Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 I 187



121 I 187

27. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16.
August 1995 i.S. Stefan Wehrle gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 89 OG; Beginn des Fristenlaufs bei der Anfechtung eines
genehmigungspflichtigen Erlasses.

    Die Publikation einer Verordnung vor der Einholung der konstitutiven
Genehmigung des Bundes löst den Lauf der Beschwerdefrist gemäss Art. 89
Abs. 1 OG nicht aus (E. 1a und b).

    Bestimmung der Frist, wenn nach der Genehmigung der Verordnung durch
den Bund keine zweite Publikation erfolgt (E. 1c).

    Art. 85 lit. a OG; Ausgestaltung des Verfahrens der brieflichen
Stimmabgabe.

    Das Bundesrecht schreibt den Kantonen die nähere Ausgestaltung des
Verfahrens der brieflichen Abstimmung nicht vor. Diese muss aber den in
Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte erwähnten
Grundsätzen Rechnung tragen und eine zuverlässige und unverfälschte
Willenskundgabe der Bürger ermöglichen (E. 3a). Die im Kanton Basel-Stadt
vorgesehene anonyme briefliche Stimmabgabe genügt diesen Anforderungen
nicht (E. 3b-g).

Sachverhalt

    A.- Im Kanton Basel-Stadt wird die briefliche Stimmabgabe in der
Verordnung zum Gesetz über Wahlen und Abstimmungen vom 3. Januar 1995
wie folgt geregelt:

    "§ 8. Bei brieflicher Stimmabgabe sind die ausgefüllten Wahl- und

    Stimmzettel in den Stimmrechtsausweis zu legen. Nach Schliessung
ist das

    Adressfeld entlang der Perforatur zu entfernen. Danach kann der

    Stimmrechtsausweis der Post übergeben werden.

    2...

    § 10. ...

    2 Zur Wahrung des Stimmgeheimnisses werden die Stimmrechtsausweise bei

    Eingang auf die Entfernung des Adressfeldes geprüft. Von den

    Stimmberechtigten nicht abgetrennte Adressfelder werden von Amtes wegen
   unverzüglich entfernt und vernichtet."

    In der Volksabstimmung vom 12. März 1995 gelangten diese Bestimmungen
erstmals zur Anwendung. 78% der Stimmen wurden brieflich abgegeben.

    Stefan Wehrle beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde die
Aufhebung der oben wiedergegebenen §§ 8 Abs. 1 und 10 Abs. 2. Er rügt eine
Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts,
da die beiden angefochtenen Bestimmungen Art. 8 Abs. 1 Satz 2 des
Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 17. Dezember 1976 (BPR;
SR 161.1) verletzten. Ausserdem macht er eine Verletzung der politischen
Rechte geltend.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Regierungsrat stellt sich auf den Standpunkt, die Beschwerde
von Stefan Wehrle sei verspätet.

    a) Staatsrechtliche Beschwerden gegen Erlasse sind gemäss
Art. 89 Abs. 1 OG innert 30 Tagen seit der nach kantonalem Recht
massgebenden Eröffnung beim Bundesgericht einzureichen. Als Eröffnung
gilt die Publikation des Erlasses und der Feststellung, dass derselbe
zustandegekommen ist und damit in Kraft treten kann (BGE 119 Ia 321
E. 3a S. 325; 114 Ia 221 E. 1a S. 222; 108 Ia 140 E. 1 S. 142). Die
Beschwerdefrist beginnt somit noch nicht mit der Veröffentlichung des
Textes eines Erlasses allein zu laufen. Es muss vielmehr zugleich auch
klargestellt sein, dass der Erlass - z.B. infolge einer nicht benützten
Referendumsfrist oder der Annahme desselben in einer Volksabstimmung -
zustandegekommen ist und damit - auf einen zugleich bestimmten oder erst
später zu bestimmenden Termin - in Kraft treten kann.

    b) Die vom Beschwerdeführer angefochtenen §§ 8 Abs. 1 und 10 Abs. 2 der
Verordnung zum Gesetz über Wahlen und Abstimmungen wurden am 7. Januar 1995
im Kantonsblatt Basel-Stadt veröffentlicht. Die gemäss Art. 91 Abs. 2 BPR
erforderliche Genehmigung durch den Bund erfolgte am 16. Januar 1995. Diese
ist nach dem Wortlaut von Art. 91 Abs. 2 BPR Gültigkeitsvoraussetzung
(vgl. auch Art. 7a VwOG).

