Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 I 164



121 I 164

23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4.
August 1995 i.S. Bertges gegen Erster Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK; Einschränkung des Rechts des
Angeschuldigten auf freien Verkehr mit dem Verteidiger.

    Einem ausländischen Verteidiger darf in einem ausländischen
Strafverfahren die Bewilligung für unbeaufsichtigte Besuche bei seinem
in der Schweiz inhaftierten Mandanten nur verweigert werden, wenn eine
konkrete Gefahr besteht, dass er seine Vertrauensstellung missbrauchen
könnte.

Sachverhalt

    A.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt führt gegen
die deutsche Staatsangehörige Damara Bertges eine Strafuntersuchung
wegen Verdachts des gewerbsmässigen Betrugs. Frau Bertges wird zur
Last gelegt, sie habe als Präsidentin des European Kings Club (EKC),
eines Vereins mit Sitz in Basel, und als zeichnungsberechtigtes
Organ von diversen, dem EKC angegliederten Kapitalgesellschaften
ein betrügerisches Anlagesystem betrieben. Damara Bertges befindet
sich seit dem 7. Februar 1995 in Basel in Untersuchungshaft. Ihr
Ehemann Harald Bertges (Vizepräsident des EKC) und zwei weitere
Personen sind Mitangeschuldigte in dem im Kanton Basel-Stadt hängigen
Strafverfahren. Diese drei Personen befinden sich in Frankfurt am Main
(Deutschland) in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am
Main führt gegen Damara und Harald Bertges sowie gegen weitere Personen ein
Strafverfahren wegen Kapitalanlage-Betrugs, soweit er im Raume Deutschland
über den EKC begangen worden sein soll.

    Damara Bertges wird im baselstädtischen Strafverfahren durch
Rechtsanwalt W., im deutschen Strafverfahren durch die deutsche
Rechtsanwältin S. vertreten. Deren Ehemann ist Verteidiger von Harald
Bertges im deutschen Strafverfahren. Rechtsanwältin S. ersuchte den
zuständigen Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt wiederholt, ihr die
Bewilligung für unbeaufsichtigte Besuche bei Frau Bertges zu erteilen. Der
Staatsanwalt lehnte die Gesuche ab, weil Rechtsanwältin S. im Kanton
Basel-Stadt nicht als Anwältin zugelassen sei und da wegen des Umstands,
dass ihr Ehemann im deutschen Strafverfahren Harald Bertges verteidige,
die Gefahr des Austausches von Informationen über die Strafuntersuchungen
zwischen den angeschuldigten Eheleuten Bertges bestehe. Am 30. März 1995
verfügte der Staatsanwalt, Rechtsanwältin S. werde der unbeaufsichtigte
Verkehr mit der Angeschuldigten Damara Bertges nicht bewilligt. Eine
gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies der Erste Staatsanwalt
des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 22. Mai 1995 ab.

    Gegen diesen Entscheid und gegen die Verfügung vom 30. März 1995
reichte Damara Bertges staatsrechtliche Beschwerde ein. Das Bundesgericht
heisst die Beschwerde gut, soweit es auf sie eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin beruft sich in erster Linie auf Art. 6
Ziff. 3 lit. c EMRK. Sie macht geltend, es bedeute eine Verletzung des
aus dieser Vorschrift folgenden Anspruchs auf gehörige Verteidigung, wenn
ihr nicht gestattet werde, mit Rechtsanwältin S., ihrer Verteidigerin im
deutschen Strafverfahren, unbeaufsichtigte Gespräche zu führen.

