Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 I 150



121 I 150

21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 20. Juni 1995 i.S. S. gegen Kantonale Steuerverwaltung Thurgau und
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 46 Abs. 2 BV; Ehegattenalimente.

    Getrennte oder geschiedene Ehegatten sind mit Bezug
auf die Unterhaltszahlungen in besonderer Weise rechtlich und
wirtschaftlich verbunden. Im interkantonalen Verhältnis ist daher das
Doppelbesteuerungsverbot zu beachten (Änderung der Rechtsprechung).

    Die Unterhaltszahlungen stehen im interkantonalen Verhältnis dem
Wohnsitzkanton des Empfängers zur ausschliesslichen Besteuerung zu;
der Wohnsitzkanton des Verpflichteten muss sie zum Abzug von dessen
steuerbarem Einkommen zulassen.

Sachverhalt

    A.- S. wurde im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen vom Bezirksgericht
Zürich verpflichtet, seiner im Kanton Zürich wohnhaften Ehefrau während
des Ehescheidungsverfahrens monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. -.--
zu zahlen.

    Die Steuerkommission X. (Kanton Thurgau), wo S. damals Wohnsitz hatte,
setzte sein steuerbares Einkommen für das Veranlagungsjahr 1991 (ab 1. Juni
1991) unter Aufrechnung der abgezogenen Unterhaltszahlungen auf Fr. -.--
fest. Der Steuerpflichtige erhob dagegen erfolglos Einsprache und Rekurs.

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies das Begehren von S.,
die seiner im Kanton Zürich wohnhaften Ehefrau bezahlten Unterhaltsbeiträge
zum Abzug zuzulassen, mit Urteil vom 17. August 1994 ab.

    Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde von S. gut
und hebt den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 17. August 1994 auf,

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss § 19 lit. c des Steuergesetzes des Kantons Thurgau
in der hier noch anwendbaren Fassung vom 9. Juli 1964 (StG) können
dauernde periodische Beiträge an den geschiedenen oder gerichtlich
getrennten Ehegatten vom steuerbaren Einkommen des Schuldners abgezogen
werden. Hingegen werden Unterhaltsbeiträge, die nach Aufhebung des
gemeinsamen Haushalts vom Massnahmerichter gestützt auf Art. 145 ZGB für
die Dauer des Scheidungsverfahrens zugesprochen werden, nicht zum Abzug
zugelassen. In § 34 Abs. 1 Ziff. 5 des neuen thurgauischen Steuergesetzes
vom 14. September 1992 (nStG) ist der Abzug periodischer Unterhaltsbeiträge
umfassender vorgesehen: nebst den Unterhaltsbeiträgen an den geschiedenen
oder gerichtlich getrennten können auch Unterhaltsbeiträge an den
tatsächlich getrennten Ehegatten abgezogen werden.

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Ehefrau sei im fraglichen
Zeitraum im Kanton Zürich wohnhaft gewesen und habe die Alimente dort
gestützt auf § 19 lit. h des Zürcher Gesetzes vom 8. Juli 1951 über die
direkten Steuern versteuern müssen. Wenn er die Alimente nicht abziehen
könne, entstehe eine unzulässige Doppelbesteuerung. Nach Art. 46 Abs. 2
BV sei es nicht zulässig, das gleiche Einkommen beim Ehemann und bei der
Ehefrau zu besteuern. Auch bei nach Art. 145 Abs. 1 ZGB getrenntlebenden
Ehegatten bestehe - wie dies das Bundesgericht für Alimentenzahlungen an
die Kinder angenommen habe (BGE 118 Ia 277 ff.) - eine enge wirtschaftliche
und rechtliche Beziehung fort, so dass es sich rechtfertige, das
Doppelbesteuerungsverbot auf den Fall der Ehegattenalimente anzuwenden.

