Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 I 196



121 I 196

28. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
3. Mai 1995 i.S. René Noth gegen Anne Colliard Arnaud und Anklagekammer des
Kantonsgerichts des Kantons Freiburg (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip, Verfahrenssprache in
einem Strafverfahren, Art. 116 BV und Art. 21 KV/FR.

    Grundlagen und Tragweite der Sprachenfreiheit und des
Territorialitätsprinzips nach dem Verfassungsrecht des Bundes und des
Kantons Freiburg (E. 2).

    Sprachregelung in den kantonalen Verfahrensgesetzen (E. 3).

    Sprachenrechtliche Besonderheiten im Strafverfahren (E. 5a).

    Abwägung von Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip und der sich
entgegenstehenden Interessen der beteiligten Parteien unterschiedlicher
Sprache gestützt auf die konkreten Umstände (E. 5b-5d).

Sachverhalt

    A.- René Noth verursachte mit seinem Personenwagen auf dem
Verkehrskreisel "Grand Pont" in der Stadt Freiburg einen Verkehrsunfall,
fuhr auf den Wagen von Anne Colliard Arnaud auf und löste damit
zusätzlich eine Beschädigung des vordern Fahrzeuges eines weitern
Fahrzeuglenkers aus. Die Schäden sind gering. In der Folge wurde
gegen René Noth eine Strafuntersuchung wegen Verstosses gegen das
Strassenverkehrsgesetz eröffnet und auf Strafklage von Anne Colliard
Arnaud hin wegen fahrlässiger Körperverletzung. Die Untersuchung wurde
vorerst in französischer Sprache geführt und beschränkte sich bisher auf
den Polizeirapport an die Kantonspolizei mit Fotodossier, den Auszug aus
dem Strafregister und die Eingaben von Anne Colliard Arnaud.

    René Noth ersuchte den Untersuchungsrichter darum, das Strafverfahren
in deutscher Sprache zu führen, da er deutscher Muttersprache sei und
nicht Französisch spreche. Dieses Ersuchen wurde der Anklagekammer
des Kantonsgerichts des Kantons Freiburg zum Entscheid überwiesen. Die
Strafklägerin Anne Colliard Arnaud beantragte die Abweisung des Gesuches.

    Die Anklagekammer wies das Gesuch um Durchführung des
Untersuchungsverfahrens in deutscher Sprache ab. Sie führte im wesentlichen
aus, dass im Saanebezirk das Französische alleinige Amtssprache sei
und demnach entsprechend den Richtlinien der Anklagekammer und in
Anbetracht der französischsprachigen Strafklägerin auch die Untersuchung
in französischer Sprache zu führen sei.

    Diesen Entscheid der Anklagekammer hat René Noth beim Bundesgericht mit
staatsrechtlicher Beschwerde angefochten und dessen Aufhebung beantragt. Er
macht hierfür eine Verletzung von Art. 116 BV und der Sprachenfreiheit
geltend und bezieht sich auf Art. 21 der freiburgischen Kantonsverfassung.

    Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 116 Abs. 1 BV, die
Sprachenfreiheit und das Territorialitätsprinzip.