    Im Zeitpunkt der Publikation der Verordnung im Kantonsblatt war
somit noch nicht sicher, ob diese auch die bundesrechtliche Genehmigung
erhalten werde und damit in Kraft treten könne. Die Veröffentlichung
von Erlassen vor Einholung der konstitutiven Genehmigung des Bundes löst
den Lauf der Frist gemäss Art. 89 Abs. 1 OG nicht aus, da das definitive
Zustandekommen der neuen Regelung noch nicht feststeht (vgl. BGE 119 Ia 123
E. 1a S. 127; 103 Ia 577 E. 2b S. 580; ROLAND VETTERLI, Kantonale Erlasse
als Anfechtungsobjekte der staatsrechtlichen Beschwerde, Diss. St. Gallen,
1989, S. 232). Entgegen der Auffassung des Regierungsrats vermag daran die
Tatsache nichts zu ändern, dass im vorliegenden Fall nach der Genehmigung
durch den Bund keine zweite Publikation vorgesehen war und eine solche
auch nicht erfolgt ist.

    c) Der Beschwerdeführer ist im Schreiben des Kontrollbüros "Wahlen und
Abstimmungen" vom 17. Februar 1995 über die Erteilung der Genehmigung durch
die Bundeskanzlei orientiert worden. Eine Veröffentlichung derselben fand
wie erwähnt nicht statt. Für den Beschwerdeführer begann daher die Frist
gemäss Art. 89 Abs. 1 OG mit der Zustellung dieses Schreibens zu laufen,
zumal auch nicht gesagt werden kann, er habe den Beginn des Fristenlaufs
in einer gegen Treu und Glauben verstossenden Weise hinausgezögert
(vgl. BGE 114 Ia 452 E. 1b S. 455 f.). Geht man davon aus, so ist die
Beschwerdefrist eingehalten.

Erwägung 2

    2.- Die Schweizerische Bundeskanzlei stellte am 16. Januar 1995 fest,
dass die baselstädtische Verordnung zum Gesetz über Wahlen und Abstimmungen
vollumfänglich mit dem Bundesrecht im Einklang stehe, und sie erteilte
daher die nach Art. 91 Abs. 2 BPR erforderliche Genehmigung. Diese
schliesst nach der ständigen Rechtsprechung eine nochmalige Überprüfung
der Verfassungsmässigkeit der Verordnung durch das Bundesgericht nicht aus
(BGE 109 Ia 116 E. 6a S. 127; 103 Ia 130 E. 3a S. 133 f.).

    Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf
die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht geltend, der in den §§ 8 Abs.
1 und 10 Abs. 2 der Verordnung zum Gesetz über Wahlen und Abstimmungen
vorgesehene Modus der brieflichen Abstimmung sehe weder eine Kontrolle
der Stimmberechtigung noch Massnahmen zur Verhinderung von Missbräuchen
vor. Da bei der Stimmabgabe keine Prüfung der Stimmberechtigung erfolge,
sei es ohne Schwierigkeiten möglich, das Stimmaterial abwesender oder
desinteressierter Personen zu behändigen und davon in unbefugter Weise
Gebrauch zu machen. Die genannten Bestimmungen verletzten daher Art. 8
Abs. 1 BPR und den durch das Verfassungsrecht des Bundes gewährleisteten
Anspruch auf eine zuverlässige und unverfälschte Willenskundgabe der
Stimmbürger.

    a) Nach Art. 8 Abs. 1 BPR haben die Kantone für die briefliche
Stimmabgabe ein einfaches Verfahren vorzusehen. Zugleich müssen sie dafür
sorgen, dass die Kontrolle der Stimmberechtigung, das Stimmgeheimnis
und die Erfassung aller Stimmen gewährleistet sind und Missbräuche
verhindert werden. Diese Anforderungen stellen den vom Verfassungsrecht
des Bundes gewährleisteten Anspruch des Stimmbürgers sicher, dass kein
Abstimmungs- oder Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen
der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt
(vgl. BGE 121 I 1 E. 5b/aa S. 12).

