Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 I 208



121 I 208

29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
21. Juni 1995 i.S. M'H. gegen Jugendanwaltschaft und Jugendstrafkammer
des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Jugendliche in Untersuchungshaft, Anspruch auf einen
Haftrichter? Art. 5 Ziff. 1 und Ziff. 3 EMRK.

    Jugendstrafverfahren des Kantons Basel-Stadt (E. 2); dieses sieht
keinen obligatorischen Haftrichter vor (E. 3).

    Anforderungen aus Art. 5 Ziff. 3 EMRK (E. 4a).

    Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens (E. 4b).

    Die Untersuchungshaft fällt unter Art. 5 Ziff. 1 lit. d EMRK;
Jugendliche haben keinen Anspruch auf ein Verfahren im Sinne von Art. 5
Ziff. 3 EMRK (E. 4c).

Sachverhalt

    A.- Die Jugendanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt befasste sich
mit dem 1977 geborenen M'H. Dieser wird verdächtigt, mehrere Jugendliche
schwerwiegend tätlich angegangen und zudem versucht zu haben, einzelne
Opfer mittels massiver Drohungen von einer Anzeige abzuhalten bzw. zu
einem Rückzug der ihn belastenden Aussagen zu bewegen.

    Mit einer sogenannten Wegnahmeverfügung der Jugendanwaltschaft
Basel-Stadt wurde M'H. wegen Fortsetzungsgefahr sowie zur Abklärung
der Massnahmebedürftigkeit für die vorläufige Dauer von vier Wochen in
Haft gesetzt.

    Gegen diese Wegnahmeverfügung reichte M'H. beim Präsidium der
Jugendstrafkammer des Kantons Basel-Stadt Rekurs ein mit dem Antrag auf
sofortige Entlassung. Er beanstandete u.a., dass er keinem unabhängigen
Haftrichter im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 EMRK zugeführt worden sei.

    Der Präsident der Jugendstrafkammer wies den Haftrekurs unter Hinweis
auf die basel-städtische Gesetzgebung, wonach Jugendliche keinen Anspruch
auf Vorführung vor einen Haftrichter hätten, ab.

    M'H. hat gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde erhoben
und im wesentlichen eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 3 EMRK geltend
gemacht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Bevor auf die Beschwerde und den angefochtenen Entscheid
näher eingegangen wird, gilt es, das auf Jugendliche anwendbare Verfahren
kurz darzustellen.

    Das Jugendstrafverfahren des Kantons Basel-Stadt wird im Gesetz
über die Jugendstrafrechtspflege vom 30. Oktober 1941 (Gesetzessammlung
257.500, JuStG) geregelt. Soweit nichts Abweichendes vorgesehen ist,
kommen für das Jugendstrafverfahren die Bestimmungen von § 15 bis § 92
der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt (StPO) sinngemäss zur
Anwendung (§ 9 JuStG). Als Zwangsmittel gegen Kinder und Jugendliche
sieht § 12 JuStG die Festnahme vor, wenn ein gesetzlicher Haftgrund
gegeben ist (lit. a), wenn Kinder oder Jugendliche obdachlos oder an
ihrem Aufenthaltsort in ihrem leiblichen oder sittlichen Wohl gefährdet
sind (lit. b) oder wenn zwecks Abklärung der Massnahmebedürftigkeit eine
Einweisung in eine hiezu geeignete Institution notwendig ist (lit. c). Die
Festnahme erfolgt nach § 12 Abs. 2 JuStG aufgrund einer Wegnahmeverfügung
des Jugendanwaltes. Festgenommene Kinder und Jugendliche sind aufgrund von
§ 12 Abs. 3 JuStG in Familien oder speziellen Institutionen, Jugendliche
nur ausnahmsweise in Haftlokalen unterzubringen.