    a) Nach Lehre und Rechtsprechung gehört die Sprachenfreiheit,
d.h. die Befugnis zum Gebrauch der Muttersprache, zu den ungeschriebenen
Freiheitsrechten der Bundesverfassung. Soweit die Muttersprache
gleichzeitig eine Nationalsprache des Bundes ist, steht deren Gebrauch
zudem unter dem Schutz von Art. 116 Abs. 1 BV, der vier Nationalsprachen
anerkennt. Diese Bestimmung verbietet es den Kantonen insbesondere,
Gruppen, die eine Nationalsprache sprechen, aber im Kanton eine Minderheit
darstellen, zu unterdrücken und in ihrem Fortbestand zu gefährden. Die
Anerkennung von Nationalsprachen in Art. 116 Abs. 1 BV setzt der
Sprachenfreiheit jedoch auch Grenzen, denn diese Verfassungsbestimmung
gewährleistet nach der Rechtsprechung die überkommene sprachliche
Zusammensetzung des Landes (Territorialitätsprinzip). Art. 116 Abs. 1 BV
anerkennt die kulturelle Gleichberechtigung der Landessprachen. Die Kantone
sind daher aufgrund dieser Bestimmung befugt, Massnahmen zu ergreifen,
um die überlieferten Grenzen der Sprachgebiete und deren Homogenität
zu erhalten, selbst wenn dadurch die Freiheit des einzelnen, seine
Muttersprache zu gebrauchen, beschränkt wird. Solche Massnahmen müssen
aber verhältnismässig sein, d.h. sie haben ihr Ziel unter möglichster
Schonung der Würde und Freiheit des einzelnen zu erreichen (BGE 106 Ia 299
E. 2a S. 302, 100 Ia 462 S. 465, 91 I 480 S. 485 und 487; Arthur Haefliger,
Die Sprachenfreiheit in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in:
Mélanges Henri Zwahlen, 1977, S. 78; GIORGIO MALINVERNI, Sprachenfreiheit,
in: Kommentar zur Bundesverfassung, Rz. 1 ff. und Rz. 23 ff.; JOSEPH
VOYAME, Avis de droit au sujet du nouvel article constitutionnel sur les
langues officielles et au sujet de son application dans la législation
et la pratique, in: Amtliches Tagblatt der Sitzungen des Grossen Rates
des Kantons Freiburg, TGR 1992 S. 2813 ff., insbes. S. 2819 ff.).

    b) Das Territorialitätsprinzip steht mit der Sprachenfreiheit in einem
vielseitigen, sowohl gleich- als auch gegenläufigen Spannungsverhältnis
(JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung,
Bern 1991, S. 84). Die Sprachenfreiheit schützt einerseits den einzelnen
persönlichkeitsbezogen im Gebrauch seiner eigenen Sprache und ermöglicht
andererseits sprachlichen Minderheiten die Verwendung ihrer Sprache
(MALINVERNI, aaO, Rz. 12; CHARLES-ALBERT MORAND, La liberté de langue,
in: Mélanges André Grisel, S. 170). Damit steht das gebietsbezogene
Prinzip der Amtssprache in einem gewissen Gegensatz (MALINVERNI,
aaO, Rz. 16). Das Territorialitätsprinzip garantiert demgegenüber
die überkommene sprachliche Zusammensetzung und erlaubt Massnahmen,
um die überlieferten Grenzen der Sprachgebiete und deren Homogenität zu
erhalten; unzulässig ist aber das bewusste Verrücken der Sprachgrenzen
(vgl. MALINVERNI, aaO Rz. 28). Es gehört zur Sprachenfreiheit und zum
Territorialitätsprinzip, Sprachminderheiten zu schützen, sie nicht
zu unterdrücken und ihnen gegenüber jegliche Repression zu verhindern
(MALINVERNI, aaO, Rz. 27). In dieser Ausgestaltung dienen Sprachenfreiheit
und Territorialitätsprinzip der Wahrung des Sprachfriedens.

    In der Literatur wird teilweise kritisch vermerkt,
dass die Sprachenfreiheit und das Territorialitätsprinzip als
Grundrechtsausgestaltungen nicht überdehnt werden dürften und nicht
in allen Konstellationen hinreichende Leitlinien abzugeben vermöchten
(vgl. J. P. MÜLLER, aaO S. 84 ff.). Zum einen gelte es insbesondere,
bereichspezifisch auch andere Grundrechte zur Problemlösung heranzuziehen
(J. P. MÜLLER, aaO S. 85; MORAND, aaO, S. 169). Zum andern wird darauf
hingewiesen, dass aus dem Territorialitätsprinzip keine im einzelnen
determinierte Politik abgeleitet werden könne; die Kantone verfügten bei
der Umsetzung der bundesrechtlichen Garantien über einen sehr weiten
Handlungsspielraum (MALINVERNI, aaO, Rz. 40; VOYAME, aaO, S. 2825 und
2838). Teilweise werden Sprachenfreiheit und Territorialitätsprinzip
auch relativiert: Es wird darauf hingewiesen, dass nicht nur auf
einsprachige Gebiete hinzuwirken ist und dass Sprachenfreiheit und
Territorialitätsprinzip als Auftrag zu einer vermehrten Politik der
Mehrsprachigkeit verstanden werden sollen (MALINVERNI, aaO, Rz. 40
f.; J. P. MÜLLER, aaO, S. 85; VOYAME, aaO, S. 2820 und 2841; MICHEL
ROSSINELLI, Protection des minorités linguistiques, in: Gesetzgebung
heute 1991/1 S. 54 f.). Schliesslich wird vermerkt, dass das Zusammenleben
verschiedener Sprachen ein ständiges Bemühen darstellt, die eigene Sprache
ebenso zu pflegen wie einer andern Sprache Verständnis und Offenheit
entgegenzubringen (vgl. J. P. MÜLLER, aaO, S. 86).