    c) Das Doppelbesteuerungsverbot von Art. 46 Abs. 2 BV schliesst eine
Besteuerung der gleichen Person durch zwei oder mehrere Kantone für das
gleiche Steuerobjekt und die gleiche Zeit aus. Unzulässig ist sowohl die
aktuelle als auch die virtuelle Doppelbesteuerung (vgl. BGE 117 Ia 516
E. 2 S. 518; 116 Ia 127 E. 2a S. 130, mit Hinweisen). Vom Erfordernis,
dass sich die Steueransprüche gegen das gleiche Steuersubjekt richten
(Steuersubjektidentität), kann abgesehen werden, wenn zwei Steuersubjekte
mit Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt rechtlich und wirtschaftlich in
besonderem Masse verbunden sind (Steuersubjektverbundenheit, vgl. ERNST
HÖHN, Interkantonales Steuerrecht, 3. Aufl. 1993, N. 12 zu § 4 S. 71
und BGE 118 Ia 277 E. 2 S. 279/280, mit Beispielen und Hinweisen). Eine
solche Verbundenheit, die zur Anwendung des Doppelbesteuerungsverbots
führt, hat das Bundesgericht angenommen für Kinderunterhaltsbeiträge
zwischen dem Leistenden und dem Empfänger der Unterhaltsbeiträge (BGE 118
Ia 277 ff.), bei der Nutzniessung zwischen Nutzniesser und Eigentümer,
bei der Kollektiv- und Kommanditgesellschaft zwischen der Gesellschaft
und dem Gesellschafter, zwischen der Stiftung und dem Stifter sowie dem
Schenkenden und dem Beschenkten (vgl. THOMAS KOLLER, Die Besteuerung von
Unterhaltsleistungen an Kinder im Lichte von BGE 118 Ia 277 ff. [= ASA 61
S. 741 ff.] und deren Auswirkungen auf das Zivilrecht, ASA 62 S. 289 ff.,
S. 296 ff.; HÖHN, aaO, N. 13 zu § 4 S. 71, und Kommentar BV, N. 41 zu
Art. 46 Abs. 2 BV, mit Hinweisen).

    aa) Bei Ehegatten hat das Bundesgericht eine Doppelbesteuerung zufolge
Identität des Steuersubjekts angenommen, wenn Ehemann und Ehefrau, die
zusammenleben und demzufolge gemeinsam besteuert werden, je von einem
Kanton für das gleiche Objekt zu Steuern herangezogen werden (HÖHN, aaO,
N. 13 zu § 4 S. 71 f.). Es hat das Vorliegen einer Doppelbesteuerung in
bezug auf Ehegattenalimente bisher verneint (BGE 90 I 293 E. 2 S. 297);
massgebend hiefür war die Erwägung, dass bei Scheidung oder Trennung
der gemeinsame Haushalt aufgelöst ist, keine Gemeinschaftlichkeit der
Mittel mehr besteht und beide Ehegatten demzufolge als eigenständige
Steuersubjekte behandelt werden. Im folgenden ist zu prüfen, ob daran
festgehalten werden kann.

    bb) Getrennt lebende Ehegatten sind nach dem Gesagten im
interkantonalen Verhältnis eigenständige Steuersubjekte, wenn keine
Gemeinschaftlichkeit der Mittel für Wohnung und Lebensunterhalt besteht,
d.h. wenn sich die Unterstützung des einen an den anderen Ehegatten
- wie im vorliegenden Fall - in der Leistung von ziffernmässig
bestimmten Unterhaltsbeiträgen erschöpft (vgl. BGE 121 I 14 E. 5c
S. 19; 118 Ia 277 E. 2 S. 279 unten). Tatsächlich bleiben sie jedoch
in bezug auf den Unterhalt auch nach der Trennung oder Scheidung
rechtlich und wirtschaftlich in besonderem Masse verbunden: So gilt
die Unterhaltspflicht der Ehegatten (Art. 163 Abs. 1 ZGB) für die
ganze Dauer des rechtlichen Bestands der Ehe und somit auch für die
Dauer des Getrenntlebens nach Art. 175 f. ZGB (vgl. Art. 176 Abs. 1
Ziff. 1 ZGB) oder des Scheidungsprozesses (vgl. BÜHLER/SPÜHLER, Berner
Kommentar, N. 111 zu Art. 145 ZGB; SPÜHLER/FREI-MAURER, Berner Kommentar,
Ergänzungsband 1991, N. 111 zu Art. 145 ZGB). In der Bedürftigkeitsrente
nach Art. 152 ZGB lebt aus dem Gedanken der nachehelichen Solidarität
die Beistandspflicht der Ehegatten (Art. 159 Abs. 3 ZGB) auch nach der
Scheidung fort (SPÜHLER/FREI-MAURER, aaO, N. 4 zu Art. 152 ZGB). Die
Unterhaltsersatzrente nach Art. 151 Abs. 1 ZGB ist zwar nicht eine
Forderung aus der ehelichen Gemeinschaft, sondern Schadenersatz; doch
beruht auch dieser auf dem Verlust von Ansprüchen, die sich aus der Ehe
ergeben (SPÜHLER/FREI-MAURER, aaO, N. 9 zu Art. 151 ZGB, mit Hinweisen).

