Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 I 245



121 I 245

34. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
5. Juli 1995 i.S. B. und Erben H. gegen Gemeinde Wangen-Brüttisellen,
Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 22ter BV; Zonenplanung. Planungsfehler; Nichtgenehmigung einer
Einzonung von aufgefülltem Land, welches in absehbarer Zeit nicht anders
als zu gewerblichen Zwecken genutzt werden wird.

    Planung und Wirklichkeit sind bei Bedarf in Übereinstimmung zu bringen;
eine Einzonung kann aber auch in solchen Fällen nur in Frage kommen, wenn
sie im Einklang mit den Planungszielen und -grundsätzen erfolgt (E. 6b).

    Ob ein Planungsfehler vorliegt, ist primär im Lichte der Richtplanung
zu beurteilen (E. 6c-e/aa).

    Grundsätze für die Erweiterung des Baugebietes in einem nahezu
unüberbauten Gebiet zwischen zwei Ortsteilen (E. 6e/bb).

    Möglichkeit der Festsetzung eines Gestaltungsplanes im Nichtbaugebiet?

    Entwicklung der Rechtsprechung zu dieser Frage; Bedeutung der
Festlegungen in der Richtplanung; Voraussetzungen, unter welchen ein
Gestaltungsplan im Nichtbaugebiet zum Zwecke der baulichen Sanierung
festgesetzt werden könnte (E. 8).

Sachverhalt

    A.- B. und den Erben H. gehören drei Grundstücke, welche ein
zusammenhängendes Ganzes bilden. Die Parzellen liegen entlang
der Halden-Strasse in der Gemeinde Wangen-Brüttisellen im Gebiet
"Förliwiesen". Die Halden-Strasse verbindet die Dorfteile Wangen und
Brüttisellen.

    Der Gemeinderat von Wangen bewilligte B. unter anderem 1956 die
Vornahme von Auffüllungen zur Errichtung eines Lagerplatzes. Im Jahre 1969
erteilte der Gemeinderat den Erben H. die Bewilligung für die Nutzung ihrer
Parzelle als Lagerplatz für Maschinen; der Gemeinderat behielt sich vor,
jederzeit auf die Bewilligung zurückzukommen. Am 15. September 1986 wurde
die Beibehaltung der bestehenden, befristet bewilligten Bauten und Anlagen
bis zum 31. Dezember 1993 erlaubt und überdies die Bewilligung für den
Anschluss der Liegenschaften an das Wasser- und Kanalisationsnetz erteilt.

    Das Gebiet, in welchem sich die genannten Parzellen befinden, wurde
im kantonalen Gesamtplan vom 10. Juli 1978 dem Bauentwicklungsgebiet
zugeteilt. In der Folge wurde das Areal mit dem Zonenplan der Gemeinde
vom 26. Juni 1984 der Reservezone zugewiesen. Veranlasst durch die am
1. September 1991 beschlossene Teilrevision des kantonalen Gesetzes
über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht vom 7. September 1975
(Planungs- und Baugesetz, PBG) änderte die Gemeinde Wangen-Brüttisellen
am 26. Oktober 1993 unter anderem den Zonenplan. Dabei wurde das Gebiet
"Förliwiesen" einschliesslich der drei erwähnten Parzellen der Gewerbezone
G4 zugeteilt; eine Bautiefe entlang der Halden-Strasse wurde der Wohnzone
3-geschossig mit Gewerbeerleichterung zugewiesen. Dieser Einzonung
verweigerte der Regierungsrat des Kantons Zürich am 6. Juli 1994 die
Genehmigung. Eine Beschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht blieb
ohne Erfolg.

    B. und die Erben H. stellen mit staatsrechtlicher Beschwerde an
das Bundesgericht den Antrag, den Entscheid des Verwaltungsgerichtes
aufzuheben. Während des bundesgerichtlichen Verfahrens setzte der
Kantonsrat von Zürich einen neuen Richtplan fest. Danach verbleibt das
Gebiet "Förliwiesen" im Bauentwicklungsgebiet.

    Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit
es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 6

    6.- a) Die Nichtgenehmigung der Einzonung stellt in den Augen der
Beschwerdeführer einen Planungsfehler dar (vgl. zum Planungsfehler die in
BGE 106 Ia 329 nicht publizierte E. 4, sowie die nicht veröffentlichten
Urteile des Bundesgerichtes vom 1. September 1994 i.S. Gemeinde Attelwil,
E. 3b, und vom 20. Dezember 1993 i.S. Gemeinde Sagogn, E. 7b). Nach
ihren nicht zu bezweifelnden Angaben ist es auszuschliessen, dass ihre
Parzellen in absehbarer Zeit anders als zu gewerblichen Zwecken genutzt
werden. Daraus leiten sie ab, eine Einzonung sei zur Wahrung ihrer
verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechte (Art. 22ter BV) geboten.

    b) Die Rechtsprechung anerkennt, dass Planung und Wirklichkeit bei
Bedarf in Übereinstimmung zu bringen und aus diesem Grunde Nutzungspläne
zu ändern bzw. anzupassen sind (BGE 114 Ia 32 E. 6 S. 33). Eine Einzonung
kann aber auch in solchen Fällen nur in Frage kommen, wenn sie im Einklang
mit den Planungszielen und -grundsätzen erfolgt (in diesem Sinne der
zitierte BGE 114 Ia 32 E. 6 S. 33, wo im Falle der Reduktion einer
überdimensionierten Bauzone auf die in Art. 15 des Bundesgesetzes über
die Raumplanung vom 22. Juni 1979 [Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700]
zum Ausdruck kommenden Grundsätze für die Bemessung des Baugebietes
hingewiesen wird; vgl. BGE 113 Ia 444 E. 5b S. 455). Der Umstand, dass
die fraglichen Grundstücke seit langem gewerblich genutzt werden und
sich dies in absehbarer Zeit nicht ändern wird, zieht daher nicht ohne
weiteres die Pflicht zu deren Einzonung nach sich.

    c) Die Nichtgenehmigung der Einzonung kann vorab mit Blick auf die
Richtplanung nicht als Planungsfehler betrachtet werden. Nach dem hier
massgebenden Gesamtplan von 1978 liegen die drei Parzellen entgegen der
Darstellung der Beschwerdeführer nicht im "Anordnungsspielraum", sondern
im Bauentwicklungsgebiet. Mit dem neuen Richtplan hat sich daran nichts
geändert. Bei dieser Sachlage kann auch von einem unzulässigen Eingriff
in das der Gemeinde zustehende Ermessen, im Rahmen des Richtplanes die
Grenzen des Baugebietes selbst zu bestimmen (Art. 2 Abs. 3 RPG; BGE 112
Ia 281 E. 7a S. 285 f.), keine Rede sein.

    d) Soweit die Beschwerdeführer eine Einzonungspflicht aus der
"Weilerregel" des Gesamtplanes von 1978 (BGE 113 Ia 192 E. 2c/cc
S. 193 f.) ableiten, ist ihnen ebenfalls nicht zu folgen. Bei ihren
Grundstücken handelt es sich um gewerblich genutztes Areal und nicht um
eine Kleinsiedlung; von einem abgelegenen Ortsteil kann schon gar nicht
gesprochen werden.

    e) Ebenfalls nicht stichhaltig ist das Argument, eine Einzonung sei
zulässig, weil es sich dabei nur um eine untergeordnete Abweichung vom
Richtplan handeln würde (§ 16 Abs. 2 PBG). Rein flächenmässig mag dies
für die drei Grundstücke wohl zutreffen. Das Bundesgericht hat jedoch
wiederholt festgestellt, Kleinbauzonen seien nicht nur unzweckmässig,
sondern grundsätzlich gesetzwidrig (BGE 119 Ia 300 E. 3b S. 303; 116
Ia 339 E. 4 S. 343). Das Verwaltungsgericht hat daher mit Recht darauf
hingewiesen, die von der Gemeinde beschlossene Einzonung führe zu einer
nicht sachgerechten Abgrenzung des Baugebietes.

    aa) Die Liegenschaften der Beschwerdeführer liegen planerisch an einer
heiklen Lage. Sie befinden sich ungefähr in der Mitte des zwar nicht mehr
unberührten, aber doch noch weitgehend unüberbauten Geländes zwischen
den beiden Ortsteilen Wangen und Brüttisellen. Eine Einzonung, wie sie
die Gemeinde beschloss, hat eine nicht zu unterschätzende präjudizielle
Wirkung für ein künftiges Zusammenwachsen der beiden Ortsteile. Die
Richtplanung, welche das Gelände als Bauentwicklungsgebiet bezeichnet,
schliesst einen solchen Zusammenschluss nicht aus, doch soll er weder
im heutigen Zeitpunkt realisiert noch durch eine verfrühte Einzonung von
Areal zwischen der Halden-Strasse und der Autobahn gefördert werden.