    Der Jugendanwalt führt das Ermittlungsverfahren bis zur Abklärung
des Sachverhalts und der persönlichen Verhältnisse des Angeschuldigten (§
14 JuStG). Erweist sich der Angeschuldigte als nicht strafbar, so stellt
der Jugendanwalt das Verfahren ein; ist der Angeklagte fürsorgebedürftig,
so überweist der Jugendanwalt die Akten mit seinem Bericht dem Jugendamt
(§ 19 JuStG). Erweist sich ein Kind oder ein Jugendlicher als strafbar,
so kann der Jugendanwalt bei Kindern eine disziplinarische Massnahme
verhängen, bei Jugendlichen Verweis, Busse, Verpflichtung zu einer
Arbeitsleistung oder Einschliessung aussprechen oder aber von einer Strafe
oder Massnahme absehen (§ 20 Abs. 1 JuStG). In eigener Kompetenz kann
der Jugendanwalt Übertretungen mit Strafbefehl ahnden (§ 22 JuStG). Ist
der Jugendanwalt zur abschliessenden Beurteilung nicht befugt oder ist
sein Entscheid mit Einsprache angefochten worden, so überweist er den
Fall mit einem Überweisungsbeschluss entsprechend einer Anklageschrift
an die Jugendstrafkammer (§ 23 JuStG).

Erwägung 3

    3.- a) Im angefochtenen Entscheid und in den behördlichen
Vernehmlassungen wird die ausschliessliche Kompetenz des Jugendanwaltes
zur Anordnung von Haft gegenüber Jugendlichen auf § 12 JuStG gestützt. Es
wird ausgeführt, dass diese Bestimmung gegenüber der Strafprozessordnung
spezielles Recht darstelle und daher § 62 Abs. 1 StPO, wonach jeder
Festgenommene Anspruch auf ein Verfahren vor dem Haftrichter hat,
nicht anwendbar sei. Dies ergebe sich zum einen aus den Materialien zur
Einführung eines Haftrichters in der Strafprozessordnung und sei zum andern
wegen des fürsorgerisch-erzieherischen Charakters des Jugendstrafverfahrens
gerechtfertigt.

    Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, auch als Jugendlicher
habe er Anspruch auf ein Verfahren vor einem Haftrichter im Sinne von §
62 StPO. Die Anwendung dieser Bestimmung werde durch das Jugendstrafrecht
nicht ausgeschlossen. Es verstosse gegen den Rechtsgleichheitsgrundsatz,
Jugendliche anders zu behandeln als Erwachsene. Hierfür bestünden keine
sachlichen Gründe. Der Umstand, dass andere Kantone für Jugendliche
keinen Haftrichter kennen, könne nicht ausschlaggebend sein. Fehle es
aber an einem haftrichterlichen Verfahren, so werde er in den aus Art. 5
Ziff. 3 EMRK fliessenden Rechten verletzt. Denn der Jugendanwalt stelle
wegen der Kumulation von Befugnissen im Bereiche der Haftanordnung und
der Anklageerhebung keinen unabhängigen Richter bzw. richterlichen Beamten
im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 EMRK dar.

    b) In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob gestützt auf das
kantonale Recht angenommen werden konnte, dass für Unmündige kein
Haftrichterverfahren bestehe. Diese Prüfung des kantonalen Rechts erfolgt
ausschliesslich unter dem Gesichtswinkel von Art. 4 BV.

    § 9 JuStG erklärt die Bestimmungen der Strafprozessordnung als
sinngemäss anwendbar, soweit nichts Abweichendes bestimmt wird. Im
Jugendstrafrechtspflegegesetz wird das Haftprüfungsverfahren nach § 62
StPO nicht ausdrücklich ausgeschlossen. § 12 JuStG umschreibt indessen
im einzelnen, dass der Jugendanwalt die Haft mit einer Wegnahmeverfügung
anordnet. Das Verfahren ist nicht derart ausgestaltet, dass ein Haftrichter
obligatorisch die Haft überprüfen würde. Aus § 40 JuStG ergibt sich
vielmehr, dass gegen Strafverfolgungsmassnahmen der Jugendanwaltschaft
und damit auch gegen die Verhaftung beim Präsidenten der Jugendstrafkammer
Rekurs erhoben werden kann. Es ist bei dieser Ordnung nicht ersichtlich,
in welcher Weise ein Haftrichter im Sinne von § 62 StPO tätig werden könnte
und in welchem Verhältnis ein solches Haftrichterverfahren zum Rekurs
nach § 40 JuStG stünde. Zudem umschreibt die Strafprozessordnung in §
21 ff. die Zuständigkeit der Behörden und nennt in § 21 ausdrücklich den
Haftrichter, während im Jugendstrafrechtspflegegesetz unter dem Kapitel
Behördenorganisation in § 2 ff. ein Haftrichter nicht erwähnt wird. Es
kann daher in Übereinstimmung mit den Behörden ohne Willkür angenommen
werden, dass im Jugendstrafverfahren kein obligatorischer Haftrichter
vorgesehen ist.

