Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 I 367



121 I 367

48. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Oktober 1995
i.S. V. gegen Einwohnergemeinde X. und Regierungsrat des Kantons Bern
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Recht auf Existenzsicherung.

    Das Recht auf Existenzsicherung ist durch ungeschriebenes
Verfassungsrecht des Bundes gewährleistet (E. 2a-c).

    Auf dieses Recht können sich auch Ausländer berufen, unabhängig davon,
welchen aufenthaltsrechtlichen Status sie haben (E. 2d).

    Entzug von Fürsorgeleistungen wegen Rechtsmissbrauchs? Fall ehemaliger
Flüchtlinge, die sich weigern, in ihrem (früheren) Heimatstaat ein Gesuch
um Wiedereinbürgerung zu stellen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die drei Brüder V. (geb. 1955, 1958 und 1960) lebten seit
dem Jahre 1980 zusammen mit ihrer Mutter als anerkannte Flüchtlinge
in der Schweiz. Mit Urteil des Richteramtes Bern vom 29. Oktober
1987 wurden sie zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt, und es
wurde gegen sie eine dreijährige Landesverweisung ausgesprochen. Die
Landesverweisung konnte vorerst nicht vollzogen werden. Aufgrund der
veränderten politischen Verhältnisse in der Tschechoslowakei stellte
jedoch die Botschaft dieses Landes am 7. November 1990 den Gebrüdern
V. Reisepapiere für tschechoslowakische Staatsangehörige aus, worauf
sie in die Tschechoslowakei ausgeschafft wurden. Mit dem Vollzug der
Landesverweisung erlosch das ihnen gewährte Asyl (Art. 44 Abs. 2 des
Asylgesetzes vom 5. Oktober 1979; SR 142.31). Im September 1991 reisten
die drei Brüder illegal wieder in die Schweiz ein. Sie wohnen seither
bei ihrer Mutter in X., die durch Heirat Schweizer Bürgerin geworden
ist. Eine erneute Ausschaffung nach (nunmehr) Tschechien war bisher nicht
möglich, da sich die Behörden dieses Landes auf den Standpunkt stellen,
den Gebrüdern V. sei seinerzeit die Staatsbürgerschaft entzogen worden; sie
könnten sie zwar wiedererlangen, müssten hiefür aber ein Gesuch stellen,
was die Gebrüder V. indessen bis heute nicht getan haben.

    Nach ihrer Wiedereinreise in die Schweiz ersuchten die Gebrüder V. die
Gemeinde X. um soziale Unterstützung, was die Gemeinde ablehnte. Nach
Durchführung verschiedener Rechtsmittelverfahren schützte schliesslich
der Regierungsrat des Kantons Bern den ablehnenden Entscheid der Gemeinde
mit Beschluss vom 26. Oktober 1994.

    Zur Begründung führte der Regierungsrat an, der rechtliche Status der
Gebrüder V. sei nicht geregelt. Die Bundesbehörden prüften weiterhin ihre
Rückübernahme durch Tschechien. Die Gebrüder V. hätten es in der Hand,
ein Gesuch um Wiedereinbürgerung zu stellen, was ihnen erlauben würde,
nach Tschechien zurückzukehren und dort erwerbstätig zu sein. Mit ihrer
Weigerung, ein solches Gesuch zu stellen, hielten sie ihre Notlage
absichtlich aufrecht. Das sei rechtsmissbräuchlich, weshalb ihnen die
Fürsorgeleistungen vollumfänglich entzogen werden könnten.