    Unabhängig davon, ob die Ehegatten noch verheiratet oder bereits
geschieden sind, besteht demnach in bezug auf den Unterhalt eine
besondere rechtliche und wirtschaftliche Verbundenheit der Ehegatten,
in der die Ehe bzw. die frühere Ehe nach der Trennung noch Folgen
zeitigt. Eine solche Verbundenheit zwischen den betroffenen Steuersubjekten
rechtfertigt es, auf das formale Erfordernis der Steuersubjektidentität
zu verzichten (vgl. KOLLER, aaO, S. 296 ff. und 301). In bezug auf die
Unterhaltsbeiträge, die ein Ehegatte vom anderen nach der Trennung oder
Scheidung für sich erhält, ist daher im interkantonalen Verhältnis das
Doppelbesteuerungsverbot zu beachten. An der bisherigen Praxis, die der
nach wie vor bestehenden besonderen rechtlichen und wirtschaftlichen
Verbindung der Ehegatten zuwenig Rechnung trägt, kann nicht festgehalten
werden. Das Doppelbesteuerungsverbot schliesst aus, dass der Wohnsitzkanton
des Ehegatten, der die Unterhaltsbeiträge zahlt, dessen Einkommen voll
(ohne Abzug der Unterhaltsbeiträge) erfasst und der Wohnsitzkanton des
Empfängers die Beiträge gleichzeitig ebenfalls als Einkommen besteuert;
dadurch würden getrenntlebende gegenüber zusammenlebenden Ehegatten in
nicht zu rechtfertigender Weise schlechter gestellt (vgl. KOLLER, aaO,
S. 301).

    cc) Mit dieser Praxisänderung wird zudem der Rechtsentwicklung in
den Kantonen und im Bund Rechnung getragen. Innerkantonal sind alle
Kantone dazu übergegangen, Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder
getrennten Ehegatten und an die Kinder nur einmal steuerlich zu belasten
(vgl. KOLLER, aaO, S. 294). Nur noch einige wenige Kantone lassen den Abzug
von Ehegattenalimenten beim leistenden Ehegatten nicht bereits mit der
tatsächlichen Trennung, sondern erst mit der Scheidung oder gerichtlichen
Trennung zum Abzug zu. Art. 7 Abs. 4 lit. g des Bundesgesetzes vom
14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der
Kantone und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz; StHG, SR 642.14)
verpflichtet die Kantone einerseits, die vom geschiedenen oder gerichtlich
oder tatsächlich getrenntlebenden Ehegatten erhaltenen Unterhaltsbeiträge
beim Empfänger zu besteuern, Art. 9 Abs. 2 lit. c StHG verpflichtet sie
andererseits, die entsprechenden Unterhaltsbeiträge beim Leistenden zum
Abzug zuzulassen; dieselbe Besteuerung sehen auch die Art. 23 lit. f
und 24 lit. e des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte
Bundessteuer (DBG; SR 642.11) vor.

    Wie dies in BGE 118 Ia 277 (E. 3 S. 281) bereits für die
Unterhaltsbeiträge an die Kinder entschieden wurde, rechtfertigt sich auch
für die Unterhaltsbeiträge der Ehegatten doppelbesteuerungsrechtlich keine
Zuteilungsnorm, die von den in den Steuergesetzen getroffenen Regelungen
abweicht. In Anlehnung an die Lösung, die bei der Steuerharmonisierung
gewählt und bereits von den meisten Kantonen übernommen wurde, sind daher
Alimente, die an den geschiedenen oder (gerichtlich oder tatsächlich)
getrenntlebenden Ehegatten bezahlt werden, im interkantonalen Verhältnis
zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung dem Wohnsitzkanton des Empfängers
zur ausschliesslichen Besteuerung zuzuweisen und beim Verpflichteten zum
Abzug zuzulassen (vgl. KOLLER, aaO, S. 305 ff.).

    d) Der Kanton Thurgau hat somit seine Steuerhoheit überschritten,
indem er den Beschwerdeführer einschliesslich der an seine Ehefrau
im Kanton Zürich bezahlten Alimente besteuert hat. Die Beschwerde
ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Das
Verwaltungsgericht hat einen neuen Entscheid zu fällen und dabei die vom
Beschwerdeführer geleisteten Unterhaltsbeiträge zum Abzug zuzulassen.