    c) Es obliegt in erster Linie den Kantonen, in ihren Grenzen über
die Ausdehnung und Homogenität der gegebenen Sprachgebiete zu wachen und
entsprechende Regelungen zu treffen (BGE 91 I 480 S. 486 f., 100 Ia 462
E. 2 S. 465, 106 Ia 297 S. 303). In Ergänzung der bundesrechtlichen
Ordnung enthält die Verfassung des Kantons Freiburg (KV) in Art. 21
folgende, im Jahre 1990 eingefügte Sprachregelung:

    1Französisch und Deutsch sind die Amtssprachen. Ihr Gebrauch wird in

    Achtung des Territorialitätsprinzips geregelt.

    2Der Staat fördert das Verständnis zwischen den beiden

    Sprachgemeinschaften.

    Wie auf Bundesebene werden damit für den kantonalen Bereich die
Amtssprachen bezeichnet. Die Kantonsverfassung gewährt damit zwar
nicht die bereits nach ungeschriebenem Bundesverfassungsrecht geltende
Sprachenfreiheit, erwähnt hingegen das Territorialitätsprinzip ausdrücklich
und verleiht ihm dadurch ein gewisses Gewicht (VOYAME, aaO, S. 2833). Diese
Ordnung wird ergänzt durch die Verpflichtung, das Verständnis zwischen
den beiden Sprachgemeinschaften zu fördern.

    Die Bedeutung des Territorialitätsprinzips nach der kantonalen
Verfassung ist grundsätzlich im Sinne der obenstehenden Erwägungen
zu verstehen. Der Gutachter VOYAME unterstreicht aber zusätzlich die
Bedeutung der Vorarbeiten, in denen immer wieder davon die Rede ist,
dass das Territorialitätsprinzip mit einer gewissen Zurückhaltung, unter
Beachtung der Verhältnismässigkeit und im Hinblick auf die Wahrung des
Sprachfriedens zu handhaben sei (VOYAME, aaO, S. 2829 ff.). Von besonderer
Bedeutung für den Kanton Freiburg ist, dass trotz der Untergliederung
der Sprachenregelung in zwei Absätze das Territorialitätsprinzip mit
dem Auftrag, das Verständnis zwischen den beiden Sprachgemeinschaften
zu fördern, in eigenständiger Weise in Verbindung und eine gegenseitige
Beziehung gebracht wird und insofern eine Relativierung erfährt.

    d) Nach der Rechtsprechung kommt einer kantonalrechtlichen
Verfassungsgarantie nur dann eine eigene Tragweite zu, wenn sie einen
ausgedehnteren Schutzbereich aufweist als die entsprechende Norm im
Bundesverfassungsrecht (BGE 119 Ia 53 E. 2 S. 55, 118 Ia 427 E. 4a S. 433,
mit Hinweisen). Obwohl das kantonale Verfassungsrecht mit der Erwähnung des
Territorialitätsprinzips wiederholt, was nach der Rechtsprechung auch von
Bundesrechts wegen gilt, ist immerhin den speziellen kantonalrechtlichen
Umständen und insbesondere der Verbindung des Territorialitätsprinzips
mit dem Auftrag, das Verständnis zwischen den Sprachgemeinschaften zu
fördern, Rechnung zu tragen. Insofern kommt den kantonalrechtlichen
Verfassungsgarantien eine eigenständige Bedeutung zu.