    Der Bundesgesetzgeber geht davon aus, dass die Zuverlässigkeit der
Willenskundgabe der Stimmbürger auf verschiedene Weise gewährleistet werden
kann. Daher sieht er davon ab, nähere Vorschriften zum Abstimmungsverfahren
aufzustellen und überlässt dessen Ordnung ganz den Kantonen (vgl. die
Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die politischen Rechte vom
9. April 1975, BBl 1975 I 1332). Diese können damit eine Regelung treffen,
die auf die örtlichen Gegebenheiten und Traditionen Rücksicht nimmt
(vgl. MARIE-LOUISE BAUMANN-BRUCKNER, Stimmrecht und Volksabstimmungen,
in: Das Bundesgesetz über die politischen Rechte, in: Veröffentlichungen
des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule
St. Gallen, Band 13, 1978, S. 53).

    Die Ausgestaltung des Abstimmungsverfahrens muss insgesamt eine
zuverlässige und unverfälschte Willenskundgabe ermöglichen. Die
verschiedenen Aspekte des gewählten Abstimmungsmodus sind deshalb in
ihrem Zusammenwirken zu beurteilen. Werden in einzelnen Punkten
Vereinfachungen eingeführt, kann dies eine Kompensation durch
zusätzliche Schutzvorkehrungen in anderen Punkten erfordern. So bedarf
die Erleichterung des Abstimmungsmodus auf der einen Seite - etwa die
Zulassung der brieflichen Abstimmung in einem ausgedehnteren Umfang -
im allgemeinen erhöhter Schutzmassnahmen gegen Missbräuche auf der
anderen Seite (vgl. die zitierte Botschaft des Bundesrates, BBl 1975
I 1332). Die briefliche Abstimmung ist daher so zu regeln, dass den
teilweise gegenläufigen Anforderungen von Art. 8 Abs. 1 BPR insgesamt
in optimaler Weise entsprochen wird (vgl. auch CLAUDIA BOLLA-VINCENZ,
Die Erleichterung der Stimmabgabe, Diss. Freiburg, 1978, S. 143 f., 156).

    b) Nach der angefochtenen Regelung ist im Kanton Basel-Stadt bei der
brieflichen Stimmabgabe das an den Stimmbürger gesandte Stimmcouvert zu
verwenden, das zugleich als Stimmrechtsausweis ausgestaltet ist (§ 3 der
Verordnung zum Gesetz über Wahlen und Abstimmungen vom 3. Januar 1995). Zur
Wahrung des Stimmgeheimnisses ist bei der Rücksendung das Adressfeld
zu entfernen. Die Stimmcouverts gehen somit bei der Gemeindekanzlei
in anonymer Form ein. Nichtstimmberechtigte werden von der Wahl oder
Abstimmung allein dadurch ausgeschlossen, dass zur brieflichen Stimmabgabe
das an die Stimmberechtigten persönlich zugestellt Stimm-couvert verwendet
werden muss. Eine weitere Kontrolle der Stimmberechtigung findet nicht
statt.