    Gegen den Beschluss des Regierungsrates haben die Gebrüder V. am
5. Dezember 1994 staatsrechtliche Beschwerde eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 86 Abs. 1 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde
nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig. Es stellt
sich die Frage, ob die Beschwerdeführer vorerst an das kantonale
Verwaltungsgericht hätten gelangen müssen. Streitgegenstand ist die
Ausrichtung von Fürsorgeleistungen, auf welche nach Art. 68 Abs. 1 des
bernischen Gesetzes vom 3. Dezember 1961 über das Fürsorgewesen (FüG)
kein klagbarer Anspruch besteht. Da gemäss Art. 77 Abs. 1 lit. k des
bernischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 23. Mai 1989 (VRPG) die
Beschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht unzulässig ist gegen
Verfügungen betreffend finanzielle Leistungen der öffentlichen Hand,
auf die kein Rechtsanspruch besteht, erweist sich der angefochtene
Entscheid des Regierungsrates als letztinstanzlich im Sinne von Art. 86
Abs. 1 OG. Diese Rechtslage, welche noch zum Zeitpunkt der Einreichung
der staatsrechtlichen Beschwerde am 5. Dezember 1994 galt, hat sich
in der Zwischenzeit geändert. Anfang 1995 ist die neue Verfassung des
Kantons Bern vom 6. Juni 1993 in Kraft getreten. Diese sieht in Art. 29
vor, dass jede Person bei Notlagen Anspruch auf Obdach, auf die für ein
menschenwürdiges Leben notwendigen Mittel und auf grundlegende medizinische
Versorgung hat. Die gesetzliche Regelung, wonach kein klagbarer Anspruch
auf Fürsorgeleistungen besteht, ist insoweit obsolet, so dass heute im
Sinne von Art. 77 Abs. 1 lit. k VRPG ein Anspruch auf diese staatlichen
Leistungen gegeben ist und das Verwaltungsgericht zu deren Beurteilung
zuständig wäre (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom
3. April 1995, in BVR 1995 S. 565 ff.). Für das vorliegende Verfahren ist
dies jedoch noch nicht der Fall, weshalb das Erfordernis der Erschöpfung
des kantonalen Instanzenzugs erfüllt ist.

    b) Nach Art. 88 OG steht die Befugnis zur Erhebung einer
staatsrechtlichen Beschwerde Bürgern (Privaten) hinsichtlich solcher
Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder
sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben. Zur
staatsrechtlichen Beschwerde ist demnach nur legitimiert, wer durch den
angefochtenen Hoheitsakt in rechtlich geschützten eigenen Interessen
beeinträchtigt wird; zur Verfolgung bloss tatsächlicher Interessen wie
auch zur Wahrung allgemeiner öffentlicher Interessen ist die Beschwerde
nicht gegeben. Die eigenen rechtlichen Interessen, auf die sich der
Beschwerdeführer berufen muss, können entweder durch Gesetzesrecht
oder aber auch unmittelbar durch ein angerufenes spezielles Grundrecht
geschützt sein. Das in Art. 4 BV enthaltene Willkürverbot verschafft für
sich allein noch keine geschützte Rechtsstellung im Sinne von Art. 88 OG
(BGE 120 Ia 110 E. 1a, mit Hinweisen).

    Die Beschwerdeführer machen geltend, sie seien in ihrem
bundesverfassungsmässigen Recht auf Existenzsicherung verletzt
worden. Weiter berufen sie sich darauf, der Regierungsrat sei bei der
Anwendung des bernischen Gesetzes über das Fürsorgewesen in Willkür
verfallen, und schliesslich berufen sie sich auf den in Art. 29 Abs. 1
der neuen bernischen Kantonsverfassung (in Kraft seit 1. Januar 1995)
verankerten Anspruch auf die für ein menschenwürdiges Leben notwendigen
Mittel. Diese kantonale Grundrechtsgarantie fällt allerdings für die
Beurteilung durch das Bundesgericht ausser Betracht. Massgebend ist
im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde die Rechtslage, wie sie
bestand, als der angefochtene Entscheid erging (BGE 120 Ia 286 E. 2c/bb
S. 291; 119 Ia 460 E. 4d S. 473; 102 Ia 243 E. 2 S. 246). Der Beschluss
des Regierungsrates kann daher nicht an einem (im kantonalen Recht
verankerten) Grundrecht gemessen werden, welches noch nicht in Kraft war,
als der Regierungsrat am 26. Oktober 1994 über die Fürsorgeansprüche
entschied. Zu prüfen ist im folgenden, ob sich die Beschwerdeführer auf
ein bundesverfassungsmässiges Recht auf Existenzsicherung berufen können.