    a) Der Erste Staatsanwalt hielt im angefochtenen Entscheid fest,
nach Ansicht des Haftrichters bestehe bei der Beschwerdeführerin eine
akute Kollusionsgefahr. Rechtsanwältin S., welche die Beschwerdeführerin
im deutschen Strafverfahren vertrete, sei im Kanton Basel-Stadt nicht als
Anwältin zugelassen. Sie vermöge demzufolge mangels Unterstellung unter
die kantonale Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte keine hinreichende
Gewähr zu bieten, dass es bei unbeaufsichtigten Besuchen nicht zu
Kollusionen kommen würde. Im weiteren führte der Erste Staatsanwalt
aus, die Verteidigungsrechte der Beschwerdeführerin seien auch ohne
unbeaufsichtigte Besuche der ausländischen Anwältin vollumfänglich
gewahrt. Die Beschwerdeführerin sei im deutschen Verfahren durch ihre
deutsche Verteidigerin, im baselstädtischen Verfahren durch Rechtsanwalt
W. gehörig verbeiständet. Beiden Rechtsanwälten stehe die Möglichkeit
offen, zur Erörterung hängiger Probleme, die sich im deutschen Verfahren
stellen würden, miteinander Rücksprache zu nehmen. Dadurch sei unter
dem Gesichtspunkt der EMRK hinreichend gewährleistet, dass die sich im
deutschen Verfahren stellenden Verteidigungsfragen über Rechtsanwalt W. mit
der Beschwerdeführerin besprochen werden könnten. Im übrigen stehe es
Rechtsanwältin S. wie bisher offen, die Beschwerdeführerin "beaufsichtigt
zu besuchen". Aus diesen Gründen bestätigte der Erste Staatsanwalt
den Entscheid, mit dem der deutschen Anwältin die Bewilligung für
unbeaufsichtigte Besuche bei der Beschwerdeführerin verweigert worden war.

    b) Die Beschwerdeführerin wendet ein, sowohl die Schweiz als
auch Deutschland hätten die EMRK unterzeichnet. Die Schweiz sei daher
völkerrechtlich verpflichtet, ihr zu gestatten, mit ihrer Verteidigerin
im deutschen Strafverfahren frei verkehren zu können. Die Berufung des
Staatsanwalts auf die Vorschriften über die Zulassung als Anwalt im
Kanton Basel-Stadt sei unzulässig. Die Bestimmungen der EMRK hätten
gegenüber den kantonalen Vorschriften über die Zulassung der Anwälte
den Vorrang. Aufgrund von Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK habe sie - die
Beschwerdeführerin - im schweizerischen wie im deutschen Strafverfahren
einen Anspruch auf gehörige Verteidigung. Dieser Anspruch setze voraus,
dass sie sich mit ihren Verteidigern unbeaufsichtigt besprechen könne. Sie
habe im deutschen Strafverfahren Rechtsanwältin S. zu ihrer Verteidigerin
bestimmt, und diese Anwältin sei im deutschen Verfahren von den zuständigen
Instanzen ohne weiteres zugelassen worden. Die baselstädtischen Behörden
hätten ihr somit für das deutsche Verfahren den freien Verkehr mit ihrer
deutschen Anwältin zu gestatten. Im weiteren bringt die Beschwerdeführerin
vor, nicht stichhaltig sei das Argument, es bestehe Kollusionsgefahr wegen
des Umstands, dass im deutschen Verfahren ihr Ehemann durch Rechtsanwalt
S., den Ehemann ihrer deutschen Anwältin, verteidigt werde. Gegen diese
Konstellation sei im deutschen Strafverfahren kein Einwand erhoben
worden. Die Möglichkeit von Absprachen zwischen Verteidigern bestehe
immer und sei sogar manchmal wünschenswert. Wenn im Entscheid des
Basler Haftrichters von Kollusionsgefahr die Rede sei, und zwar "ohne
Konkretisierung irgendwelcher Art", so beziehe sich das höchstens auf die
Beschuldigten und nicht auf deren Anwälte. Rechtsanwältin S. verwahre
sich ausdrücklich dagegen, dass sie mangels Unterstellung unter die
baselstädtische Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte keine hinreichende
Gewähr für ein korrektes Verhalten bei unbeaufsichtigten Gesprächen mit
ihrer Mandantin biete. Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, die
vom Ersten Staatsanwalt vorgeschlagene Lösung, Rechtsanwalt W. könne mit
ihr die sich im deutschen Strafverfahren stellenden Verteidigungsfragen
besprechen, genüge den Anforderungen der EMRK nicht.