    Diese Auffassung wird bestärkt durch die Materialien, die zur
Einführung eines Haftrichters für Erwachsene führten. Der Regierungsrat
des Kantons Basel-Stadt schlug im Anschluss an die Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. Jutta Huber
(Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A
vol. 188 = EuGRZ 1990 S. 502 = VPB 54/1990 Nr. 54) eine Änderung der
Strafprozessordnung und die Einführung eines Haftrichters vor. In seiner
Botschaft begründete er ausführlich, dass das Jugendstrafrecht Sonderrecht
darstelle und sich ein Haftrichter für die Unmündigen weder rechtfertige
noch aufdränge (Ratschlag und Entwurf Nr. 8260 vom 23. April 1991, dem
Grossen Rat 5. Juni 1991 zugeteilt). Damit zeigt sich mit hinreichender
Deutlichkeit, dass der Gesetzgeber für die Jugendstrafrechtspflege keinen
Haftrichter vorsehen wollte. In der Literatur wird dies denn auch nicht
beanstandet (vgl. CHRISTOPH MEIER/GEORG RÜEGG, Der Haftrichter im Kanton
Basel-Stadt, in: BJM 1994 S. 283).

    Die Rüge wegen Verletzung von Art. 4 BV erweist sich daher als
unbegründet. Soweit der Beschwerdeführer gestützt auf das kantonale Recht
geltend macht, er habe Anspruch auf ein Haftrichterverfahren im Sinne von §
62 StPO, ist seine Beschwerde demnach abzuweisen.

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Fall stellt sich damit die weitere Frage, ob die
Basler Haftordnung für Unmündige vor der EMRK standhält und inwiefern
die Besonderheiten der Jugendstrafrechtspflege ein Abweichen von den für
Erwachsene geltenden Garantien rechtfertigen.

    a) Nach Art. 5 Ziff. 3 EMRK muss jede Person, welche in  Anwendung
von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK festgenommen oder in Haft gehalten
wird, unverzüglich einem Richter oder einem zur Ausübung richterlicher
Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Mit dieser Vorschrift
räumt die Konvention den Untersuchungsgefangenen einen besondern Schutz
vor missbräuchlicher Freiheitsentziehung ein. Die Anhörung hat ohne
Zutun des Betroffenen unverzüglich zu erfolgen, und der Richter oder der
richterliche Beamte muss über die Kompetenz verfügen, eine Entlassung
anzuordnen (BGE 119 Ia 221 E. 7a S. 231, mit Hinweisen). Der Richter
oder richterliche Beamte genügt den Anforderungen nur, wenn er unabhängig
ist. Diesem Erfordernis wird nach der Rechtsprechung nicht entsprochen,
wenn der Richter oder richterliche Beamte haftrichterliche und anklagende
Funktionen ausübt (Urteil Jutta Huber, aaO; BGE 118 Ia 95, 117 Ia 199,
mit Hinweisen).

    Aus der obenstehenden Darstellung der Jugendstrafrechtspflege ergibt
sich, dass der Jugendanwalt Haft anordnen kann, die Untersuchung führt und
schliesslich im Sinne einer Anklage die Überweisung vornimmt bzw. selber
in der Sache urteilt. Damit würde er in seiner Funktion als Richter
im Sinne von Art. 5 Ziff. 3 EMRK den wiedergegebenen Garantien nicht
genügen. Daran vermag auch die neuere Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes nichts zu ändern, wonach die Unvoreingenommenheit des
Strafrichters im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK in vermehrtem Mass auch
bei der Kumulation verschiedener Funktionen bejaht wurde (vgl. Urteile des
Europäischen Gerichtshofes i.S. Nortier, Série A vol. 267, i.S. Padovani,
Série A vol. 257-B und i.S. Fey, Série A vol. 255).

