kantonale
Verfahren hatte. Der Beschwerdeführer stützt sein Begehren um Entfernung
der religiösen Symbole aus den Gerichtssälen ausdrücklich auf Art. 95
des Gesetzes über die Gerichtsorganisation vom 22. November 1949
(Gerichtsorganisationsgesetz, GOG). Nach dieser Bestimmung übt das
Kantonsgericht unter Vorbehalt der Unabhängigkeit der Urteile die
unmittelbare Aufsicht über die Gerichtsverwaltung aus (Abs. 1). Es
überwacht seine Mitglieder sowie die übrigen Behörden und Beamten des
Gerichtswesens in ihrer Amtsführung (Abs. 2) und gibt diesen von Amtes
wegen oder auf Gesuch hin die nötigen Weisungen (Abs. 3). Dem Staatsrat
obliegt gemäss Art. 96 GOG die Aufgabe, allgemein die Gerichtsverwaltung
zu überwachen (Abs. 1). Seine Beobachtungen hat er dem Kantonsgericht
zu übermitteln, und schwere Fälle kann er vor den Grossen Rat bringen
(Abs. 2). Eine mit dieser Regelung übereinstimmende Kompetenzvorschrift
enthält Art. 52 Abs. 1 lit. h der Staatsverfassung vom 7. Mai 1857 (KV;
SR 131.219), nach welcher der Staatsrat den allgemeinen Justizgang zu
überwachen hat. Schliesslich sehen die Art. 122 ff. GOG vor, dass der
Staat dem Kantonsgericht Räumlichkeiten und Mobiliar zur Verfügung stellt,
während dafür bei den Bezirks- und Friedensgerichten die betreffenden
Gemeinden zu sorgen haben. Nötigenfalls trifft der Staatsrat auf Kosten
der Gemeinden die erforderlichen Massnahmen (Art. 129 GOG). Er erlässt auch
ein Reglement mit den für die Verhandlungssäle und anderen Räumlichkeiten,
die Archive, das Bedarfsmaterial und die Gefängnisse nötigen Vorschriften,
soweit das Gesetz keine diesbezüglichen Bestimmungen enthält (Art. 130
GOG).

    d) Wie die erwähnten Aufsichtsfunktionen von Kantonsgericht
und Staatsrat voneinander abzugrenzen sind, bedarf an dieser Stelle
keiner weiteren Abklärung. Jedenfalls handelte der Staatsrat, wenn er
aufgrund der ihm überwiesenen Eingabe des Beschwerdeführers über eine
allfällige Anweisung betreffend Ausgestaltung der Gerichtsräumlichkeiten
zu entscheiden hatte, nicht im Rahmen eines individualrechtlichen
Rechtsschutzverfahrens, sondern als Aufsichtsbehörde im Sinne von Art. 52
Abs. 1 lit. h KV und Art. 96 GOG.

    Nach Art. 112 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom
23. Mai 1991 (VRG) verschafft die Einreichung einer Aufsichtsbeschwerde,
vorbehältlich besonderer spezialgesetzlicher Bestimmungen, keine
Parteirechte. Der Anzeiger hat lediglich Anspruch darauf, dass ihm die
angegangene Behörde mitteilt, ob sie aufgrund der Aufsichtsbeschwerde
etwas veranlasst hat oder nicht (Art. 112 Abs. 2 VRG). Dass und
gegebenenfalls aufgrund welcher kantonaler Bestimmungen vorliegend
etwas anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich. Der Hinweis des
Beschwerdeführers auf Art. 11 Abs. 1 lit. a VRG ist nicht stichhaltig,
da sich diese Vorschrift offensichtlich nur auf Verfügungsverfahren
und nicht auch auf Aufsichtsbeschwerden bezieht. Für letztere gilt die
Spezialregelung von Art. 112 VRG.