Erwägung 2

    2.- a) Die Bundesverfassung sieht (anders nunmehr der Entwurf
1995 einer neuen Verfassung) ein Grundrecht auf Existenzsicherung nicht
ausdrücklich vor. Es sind ihr jedoch auch ungeschriebene verfassungsmässige
Rechte zu entnehmen. Eine Gewährleistung von in der Verfassung nicht
genannten Freiheitsrechten durch ungeschriebenes Verfassungsrecht wurde
vom Bundesgericht in bezug auf solche Befugnisse angenommen, welche
Voraussetzung für die Ausübung anderer (in der Verfassung genannter)
Freiheitsrechte bilden oder sonst als unentbehrliche Bestandteile der
demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung des Bundes erscheinen. Um
die dem Verfassungsrichter gesetzten Schranken nicht zu überschreiten,
hat das Bundesgericht stets auch geprüft, ob die in Frage stehende
Gewährleistung bereits einer weitverbreiteten Verfassungswirklichkeit in
den Kantonen entspreche und von einem allgemeinen Konsens getragen sei
(BGE 115 Ia 234 E. 10 S. 268; 104 Ia 88 E. 5c S. 96 mit Hinweisen). So
hat das Bundesgericht die Eigentumsgarantie (ZBl 62/1961, S. 69 ff.), die
Meinungsäusserungsfreiheit (BGE 87 I 114 E. 2 S. 117), die persönliche
Freiheit (BGE 89 I 92 E. 3 S. 98), die Sprachenfreiheit (BGE 91 I
480) und die Versammlungsfreiheit (BGE 96 I 219) als ungeschriebene
verfassungsmässige Rechte des Bundes anerkannt, nicht aber beispielsweise
ein Recht auf freie Grabmalgestaltung (BGE 96 I 104 E. 1 S. 107),
ein Recht auf Bildung (BGE 103 Ia 369 E. 4a S. 377/378; 103 Ia 394
E. 2 S. 398/399) oder eine über den Gehalt von Meinungsäusserungs- und
Versammlungsfreiheit hinausreichende Demonstrationsfreiheit (BGE 100 Ia
392 E. 4b und c S. 399 ff.).

    b) Die Sicherung elementarer menschlicher Bedürfnisse wie Nahrung,
Kleidung und Obdach ist die Bedingung menschlicher Existenz und
Entfaltung überhaupt. Sie ist zugleich unentbehrlicher Bestandteil eines
rechtsstaatlichen und demokratischen Gemeinwesens (JÖRG PAUL MÜLLER, Die
Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl., Bern 1991,
S. 40). Insoweit erfüllt die Existenzsicherung die Voraussetzungen,
um als ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht gewährleistet zu werden.