    b) Sowohl im angefochtenen Entscheid als auch in der Literatur wird
auf die Besonderheiten der Jugendstrafrechtspflege hingewiesen, welche
Abweichungen von der für Erwachsene geltenden Ordnung rechtfertigen
sollen. Im Mittelpunkt des Jugendstrafrechts steht der Gedanke
der Erziehung und der Fürsorge. Die Folgen eines rechtswidrigen
Verhaltens richten sich nach der Persönlichkeit des Betroffenen und
dessen erzieherischen Bedürfnissen. Die Straftat tritt als solche in
den Hintergrund und wird als auffälliges Verhalten zum Anlass genommen,
fürsorgerisch und erzieherisch einzuwirken. Nach diesen Anliegen richtet
sich die Ausgestaltung der Jugendstrafrechtspflege. Neben die Abklärung
des Sachverhalts tritt die Erforschung der Persönlichkeit des Jugendlichen
oder des Kindes. Hierfür werden besondere Organe eingesetzt, welche neben
den juristischen Kenntnissen über psychologische Fähigkeiten verfügen,
um eine adäquate Behandlung zu garantieren und ein Vertrauensverhältnis
herzustellen. Aus diesen Gründen werden verschiedene Funktionen bei
derselben Behörde zusammengefasst, sodass sich der Minderjährige nicht mit
einer ganzen Anzahl von richterlichen Behörden konfrontiert sieht. Speziell
für die Untersuchungshaft wird auf die nur kurze Haftdauer hingewiesen
(vgl. FRITZ LANG, Die Untersuchungshaft im Jugendstrafverfahren,
Diss. Zürich 1979, S. 3 ff. und 21 ff.; BRUNO FÄSSLER, Die Anordnung
der Untersuchungshaft im Kanton Zürich, Diss. Zürich 1992, S. 111 f.;
ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts,
2. Auflage 1984, S. 254 ff.; STEFAN TRECHSEL, Die Europäische
Menschenrechtskonvention, ihr Schutz der persönlichen Freiheit und die
schweizerischen Strafprozessrechte, Bern 1974, S. 325 f.).

    Die Besonderheiten des Jugendstrafrechts und der
Jugendstrafrechtspflege haben in der Rechtsprechung und der Doktrin
zur Frage geführt, inwiefern die Garantie auf einen unabhängigen,
unvoreingenommenen und unparteiischen Richter im Sinne von Art. 6 Ziff. 1
EMRK bzw. Art. 58 Abs. 1 BV zu relativieren sei. Im Anschluss an die
Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Ausschluss der Personalunion von
Untersuchungsrichter und Sachrichter (BGE 112 Ia 290, EuGRZ 1986 S. 670)
hat die Cour de cassation des Kantons Genf im gleichen Sinne auch für das
Jugendstrafverfahren entschieden (Urteil vom 29. April 1988 i.S. X, in:
SJ 1988 S. 465). Dieser Entscheid ist in der Literatur auf Zustimmung
und Ablehnung gestossen (MICHEL HOTTELIER, Le droit des mineurs d'être
jugés par un tribunal impartial au sens de l'art. 6 par. 1er CEDH, in:
SJ 1989 S. 133 sowie GÉRARD PIQUEREZ, Le droit à un juge indépendant et
impartial garanti par les articles 58 Cst. et 6 ch. 1 CEDH impose-t-il
de manière absolue une séparation des fonctions judiciaires?, in: SJ
1989 S. 114). Das Bundesgericht seinerseits hat entschieden, dass die
Personalunion von Untersuchungsrichter und Sachrichter im Bereich des
Jugendstrafverfahrens vor Art. 58 Abs. 1 und Art. 6 Ziff. 1 EMRK standhalte
(nicht publiziertes Urteil vom 18. März 1994 i.S. M.).

