Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 I 30



121 I 30

4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20.
Februar 1995 i.S. Schweizerische Nationalbank und AG Hotel Bellerive
au Lac gegen Stadt Zürich und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung bei
Erlass von Denkmalschutzmassnahmen und im Baubewilligungsverfahren.

    Stehen die in der EMRK gewährleisteten Rechte und Freiheiten auch
juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu? Frage mit Bezug auf
die Schweizerische Nationalbank offengelassen, da sich jedenfalls die
in ihrem Eigentum stehende private Aktiengesellschaft auf die Rechte der
EMRK berufen kann (E. 5a und b).

    Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf die Unterschutzstellung
eines ehemaligen Hotelgebäudes bejaht (E. 5c).

    Inhalt und Einschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK (E. 5d und e). Voraussetzungen des Verzichts auf
die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung (E. 5f).

    Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Verfahren um
Unterschutzstellung des Hotelgebäudes (E. 5f-j).

    Anwendbarkeit von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf das konkrete
Baubewilligungsverfahren offengelassen, da unter den gegebenen Umständen
Verwirkung des Anspruchs auf eine öffentliche Verhandlung angenommen
(E. 6a).

Sachverhalt

    A.- Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist Eigentümerin von
Liegenschaften am Stadthausquai und an der Börsenstrasse in Zürich
sowie Inhaberin der AG Hotel Bellerive au Lac, der die gleichnamige
ehemalige Hotelliegenschaft am Utoquai in Zürich gehört. In diesen
Liegenschaften möchte die SNB im Rahmen des Projekts "SNB 2000" zahlreiche
Bauarbeiten ausführen. Im ehemaligen Hotel Bellerive au Lac sollen die
wirtschaftswissenschaftliche Bibliothek und die Büros der geld-, währungs-
und bankwirtschaftlichen Studienabteilungen untergebracht werden.

    Am 2. März 1990 verweigerte die damalige Bausektion II des Stadtrates
von Zürich die für den Umbau und die Umnutzung des ehemaligen Hotels
Bellerive au Lac erforderliche Baubewilligung. Die gegen diesen Entscheid
ergriffenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.

    Der Stadtrat von Zürich stellte am 28. März 1990 das Gebäude
des ehemaligen Hotels Bellerive au Lac unter Denkmalschutz. Von
der Schutzmassnahme wurden nebst dem Gebäudeäusseren auch Teile des
Gebäudeinnern erfasst. Sämtliche dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel
blieben erfolglos.

    Gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, die
hinsichtlich des ehemaligen Hotelgebäudes Bellerive au Lac den Bauabschlag
und die Unterschutzstellung bestätigten, sowie gegen die Entscheide, die
das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang als Revisionsinstanz fällte,
erhoben die SNB und die AG Hotel Bellerive au Lac beim Bundesgericht je
eine staatsrechtliche Beschwerde. Sie rügen die Verletzung von Art. 4,
22ter und 58 BV sowie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- In seinem Urteil vom 28. Januar 1994 verneint
das Verwaltungsgericht die Anwendbarkeit der Europäischen
Menschenrechtskonvention mit der Begründung, bei der SNB handle es sich um
eine öffentliche Anstalt des Bundes, die keine nichtstaatliche Organisation
im Sinne von Art. 25 EMRK sei und die sich daher nicht auf Art. 6 EMRK
berufen könne. Dies gelte auch für die von der SNB beherrschte AG Hotel
Bellerive au Lac.

    a) Die EMRK enthält keine ausdrückliche Regelung des persönlichen
Geltungsbereichs der in ihr garantierten Rechte und Freiheiten. Art. 1 EMRK
statuiert die Verpflichtung der vertragschliessenden Staaten, allen ihrer
Jurisdiktion unterstehenden Personen die in Abschnitt I der Konvention
niedergelegten Rechte und Freiheiten zuzusichern. Gemäss Art. 6 Ziff. 1
EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise
öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist angehört wird. Präzisere
Hinweise über den persönlichen Anwendungsbereich der Konvention fehlen.