    Vorliegend ist umstritten, ob dieses System, bei dem die briefliche
Stimmabgabe anonym erfolgt, geeignet ist, eine zuverlässige und
unverfälschte Willenskundgabe zu gewährleisten. Es fragt sich also,
ob die gewählte Ausgestaltung der brieflichen Abstimmung bereits von
vornherein verfassungswidrig sei und daher im Verfahren der abstrakten
Normenkontrolle aufgehoben werden müsse.

    c) Bei der persönlichen Stimmabgabe an der Urne erfolgt im Kanton
Basel-Stadt wie in anderen Kantonen eine Überprüfung der Stimmberechtigung
durch das Wahlbüro. Der Stimmende hat sich durch den Stimmrechtsausweis
zu legitimieren. Das Adressfeld des Stimmrechtsausweises darf bei
der Stimmabgabe an der Urne nicht abgetrennt sein. Fehlt es, so ist die
Stimmabgabe nur durch die Vorlage eines persönlichen Ausweises möglich (§ 7
der Verordnung zum Gesetz über Wahlen und Abstimmungen vom 3. Januar 1995;
vgl. für die ähnlichen Regelungen in anderen Kantonen die Hinweise bei
STEPHAN WIDMER, Wahl- und Abstimmungsfreiheit, Diss. Zürich, 1989, S. 160).

    Bei der brieflichen Stimmabgabe wird dagegen wie erwähnt auf
eine Kontrolle der Stimmberechtigung bei der Ausübung des Stimmrechts
verzichtet. Der Stimmrechtsausweis ist der Post ohne das Adressfeld
zu übergeben (§ 8 Abs. 1 der zitierten Verordnung). Der Regierungsrat
rechtfertigt die getroffene Lösung damit, dass nur sie sowohl für
die Stimmberechtigten als auch für die Verwaltung einfach zu handhaben
sei. Das als Stimmrechtsausweis konzipierte Couvert könne sowohl für die
persönliche Abstimmung an der Urne als auch für die briefliche Abstimmung
verwendet werden (sog. Zweiweg-Couvert).

    d) Die briefliche Stimmabgabe ist bei eidgenössischen Wahlen
und Abstimmungen seit dem Inkrafttreten der revidierten Bestimmungen
des Bundesgesetzes über die politischen Rechte am 15. Dezember 1994
(AS 1994 III 2414, 2422) voraussetzungslos zulässig, während sie
zuvor nur bestimmten Personengruppen (Kranken und Gebrechlichen;
Stimmberechtigten, die aus anderen zwingenden Gründen am Gang zur Urne
verhindert sind; Stimmberechtigten, die ausserhalb ihres Wohnsitzes
weilen; Stimmberechtigten, die im Ausland weilen; vgl. Art. 5 Abs. 4
BPR alte Fassung) vorbehalten war. Die voraussetzungslose Zulassung
der brieflichen Stimmabgabe soll dazu dienen, der in der letzten Zeit
zunehmenden Stimmabstinenz entgegenzuwirken (vgl. die ihr zugrundeliegenden
Motionen von Nationalrätin EVA SEGMÜLLER [Amtl.Bull. NR 1987 993 f.;
Amtl.Bull. StR 1988 6] und Ständerat RENÉ RHINOW [Amtl.Bull. StR 1988
940 f.; Amtl.Bull. NR 1990 284]). Im Blick auf diese Zielsetzung ist
es verständlich, wenn der Regierungsrat die briefliche Stimmabgabe
möglichst einfach und bürgerfreundlich ausgestaltet hat. Er durfte
dabei auch die besonderen Bedürfnisse der Stimmbürger eines Stadtkantons
berücksichtigen. Der gewählten Lösung ist ebenfalls zuzubilligen, dass
sie jegliche Gefahr einer Verletzung des Stimmgeheimnisses beseitigt,
weil die mit der Auszählung betrauten Personen gar nicht feststellen
können, von wem die eingesandten Stimmzettel stammen.