    Es stellt sich damit die weitere Frage, ob ein solches Grundrecht
von einem allgemeinen Konsens getragen ist. Dieser Konsens ist nicht
ausschliesslich am geschriebenen Verfassungsrecht der Kantone zu
messen, welches seinerseits lückenhaft ist. Er kann sich auch aus
der tatsächlich geübten Praxis und der Verfassungsrechtslehre oder aus
anderen Quellen ergeben (J.P. MÜLLER, Die staatsrechtliche Rechtsprechung
des Bundesgerichts im Jahre 1978, ZBJV 116/1980, S. 237; ANDRÉ GRISEL,
Les droits constitutionnels non écrits, Festschrift Häfelin, Zürich
1989, S. 59; MICHEL ROSSINELLI, Les libertés non écrites, Diss. Genf
1987, S. 217). Was vorerst das geschriebene kantonale Verfassungsrecht
betrifft, gewährleisten die Verfassung des Kantons Basel-Landschaft
sowie die neue - hier noch nicht anwendbare - Verfassung des Kantons
Bern ausdrücklich ein Grundrecht auf Existenzsicherung (§ 16 KV/BL,
Art. 29 Abs. 1 KV/BE). Dasselbe gilt für die von der Landsgemeinde
des Kantons Appenzell A.Rh. am 30. April 1995 angenommene, von der
Bundesversammlung zur Zeit noch nicht gewährleistete neue Verfassung
(Art. 24 Abs. 1). Andere Kantonsverfassungen haben die Sozialhilfe in
Form von Staatszielbestimmungen oder Gesetzgebungsaufträgen geregelt
(PASCAL COULLERY, Das Recht auf Sozialhilfe, Bern 1993, S. 122 f.). Wenn
in den neueren Verfassungen der Kantone Aargau (§ 25 Abs. 2 und § 39),
Uri (Art. 44), Solothurn (Art. 22), Thurgau (§ 65) und Glarus (Art. 26)
bewusst davon abgesehen wurde, einen individualrechtlichen Anspruch auf
Existenzsicherung zu verankern (vgl. KURT EICHENBERGER, Verfassung des
Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau 1986, Rz. 23 zu § 25),
beruht dies kaum auf einem grundsätzlichen Vorbehalt in der Sache,
sondern eher auf der Überlegung, dass die staatliche Sozialhilfe
wesensgemäss subsidiären Charakter hat und das Zusammenwirken von
Bund, Kantonen und Gemeinden auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit
notwendigerweise der gesetzlichen Regelung bedarf. Auf der Ebene
der Gesetzgebung wird in allen Kantonen, ob als individuelles Recht
ausgestaltet oder nicht, davon ausgegangen, dass Bedürftigen Hilfe zu
leisten ist, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (FELIX WOLFFERS,
Grundriss des Sozialhilferechts, Bern/Stuttgart/Wien 1993, S. 90). Der
Grundsatz, dass der in wirtschaftliche Not geratene Bürger (von seiner
Heimatgemeinde) unterstützt werden muss, ist dem schweizerischen Recht
seit langer Zeit bekannt; er geht bis ins 16. Jahrhundert zurück (FRITZ
FLEINER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Tübingen 1923, S. 526). Das
Bundesgericht seinerseits hat in älteren Entscheiden (zur interkantonalen
Armenpflege) schon erklärt, es sei sowohl Gebot der Menschlichkeit wie
auch dem Zweck des modernen Staates inhärente Pflicht, die auf seinem
Gebiete befindlichen Personen nötigenfalls vor dem physischen Verderben
zu bewahren (BGE 51 I 325 E. 2 S. 328; 40 I 409 E. 2 S. 416).

    In der Lehre wird ein Grundrecht auf Existenzsicherung praktisch
einhellig anerkannt (grundlegend J.P. MÜLLER, Soziale Grundrechte in der
Verfassung?, in ZSR 92/1973 II 896 ff.; derselbe, Die Grundrechte der
schweizerischen Bundesverfassung, S. 3, 39 ff.; siehe auch GRISEL, aaO,
S. 76 f.; PETER SALADIN, Persönliche Freiheit als soziales Grundrecht?,
in Mélanges Berenstein, Lausanne 1989, S. 104; JEAN-FRANÇOIS AUBERT,
Un droit social encadré, ZSR 110/1991 I S. 165; ROSSINELLI, aaO,
S. 218 ff.; WOLFFERS, aaO, S. 78 ff.; COULLERY, aaO, S. 109 ff.; UELI
KIESER, Gewährleistet die Bundesverfassung ein ungeschriebenes Recht
auf Sozialhilfe?, in ZBl 92/1991 S. 189 ff.). Dabei wird in erster
Linie die Auffassung vertreten, es handle sich um ein ungeschriebenes
verfassungsmässiges Recht. Es wird aber auch auf verschiedene
weitere verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte Bezug genommen: Das
Verfassungsprinzip der Menschenwürde, welches jeder Person garantiert,
was sie um ihres Menschseins willen vom Gemeinwesen erwarten darf; das
Recht auf Leben als Kerngehalt der persönlichen Freiheit, welches nicht
mehr gewahrt wäre, wenn die minimalsten Voraussetzungen des Überlebens
nicht gesichert wären; die persönliche Freiheit in ihrer Ausprägung als
Garantie aller elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung;
der Gleichheitssatz, dem auch die Funktion zukomme, minimale materielle
Gerechtigkeit zu garantieren; schliesslich die Verfassungsvorschrift von
Art. 48 Abs. 1 BV, wonach Bedürftige von dem Kanton unterstützt werden, in
dem sie sich aufhalten, was auch als grundrechtlicher Anspruch verstanden
werden könne.