    Die Tatsache, dass im angefochtenen Entscheid von der
"Aktivlegitimation" des Beschwerdeführers die Rede ist, stellt die
Einstufung der Eingabe als Aufsichtsbeschwerde ebenfalls nicht in
Frage. Wohl ist die Befugnis zur Einreichung einer solchen an keine
besonderen Legitimationsvoraussetzungen geknüpft. Insofern mag die
erwähnte Legitimationserwägung des angefochtenen Entscheids unpassend
erscheinen. Es ist einer Aufsichtsbehörde jedoch nicht verwehrt, die - in
ihr Ermessen gestellte - Prüfung eines Anliegens wie in einem förmlichen
Rechtsschutzverfahren davon abhängig zu machen, ob der Anzeiger durch die
beanstandeten Verhältnisse in schutzwürdigen eigenen Interessen berührt
ist, die allenfalls eine Intervention rechtfertigen könnten, oder ob es
sich um Vorbringen handelt, deren aufsichtsrechtliche Behandlung weder
im allgemeinen noch im Interesse des Anzeigers geboten erscheint. Im
übrigen wird die Eingabe des Beschwerdeführers im angefochtenen
Entscheid durchwegs als Aufsichtsbeschwerde bezeichnet, und der
Staatsrat leitete seine Kompetenz zu ihrer Behandlung aus den erwähnten
Bestimmungen des Gerichtsorganisationsgesetzes ab, welche die Aufsicht
über die Justizverwaltung regeln. Unter ausdrücklichem Hinweis auf die
erwähnte Sondervorschrift von Art. 134 VRG, wonach Aufsichtsbeschwerden
grundsätzlich kostenlos sind, verzichtete der Staatsrat auch auf die
Erhebung von Verfahrenskosten.

    e) Das vor dem Kantonsgericht bzw. dem Staatsrat durchgeführte
Verfahren hatte somit rein aufsichtsrechtlichen Charakter. Bei
dieser Sachlage kann nach der angeführten Rechtsprechung der
angefochtene abschlägige Entscheid des Staatsrats nicht mit
staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden. Dies gilt auch, soweit
der Beschwerdeführer eine Verletzung von Parteirechten rügt, da dem
Anzeiger im Aufsichtsbeschwerdeverfahren wie erwähnt von vornherein keine
Parteistellung zukommt. Der Rechtsuchende kann in diesem Zusammenhang
allein geltend machen, es sei seine Eingabe zu Unrecht als blosse
Aufsichtsbeschwerde und nicht als förmliches Rechtsmittel behandelt und
ihm daher zu Unrecht die Parteistellung abgesprochen worden (BGE 119
Ia 4 E. 1 S. 5; zur Publikation bestimmtes Urteil des Bundesgerichts
vom 18. Januar 1995 i.S. VPM c. Regierungsrat des Kantons Zürich,
E. 1c). Einen solchen Vorwurf erhebt der Beschwerdeführer zu Recht
nicht, hat er doch seine Eingabe an das Kantonsgericht ausdrücklich als
Aufsichtsbeschwerde bezeichnet.

    f) Aus diesen Gründen ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht
einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Dieses Ergebnis stellt nicht in Frage, dass sich der
Beschwerdeführer mit staatsrechtlicher Beschwerde gegen die Ausstattung
von Gerichtssälen mit Kruzifixen zur Wehr setzen kann, wenn er sich
dadurch in seinen verfassungsmässigen Rechten für verletzt hält. Soweit
nicht ein Rechtssatz angefochten wird, ist jedoch als Anfechtungsobjekt
ein individuell-konkreter, den Beschwerdeführer persönlich treffender
Anwendungsakt erforderlich.

    Während des Aufsichtsbeschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer
beim Bezirksgericht der Saane in Freiburg den Antrag gestellt, es sei die
Hauptverhandlung des ihn persönlich betreffenden Ehescheidungsprozesses
in einem Saal ohne Kruzifix durchzuführen. Das Bezirksgericht wies
diesen Verfahrensantrag am 7. Oktober 1991 ab. Der Beschwerdeführer
hätte diesen abweisenden Entscheid mit einem kantonalen Rechtsmittel
anfechten können, worauf ihn das Kantonsgericht im Schreiben vom 21. Mai
1991 hingewiesen hatte. Der letztinstanzliche kantonale Entscheid
wäre mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht anfechtbar
gewesen. Der Beschwerdeführung hätte nicht entgegengestanden, dass die
Hauptverhandlung im Zeitpunkt des Entscheids längst abgeschlossen war,
da auf das Erfordernis eines aktuellen Interesses verzichtet wird,
wenn sich der gerügte Eingriff jederzeit wiederholen könnte, an der
Beantwortung der aufgeworfenen Fragen wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung
ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige
verfassungsgerichtliche Überprüfung kaum je möglich wäre (BGE 120 Ia 165
E. 1a S. 166 f.; 118 Ia 46 E. 3c S. 53 f.; 114 Ia 88 E. 5b S. 90 f.).