Erwägung 3

    3.- Bevor auf den konkreten Fall eingegangen wird, gilt es, die
sprachenrechtlichen Grundlagen darzulegen, wie sie für das Strafverfahren
einerseits und für den Zivilprozess und das Verwaltungsverfahren
andererseits gelten.

    a) Die Strafprozessordnung des Kantons Freiburg (StPO) enthält in
Art. 7 eine Bestimmung über den Gerichtsstand und weist den Entscheid
im Falle von Zweifeln oder Streitigkeiten darüber der Anklagekammer
zu. Diese kann die Untersuchung überdies einem andern als dem
ursprünglich zuständigen Untersuchungsrichter übertragen oder einen
besondern Untersuchungsrichter bezeichnen (Art. 7 Abs. 3 StPO); eine
solche abweichende Zuweisung soll auch aus Sprachgründen möglich sein
(Botschaft des Staatsrates zum Entwurf einer neuen Strafprozessordnung
vom 17. August 1994, S. 25 f.). - Das Gesetz über die Änderung der
Organisation der Strafrechtspflege (Übergangsregelung) teilt den Kanton
in fünf Untersuchungskreise ein (Art. 3). Der 4. Kreis umfasst u.a. den
Saanebezirk mit der Stadt Freiburg, den Broyebezirk sowie - für die in
französischer Sprache geführten Strafuntersuchungen - den Seebezirk. Einer
der beiden Untersuchungsrichter in diesem 4. Kreis muss befähigt sein,
Fälle in deutscher Sprache untersuchen zu können.

    Nach Art. 4 der Übergangsregelung bestimmt das Kantonsgericht durch
Reglement die Organisation der Strafuntersuchung, und gemäss Art. 25 Abs. 1
StPO übt die Anklagekammer die Aufsicht über die Strafuntersuchungen
aus. Gestützt auf diese Zuständigkeiten hat die Anklagekammer am
29. Juli 1993 Richtlinien über die Sprache des Untersuchungsverfahrens
(Richtlinien) erlassen. Danach richtet sich die Sprache der Untersuchung
grundsätzlich nach der Amtssprache des Gerichtsbezirkes. Befindet sich
der massgebliche Begehungsort auf dem Gebiete der Gemeinde Freiburg,
so kann der Beschuldigte beantragen, von einem Untersuchungsrichter
deutscher Sprache einvernommen zu werden.

    Gestützt auf diese Ordnung hat die Anklagekammer in ihrer Praxis
entschieden, dass von dem in der Kantonsverfassung verankerten Prinzip
der Territorialität auszugehen sei. Der Saanebezirk und die Stadt
Freiburg seien grundsätzlich als französischsprachig mit (ausschliesslich)
französischer Amtssprache zu bezeichnen. Eine deutsche Untersuchungsführung
könne daher nur bewilligt werden, wenn der massgebliche Begehungsort
Freiburg ist und alle Verfahrensbeteiligten Deutsch sprechen. Im Einzelfall
sei immerhin eine Abwägung der Interessen vorzunehmen. Diese seien beim
Angeschuldigten stärker zu gewichten als bei einer geschädigten Firma;
anderseits seien auch die Interessen von andern Beteiligten und von
Opfern im Sinne des Opferhilfegesetzes entsprechend zu berücksichtigen
(Entscheid der Anklagekammer vom 21. März 1994, in: FZR 1994 S. 324).