    c) Kann demnach angenommen werden, die Gewährleistung eines
verfassungsmässigen Rechts auf Existenzsicherung werde von einem
weitgehenden Konsens getragen, stellt sich die weitere Frage, ob ein
solches Recht hinreichend justiziabel ist. Während grundrechtliche
Abwehransprüche diesbezüglich keine Probleme aufwerfen, setzen
Leistungsansprüche voraus, dass diese normativ hinreichend bestimmt sind
und vom Richter mit den ihm zur Verfügung stehenden Verfahren und Mitteln
konkretisiert und durchgesetzt werden können (J.P. MÜLLER, Kommentar BV,
Einleitung zu den Grundrechten, Rz. 88, 89). Der Richter hat dabei die
funktionellen Grenzen seiner Zuständigkeit zu beachten. Er hat, angesichts
der Knappheit staatlicher Ressourcen, nicht die Kompetenz, die Prioritäten
bei der Mittelaufteilung zu setzen. Unmittelbar grundrechtsgeboten und vom
Richter durchsetzbar kann daher immer nur ein Minimum staatlicher Leistung
sein (DIETER GRIMM, Rückkehr zum liberalen Grundrechtsverständnis?,
recht 1988, S. 49).

    Das Grundrecht auf Existenzsicherung erfüllt diese Bedingungen der
Justiziabilität. Es ist als solches auf ein grundrechtsgebotenes Minimum
(Hilfe in Notlagen) ausgerichtet. Die damit verbundenen Staatsausgaben
sind aufgrund der Sozialhilfegesetzgebung in den Kantonen anerkannt; sie
bedürfen keiner finanzpolitischen Grundentscheidung mehr. Was unabdingbare
Voraussetzung eines menschenwürdigen Lebens darstellt, ist hinreichend
klar erkennbar und der Ermittlung in einem gerichtlichen Verfahren
zugänglich. In Frage steht dabei allerdings nicht ein garantiertes
Mindesteinkommen. Verfassungsrechtlich geboten ist nur, was für ein
menschenwürdiges Dasein unabdingbar ist und vor einer unwürdigen
Bettelexistenz zu bewahren vermag. Es ist in erster Linie Sache des
zuständigen Gemeinwesens, auf Grundlage seiner Gesetzgebung über Art und
Umfang der im konkreten Fall gebotenen Leistungen zu bestimmen. Dabei
kommen sowohl Geldleistungen wie auch Naturalleistungen in Betracht
(WOLFFERS, aaO, S. 127 ff.). Lediglich dann, wenn das einfache
Gesetzesrecht im Ergebnis dem verfassungsrechtlichen Minimalanspruch
nicht zu genügen vermag, ist unmittelbar darauf abzustellen. Hier ist
es freilich nicht angezeigt, dazu im einzelnen Ausführungen zu machen,
da nicht Art und Umfang der Leistungen streitig sind, sondern sich einzig
die Frage stellt, ob den Beschwerdeführern die Unterstützung überhaupt
verweigert werden durfte.

    d) Die Beschwerdeführer sind allerdings nicht schweizerische
Staatsangehörige.