    Allerdings bestimmt Art. 25 EMRK, dass neben natürlichen Personen
auch nichtstaatliche Organisationen oder Personenvereinigungen berechtigt
sind, eine Individualbeschwerde bei der Europäischen Kommission für
Menschenrechte einzureichen. Aus dieser Norm, die nur die Berechtigung
zur Individualbeschwerde regelt, wird zum Teil abgeleitet, dass sich
staatliche Organisationen generell nicht auf die Konventionsrechte
berufen können (JOCHEN ABR. FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, Europäische
Menschenrechtskonvention, Kommentar, 1985, Art. 6 N. 6; Art. 25 N. 14;
HEINZ GURADZE, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1968, Art. 6
N. 4). Nach anderen Auffassungen reicht der persönliche Anwendungsbereich
der Konvention über Art. 25 EMRK hinaus (vgl. JACQUES VELU, La Convention
européenne des droits de l'homme et les personnes morales, Miscellanea W.J.
Ganshof van der Meersch, 1972, Band I, S. 591 ff.). Dabei wird zum Teil
zwischen dem Staat und ihm unterstellten Personen des öffentlichen Rechts
unterschieden sowie nach der Art des angerufenen Rechts differenziert
(vgl. HERIBERT GOLSONG, La Convention européenne des droits de l'homme
et les personnes morales, in: Université catholique de Louvain (Hrsg.),
Les droits de l'homme et les personnes morales, 1970, S. 23, 31; HUBERT
SCHORN, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten, 1965, Art. 6 N. 3). JACQUES VELU (aaO, S. 596
ff.) vertritt eine weitgehende Gleichstellung von juristischen Personen des
öffentlichen und des privaten Rechts, allerdings nur in deren speziellem
Zuständigkeitsbereich und soweit dies nicht mit den Grundsätzen des
öffentlichen Dienstes unvereinbar sei.

    Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat bisher Beschwerden
von Trägern öffentlicher Gewalt, insbesondere von Gemeinden, grundsätzlich
für unzulässig erklärt (Entscheid vom 14. Dezember 1988, Nr. 13252/87,
i.S. Gemeinde Rothenthurm, DR 59/1989, S. 251 ff.; Entscheid vom 31. Mai
1974 betr. 16 österreichische Gemeinden, Nr. 5767/72 u.a., CD 46/1974,
S. 118 ff., 125 f.). Soweit aus diesen Entscheiden erkennbar, wurde die
Beschwerdeberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts
allgemein abgelehnt, ohne nach der hoheitlichen oder privatrechtlichen
Rechtsnatur ihres Handelns oder dem angerufenen Recht zu unterscheiden.

    b) Die SNB ist eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft
des Bundesrechts, deren Rechtsnatur umstritten ist. Sie wird als
öffentlichrechtliche Anstalt, aber auch als Körperschaft oder überhaupt
als juristische Person sui generis betrachtet (vgl. BGE 105 Ib 348 E. 4c
S. 357). Formell ist sie als Aktiengesellschaft konzipiert, allerdings
mit einer spezifischen, vom sonstigen Gesellschaftsrecht abweichenden
Ausgestaltung (SCHWEIZERISCHE NATIONALBANK [Hrsg.], Aufgaben, Instrumente,
Organisation, 1989).

    Die SNB regelt gemäss Art. 39 BV den Geldumlauf des Landes, erleichtert
den Zahlungsverkehr und führt eine den Gesamtinteressen des Landes dienende
Kredit- und Währungspolitik. Sie erfüllt somit öffentliche Aufgaben. Hierzu
stehen ihr aufgrund des Nationalbankgesetzes vom 23. Dezember 1953 (NBG;
SR 951.11) hoheitliche Befugnisse zu. Trotz ihrer formal privatrechtlichen
Organisationsform trägt sie daher ein stark öffentlichrechtliches Gepräge
(LEO SCHÜRMANN, Nationalbankgesetz und Ausführungserlasse, 1980, Art. 1
N. 3).

    Ob ihr eine Berufung auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK aus diesem Grund verwehrt
ist, kann jedoch im vorliegenden Fall offenbleiben, da dieses Recht -
wie sich nachstehend ergibt - jedenfalls der zweiten Beschwerdeführerin
zusteht.