    Daraus ergibt sich zusammenfassend, dass grundsätzlich die Amtssprache
für die Untersuchung ausschlaggebend ist und dass davon für die Stadt
Freiburg unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen im Sinne einer
deutschen Untersuchungsführung gewährt werden können.

    b) Für den Bereich des Zivilverfahrens bestimmt Art. 10 der
Zivilprozessordnung des Kantons Freiburg (ZPO) die Verfahrenssprache. In
den Bezirken und Kreisen des französischen Kantonsteils werden die
Verhandlungen in französischer Sprache, in den Bezirken und Kreisen des
deutschen Kantonsteils in deutscher Sprache und in den gemischten Bezirken
und Kreisen - vorbehältlich einer andern Vereinbarung - in der Sprache des
Beklagten geführt. - Nach der Praxis gelten der Saanebezirk und die Stadt
Freiburg als französischsprachig. Demnach werden die (erstinstanzlichen)
Zivilverfahren in diesem Gebiet grundsätzlich auf Französisch geführt
(Entscheid des Kassationshofes vom 15. Juni 1992, in: FZR 1992 S. 258;
vgl. auch BGE 106 Ia 299 E. bb S. 304).

    Vom Territorialitätsprinzip wird auch für den Bereich
des Verwaltungsverfahrens ausgegangen. Das Gesetz über die
Verwaltungsrechtspflege (VRG) bestimmt in Art. 36 allerdings, dass das
erstinstanzliche Verfahren auf Französisch oder auf Deutsch durchgeführt
wird, je nach der oder den Amtssprachen der Gemeinde des Kantons, in
der die Partei ihren Wohnsitz, Aufenthalt oder Sitz hat; davon kann
nach Art. 38 VRG ganz oder teilweise abgewichen werden, wenn es die
Umstände rechtfertigen. - Nach der Praxis des Verwaltungsgerichts ist
das Territorialitätsprinzip für gemischtsprachige Gebiete angesichts
der Regelung im Verwaltungsverfahrensgesetz zu relativieren und sind
die Interessen zum Schutz der Sprachminderheiten und zur Erhaltung
des Sprachfriedens mitzuberücksichtigen. Solange der Gesetzgeber die
zweisprachigen Gebiete nicht bezeichnet hat, ist im Einzelfall über die
Sprache zu befinden. Dabei können die Zusammensetzung der Bevölkerung,
die Grösse, Geschichte und Stabilität der Sprachgruppen, die geographische
Lage und Einheitlichkeit der Sprachgebiete berücksichtigt werden. Die
Stadt Freiburg könne in diesem Sinne als zweisprachig bezeichnet werden
(Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juli 1993, in: FZR 1993
S. 208).

    c) Aus dem Vergleich von Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren ergibt
sich, dass für den Straf- und Zivilprozess in bezug auf einen bestimmten
Bezirk oder Kreis - vorbehältlich des Seebezirkes - und insbesondere auch
für die Stadt Freiburg von einer einzigen Amtssprache ausgegangen wird;
für die Stadt Freiburg ist das Französische grundsätzlich ausschliessliche
Amtssprache. Demgegenüber werden im Verwaltungsverfahren für gemischte
Gebiete zwei Amtssprachen anerkannt bzw. vom Verwaltungsverfahrensgesetz
vorausgesetzt. Das führt in der Praxis beim Zivil- und Strafprozess
einerseits und im Verwaltungsverfahren andererseits zu unterschiedlichen
Sprachordnungen.

    Im vorliegenden Fall steht einzig das Strafverfahren zur Diskussion und
ist zu entscheiden, ob der angefochtene Entscheid vor dem Verfassungsrecht
des Bundes und des Kantons standhalte. Über die Regelungen und die
Praxis im Zivil- und Verwaltungsverfahren ist demgegenüber nicht zu
entscheiden. Auf diese kann der Ausgang des vorliegenden Verfahrens
im übrigen ebensowenig übertragen werden wie auf andere Bereiche wie
beispielsweise die Sprache des Schulunterrichts, der Registereinträge
oder der Abstimmungserläuterungen (vgl. VOYAME, aaO, S. 2839 und 2853
ff.). Denn die Sprachenfreiheit und das Territorialitätsprinzip lassen
unter Beachtung der zugrundeliegenden Umstände meist nicht nur eine
einzige, sondern grundsätzlich unterschiedliche, sich nicht gegenseitig
ausschliessende Lösungen und Verfahrensausgestaltungen zu (vgl. BGE 106
Ia 299 S. 306).