    Soweit ein Grundrecht menschenrechtlich begründet ist, steht es sowohl
Schweizern als auch Ausländern zu (J.P. MÜLLER, Kommentar BV, Einleitung
zu den Grundrechten, Rz. 99). Das Bundesgericht hat die menschenrechtliche
Komponente in den bereits zitierten älteren Entscheiden (BGE 51 I 325; 40
I 409) betont, wenn es ausführte, es sei sowohl Gebot der Menschlichkeit
wie auch dem Zweck des modernen Staates inhärente Pflicht, die auf seinem
Gebiete befindlichen Personen nötigenfalls vor dem physischen Verderben
zu bewahren. Diese Hilfepflicht anerkannte das Bundesgericht unabhängig
davon, welche rechtliche Beziehung zum jeweiligen Kanton besteht (BGE
40 I 409 E. 2 S. 416), und es hielt fest, die Fürsorgepflicht gegenüber
Ausländern (im konkreten Fall einer nicht aufenthaltsberechtigten, mit
gefälschten Papieren eingereisten Russin und ihrem Sohn) bestehe auch
dann, wenn kein völkerrechtlicher Vertrag es gebiete, und so lange, als
die Repatriierung nicht möglich sei (BGE 51 I 325 E. 2 S. 328/29). Der
Geltungsbereich des Grundrechts auf Existenzsicherung ist damit nicht
allein auf schweizerische Staatsangehörige beschränkt; er erstreckt sich
auch auf Ausländer, unabhängig davon, welcher aufenthaltsrechtliche
Status ihnen zukommt. Das schliesst freilich Differenzierungen nicht
aus: Wer in der Schweiz (als Schweizer oder Ausländer) niedergelassen
ist, hat andere Unterstützungsbedürfnisse als derjenige, der bei einem
kurzfristigen Aufenthalt in Not gerät oder bei dem noch nicht feststeht,
ob er (z.B. als Asylbewerber) in der Schweiz bleiben kann oder nicht.

    e) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Beschwerdeführer
auf das verfassungsmässige Recht auf Existenzsicherung berufen können
und demnach auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist.

Erwägung 3

    3.- a) Die Fürsorgekommission der Gemeinde X. hat den Beschwerdeführern
jede Unterstützungsleistung mit der Begründung verweigert, ihr
aufenthaltsrechtlicher Status sei nicht geregelt. Im angefochtenen
Entscheid des Regierungsrates wird dieser Standpunkt zu Recht nicht
übernommen. Wie bereits ausgeführt, kommt es für die Pflicht des Staates,
Menschen zu helfen, die sich auf seinem Gebiet aufhalten und in Not geraten
sind, nicht auf das rechtliche Verhältnis an, das zu ihm besteht. Die
Verpflichtung, die erforderliche Hilfe zu leisten, gilt so lange, bis
sie ausreisen oder heimgeschafft werden können (siehe auch WERNER THOMET,
Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung
Bedürftiger, 2. Aufl., Zürich 1994, S. 142, Rz. 229). Wohl sind die
Unterstützungsbedürfnisse anderer Art und können die Leistungen auch
entsprechend anders bemessen werden, wenn lediglich ein vorübergehender
tatsächlicher Aufenthalt vorliegt. Die Verweigerung jeglicher Unterstützung
lässt sich aber mit dem verfassungsmässigen Recht auf Existenzsicherung
nicht vereinbaren.

    b) Im angefochtenen Entscheid wird der Anspruch auf
Fürsorgeleistungen mit dem Argument abgelehnt, die Beschwerdeführer
handelten rechtsmissbräuchlich. Es ist anerkannt, dass selbst ohne
gesetzliche Grundlage ein vollständiger Leistungsentzug zulässig ist,
wenn sich die unterstützte Person rechtsmissbräuchlich verhält (WOLFFERS,
aaO, S. 168). Rechtsmissbrauch liegt insbesondere dann vor, wenn ein
Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet
wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will (BGE 121 II 97 E. 4
S. 103; 110 Ib 332 E. 3a S. 336/37; 94 I 659 E. 4 S. 667).