    Die AG Hotel Bellerive au Lac ist eine privatrechtliche
Aktiengesellschaft, deren Anteile sich zu 100% im Eigentum der Nationalbank
befinden. Dieser Aktienbesitz ändert aber nichts an der privatrechtlichen
Natur der AG Hotel Bellerive au Lac, die rechtlich von der SNB zu
unterscheiden ist und selbst keine öffentlichen Aufgaben erfüllt. Sie
kann sich daher wie jede juristische Person des Privatrechts auf die
EMRK berufen. Unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs, der vorliegend
ausser Frage steht, gibt es keinen Grund, der privaten Grundeigentümerin
die Berufung auf die EMRK unter Durchgriff auf den öffentlichrechtlichen
Status ihrer Alleinaktionärin zu versagen.

    c) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Begriff der
zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne von Art. 6 Ziff. 1
EMRK entsprechend der Praxis der Strassburger Organe auszulegen. Er
umfasst nicht nur zivilrechtliche Streitigkeiten im engeren Sinne,
sondern auch Verwaltungsakte einer hoheitlich handelnden Behörde, sofern
diese massgeblich in Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher Natur
eingreifen (BGE 119 Ia 88 E. 3b S. 92). Im angeführten Entscheid ging es
um die Unterschutzstellung eines Kino- und Theatersaals einschliesslich
seiner Nebenräume und des Foyers. Das Bundesgericht hielt eine Massnahme,
die zur Erhaltung der Räume in ihrem gegenwärtigen Zustand verpflichtet,
für eine sehr weitgehende Beschränkung des Eigentums ("un caractère quasi
expropriatif"), die in den Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EMRK falle.

    Im vorliegenden Fall betrifft die Unterschutzstellung ebenfalls
wesentliche Teile des ehemaligen Hotelgebäudes Bellerive au Lac:
Neben dem Gebäudeäussern mit allen Fassaden und Dachflächen samt An-
und Aufbauten sind auch die konstruktiven Gebäudestrukturen - umfassend
die Geschossdecken sowie die tragenden Wände und Stützen - sowie, in
den vier Obergeschossen und im Dachgeschoss, zahlreiche Innenräume
mit ihrer architektonischen Ausstattung unter Schutz gestellt. An
den geschützten Teilen dürfen keine Änderungen vorgenommen werden,
die ihren kunst- oder kulturhistorischen Charakter beeinträchtigen. Die
Schutzobjekte müssen ordnungsgemäss im Original erhalten und dürfen auch
durch Unterhaltsarbeiten nicht beeinträchtigt werden. Die Erstellung
weiterer Gebäude auf der Liegenschaft sowie die Volumenvergrösserung
des bestehenden Gebäudes sind untersagt. Dies hat zur Folge, dass die
Grundeigentümerin das bestehende Gebäude weitgehend erhalten muss und
Änderungen nur noch beschränkt möglich sind.

    Unter diesen Umständen stellt die umstrittene Schutzverfügung eine
wesentliche Eigentumsbeschränkung dar, die in den Anwendungsbereich
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK fällt. Daraus ergibt sich, dass die von der
Schutzmassnahme betroffene Grundeigentümerin grundsätzlich einen Anspruch
hat, dass ihre Sache in billiger Weise öffentlich gehört wird.

    d) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt die Öffentlichkeit
der Gerichtsverhandlung ein fundamentales Prinzip dar, das nicht nur
für den Einzelnen wichtig ist, sondern ebensosehr als Voraussetzung für
das Vertrauen in das Funktionieren der Justiz erscheint (BGE 119 Ia 99
E. 4a S. 104; 119 Ib 311 E. 6b S. 328 f.). Die Rechtsprechung steht mit
derjenigen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang
(vgl. Urteil i.S. Håkansson und Sturesson vom 21. Februar 1990, Série A,
Vol. 171-A, Ziff. 66; Urteil i.S. Sutter vom 22. Februar 1984, Série
A, Vol. 74, Ziff. 26; Urteil i.S. Pretto vom 8. Dezember 1983, Série A,
Vol. 71, Ziff. 21; Urteil i.S. Axen vom 8. Dezember 1983, Série A, Vol. 72,
Ziff. 25).

    Art. 6 Ziff. 1 EMRK verleiht dem Einzelnen einen Anspruch, seine
Argumente mündlich in einer öffentlichen Sitzung dem Gericht vorzutragen
(vgl. den Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte
i.S. Fredin vom 9. Februar 1993, Série A, Vol. 283, Ziff. 42, sowie
i.S. Adler c. Schweiz, Nr. 9486/81, VPB 1985 Nr. 74 § 51). Zwar erwähnt
Art. 6 Ziff. 1 EMRK die Mündlichkeit nicht ausdrücklich. Diese ist jedoch
unentbehrliche Voraussetzung für die Teilnahme der Allgemeinheit an einem
Verfahren (MIEHSLER/VOGLER, IntKommMRK Art. 6 N. 332; JEAN-MAURICE FRÉSARD,
L'applicabilité de l'art. 6 § 1 CEDH au contentieux de l'assurance sociale
et ses conséquences sous l'angle du principe de la publicité des débats,
SVZ 62/1994 193, 195; vgl. auch BGE 120 V 1 E. 3d S. 8).