    Ähnliche Fragen haben sich in der Strassburger Rechtsprechung
gestellt. Im Fall Nortier hat die Europäische Kommission für Menschenrechte
unterstrichen, dass die Garantien aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK in gleicher Weise
auch für Verfahren gegen Minderjährige gelten und demnach die Personalunion
von Untersuchungsrichter und Sachrichter im Grundsatz nicht zulässig
sei; im konkreten Fall hat die Kommission eine Konventionsverletzung
allerdings verneint. Der Gerichtshof hat die Grundsatzfrage ausdrücklich
offengelassen und gestützt auf die konkreten Umstände des Falles
eine Konventionsverletzung ebenfalls verneint (Urteil Nortier, aaO,
Ziff. 34 ff. und 38 sowie Bericht der Kommission vom 9. Juli 1992 mit
den Sondervoten von J.-C. Geus und St. Trechsel).

    c) Für die Frage der Vereinbarkeit der Basler Verfahrensordnung mit der
EMRK ist unabhängig von den Besonderheiten der Jugendstrafrechtspflege
auf die Systematik von Art. 5 EMRK zurückzugreifen. Ziff. 1 dieser
Bestimmung umschreibt in abschliessender Weise die zulässigen Fälle von
Freiheitsbeschränkungen (vgl. Urteil des Gerichtshofes i.S. Bouamar vom 29.
Februar 1988, Série A vol. 129, Ziff. 43). Davon betrifft die lit. c die
Untersuchungshaft, für welche Art. 5 Ziff. 3 EMRK spezielle Garantien wie
den Anspruch auf unverzügliche Vorführung vor einen unabhängigen Richter
oder richterlichen Beamten und auf Beurteilung innerhalb einer angemessenen
Frist oder Entlassung während des Verfahrens einräumt. Daneben sieht
Art. 5 Ziff. 1 lit. d EMRK die Haft von Minderjährigen vor, die zum Zweck
überwachter Erziehung angeordnet oder zum Zweck der Vorführung vor die
zuständigen Behörden verhängt wird. Es ist zu prüfen, ob die vorliegend
streitige Haft unter die allgemeine Bestimmung von lit. c fällt oder aber
die spezielle Norm von lit. d betrifft.

    Die Konvention bestimmt nicht, was unter Minderjährigkeit zu verstehen
ist, doch kann es keinem Zweifel unterliegen, dass Art. 5 Ziff. 1 lit. d
EMRK grundsätzlich auf den 17jährigen Beschwerdeführer anwendbar ist
(vgl. Urteil Bouamar betreffend einen Jugendlichen von knapp 17 Jahren,
aaO, Ziff. 8 ff.; JACQUES VÉLU/RUSEN ERGEC, La Convention européenne des
droits de l'homme, Bruxelles 1990, S. 274 f.; JOCHEN ABR. FROWEIN/WOLFGANG
PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl/Strassburg/Arlington 1985, Rz. 68 zu
Art. 5). Die Bestimmung bezieht sich auf zwei Alternativen. Auf der
einen Seite kann Minderjährigen die Freiheit aus fürsorgerischen
Gründen oder zum Zwecke überwachter Erziehung bzw. zur Abklärung der
Notwendigkeit einer solchen Massnahme und damit auch aus Gründen des
Jugendstrafrechts entzogen werden (Urteil Bouamar, aaO, insbes. Ziff. 46
ff.; VELU/ERGEC, aaO, S. 274 und 275; vgl. TRECHSEL, aaO, S. 208 f.). Zum
andern betrifft der Freiheitsentzug die Vorführung vor die zuständigen
Behörden und damit die eigentliche Untersuchungshaft (VELU/ERGEC, aaO,
S. 274; FROWEIN/PEUKERT, aaO, Rz. 70 zu Art. 5; LANG, aaO, S. 469;
MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention,
Zürich 1993, Rz. 333). In der Literatur wird die Auffassung vertreten,
die Freiheitsentziehung zum Zweck der Vorführung vor die zuständigen
Behörden unterliege der Voraussetzung, dass auf den Betroffenen auch
eine überwachte Erziehung im Sinne der ersten Alternative in Frage käme
(FROWEIN/PEUKERT, aaO, Rz. 70 zu Art. 5; TRECHSEL, aaO, S. 210). Weiter
wird darauf hingewiesen, dass eine entsprechende Freiheitsentziehung im
Sinne von lit. d von einer Verwaltungsbehörde angeordnet werden könne
(VELU/ERGEC, aaO, S. 274; TRECHSEL, aaO, S. 209 und 325).