    c) Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK räumt dem Angeschuldigten das Recht
auf den Beistand eines Verteidigers ein. Der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte (EGMR) hat in einem die Schweiz betreffenden Urteil
vom 28. November 1991 erklärt, das Recht auf freien (nicht akustisch
überwachten) Kontakt zwischen dem Verteidiger und dem verhafteten
Angeschuldigten sei zwar in der EMRK nicht ausdrücklich erwähnt. Es gehöre
jedoch in einem demokratischen Staat zu den elementaren Voraussetzungen
eines fairen Prozesses und sei aus Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK abzuleiten,
denn das in dieser Vorschrift gewährleistete Recht auf einen Verteidiger
würde wesentlich an Gehalt verlieren, wenn kein freier Kontakt und
damit keine vertraulichen Absprachen möglich wären (Urteil des EGMR vom
28. November 1991 i.S. S., Serie A, Band 220, Ziff. 48 = VPB 1991 Nr. 51
= EuGRZ 1992, S. 298 f. = RUDH 1991, S. 571). Der Gerichtshof stützte
sich bei der Auslegung des Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK unter anderem auf
Art. 93 der Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen gemäss
der Resolution (73) 5 des Ministerkomitees des Europarates vom 19. Januar
1973. Danach dürfen die Unterredungen zwischen dem Untersuchungsgefangenen
und seinem Verteidiger zwar optisch, nicht aber akustisch überwacht
werden ("Les entrevues entre le prévenu et son avocat peuvent être à la
portée de la vue, mais ne peuvent pas être à la portée d'ouïe directe ou
indirecte d'un fonctionnaire de la police ou de l'établissement"). Der
Anspruch des inhaftierten Angeschuldigten auf freien Verkehr mit seinem
Verteidiger ergibt sich nach der Rechtsprechung der Strassburger Organe
übrigens auch aus Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK. Nach dieser Bestimmung
muss der Angeschuldigte über ausreichende Zeit und Gelegenheit verfügen,
um seine Verteidigung vorzubereiten, und das setzt voraus, dass er mit
seinem Anwalt frei verkehren kann (Berichte der Europäischen Kommission
für Menschenrechte vom 12. Juli 1984 i.S. Can, Serie A, Band 96, S. 17,
Ziff. 52 = EuGRZ 1986, S. 278, und vom 12. Juli 1990 i.S. S., Serie A,
Band 220, S. 23, Ziff. 80 = EuGRZ 1992, S. 325).

    Das Recht auf freien Kontakt zwischen dem verhafteten Angeschuldigten
und seinem Verteidiger gilt indessen nicht absolut. Ausnahmsweise
kann es unter ausserordentlichen Umständen zeitweise eingeschränkt
werden (ARTHUR HAEFLIGER, Die Europäische Menschenrechtskonvention
und die Schweiz, Bern 1993, S. 180; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar,
Kehl/Strassburg/Arlington 1985, N. 132 zu Art. 6 EMRK). Die Europäische
Kommission für Menschenrechte hielt es zum Beispiel in dem die Schweiz
betreffenden Fall Kröcher und Möller (unter dem Gesichtspunkt von Art. 6
Ziff. 3 lit. b EMRK) für zulässig, dass der Verkehr mit dem Verteidiger
während vier Wochen stark eingeschränkt wurde. Den Angeschuldigten
waren Tötungsdelikte im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen
zur Last gelegt worden, weshalb sie als ausserordentlich gefährlich
eingeschätzt werden konnten (DR 26, S. 37 f.). Der EGMR erachtete
hingegen im oben erwähnten Urteil vom 28. November 1991 in der Sache
S. die beanstandete Einschränkung als mit Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
unvereinbar. In jenem Fall hatten die Schweizer Behörden den Verkehr
eines als besonders gefährlich eingeschätzten Angeschuldigten mit
seinem Verteidiger während mehr als sieben Monaten optisch und akustisch
überwacht. Die Massnahme war einerseits mit der besonderen Gefährlichkeit
des Angeschuldigten und der Schwere der ihm vorgeworfenen Straftaten
(zahlreiche terroristische Sprengstoff- und Brandanschläge) begründet
worden, anderseits damit, dass Indizien vorgelegen hätten, wonach der
betroffene Anwalt seine Verteidigungsstrategie mit den Rechtsvertretern
der Mitangeschuldigten zu koordinieren versucht habe. Der Europäische
Gerichtshof gelangte im Gegensatz zum Bundesgericht (BGE 111 Ia 341
E. 3f-g S. 350 ff.) zur Ansicht, im konkreten Fall rechtfertige weder
die Schwere der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Straftaten noch die
Möglichkeit einer Absprache der Verteidigungsstrategie unter den Anwälten
die angeordnete Beschränkung der Verteidigungsrechte. Die Koordination
der Verteidigungsstrategie sei nichts Aussergewöhnliches, sodann seien
weder das standesgemässe Verhalten des betroffenen Anwalts noch die
Rechtmässigkeit seines Verhaltens im konkreten Fall in Zweifel gezogen
worden, und im übrigen habe die Überwachung der anwaltlichen Gespräche
mehr als sieben Monate gedauert (Urteil vom 28. November 1991 i.S. S.,
Serie A, Band 220, Ziff. 49 = EuGRZ 1992, S. 299).