Erwägung 5

    5.- Die Anklagekammer hat im angefochtenen Entscheid gestützt auf
die oben dargelegte Ordnung das Französische als die massgebliche
Verfahrenssprache bezeichnet. Für den Beschwerdeführer, der der
französischen Sprache nicht mächtig, sondern deutscher Muttersprache ist,
bedeutet diese Anordnung einen Eingriff in die Sprachenfreiheit. Ein
solcher ist - ebenso wie die Bezeichnung und Verwendung einer
Amtssprache im allgemeinen - gestützt auf das Territorialitätsprinzip
nach dem Verfassungsrecht des Bundes und des Kantons grundsätzlich
zulässig (vgl. BGE 102 Ia 35 S. 36). Der Beschwerdeführer zieht die
gesetzliche Grundlage nicht in Frage, sodass weder die oben dargestellte
kantonalrechtliche Sprachregelung noch deren Anwendung als solche zu
prüfen sind. Es ist im folgenden lediglich zu beurteilen, ob der konkret
angefochtene Entscheid vor dem Verfassungsrecht des Bundes und des Kantons
standzuhalten vermag.

    Der Beschwerdeführer macht zur Hauptsache geltend, er werde
durch den angefochtenen Entscheid der Anklagekammer in seiner
Sprachenfreiheit verletzt. Die Anklagekammer hat im wesentlichen auf
die verfahrensrechtliche Situation abgestellt. Für die Beurteilung der
vorliegenden Angelegenheit sind die konkreten Umstände des Falles und
als erstes zu berücksichtigen, dass sich die streitige Sprachenfrage in
einem Strafverfahren stellt.

    a) Soweit in einem Verfahren lediglich eine private Partei den Behörden
gegenübersteht, kann in einem zweisprachigen Kanton relativ leicht von
der einschlägigen Amtssprache abgewichen und die (Mutter-)Sprache des
Betroffenen berücksichtigt werden. In diesem Sinne sehen die Richtlinien
der Anklagekammer denn auch vor, dass anstelle einer französischen eine
deutsche Untersuchungsführung beantragt werden kann, wenn der massgebliche
Begehungsort Freiburg ist. Zudem steht hier ein Untersuchungsrichter
zur Verfügung, der die Untersuchung tatsächlich in deutscher Sprache
führen kann. Handelt es sich um ein Verfahren mit mehreren Parteien
unterschiedlicher Sprache, so muss in Berücksichtigung aller Umstände und
Interessen eine sachgerechte Lösung gefunden werden. Im Strafverfahren
darf auf die Interessen des Beschuldigten ebenso wie auf diejenigen der
Geschädigten und weiterer Beteiligter wie Anzeiger oder Opfer im Sinne des
Opferhilfegesetzes abgestellt werden. Die Konstellation im Strafverfahren
erlaubt es nicht allgemein, hinsichtlich der Sprache eindeutig der einen
oder andern Partei den Vorzug zu geben; der Beschuldigte kann sich
nicht zum vornherein in stärkerem Ausmass auf seine Sprachenfreiheit
berufen als Geschädigter und Opfer, die ihre Rechte (etwa im Sinne des
Opferhilfegesetzes) wahrnehmen und den Prozess möglicherweise auf dem
Zivilweg noch weiterführen. Ebensowenig kann rein arithmetisch darauf
abgestellt werden, ob von mehreren Verfahrensbeteiligten eine Mehrheit
die eine oder andere Sprache spricht.