    e) Art. 6 Ziff. 1 Satz 2 EMRK sieht selber Ausnahmen von der
Öffentlichkeit vor im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen
Ordnung oder der nationalen Sicherheit oder wenn die Interessen von
Jugendlichen, der Schutz des Privatlebens von Prozessparteien oder die
Gefahr der Beeinträchtigung der Rechtspflege es gebieten (vgl. ARTHUR
HAEFLIGER, Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung, in:
Verfassungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtsprechung, 1992, S. 247 f.;
MIEHSLER/VOGLER, IntKommMRK, Art. 6 N. 334 ff.).

    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erachtet
überdies gewisse Einschränkungen des Öffentlichkeitsprinzips im
Rechtsmittelverfahren als konventionskonform. So entschied er, dass
eine Rechtsmittelinstanz, die auf eine reine Rechtskontrolle beschränkt
sei, im schriftlichen Verfahren entscheiden bzw. unter Ausschluss der
Öffentlichkeit verhandeln könne, sofern in erster Instanz eine öffentliche
Verhandlung stattgefunden habe (Urteil i.S. Ekbatani vom 26. Mai 1988,
Série A, Vol. 134, Ziff. 31; Urteil i.S. Sutter vom 22. Februar 1984,
Série A, Vol. 74, Ziff. 30; Urteil i.S. Axen vom 8. Dezember 1983, Série A,
Vol. 72, Ziff. 28).

    In anderen Fällen (Urteil i.S. Helmers vom 29. Oktober 1991, Série A,
Vol. 211-A, Ziff. 36; Urteil i.S. Andersson vom 29. Oktober 1991, Série
A, Vol. 212-B, Ziff. 27; Urteil i.S. Fejde vom 29. Oktober 1991, Série
A, Vol. 212-C, Ziff. 31) ging der Gerichtshof noch einen Schritt weiter:
Danach räumt Art. 6 Ziff. 1 EMRK auch bei einem Berufungsgericht, das einen
Fall hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen und der Rechtsausführungen
überprüfen kann, nicht immer, unabhängig von der Art der zu entscheidenden
Fragen, ein Recht auf eine öffentliche Verhandlung ein. Das Erfordernis
der Öffentlichkeit sei sicherlich eines der Mittel, durch welches das
Vertrauen in die Gerichte aufrechterhalten werde. Es gebe jedoch noch
andere Gesichtspunkte, die bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer
öffentlichen Verhandlung in Verfahrensstadien nach der Durchführung der
erstinstanzlichen Hauptverhandlung berücksichtigt werden müssten, wie
das Recht auf ein Verfahren innerhalb angemessener Frist und das damit
zusammenhängende Erfordernis einer raschen Erledigung der dem Gericht
unterbreiteten Fälle. Wenn in erster Instanz eine öffentliche Verhandlung
stattgefunden habe, könne daher das Fehlen einer solchen Verhandlung in
zweiter oder dritter Instanz durch besondere Merkmale der betreffenden
Verfahren gerechtfertigt sein. Dabei komme es insbesondere auf die Natur
der konkret streitigen, von der Rechtsmittelinstanz zu beurteilenden
Fragen an (vgl. dazu auch BGE 119 Ia 316 E. 2b S. 318 sowie HAEFLIGER,
aaO, S. 245 f.; FRANZ MATSCHER, Heilung von konventionswidrigen Mängeln
unterinstanzlicher Verfahren durch Rechtsmittel; konventionswidrige
Rechtsmittelverfahren bei konventionskonformen unterinstanzlichen
Verfahren, in: Festschrift Adamovich, 1992, S. 420).