    Im hier zu beurteilenden Fall ist der Erste Staatsanwalt der Meinung,
die Einschränkung des Rechts der Beschwerdeführerin auf unbeaufsichtigten
Verkehr mit ihrer deutschen Anwältin sei vor allem deshalb zulässig,
weil Rechtsanwältin S. im Kanton Basel-Stadt nicht als Anwältin
zugelassen sei, demzufolge nicht der Aufsicht über die Advokaten gemäss
§ 13 des baselstädtischen Advokaturgesetzes unterstehe und daher keine
hinreichende Gewähr dafür biete, dass es bei unbeaufsichtigten Besuchen
nicht zu Kollusionen kommen würde. Er führt in seiner Vernehmlassung
zur staatsrechtlichen Beschwerde aus, das Bundesgericht habe in einem
Urteil vom 22. August 1994 (BGE 120 Ia 247 ff.) erklärt, dass die
Nichtzulassung eines ausländischen Verteidigers in einem schweizerischen
Verfahren keine Verletzung von Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK darstelle. Die
Berufung auf dieses Urteil ist jedoch unbehelflich, denn es geht im
vorliegenden Fall nicht um die Zulassung einer ausländischen Anwältin
in einem schweizerischen Verfahren. Rechtsanwältin S. verteidigt die
Beschwerdeführerin nicht im baselstädtischen, sondern im deutschen
Strafverfahren. Sie wurde von den deutschen Behörden als Verteidigerin
der Beschwerdeführerin zugelassen und ersuchte die Basler Behörde
um die Bewilligung für unbeaufsichtigte Besuche bei ihrer in Basel
inhaftierten Mandantin im Interesse der Verteidigung im deutschen
Strafverfahren. Da Deutschland die EMRK ebenfalls unterzeichnet hat,
ist die Beschwerdeführerin aufgrund von Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK auch
im deutschen Strafverfahren berechtigt, mit ihrer Verteidigerin frei
verkehren zu können. Wie dargelegt, darf dieses Recht nach der Praxis
der Strassburger Organe nur eingeschränkt werden, wenn die Massnahme
durch ausserordentliche Umstände gerechtfertigt ist. Ein solcher
Umstand kann im vorliegenden Fall nicht darin erblickt werden, dass
Rechtsanwältin S. im Kanton Basel-Stadt nicht als Anwältin zugelassen
ist. Würde dieser Umstand genügen, so könnte praktisch kein ausländischer
Verteidiger in einem ausländischen Strafverfahren mit seinem in der
Schweiz inhaftierten Mandanten frei verkehren. Das kann nicht der
Sinn der kantonalen Bestimmungen über die Zulassung der Anwälte sein
und wäre mit Art. 6 Ziff. 3 lit. b und c EMRK nicht vereinbar. Das
Bundesgericht führte in einem unveröffentlichten Urteil vom 16.
März 1995 i.S. B. (E. 3b/bb) aus, aufgrund dieser Vorschriften sei der
Angeschuldigte mit Rücksicht auf die Vorbereitung seiner Verteidigung
grundsätzlich berechtigt, mit seinem Anwalt Kontakt zu haben, und zwar
sobald das Untersuchungsverfahren angehoben sei. Dieses Recht müsse
dem Angeschuldigten gewährt werden, unabhängig davon, an welchem Ort er
wohne oder inhaftiert sei, mithin auch dann, wenn er sich im Hinblick
auf den Entscheid über seine Auslieferung in einem anderen Staat in
Haft befinde. In dem vom Bundesgericht im erwähnten Urteil behandelten
Fall hatte sich ein Genfer Anwalt im Namen seines Mandanten, der sich
in einem Genfer Gefängnis in Auslieferungshaft zugunsten der Republik
Bulgarien befand, darüber beklagt, dass seinem Mandanten nicht gestattet
worden war, im Gefängnis einen bulgarischen Anwalt zu empfangen, um
sich mit diesem zwecks Vorbereitung der Verteidigung im ausländischen
Strafverfahren zu besprechen. Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP)
hatte dem bulgarischen Anwalt die Besuchsbewilligung deshalb verweigert,
weil in früheren Fällen ausländische Verteidiger anlässlich von Besuchen
bei ihren in Auslieferungshaft befindlichen Mandanten wiederholt ihre
Vertrauensstellung missbraucht hätten. Das Bundesgericht vertrat die
Ansicht, mit dieser Begründung lasse sich der ablehnende Entscheid des