    Die angefochtene Regelung weist damit zwar den Vorzug der Einfachheit
und des optimalen Schutzes vor Verletzungen des Stimmgeheimnisses
auf. Im Blick auf das Ziel, Missbräuche des Stimmrechts möglichst zu
verhindern, erscheint sie jedoch als problematisch. So ist es fragwürdig,
die briefliche Stimmabgabe anonym zuzulassen, bei der Stimmabgabe an
der Urne dagegen einen persönlichen Nachweis der Stimmberechtigung zu
verlangen. Denn die Gefahr von Missbräuchen wird bei der brieflichen
Stimmabgabe im allgemeinen höher eingeschätzt als bei der Stimmabgabe
an der Urne. Frühere Vorstösse zur Einführung der voraussetzungslosen
brieflichen Stimmabgabe im Bund und in den Kantonen sind gerade aus solchen
Bedenken mehrfach gescheitert (vgl. BBl 1975 I 1331; BOLLA-VINCENZ,
aaO, S. 144 ff.; JEAN CASTELLA, L'exercice du droit de vote, ZSR
1959 598a ff.). Um so mehr hätte es nahegelegen, mit der allgemeinen
Zulassung der brieflichen Stimmabgabe die individualisierte Kontrolle der
Stimmberechtigung beizubehalten und sie allenfalls sogar durch zusätzliche
Schutzmassnahmen zu verstärken.

    Von diesen Erwägungen ausgehend ist denn auch in den meisten Kantonen
vorgesehen, dass sich der brieflich Stimmende doppelt ausweist, einerseits
durch die Einsendung seines - nicht anonymisierten - Stimmrechtsausweises
und anderseits durch seine Unterschrift auf dem Stimmrechtsausweis
(vgl. für den Kanton Basel-Landschaft § 7 der Verordnung zum Gesetz über
die politischen Rechte vom 17. Dezember 1991; für den Kanton Bern Art. 25
der Verordnung über die politischen Rechte vom 10. Dezember 1980 in der
revidierten Fassung vom 12. Oktober 1994; für den Kanton Zürich §§ 21
ff. des Gesetzes über die Wahlen und Abstimmungen vom 4. September 1983
in der revidierten Fassung vom 28. November 1993). Die Unterschrift tritt
im Sinne einer zusätzlichen Schutzmassnahme gewissermassen an die Stelle
des persönlichen Erscheinens bei der Stimmabgabe an der Urne. Im Kanton
Waadt wird zwar bei der brieflichen Abstimmung keine Unterschrift des
Stimmberechtigten verlangt, doch erfolgt hier eine besondere Kontrolle
dadurch, dass zunächst bei der Gemeindekanzlei ein Gesuch um briefliche
Abstimmung gestellt werden muss (Art. 20 der Loi du 16 mai 1989 sur
l'exercice des droits politiques) und dass mit dem Stimmcouvert auch die
die Personalien enthaltende "carte d'électeur" einzusenden ist (Art. 24
des Règlement du 1er novembre 1989 d'application de la loi du 16 mai 1989
sur l'exercice des droits politiques).

    e) Die anonyme Stimmabgabe, wie ihn die angefochtenen Bestimmungen
vorsehen, erhöht - jedenfalls im Vergleich zu den erwähnten Regelungen
in anderen Kantonen - die Missbrauchsgefahr erheblich. Wie der
Beschwerdeführer zu Recht hervorhebt, gibt es manche Gelegenheit,
in den Besitz von Stimmcouverts von Bürgern zu gelangen, die von ihrem
Stimmrecht, sei es aus Desinteresse, sei es wegen Abwesenheit, Krankheit
oder aus anderen Gründen, keinen Gebrauch machen. Wird bei der brieflichen
Stimmabgabe nicht verlangt, dass sich der Stimmende mit seinem Namen zu
erkennen gibt, so ist es ohne weiteres möglich, dass sich ein Bürger
dieser ungenutzten Stimmcouverts bedient und mehrfach abstimmt oder
wählt. Ja, es mag durch die Zulassung der anonymen Stimmabgabe sogar
der Eindruck entstehen, dass solche Machenschaften statthaft seien. Es
wird aber auch Versuchen, die Stimmabgabe unbeholfener oder abhängiger
Personen in der Familie, in Altersheimen, Spitälern etc. zu beeinflussen,
Vorschub geleistet. Der Regierungsrat verweist zwar auf die positiven
Erfahrungen, die bisher im Kanton Basel-Stadt mit der brieflichen
Stimmabgabe gemacht wurden. Diesen kommt jedoch schon deshalb keine
entscheidende Bedeutung zu, weil nach dem alten Recht die briefliche
Stimmabgabe nicht voraussetzungslos, sondern nur in bestimmten Fällen
und nur auf schriftliches Gesuch hin möglich war (vgl. René A. Rhinow,
Volksrechte, in: Handbuch des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons
Basel-Stadt, hrsg. Kurt Eichenberger et al., 1984, S. 114 Nr. 71).