    Die Sozialhilfe hat zum Zweck, Notlagen zu verhüten und zu beheben. Sie
soll, wie sich das bernische Gesetz über das Fürsorgewesen ausdrückt,
den Bedürftigen ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen (Art. 53
Abs. 1 FüG). Auf die Ursachen der Bedürftigkeit kommt es hiebei nicht
an. Während die Sozialversicherungen bestimmte Risiken abdecken sollen,
ist die Sozialhilfe subsidiär, als "Netz unter dem Netz", auf alle Formen
von Bedürftigkeit ausgerichtet, gänzlich unabhängig von deren Ursache
(WOLFFERS, aaO, S. 35; ANNE MÄDER/URSULA NEFF, Vom Bittgang zum Recht,
Bern 1988, S. 23). Die Beschwerdeführer können für ihren Unterhalt
nicht selber aufkommen, da sie nicht berechtigt sind, in der Schweiz
erwerbstätig zu sein. Gemäss Art. 14a Abs. 1 des Bundesgesetzes über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, SR 142.20) verfügt
das Bundesamt für Flüchtlinge zwar die vorläufige Aufnahme, wenn der
Vollzug einer Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder
nicht zumutbar ist, was den kantonalen Behörden erlauben würde, dem
Ausländer eine unselbständige Erwerbstätigkeit zu bewilligen (Art. 14c
Abs. 3 ANAG). Ein solcher Entscheid ist bis anhin von den Bundesbehörden
aber nicht getroffen worden (die kantonale Fremdenpolizeibehörde könnte
ihn beantragen, Art. 14b Abs. 1 ANAG), weshalb die Beschwerdeführer nicht
in der Lage sind, selber für sich zu sorgen. Wenn sie in dieser Situation
um Fürsorgeleistungen ersuchen, nehmen sie dieses Rechtsinstitut nicht
für einen ihm fremden Zweck in Anspruch.

    c) Das übersieht der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid an sich
nicht. Er argumentiert damit, dass es die Beschwerdeführer in der Hand
hätten, bei den tschechischen Behörden ein Gesuch um Wiedereinbürgerung
zu stellen, was ihnen erlauben würde, in dieses Land zurückzukehren und
dort erwerbstätig zu sein.

    Die Beschwerdeführer sind im Jahre 1980 in die Schweiz gekommen
und lebten hier als anerkannte Flüchtlinge. Ihre Flüchtlingseigenschaft
verloren sie zehn Jahre später aufgrund der Regelung von Art. 44 Abs. 2
des Asylgesetzes mit dem Vollzug einer Landesverweisung, welche ihnen
gegenüber zusammen mit kurzen bedingten Gefängnisstrafen ausgesprochen
worden war. Im Jahre 1989 wurde ihnen die Staatsbürgerschaft der
Tschechischen Sozialistischen Republik und damit auch diejenige der
Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik entzogen. Nach dem Gesetz
Nr. 88 vom 28. März 1990 der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik,
welches mit Verfassungsgesetz des tschechischen Nationalrates vom 15.
Dezember 1992 von der Tschechischen Republik übernommen wurde, hätten die
Beschwerdeführer bis zum 31. Dezember 1993 die Möglichkeit gehabt, durch
schriftliche Erklärung die Staatsbürgerschaft wieder zu erlangen. Ob
dies auch heute noch möglich wäre, erscheint zweifelhaft. Nach dem
Gesetz der Tschechischen Republik vom 29. Dezember 1992 über den Erwerb
und den Verlust der Staatsangehörigkeit könnten sie von der ordentlichen
Einbürgerungsvoraussetzung des fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalts
(§ 7 Abs. 1 lit. a) befreit werden, da sie früher die tschechische und
tschechoslowakische Staatszugehörigkeit besassen, dies allerdings nur
unter der Voraussetzung, dass sie ihren Wohnsitz auf dem Gebiet der
Republik haben (§ 11 Abs. 1). Diese Regelung schliesst freilich nicht
aus, dass die tschechischen Behörden bereit sein könnten, ihre ehemaligen
Staatsbürger zu übernehmen und ihnen anschliessend, nachdem sie dort erneut
Wohnsitz begründet haben, die Staatsbürgerschaft wieder zu verleihen. Die
entsprechenden diplomatischen Bemühungen des Eidgenössischen Departementes
für auswärtige Angelegenheiten scheinen indessen definitiv gescheitert
zu sein, wie einem Schreiben des Bundesamtes für Flüchtlinge vom 17. Mai
1995 an die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern entnommen
werden kann.