    Für den Bereich des Strafverfahrens ergeben sich unabhängig von
der kantonalen Sprachregelung aus der Sicht der Verteidigungsrechte
Besonderheiten in verfassungsrechtlicher Hinsicht. Der in einem
Strafverfahren Beschuldigte verfügt über Minimalgarantien, die direkt
aus der Bundesverfassung sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention
und dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte
fliessen (insbesondere Art. 4 BV sowie Art. 6 Ziff. 3 lit. a und lit. e
EMRK und Art. 14 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und lit. f UNO-Pakt II
[SR 0.103.2]). Der Angeschuldigte, der der verwendeten Sprache nicht
mächtig ist, hat im Sinne des rechtlichen Gehörs und zur Wahrung
eines fairen Prozesses Anspruch darauf, in allen Einzelheiten über
die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen und die
wesentlichen Verfahrensschritte in einer ihm verständlichen Sprache
informiert zu werden, Übersetzungen zu bekommen und allenfalls einen
amtlichen Übersetzer beigeordnet zu erhalten. Ebenso ist er persönlich
anzuhören und hat er Anspruch darauf, Fragen an Belastungszeugen zu
stellen, was nur in einer ihm verständlichen Sprache bzw. unter Beizug
von Übersetzungshilfen erfolgen kann. Ferner kann einem Angeschuldigten
unter Umständen auch aus sprachlichen Gründen ein amtlicher Verteidiger
beigegeben werden. Diese verfassungsrechtlichen Minimalgarantien sollen
sicherstellen, dass der Angeschuldigte über hinreichende Möglichkeiten
verfügt, sich wirksam zu verteidigen. Welche Beihilfen und Übersetzungen
im einzelnen erforderlich sind, ergibt sich aufgrund der konkreten Umstände
(vgl. etwa BGE 118 Ia 462 E. 3 S. 467, 115 Ia 64 S. 65). - Diese Garantien
eines fairen Strafprozesses gelten unabhängig von der im Kanton Freiburg
geltenden Sprachregelung für jeden Angeschuldigten, spreche er eine der
beiden freiburgischen Amtssprachen oder andere Sprachen. Sie gelten für
den spezifischen Bereich des Strafverfahrens und dürfen im Zusammenhang
mit der sprachenrechtlichen Problematik mitberücksichtigt werden
(vgl. J. P. MÜLLER, aaO, S. 85). Immerhin kann umgekehrt nicht gesagt
werden, dass in die Sprachgarantien des Angeschuldigten allein schon
deshalb eingegriffen werden dürfe, weil ihm spezifische Verfahrensrechte
und Übersetzungshilfen zustehen.

    Diese Überlegungen zeigen, dass die Eigenheiten des Strafverfahrens
keinen allgemeinen Massstab zur Lösung der streitigen Sprachenfrage
abzugeben vermögen.

    b) Es fällt schwer, im vorliegenden Fall aus den Grundsätzen der
Sprachenfreiheit und des Territorialitätsprinzips Antworten abzuleiten. Das
Territorialitätsprinzip lässt die Bezeichnung einer Amtssprache sowie
Massnahmen zur Aufrechterhaltung der bestehenden Sprachgebiete und deren
Homogenität zu. Diesem wird im kantonalen Strafverfahren schon dadurch
Rechnung getragen, dass die Strafuntersuchungen in der Stadt Freiburg
grundsätzlich auf Französisch geführt werden. Dieser Grundsatz würde
indessen nicht gefährdet, wenn ausnahmsweise entsprechend den Richtlinien
der Anklagekammer im vorliegenden Fall das Deutsche zur Anwendung
gelangt. Umgekehrt verbietet die Sprachenfreiheit eine eigentliche
Unterdrückung von Sprachminderheiten. Eine solche aber kann kaum im
Umstand erblickt werden, dass ein Strafverfahren mit mehreren Parteien
unterschiedlicher Sprache trotz deutscher Muttersprache des Beschuldigten
auf Französisch geführt wird. Auch der verfassungsmässige Auftrag,
das Verständnis zwischen den Sprachgemeinschaften zu fördern bzw. den
Sprachfrieden durch zurückhaltende Anwendung des Territorialitätsprinzips
zu bewahren, gibt für den vorliegenden Einzelfall keinen direkten
Beurteilungsmassstab ab. Eine vermehrte Förderung der Zweisprachigkeit
schliesslich vermag in einem Verfahren mit mehreren Parteien wenig
weiterzuhelfen.