    Schliesslich werden entgegen der Auffassung des Regierungsrats die
mit der anonymen Stimmabgabe verbundenen Missbrauchsgefahren durch
die wörtliche Wiedergabe von Art. 282bis StGB auf dem Stimmcouvert
nicht entscheidend verkleinert. Die Kantone können sich nicht mit einem
Verweis auf die präventive Wirkung der massgeblichen Strafbestimmungen
begnügen, sondern sie haben das Verfahren der brieflichen Abstimmung so
auszugestalten, dass eine zuverlässige und unverfälschte Willenskundgabe
gewährleistet ist. Dies setzt voraus, dass Missbrauchsgefahren mit
geeigneten Massnahmen begegnet wird.

    f) Die Identifizierbarkeit des Stimmenden bei der Stimmabgabe
erscheint somit als unentbehrlich zur Gewährleistung einer zuverlässigen
und unverfälschten Willenskundgabe. Freilich vermag dieses Erfordernis
Missbräuche des Stimmrechts auch nicht ganz auszuschliessen; doch
werden sie im Vergleich zur anonymen Stimmabgabe deutlich erschwert. Es
rechtfertigt sich nicht, im Interesse der Einfachheit der brieflichen
Abstimmung und des optimalen Schutzes des Stimmgeheimnisses auf eine
geeignete Massnahme zum Schutz vor Missbräuchen des Stimmrechts zu
verzichten, da gerade bei der brieflichen Stimmabgabe - wie erwähnt -
ausgedehnte Möglichkeiten unzulässiger Machenschaften bestehen und den
angeführten übrigen Zielsetzungen des brieflichen Abstimmungsverfahrens
auch sonst in genügendem Mass entsprochen werden kann.

    Ausserdem ermöglicht einzig eine Stimmabgabe, die unter Angabe
des Namens des Stimmenden erfolgt, eine wirksame Kontrolle der
Stimmberechtigung, wie sie Art. 8 Abs. 1 BPR verlangt. Eine Überprüfung
der Namen der Stimmenden kann insbesondere dann erforderlich sein,
wenn Zweifel an der Richtigkeit eines Ergebnisses auftreten oder
Unregelmässigkeiten geltend gemacht werden. Im übrigen ist sie
unter Umständen aber auch nötig, um die gültigen Stimmen korrekt zu
ermitteln. Verlieren Personen nach dem Versand der Unterlagen, der
mindestens drei Wochen vor dem Abstimmungstag erfolgt (Art. 11 Abs. 3
BPR), aber noch vor dem Abstimmungstag ihre Stimmberechtigung, so dürfen
ihre Stimmen nicht gezählt werden (vgl. Art. 2 der Verordnung über die
politischen Rechte vom 24. Mai 1978 [SR 161.11]).

    Hingegen steht den Kantonen bei der Wahl der Form, in der sich der
Stimmende bei der Stimmabgabe gegenüber den Behörden auszuweisen hat, ein
grosses Ermessen zu. Sie sind entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
von Bundesrechts wegen nicht gehalten, vom Stimmberechtigten bei der
brieflichen Stimmabgabe eine Unterschrift zu verlangen. Eine zuverlässige
Identifizierung der Stimmenden kann auch in anderer Weise gewährleistet
werden.

    g) Die Zulassung der anonymen Stimmabgabe in den §§ 8 Abs. 1 und
10 Abs. 2 der Verordnung zum Gesetz über Wahlen und Abstimmungen vom
3. Januar 1995 verletzt den verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine
zuverlässige und unverfälschte Willenskundgabe. Die staatsrechtliche
Beschwerde ist daher gutzuheissen, und es sind die angefochtenen
Bestimmungen aufzuheben.