    In jüngsten Entscheiden hat der Europäische Gerichtshof angedeutet,
dass die Durchführung eines schriftlichen und damit nicht öffentlichen
Verfahrens ausnahmsweise selbst dann konventionskonform sein könnte, wenn
der Rechtsuchende bei der Vorinstanz keine Gelegenheit hatte, seine Sache
öffentlich vor Gericht vorzutragen. Im Fall Fredin entschied der oberste
Verwaltungsgerichtshof Schwedens als einzige gerichtliche Instanz über
den Widerruf einer Schotterabbaugenehmigung. Die Europäische Kommission
für Menschenrechte leitete den Verstoss gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK bereits
daraus ab, dass der Verwaltungsgerichtshof als einzige gerichtliche Instanz
entschieden habe. Unter solchen Umständen habe der Betroffene immer das
Recht auf eine öffentliche Verhandlung (Entscheid vom 9. Februar 1993,
Série A, Vol. 283-A, Ziff. 42 f.). Der Europäische Gerichtshof bestätigte
den Kommissionsentscheid, führte aber in seiner Begründung an, dies gelte
jedenfalls, wenn die gerichtliche Instanz Rechts- und Tatsachenfragen
überprüfen und die Beschwerde Fragen in beiden Bereichen aufwerfen
könne, zumal zumindest zwei der fünf schwedischen Verwaltungsrichter eine
mündliche Anhörung für erforderlich gehalten hätten (Urteil vom 23. Februar
1994, Série A, Vol. 283-A, Ziff. 22). Ferner ist zu beachten, dass das
Eidgenössische Versicherungsgericht aufgrund des Urteils des Europäischen
Gerichtshofs i.S. Schuler-Zgraggen vom 24. Juni 1993 (Série A, Vol. 263,
Ziff. 58) es für zulässig erachtet, in gewissen Fällen trotz Vorliegens
eines entsprechenden Antrags von der Durchführung einer öffentlichen
Verhandlung abzusehen. Dabei würden namentlich die Gesichtspunkte der
besseren Eignung des schriftlichen Verfahrens bei hochtechnischen Fragen
und die im Sozialversicherungsprozess gebotene Einfachheit und Raschheit
des Verfahrens ins Gewicht fallen (BGE 120 V 1 E. 3d S. 8; 119 V 375
E. 4b/dd S. 381; vgl. auch FRÉSARD, aaO, S. 196).

    f) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist
schliesslich auch ein Verzicht auf die Öffentlichkeit der Verhandlung
möglich. Er kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen (Urteil
i.S. Zumtobel vom 21. September 1993, Série A, Vol. 268-A, Ziff. 80 f.;
Urteil i.S. Schuler-Zgraggen gegen die Schweiz vom 24. Juni 1993, Série A,
Vol. 263, Ziff. 58; Urteil i.S. Håkansson und Sturesson vom 21. Februar
1990, Série A, Vol. 263, Ziff. 58; Urteil i.S. Albert und Le Compte vom
10. Februar 1983, Série A, Vol. 58, Ziff. 35; Urteil i.S. Le Compte, Van
Leuven und De Meyere vom 23. Juni 1981, Série A, Vol. 43, Ziff. 59). In den
beiden erwähnten Fällen Håkansson und Sturesson und Schuler-Zgraggen nahm
der Gerichtshof einen unzweideutigen Verzicht an, weil der Beschwerdeführer
keinen Antrag auf öffentliche Verhandlung gestellt hatte, obwohl die
einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen diese Möglichkeit vorsahen und
er wusste, dass in der Regel im schriftlichen Verfahren entschieden werde
(vgl. auch BGE 119 Ib 311 E. 6d und e S. 330 f.).

    Zum gleichen Ergebnis kommt die Rechtsprechung des Bundesgerichts
gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben und das Verbot des
Rechtsmissbrauchs, welche auch im Verfahrensrecht Geltung haben
(vgl. BGE 107 Ia 206 E. 3a S. 211; vgl. auch Jean-François Egli, La
protection de la bonne foi dans le procès, in: Verfassungsrechtsprechung
und Verwaltungsrechtsprechung, 1992, S. 238 ff.). Danach ist es nicht
zulässig, formelle Rügen, welche in einem frühen Stadium hätten geltend
gemacht werden können, bei ungünstigem Ausgang noch später vorzubringen
(BGE 111 Ia 161 E. 1a S. 162 f.). In bezug auf die Garantie auf einen
unvoreingenommenen Richter hat das Bundesgericht erkannt, dass Ablehnungs-
oder Ausstandsgründe so früh wie möglich geltend zu machen sind und ein
verspätetes Vorbringen gegen Treu und Glauben verstossen und daher die
Verwirkung mit sich bringen kann (BGE 118 Ia 282 E. 3a S. 284 und 209
E. 2d S. 215). Diese Rechtsprechung findet auch auf die Garantie eines
öffentlichen Verfahrens gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK Anwendung (BGE 119 Ia
221 E. 5a und b S. 228 ff.).