    c) In bezug auf die konkreten Umstände ist davon auszugehen,
dass der Beschwerdeführer tatsächlich deutscher Muttersprache und der
französischen Sprache nicht mächtig ist. Es wird ihm daher schwer fallen,
einem auf französisch geführten mündlichen Verfahren zu folgen. Soweit sein
Rechtsvertreter den Prozess nicht in französischer Sprache führen kann,
hat der angefochtene Entscheid für ihn zudem einen Verteidigerwechsel zur
Folge. Auf der andern Seite steht die Beschwerdegegnerin, die französischer
Muttersprache ist und ihrerseits Anspruch auf Gebrauch dieser Sprache
hat. Aufgrund ihres Amtes als Staatsanwältin eines zweisprachigen
Kantons verfügt sie allerdings über gute Kenntnisse des Deutschen. Es
kann daher kaum gesagt werden, dass sie einem deutsch geführten Verfahren
nicht folgen könnte. Schliesslich darf berücksichtigt werden, dass die
Untersuchungsbehörden auf deutsche Verfahren eingerichtet sind und der
Beschwerdeführer nicht die Verwendung einer beliebigen andern Sprache,
sondern der zweiten Amtssprache verlangt. - Vor diesem Hintergrund
betrachtet zeugt der Entscheid der Anklagekammer von wenig Entgegenkommen
und erscheint wenig tolerant.

    d) Eine umfassende Wertung der Interessen fällt im vorliegenden
Fall nicht leicht. Im einzelnen stehen sich die Sprach-Interessen des
Beschwerdeführers und der Beschwerdegegnerin gegenüber, welche sich beide
auf die Sprachenfreiheit und damit den Gebrauch ihrer eigenen Sprache
berufen können. Der dritte Fahrzeuglenker, der vom Unfallgeschehen
betroffen und deutscher Muttersprache ist, scheint sich am Verfahren
kaum zu beteiligen, sodass auf seine Interessen kaum abgestellt werden
kann. Das Verfahren betrifft eine Angelegenheit, welche für keine
der beiden Seiten von grosser Tragweite ist; denn es ist nur mit einer
Untersuchung bescheidenen Ausmasses, mit einer geringfügigen Anschuldigung
gegenüber dem Beschwerdeführer und einer kleineren Forderung von seiten
der Beschwerdegegnerin zu rechnen. Eine Gewichtung der Interessen von
Beschwerdeführer und Beschwerdegegnerin kann kaum vorgenommen werden. Es
kann insbesondere nicht gesagt werden, dass die eine Partei vom konkret zu
erwartenden Verfahren in bezug auf Intensität und Umfang sowie Tragweite
und Persönlichkeitsbezug wesentlich stärker berührt würde als die andere.

    Gesamthaft gesehen wird der Beschwerdeführer durch den angefochtenen
Entscheid in seiner individualrechtlich verstandenen Sprachenfreiheit
ebensowenig zentral betroffen wie die Beschwerdegegnerin im Falle eines
deutsch geführten Verfahrens. Es sind keine Anzeichen dafür ersichtlich,
dass bei der Anwendung des Französischen das Verfahren nicht sachgerecht
durchgeführt werden oder der Beschwerdeführer sich nicht hinreichend
wirksam verteidigen könnte. Bei dieser Sachlage hält es bei umfassender
Betrachtung vor der Sprachenfreiheit stand, dass der Kanton in Wahrnehmung
seiner Verantwortung für die Regelung des Sprachgebrauchs in seinem
Gebiet nicht so sehr auf die Sprachenfreiheit des Beschwerdeführers,
sondern vermehrt auf das Territorialitätsprinzip abstellte und der für
die Stadt Freiburg geltenden französischen Amtssprache den Vorrang
einräumte. Der mit dem angefochtenen Entscheid verbundene Eingriff
in die Sprachenfreiheit des Beschwerdeführers erweist sich daher als
verhältnismässig und verfassungsgemäss.

    Die vorliegende Beschwerde wegen Verletzung der Sprachenfreiheit ist
daher als unbegründet abzuweisen.