BAP nicht rechtfertigen, hob diesen auf und wies die Sache zur neuen
Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das BAP zurück. Es hielt fest,
das BAP kenne den bulgarischen Anwalt nicht und könne ohne entsprechende
Nachfrage beim ersuchenden Staat nicht beurteilen, ob im betreffenden
Fall bei objektiver Betrachtung eine konkrete Gefahr bestehe, dass
der ausländische Anwalt seine Vertrauensstellung missbrauchen und zu
Kollusionen beitragen könnte. Da das BAP keine Gründe für das Bestehen
einer solchen Gefahr angeführt habe, sei sein Entscheid aufzuheben und
über die Frage der Besuchsbewilligung, nötigenfalls nach Rücksprache mit
den zuständigen Behörden des ersuchenden Staates, erneut zu befinden. Aus
diesem Urteil des Bundesgerichts lässt sich schliessen, dass einem
ausländischen Verteidiger in einem ausländischen Strafverfahren der freie
Verkehr mit seinem in der Schweiz inhaftierten Mandanten nur verweigert
werden darf, wenn beim betreffenden Verteidiger eine konkrete Gefahr
besteht, dass er seine Vertrauensstellung als Anwalt missbrauchen und
zu Kollusionen beitragen könnte. Im hier zu beurteilenden Fall wird im
Entscheid des Ersten Staatsanwalts nicht dargetan, dass bei Rechtsanwältin
S. eine solche Gefahr gegeben sei. Das Argument, es bestehe nach Ansicht
des Haftrichters bei der Beschwerdeführerin eine akute Kollusionsgefahr,
vermag die beanstandete Massnahme nicht zu rechtfertigen. Nach der
Rechtsprechung der Strassburger Organe genügt der Umstand, dass beim
verhafteten Angeschuldigten Verdunkelungsgefahr besteht, nicht, um die
Kontakte des Angeschuldigten mit seinem Verteidiger vorübergehend nur
unter Aufsicht zuzulassen. Es müssen zur Rechtfertigung einer solchen
Massnahme Anhaltspunkte dafür gegeben sein, dass gerade diese Kontakte
vom Verteidiger missbraucht werden könnten (FROWEIN/PEUKERT, aaO, N. 132
zu Art. 6 EMRK; Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte
vom 12. Juli 1984 i.S. Can, Serie A, Band 96, S. 19, Ziff. 59 =
EuGRZ 1986, S. 279). Im angefochtenen Entscheid werden keine Tatsachen
genannt, aus denen sich Anhaltspunkte für die Annahme ergäben, dass die
deutsche Anwältin bei freien Kontakten mit der Beschwerdeführerin ihre
Vertrauensstellung missbrauchen könnte. Allein aus dem Umstand, dass ihr
Ehemann im deutschen Strafverfahren den Ehemann der Beschwerdeführerin
verteidigt, kann kein Anhaltspunkt für einen solchen Missbrauch
erblickt werden. Dass bei mehreren Angeschuldigten mehrere Anwälte ihre
Verteidigung aufeinander abstimmen können, ist nicht aussergewöhnlich
und nicht unzulässig. Die von der Basler Behörde verfügte Einschränkung
des freien Kontakts zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer deutschen
Anwältin hätte wohl dann nicht beanstandet werden können, wenn sie damit
begründet worden wäre, dass die Massnahme im deutschen Strafverfahren
nach Ansicht der zuständigen deutschen Behörde notwendig sei. Im Lichte
des bundesgerichtlichen Urteils vom 16. März 1995 und der zitierten
Rechtsprechung der Strassburger Organe reichen im vorliegenden Fall die
von der kantonalen Behörde angeführten Gründe nicht aus, um Rechtsanwältin
S. im deutschen Strafverfahren die Bewilligung für unbeaufsichtigte Besuche
bei der in der Schweiz inhaftierten Beschwerdeführerin zu verweigern. Der
angefochtene Entscheid des Ersten Staatsanwalts ist daher mit Art. 6
Ziff. 3 lit. c EMRK nicht vereinbar. Da er schon aus diesem Grunde
aufzuheben ist, erübrigt sich die Behandlung der Rüge, es liege auch eine
Verletzung von Art. 4 BV vor. Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche
Beschwerde gutzuheissen, soweit auf sie eingetreten werden kann, und der
Entscheid des Ersten Staatsanwalts vom 22. Mai 1995 ist aufzuheben.