    g) Die Beschwerdeführerinnen rügen, dass im Hauptverfahren vor
dem Verwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung stattfand. Ob
im erstinstanzlichen Rekursverfahren öffentlich hätte verhandelt
werden müssen, ist dagegen nicht Gegenstand der staatsrechtlichen
Beschwerde. Einer der in der Konvention aufgezählten Ausnahmegründe,
welcher ein Absehen von der Öffentlichkeit rechtfertigen würde, ist nicht
gegeben. Namentlich sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich,
die im Interesse der Rechtspflege eine nichtöffentliche Verhandlung
erfordern würden. Im Gegensatz zum Sachverhalt, der den erwähnten
Urteilen i.S. Ekbatani, Helmers, Andersson und Fejde zugrunde lag,
wurde im vorliegenden Fall auch das vorinstanzliche Verfahren vor der
Baurekurskommission schriftlich, also ohne öffentliche Verhandlung,
durchgeführt. Der Augenschein vom 13. März 1991, an dem nur die Parteien
teilnehmen konnten, war nicht öffentlich und genügte in dieser Hinsicht
den Anforderungen von Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht (vgl. dazu das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Mai 1994 in ZBl 95/1994
568 f. E. 5c).

    Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Beschwerdeführerinnen
allenfalls auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet
haben oder ob nach der angeführten jüngsten Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs Umstände vorliegen, welche es rechtfertigen, von einer
öffentlichen Verhandlung abzusehen.

    h) Im Verfahren betreffend die Unterschutzstellung des ehemaligen
Hotels Bellerive au Lac beantragten die Beschwerdeführerinnen mit Schreiben
vom 29. Juli 1993 die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung. Im
Rekursverfahren hatten sie dagegen die Öffentlichkeit nicht verlangt. Es
geht nicht an, darin einen für das Verwaltungsgerichtsverfahren wirksamen
Verzicht zu erblicken. Dies ergibt sich namentlich aus den folgenden
Umständen.

    Zur Abklärung der Schutzwürdigkeit des ehemaligen Hotels Bellerive au
Lac und des erforderlichen Schutzumfangs holte das Verwaltungsgericht eine
Expertise ein. Die Beschwerdeführerinnen waren mit der Wahl des Gutachters
durch das Verwaltungsgericht nicht einverstanden. Sie bezeichneten sein
Gutachten als nicht schlüssig und reichten dem Verwaltungsgericht eine
Stellungnahme der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege ein. Für
den Fall, dass eine Einigung nicht möglich sein sollte, stellten sie den
erwähnten Antrag, es sei das Verfahren mit einer öffentlichen Verhandlung
abzuschliessen.

    Da das Verwaltungsgericht somit den Sachverhalt mit einer Expertise
einer gründlichen Überprüfung unterzog, konnte ein allfälliger Verzicht
auf eine öffentliche Verhandlung vor der Baurekurskommission von
vornherein keine Wirksamkeit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren
haben. Vielmehr zeigen die weitreichenden und umstrittenen Beweismassnahmen
des Verwaltungsgerichts, dass die Beschwerdeführerinnen durchaus ein
berechtigtes Interesse an der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung
haben konnten.

    i) Die Voraussetzungen, um trotz eines Antrags auf eine öffentliche
Verhandlung zu verzichten, sind im vorliegenden Fall ebenfalls
nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht hat als Beschwerdeinstanz
entschieden. Hebt es eine angefochtene Anordnung auf, entscheidet es gemäss
§ 63 Abs. 1 VRG grundsätzlich selbst. Dabei darf es über die gestellten
Rechtsbegehren nicht hinausgehen und die aufgehobene Anordnung nicht
zum Nachteil des Beschwerdeführers abändern (§ 63 Abs. 2 VRG). Das
Verwaltungsgericht ist nicht auf eine Rechtskontrolle beschränkt,
sondern es überprüft auch die Feststellung des Sachverhalts (vgl. § 51
Abs. 2 VRG). Im vorliegenden Fall hat es wie erwähnt von dieser Befugnis
Gebrauch gemacht und die Schutzwürdigkeit und den allenfalls erforderlichen
Schutzumfang mit einer Expertise abklären lassen. Angesichts der erfolgten
umfassenden Prüfung konnte nicht von einer öffentlichen Verhandlung
abgesehen werden, soll das Öffentlichkeitsprinzip gemäss Art. 6 Ziff. 1
EMRK nicht seiner Substanz entleert werden.