    Auch wenn es den schweizerischen Behörden unbenommen bleibt, alles in
ihrer Macht Stehende zu tun, um die Behörden der Tschechischen Republik
zur Übernahme der Beschwerdeführer zu bewegen, kann kein Rechtsmissbrauch
darin erblickt werden, dass diese die tschechische Staatsbürgerschaft nicht
wieder erlangen wollen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass sie
als Flüchtlinge anerkannt worden waren, als sie im Jahre 1980 ihre damalige
Heimat verlassen hatten. Ist aber davon auszugehen, dass sie seinerzeit
in der Tschechoslowakei staatlich verfolgt wurden, kann kaum verlangt
werden, dass sie sich durch freiwillige Annahme der Staatsbürgerschaft
wieder unter den Schutz des Staates stellen, der sie verfolgt hatte. Daran
ändert nichts, dass die politischen Verhältnisse heute andere sind als
damals. Überdies fällt in Betracht, dass die Beschwerdeführer lange Jahre
in der Schweiz lebten, ihre Mutter Schweizerbürgerin geworden ist und
sie als anerkannte Flüchtlinge den Kontakt zu ihrem Heimatstaat nicht
aufrechterhalten konnten, zumal bereits eine Besuchsreise zum Widerruf
des Asyls hätte führen können (WALTER KÄLIN, Grundriss des Asylverfahrens,
Basel/Frankfurt a.M. 1990, S. 162).

    d) Selbst wenn den Beschwerdeführern aus ihrem Verhalten ein Vorwurf
zu machen wäre, könnte der Standpunkt des Regierungsrates nicht geteilt
werden. Er lässt die einschlägige Regelung des bernischen Gesetzes über das
Fürsorgewesen ausser acht. Danach kann die unerlässliche Unterstützung
einem Bedürftigen auch dann nicht verweigert werden, wenn er seine
Bedürftigkeit "in gröblicher Weise selber verschuldet" hat (Art. 65
FüG). Das entspricht dem die Sozialhilfe prägenden Grundsatz, dass die
Gründe für die Notlage irrelevant sind (Entscheid des Regierungsrates
des Kantons Bern vom 14. Mai 1986, BVR 1988 S. 36; ebenso WOLFFERS, aaO,
S. 167, der festhält, dass kein Kanton den vollständigen Leistungsentzug
wegen selbstverschuldeter Notlage kennt). Rechtsmissbrauch liegt erst
dann vor, wenn das Verhalten des Bedürftigen einzig darauf ausgerichtet
ist, in den Genuss von Hilfeleistungen zu gelangen, wenn er also
beispielsweise bewusst eine Erwerbsmöglichkeit ausschlägt, um sich
stattdessen unterstützen zu lassen (WOLFFERS, aaO, S. 168). Das lässt
sich vorliegend aber nicht sagen. Die Beschwerdeführer weigern sich nicht
deshalb, bei den tschechischen Behörden ein Wiedereinbürgerungsgesuch zu
stellen, weil sie Unterstützungsleistungen bei der Gemeinde X. beziehen
wollen. Sie tun dies allenfalls darum, weil sie in der Schweiz bleiben
wollen, dem Land, in dem sie mit kurzem Unterbruch seit 1980 leben und
das sie seinerzeit als Flüchtlinge anerkannt hatte. Ihre Bedürftigkeit
ist Folge davon, dass sie weder ausgeschafft werden können, noch ihnen
erlaubt ist, hier erwerbstätig zu sein. Bei dieser Sachlage nehmen sie
aber das Rechtsinstitut der Sozialhilfe nicht zweckwidrig in Anspruch. Ein
offenbarer Rechtsmissbrauch liegt nicht vor. Der angefochtene Entscheid
verletzt daher das verfassungsmässige Recht auf Existenzsicherung.

Erwägung 4

    4.- Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich damit als
begründet. Der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern ist
aufzuheben.