    bb) Dass die Gemeinde das Gewerbegebiet zwischen der Halden-Strasse
und der Autobahnkreuzung (Areal "Neuwiesen") im Zuge der "kleinen"
Zonenplanrevision geringfügig in Richtung "Förliwiesen" ausgedehnt
hat, hat nicht zur Folge, dass die Liegenschaften der Beschwerdeführer
eingezont werden müssten. Der Grundsatz rechtsgleicher Behandlung hat
im Planungsrecht nur eine abgeschwächte Bedeutung. Parzellen ähnlicher
Lage und Art können daher unter Vorbehalt des Willkürverbotes völlig
verschieden behandelt werden (BGE 117 Ia 302 E. 4b S. 307; 116 Ia 193
E. 3b S. 195). Die geringfügige Erweiterung des Gewerbegebietes beim
Autobahnkreuz lehnt sich an eine bereits bestehende Gewerbezone an und
ist daher planerisch anders zu beurteilen als eine Einzonung in den
"Förliwiesen". Die Ausdehnung des Gewerbegebietes bei der Autobahn
und die bereits in einem früheren Zonenplan festgesetzte Wohnzone mit
Gewerbeerleichterung oberhalb der Halden-Strasse bestätigen im übrigen,
dass eine Ausdehnung des Baugebietes im Raum zwischen den beiden Ortsteilen
auch nach den Vorstellungen der Gemeinde primär nur schrittweise und
angelehnt an bereits bestehendes Baugebiet erfolgen soll, was sachgerecht
ist. Eine weitgehend isolierte Einzonung in den "Förliwiesen" widerspricht
bei dieser Sachlage den eingangs erwähnten Planungsgrundsätzen (E. 6e).

Erwägung 7

    7.- (Die Nichtgenehmigung der Einzonung stellt keine Verletzung des
aus Art. 4 BV fliessenden Grundsatzes von Treu und Glauben dar).

Erwägung 8

    8.- Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Einwendungen der
Beschwerdeführer unbegründet sind. Die staatsrechtliche Beschwerde ist
daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

    a) Trotz dieses Verfahrensausganges ist nicht in Abrede zu stellen,
dass die gegebene planungsrechtliche Situation - Zuteilung der fraglichen
Parzelle in die Reservezone - nicht in allen Teilen zu befriedigen
vermag. Es ist wie gesagt davon auszugehen, dass sich die bestehende
gewerbliche Nutzung in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Die vor
Jahrzehnten bewilligten und in der Folge ausgeführten Terrainveränderungen
schliessen eine Rückkehr zu einer landwirtschaftlichen Nutzung nach
menschlichem Ermessen aus. Auch führt die geltende Sach- und Rechtslage
seit Jahren zu Unsicherheiten, welche sich in jeweils nur befristet
erteilten Baubewilligungen manifestieren. Diese Bewilligungspraxis dauert
bereits über zwanzig Jahre; die letzten befristeten Bewilligungen sind
Ende 1993 abgelaufen. Seither besteht, wie aufgrund der Akten anzunehmen
ist, für die von diesen Bewilligungen erfassten Bauten und Anlagen ein
Schwebezustand. Eine solche Situation ist planungsrechtlich unerwünscht
und liegt weder im Interesse der Eigentümer noch der Gemeinde. Der
Regierungsrat hat dies erkannt und vorgeschlagen, für die Grundstücke
einen Gestaltungsplan gemäss den §§ 83 ff. PBG zu erlassen.

    b) Im nicht publizierten Urteil vom 2. Februar 1995 i.S. Gemeinde
Wädenswil (E. 6b) liess das Bundesgericht die Frage offen, ob die
zeitgemässe Erneuerung und massvolle Erweiterung von seit Jahrzehnten
bestehenden Gewerbebauten in der Landwirtschaftszone (nach dem
Richtplan: im Landwirtschaftsgebiet) mit einem Gestaltungsplan realisiert
werden könne, wenn die Grundnutzungsordnung nicht geändert werde. Ein
Gestaltungsplan war im betreffenden Fall (noch) nicht erlassen worden. In
der Folge hielt das Bundesgericht in zwei ebenfalls nicht veröffentlichten
Entscheiden vom 24. März 1995 i.S. Gemeinde Oberembrach und i.S. Gemeinde
Stallikon fest, der Erlass eines Gestaltungsplanes für die Realisierung
neuer oder die Erweiterung bestehender Bauten (im betreffenden Fall um 128%
der Betriebsfläche) käme der Festsetzung einer unzulässigen Kleinstbauzone
gleich. Die fraglichen Grundstücke waren der Landwirtschaftszone
zugeteilt und lagen nach den Festlegungen des kantonalen Richtplanes
auch nicht im Anordnungsspielraum (so ausdrücklich das Urteil Stallikon,
E. 4b). Die geplanten bzw. bestehenden Bauten und Anlagen waren nicht
landwirtschaftlicher Natur; sie wiesen keinen Zusammenhang mit dem
Produktionsfaktor Boden auf. Zudem waren, soweit dies aufgrund der von
den kantonalen Behörden getroffenen Sachverhaltsfeststellungen beurteilt
werden konnte, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung
nach Art. 24 Abs. 1 oder 2 RPG nicht gegeben.