    j) Es ergibt sich somit, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren
betreffend die Unterschutzstellung des ehemaligen Hotels Bellerive au Lac
zu Unrecht eine öffentliche, mündliche Verhandlung abgelehnt und dadurch
Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt hat. Da der verletzte Anspruch formeller
Natur ist, führt die Gutheissung der Rüge zur Aufhebung des angefochtenen
Entscheids, unbekümmert darum, ob dieser anders ausgefallen wäre, wenn eine
öffentliche Verhandlung stattgefunden hätte, oder ob er in der Sache vor
der Verfassung standhält. Der Mangel lässt sich im vorliegenden Verfahren
nicht beheben. Es ist daher der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom
28. Januar 1994 aufzuheben, ohne die weiteren, dagegen erhobenen Rügen
zu prüfen.

Erwägung 6

    6.- Im Verfahren betreffend die Verweigerung der Baubewilligung hielt
das Verwaltungsgericht Art. 6 Ziff. 1 EMRK für sachlich nicht anwendbar. Es
argumentierte im Revisionsentscheid vom 4. März 1993, es werde weder ein
Bauverbot noch eine neue Nutzungsbeschränkung ausgesprochen, sondern es
gehe lediglich um die Einhaltung der bestehenden Vorschriften über den
vorgeschriebenen Wohnanteil, und dies stelle keine Streitigkeit über
zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen dar.

    a) Im Baubewilligungsverfahren stellten die Beschwerdeführerinnen weder
vor der Baurekurskommission noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
einen Antrag auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Sie
verlangten die Ansetzung einer öffentlichen Verhandlung erstmals im
Revisionsgesuch.

    Aufgrund der gesamten Umstände hätten die Beschwerdeführerinnen
aber in verschiedener Hinsicht Anlass gehabt, ein öffentliches
Verfahren zu verlangen: Die §§ 57 ff. VRG gehen grundsätzlich von
einem schriftlichen Verfahren auf der Grundlage der Akten und der
schriftlichen Vernehmlassungen der Parteien aus (ALFRED KÖLZ, Kommentar zum
Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 1978, § 59 N. 2 f. und §
67 N. 1). Das Verwaltungsgericht oder dessen Vorsitzender kann allerdings
gemäss § 59 Abs. 1 VRG eine mündliche Verhandlung anordnen. Diese ist
gemäss § 62 Abs. 1 Satz 1 VRG öffentlich. Öffentliche Verhandlungen vor
dem Verwaltungsgericht sind also grundsätzlich möglich. Streitsachen über
Baubewilligungen werden jedoch üblicherweise im schriftlichen Verfahren
durchgeführt. In dieser Situation wusste der mit der Zürcher Rechtslage
und Praxis vertraute Rechtsvertreter der Beschwerdeführerinnen, dass eine
öffentliche Verhandlung nur auf ausdrücklichen Antrag hin stattfinden
werde. Das Verwaltungsgericht war angesichts der klaren Rechtslage
und Praxis auch nicht verpflichtet, die Beschwerdeführerinnen darauf
hinzuweisen, dass sie ausdrücklich um ein öffentliches Verfahren ersuchen
müssten, wenn sie ein solches wünschten (BGE 119 Ia 221 E. 5b S. 229).

    In Anbetracht all dieser Umstände wäre es geboten gewesen,
eine mündliche Verhandlung ausdrücklich schon im kantonalen
Verfahren zu verlangen, und zwar spätestens im Hauptverfahren vor dem
Verwaltungsgericht. Das Revisionsverfahren diente nur noch der Berichtigung
prozessualer Versehen, nicht aber der Stellung neuer, im Hauptverfahren
versäumter Verfahrensanträge. Es verstösst daher gegen den Grundsatz von
Treu und Glauben, wenn sich die Beschwerdeführerinnen erst nachträglich
- im Revisionsgesuch bzw. in ihrer staatsrechtlichen Beschwerde an das
Bundesgericht - auf das Öffentlichkeitsprinzip nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK
berufen. Sie haben damit ihren Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung
verwirkt und können ihn nicht mehr geltend machen. Demnach muss auf die
Rüge nicht weiter eingegangen werden.