    Demnach umfasst Art. 5 Ziff. 1 lit. d EMRK auch die gegenüber
Jugendlichen angeordnete Untersuchungshaft und damit die im vorliegenden
Fall umstrittene Haftanordnung. Aus der Systematik von Art. 5 Ziff. 1 EMRK
geht hervor, dass es sich bei lit. d um eine Spezialnorm für Jugendliche
handelt, die der allgemeinen Norm zur Untersuchungshaft von lit. c
vorgeht. Diese Auffassung wird in der Literatur, soweit ersichtlich,
einhellig vertreten (vgl. TRECHSEL, aaO, S. 210 f.; MARTIN SCHUBARTH,
Die Artikel 5 und 6 der Konvention, insbesondere im Hinblick auf das
schweizerische Strafprozessrecht, in: ZSR 94/1975 I S. 476; LANG, aaO,
S. 469; VILLIGER, aaO, Rz. 333).

    Daraus ergibt sich, dass die streitige Haft in den Anwendungsbereich
von Art. 5 Ziff. 1 lit. d EMRK fällt und nicht von lit. c erfasst
wird. Bei dieser Sachlage aber kann sich der Beschwerdeführer nicht auf
die Garantien von Art. 5 Ziff. 3 EMRK berufen. Denn nach dem Wortlaut
und der Systematik von Art. 5 EMRK und einhelliger Lehre gelten die
Garantien von Ziff. 3 ausschliesslich für die Untersuchungshaft im Sinne
von Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK (vgl. Arthur Haefliger, Die Europäische
Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 92; VILLIGER,
aaO, Rz. 348). Demnach kann der Beschwerdeführer aus Art. 5 Ziff. 1 und
3 EMRK nichts zu seinen Gunsten ableiten.

    d) Das Fehlen der haftrichterlichen Garantien im Sinne von Art. 5
Ziff. 3 EMRK für das Jugendstrafrecht wird bisweilen als Mangel empfunden
(vgl. LANG, aaO, S. 470). Es ist in der Tat nicht selbstverständlich,
dass Jugendliche über einen wesentlichen Schutz vor missbräuchlicher
Freiheitsentziehung nicht sollen verfügen können. Da sich ein derartiger
Schutz - wie dargetan - nicht aus der Menschenrechtskonvention ableiten
lässt, müsste er allenfalls auf eine andere Grundlage abgestützt
werden. In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist denn tatsächlich
auch schon die Frage aufgeworfen worden, ob entsprechende formelle
Garantien aus dem ungeschriebenen Verfassungsrecht der persönlichen
Freiheit abzuleiten seien; sie ist indessen offengelassen worden (BGE
119 Ia 221 E. b S. 233). Da sich der Beschwerdeführer nicht auf die
persönliche Freiheit beruft, braucht diese Frage auch im vorliegenden
Fall nicht näher geprüft zu werden. Von einer rechtsungleichen Behandlung
oder Diskriminierung von Jugendlichen gegenüber Erwachsenen im Sinne von
Art. 4 BV oder Art. 14 EMRK kann ebenfalls nicht gesprochen werden, da für
eine differenzierte Behandlung, wie oben dargelegt, gute Gründe sprechen
und die EMRK keinen entsprechenden Anspruch einräumt (vgl. TRECHSEL,
aaO, S. 319). Ferner ist ein Haftrichter im Sinne von Art. 5 Ziff. 3
EMRK auch etwa beim fürsorgerischen Freiheitsentzug, der Parallelen
zur Freiheitsentziehung von Minderjährigen aufweist, nicht vorgesehen
(vgl. BGE 114 Ia 182). Haben Jugendliche demnach keinen Anspruch
auf Vorführung vor einen eigentlichen Haftrichter, so darf immerhin
berücksichtigt werden, dass auch im Falle eines Freiheitsentzuges im Sinne
von Art. 5 Ziff. 1 lit. d EMRK der Rechtsschutz nach Art. 5 Ziff. 4 EMRK
garantiert sein muss. Der Beschwerdeführer konnte denn auch das Präsidium
der Jugendstrafkammer anrufen und die streitige Haft innert kürzester
Frist von einer richterlichen Instanz überprüfen lassen.

    e) Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich demnach, dass sich der
Beschwerdeführer nicht auf Art. 5 Ziff. 1 lit. c in Verbindung mit Ziff. 3
EMRK berufen kann und daher das Basler Verfahren betreffend Haftanordnung
gegenüber Jugendlichen vor der EMRK standhält. Die Beschwerde erweist
sich in diesem Punkte als unbegründet.