    c) Im vorliegenden Fall kann die Frage, ob für die Grundstücke
ein Gestaltungsplan erlassen werden kann, um den Interessen
der Beschwerdeführer entgegenzukommen, ebenfalls nicht abschliessend
beurteilt werden, weil ein solcher Plan nicht festgesetzt wurde. Immerhin
besteht Anlass, auf Unterschiede zu den vorstehend genannten drei Fällen
hinzuweisen.

    aa) Die Grundstücke der Beschwerdeführer sind im Gegensatz zu
den zitierten Fällen nicht einer Landwirtschaftszone (Art. 16 RPG)
zugeteilt. Sie befinden sich in der Reservezone (§ 65 PBG; BGE 116 Ia 328
E. 3 S. 330 f.). Dieser Zone werden unter anderem Gebiete zugeteilt, deren
Nutzung erst später zugelassen wird (Art. 18 Abs. 2 RPG). Die "Förliwiesen"
werden im kantonalen Richtplan als Bauentwicklungsgebiet bezeichnet,
was bedeutet, dass sie in 20-25 Jahren grundsätzlich für eine bauliche
Nutzung in Frage kommen und erschlossen werden sollen (§ 21 Abs. 2 und 3
PBG). Wird beachtet, dass der Richtplan in den Grundzügen bestimmt, wie
sich ein Gebiet räumlich entwickeln soll (Art. 6 Abs. 1 RPG), kann - aus
der verlangten planerischen Gesamtschau heraus betrachtet (Art. 4 Abs. 3
der Verordnung über die Raumplanung vom 2. Oktober 1989 [RPV; SR 700.1])
- nicht gesagt werden, eine nutzungsplanerische Ordnung der (bestehenden)
Überbauung laufe zum vorneherein der anzustrebenden Siedlungsentwicklung
entgegen (vgl. Art. 6 Abs. 3 lit. a RPG).

    bb) Die geltenden Festlegungen in der Zonenplanung haben wie
erwähnt in der Praxis zu Unsicherheiten namentlich bei der Erteilung von
Bewilligungen geführt, was nicht nur für alle Beteiligten unbefriedigend
ist. Bei tatsächlichen Verhältnissen, wie sie hier vorliegen, und bei der
gegebenen planerischen Ausgangslage ist nicht auszuschliessen, dass ein
auf die Grundstücke der Beschwerdeführer beschränkter Gestaltungsplan ein
sachgerechtes Mittel darstellt, die bereits seit Jahrzehnten bestehende
Gewerbenutzung in geordnete Bahnen zu lenken. Ein solcher Gestaltungsplan
müsste, soll er keine unzulässige Kleinbauzone darstellen, in erster Linie
Sanierungszwecken dienen. Wie STEPHAN ESCHMANN (Der Gestaltungsplan nach
zürcherischem Recht, Diss. Zürich 1984, S. 65 f.) darlegt, lässt das
Zürcher Planungs- und Baugesetz einen Gestaltungsplan mit diesem Zweck zu,
sofern - wie hier - die Neugestaltung einer bereits bestehenden Überbauung
(auch) im öffentlichen Interesse liegt.

    cc) Die Beschwerdeführer lehnen zwar aus Kostengründen einen
Gestaltungsplan ab. Sie werden jedoch in ihrem eigenen Interesse
ihren Standpunkt überprüfen müssen. Für eine planerisch sachgerechte
Lösung müssen auch die Gemeinde und der Kanton Hand bieten. Nur so kann
sichergestellt werden, dass für die drei Grundstücke eine planerische
Festsetzung gefunden wird, welche eine zweckmässige Bodennutzung sowie eine
auch im Lichte des Grundsatzes der Rechtssicherheit geordnete Überbauung
gewährleistet (Art. 22quater Abs. 1 BV, Art. 1 Abs. 1 RPG).